Es ist der 27. Dezember 2021, ich spiele Valheim und noch hat man mich nicht betrogen. Der emotionalen Kernschmelze ging der Bau eines Hafens voraus. Fünf Stunden vor der Nachricht, die mein Leben nach 12 Jahren Freundschaft und Beziehung für immer verändert, erstelle ich den letzten Screenshot. Alles ist gut, das Licht hat gewonnen. Auf meinem Wachturm stehe ich, inmitten meines Dorfes, in dem immer mehr Gebäude wuchern, damit ich alles überblicke. Nur das Fremdgehen, das sehe ich nicht. Was für ein behämmertes Bildnis, fuck that, das lasse ich hier jetzt so stehen und schäme mich kein Stück.
Weil – so ein Text wird das nicht, in dem ich von Sünden und Schnulzen beichte und ein Videospiel meine Seele befriedet.
Keine Sorge, das ist keiner dieser Texte, von wegen, ja jetzt hab ich grundlegende Gefühle von Spielen gelernt, bin geheilt und glücklich. Nein, sowas wird das hier nicht, und bereits im dritten Absatz lüge ich. Weil alles so viel trostloser ist.
Im Februar 2021 starte ich Valheim das erste Mal. Mitten drin im Hype, der die Medien eilmelden und schlagzeilen lässt und die Spielenden raunen und staunen ob der Eilmeldungen und Schlagzeilen, die man dann einfach selbst erlebt und 15 Euro ausgibt für ein Erlebnis. Möchte behaupten: “Damals war noch alles gut”, also abseits von Valheim, aber wie immer übersah man die Zeichen, Gesten, Ausdrücke, die alles ankündigten. Die Entfremdung pulsiert im Moment des Geschehens nur vage im Kopf, nicht aber im Herzen, dort, wo es begann, und “es” bedeutet, wie die Augen leuchteten, die Hände zitterten, das Lächeln aus Reflex tanzte jedes Mal, wenn man sich aufs Neue schockverliebte, mit der Gewissheit nun, man werde es jeden Tag bis ans Ende aller Tage erneut spüren, und dann wärmt eine Gegenseitigkeit den nächsten Atemzug und den nächsten auch und alle anderen danach, weil jedem “ich liebe dich” das “ich dich auch” folgt, da kommt das Lieben, Vergöttern, Anhimmeln und Wertschätzen ganz ohne Zögern oder Bedingung nicht von irgendeiner Person, sondern von dir, dir, dir und das Licht gewinnt.
Distanziert man sich von alldem, kommt dem Moment des Realisierens das Leugnen in den Weg. Kann alles nicht sein, soll das plötzlich weg sein, natürlich nicht, nein, weil man ja plant, das Leben mit dem anderen Leben, weil eins plus eins ergibt eins, und während man zu zweit eins ist, alles macht als Paar, essen, trinken, lieben, weinen, freuen, streiten, kommt das schlimmste: Distanz, oder anders, Routine nennt man das dann, und routiniert geht man Hand in Hand ins Verderben, bis man die Hand des anderen nicht mehr nehmen will und irgendwann gar nicht mehr den Gedanken hat, es nicht zu tun, sondern es schlicht – nicht tut.
Valheim aber ist geblieben. Ein Spiel, in dem ich baue und wandere und nicht gut darin bin. Meine ersten Hütten ließen nicht mal Platz für einen feuchten Pups. Und ausnahmsweise ist das keine wilde Allegorie auf mein Leben.
Nichts davon ist wichtig, also Valheim und mein Valheim-Haus und mein Valheim-Hafen, und noch weniger als das hängt mit dem Ende meiner Beziehung zusammen. Ausgerechnet dieses Spiel war die letzte Art der Unterhaltung an dem einen Tag, der mein Leben bislang am stärksten beeinflussen sollte, und jetzt kehre ich zurück. Im Screenshot-Ordner prügelt das Aufnahmedatum mir jenen Tag ins Gedächtnis, das Davor und Danach rahmt nur die Tränen ein, die bald schon prasseln auf Hose, Pulli und Leben, und das Ende beginnt mit “ich bin nicht mehr glücklich” und endet mit “ich tat es, weil ich es wollte”. Aus der nicht mehr gemeinsamen Wohnung geht die große Liebe und wird zur Erinnerung.
Ist das doch so ein Text jetzt? Gebt mir Zeit, gebt mir Platz, noch ist nichts passiert, aber kommt nun, wartet, Valheim ist das Thema, exakt, wikingernde Figuren marschieren auf den nächsten Baum und fällen dieses Mistviech, schneller, weiter, doller Holz hacken für das nächste Werk, das sich die Vorsilbe “Bau” erst nach, hm, zehn Stunden verdient.
Und ich frage mich, mit Blick auf den Screenshot, das Datum: Mit dem Wissen über das Ende, wie würde ich dem Anfang begegnen? Als wir vor über 12 Jahren in einem Klassenraum einander bemerkten und morgens in einem Rucksack nach Farben sortierte Ordner die Themen unseres Lebens definierten. Über ein Jahrzehnt, in dem wir lachten, weinten, grölten, Döner in Einkaufswagen durch Elmshorn kutschierten, nachts um 2 am Bahnhof gottlose 30 Euro für vier Bier verballerten, auf den Steinen im Wattenmeer balancierten, ich mir das Schienbein beim Hafenfest zerfledderte und du mich ausgelacht hast, dein Piercing uns in die Notaufnahme scheuchte, weil wir zu sehr knuddelten, wir in deinem ersten Auto zum Flughafen klapperten, bei der Hochzeit deiner Schwester zankten und tanzten, du mir versprachst, mit mir in eine andere Stadt zu ziehen und auf mein fürchterlich lieb gemeinten, viel zu früh ausgesprochenen Gedanken, dass ich dich fragen wollte, ob du mich heiratest, aber nur das Szenario, nicht die Frage aussprach, weil wir erst drei Monate zusammen waren, du die zweitschönsten vier Worte gesagt hast: “ich hätte ja gesagt”, wie soll ich nach all dem mit diesem gigantischen “What if”-Szenario klarkommen: Was, wenn ich es vorher gewusst hätte?
Auf das Kennenlernen verzichten und auch darauf, dass mich ein Mensch mit all meinen monströsen Fehlern akzeptiert? Vor einem Jahr, wenige Monate nach der Trennung, kannte ich die Antwort. Ich habe sie aufgeschrieben, weil ich es immer mache, doch nie veröffentlicht. Bis jetzt:
"Hätte ich am Anfang unserer Beziehung gewusst, dass es tatsächlich ein Ende gibt und dann noch so ein beschissenes, dann - nichts "dann", kein "aber" und niemals ein "jedoch". Ich hätte alles genau so erleben wollen. Es willkommen geheißen. Jede Minute mit dir war ein Geschenk, das zu öffnen bedeutete, mit der schönsten, reinsten, ehrlichsten Sache belohnt zu werden, die ich in 30 Jahren gespürt habe: Unendlichkeit. Das Licht hat gewonnen."
Hahaha, oh shit, unangenehm jetzt, bisschen. Zappenduster kokelt das Licht neben mir den Text an und lacht mich aus. Fair.
Ich habe mich geirrt. Dachte, irgendwann kommt’s und es schmerzt nicht mehr, das Leben, mein’ ich. Fünf Jahre lang, sieben, zwölf, einunddreißig verfickte Jahre habe ich mich geirrt. Einfach alles ist egal, Freundschaft und Liebe, jetzt und schon immer, und das beruhigt mich, weil ich nun weiß, tja, einfach nie wieder das alles, nie mehr drauf einlassen, nix mehr erleben, nur noch überleben.
In den Fängen eines Spiels sieche ich mich bis an diesen Punkt, an diesen Text. Bisschen niederreißen einfach alles im Zustand des Erinnerns, weil sonst nichts bleibt. Wehklagend eskalieren, bis die Tristesse weniger scheppert. Ich atme, also bin ich, und das ist eher belastend, deswegen dieser Text.
Valheim, dieses wundervolle, lakonische Valheim, vollgepackt habe ich es mit Türmen, Hütten, Sälen, Truhen, Zäunen und Äxten. Gräben grub ich, stärkte den Bau meines Dorfes mit Balken und Kreuzen und sicherte jeden Ort mit der absoluten Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben. Ein Jahr und vier Monate später kehre ich zurück und die Welt blüht in Unendlichkeit. Nichts hat sich verändert. Der Wachturm wacht, der Graben schützt, der Zaun hält, das Lagerfeuer fackelt. Eine Welt der Verben und ich mittendrin.
Am 22. April 2023 kehre ich zurück und weiß: Alles, was ich erschuf, gehört hier hin. In Valheim fühle ich mich sicher. Es hat einen Platz für mich, während alles andere um mich herum sich anfühlt wie die Erinnerung eines vergangenen Ichs, das ich begraben glaubte am Tag, als unsere Hände sich nach sieben Jahren Freundschaft endlich vereinten.
“Liebe kennt keine Grenzen. Sie ist unendlich”, schrieb ich einst und hatte ein Bild einer Person in meinem Kopf, die mich sanft anlächelte, als ich mit dem Kuscheltier namens Mimo eine ausgedachte Geschichte erzählte, die den Nebenjob des Einhorns namens Lucy beschrieb.
Jetzt lache ich laut und wild und mit keiner Zuversicht. Manchmal wandelt sich der Platz, den man für sich im Leben sieht und somit auch der eine Lieblingsmensch, in eine gottverdammte Lektion.
Ha! Nicht so ein Text, nein, sondern ein Wandkalenderspruchgenerator. Gern geschehen.
Mein Dorf in Valheim? Steht noch. Feste und solide. Nichts davon hat eine Bedeutung, kein einziger Pixel, den ich von A nach B beförderte, spielt auch nur die kleinste Rolle, während mein Leben mir fremd erscheint, schwindet und verblasst, unbestimmt wie der morgendliche Nebel als neuer Tag vergeht und dann alles nicht mehr da ist und ich auch nicht und kein Licht durch die Schwaden bricht, wartet kurz, da ist Valheim abgestürzt, doch noch alles da und eigentlich wunderhübscht sich der Nebel regelrecht auf, Glück gehabt, nur ein Traum und ein Turm, und der Absatz endet und das Glück auch und ich nicht, noch nicht, und ich frage: leider?
Der Wachturm in Valheim, er überblickt alles. Es ist nicht viel und lindert nichts und er wird nach finaler Entwicklung des Spiels vermutlich gelöscht.
Es ist Dezember 2021, ich baue das finale Bauwerk meines Dorfes und wurde nicht betrogen – noch nicht.
Es sind die letzten Stunden vor dem Verrat. Ja, ich sage das: Verrat, und ich meine es nicht böse, nicht so, aber eben doch. Ich meine das: Verrat. Kein Königreich ist untergegangen, kein Herrscher besiegt. Schlimmer, weil realer: Verrat an Vertrauen, an Liebe, an dieser einen Sache, die ich niemals wähnte in meinem Leben und dann entdeckte und umarmte, festhielt und liebkoste: Verrat an der Unendlichkeit, die ich erstmalig erahnte, als wir die Freundschaft hinter uns ließen in der Nacht des Football-Spiels, und unsere Hände im Laufe eines Abends schüchtern die Liebe fanden an dem kleinen Finger des anderen, den wir nun streichelten und bald darauf die ganze Hand und das Ding in unserer Brust plötzlich ballernd aus dem Knoten springt und wir nach 25 Jahren Leben erfahren, wozu es eigentlich da ist: Liebe. Kitsch? Ja, aber. Aber! Keine Luft gerade, nur der Brustkorb, der sich zitternd nach oben und unten bebt und unsere Hände, die sich erstmals spüren bis in die Spitzen des Seins auf der orangenen Couch und noch eine Stunde vergeht bis wir uns gegenseitig mit unseren Lachgrübchen blenden, und so haften unsere Blicke lange nur auf den Fernseher und die Hände versichern einander, jetzt aber!, jetzt wirklich, am 3. Oktober und nicht ein Tag zu früh gewinnt das Licht. Da ist es doch. Endlich. Anderen Menschen zuvor gesagt, stellt sich heraus, erst jetzt, und wenn das Kitsch ist, dann bitte.
Oh nein, das ist so ein Text, kein zurück, weiter, immer weiter.
Jetzt? Nix mehr. Jede Zukunft plötzlich nur noch Fantasie. Szenen meines Lebens, noch nicht geschehen, die mir die Angst vor dem Ende nahmen, weil sie das Ende ersetzen mit der Liebe, die auch danach noch bleibt und Unendlichkeit heißt, diese Szenen mit zwei Kindern namens Alicia und Fabienne oder drei Hunden namens Rogal, Sigmar und Django bebildern plötzlich nur die Utopie, aber niemals das Mögliche, das Erwartbare, von zwei Menschen Erwünschte.
Nein, das ist doch keiner dieser Texte. Ich brauche kein Spiel, damit ich weiß, dass dies und jenes. Oder anders: Valheim lehrt mich nichts über Liebe. Es ist ein Survival-Spiel. Toll ist es, keine Frage. Und unbedeutend.
Zumindest bis ich merke, wie ich es spielte am letzten gewöhnlichen Tag meines Lebens. Und das meine ich so: Wie ich nur Stunden danach 12 Jahre verlor an Erinnerungen, weil nicht nur die Trennung uns entzweite, sondern vielmehr die Entscheidung eines Menschen, 12 Jahre schon dann zu vergessen, als dieser Jemand vorgab mit mir zusammen eins zu sein. Da wuchtet mein Wachturm in Valheim also eine Menge Emotionen auf den hölzernen Schultern. Steht da und ist. Als wäre es nie passiert, das alles. Als wäre es noch immer der 27. Dezember um 13 Uhr, fünf Stunden vor der Nachricht, die ein Leben auch ein Jahr und vier Monate danach beinahe täglich verwüstet und nur den Wachturm in Valheim nicht verheert.
Der Platz im Leben ist fort. Nimmermehr. Malochen für die Miete. Essen für’s Leben. Fühlen schon lang nicht mehr. In Valheim stehe ich auf dem Wachturm. Was für ein billiger Schnack, jetzt wird es ultimativ. Es lehrt mich nix, das Stehen. Weil das nur ein Turm ist. In einem Spiel. Nicht mal fertig entwickelt. Da steh ich nun und bleibe. Ein bisschen Ruhe. Überblicken, was ich kenne, selbst nach so langer Zeit. Kurz flüchten, innehalten, durchatmen, das mache ich auch im Wald auf der Bank im real life, lese, jogge, renne, flenne, boxe, ja schon klar was ihr sagen wollt, lass das Spiel Spiel sein, und das möchte ich, nur will ich eben heute kurz Unendlichkeit. Zeit bleibt stehen, die Bienen sind glücklich, die Goblins grasen. Vielleicht muss ich nur mal schreiben, über die Fehler, meine Fehler, als hätte ich keine gemacht, aber das, all das, nach so langer Zeit? Fuck.
Fuck! Das ist jetzt so ein Text, mit bisschen wüten, bisschen herrichten, bisschen schnalzen mit der Zunge bei der nächsten Metapher, die beschreibt, was war und nie wieder sein wird und mir der Rand des Verstandes fäusteballend entgegen sprintet. Als nächstes: fallen, seit einem Jahr und vier Monaten.
Damals: Es ist nicht das warme Lächeln meines Gegenübers, das mich wissen lässt: von hier an bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter, sondern wie dieser andere Mensch ein Plüschtier nimmt, das Einhorn Horny zum Beispiel, und eine neue Rolle einstudiert, die Stimme verstellt, hoch und tief und zart, und dann spielen und reden wir mit den Teddys, und da weiß ich, hier werde ich nicht ausgelacht oder verurteilt, sondern du machst mit. Das ist der Mensch, der bleibt. 12 Jahre waren’s ja schon, fast die Hälfte meines Lebens, und dann folgen da halt nochmal 12 Jahre und mehr, alles andere ergibt keinen Sinn, bin sowieso überrascht, wie ich so lange ausharren konnte ohne dich, überlebt ja, aber erst gelebt mir dir an meiner Seite. Was kommt uns dazwischen? Na klar, das Leben, falscher Ort, falscher Zeitpunkt, falsche Entscheidung und, hm, falscher Mensch? Und das Licht, wo ist das geblieben?
Ich weiß, so ein Text ist das nun, habt ihr vielleicht noch fünf Minuten?
Und dann zeige ich dir das Bauwerk in Valheim. Gebaut habe ich das, während du arbeiten warst. Bist du unglücklich – frage ich nicht. Ich sage, guck mal, und du guckst, ein Lächeln huscht dir über die Lippen und in deinen Augen sehe ich das funkelnde Unstete. Vielleicht war nur ich es, der sein Gegenstück gefunden hat, und du, du siehst mein Wachturm in Valheim und freust dich für mich, für deinen allerbesten Freund, der es nie geschafft hat, dir den Halt zu geben, von dem ich weiß, dass er dir immerzu fehlte, aber nie verstand, warum. Aus besten Freunden wird ein Paar, und ich erfahre nie, wie es dir wirklich geht, weil du nicht antwortest oder ich falsch frage oder beides, ich verschissener Idiot – bis zu dem Moment, an dem du jemanden anderen findest und ich noch da bin und du denkst: leider. Ohne Fragezeichen.
Wut, das sollte ich fühlen, und ich stehe ein Jahr und vier Monate danach auf dem Wachturm, erinnere mich, lächle, weine, schlage, bis ich das dumme Spiel lösche und das gleiche machen will mit unserer Vergangenheit, das Jahrzehnt plus 2 Jahre, eingerahmt von den Verben eines Zustands, den ich Liebe nenne und wir uns umarmen, küssen, knuffen, texten, bis wir nicht mehr doll knuffen, weniger umarmen, nur das Nötige texten und lediglich zum Abschied küssen, und dann gar nicht mehr, alles einfach nicht mehr. Da ist nur Stille. Angedeutete Zuneigung in dem Wissen, dass selbst die Auszeichnung “bester Freund” keine Garantie ist für ein Leben zusammen.
Wir haben einander geliebt wie wir dachten, es sei richtig und normal. Wie schon zuvor. Du viele Jahre lang einen anderen, ich mal hier, mal da, unbestimmt, aber Liebe wars immer oder so, und dann wir, nach fast acht Jahren Freundschaft, liebten wir wie zuvor, weil wir dachten, das sei halt richtig, alle anderen machen es auch, so lieben, ausgehen, angeben mit den neuen Gefühlen, von denen man erzählt als habe man sie entdeckt, benannt und liebevoll radikalisiert, und dann haben wir vergessen wie anders wir beide sind, immer auf der Suche, scheiterten an Prüfungen, ketteten uns an die falschen Menschen, verloren uns in tristen Städten, plagten uns in Jobs und Erwartungen und Gesprächen, und wir erzählten einander noch vor der Beziehung davon und waren füreinander das Auge des Sturms namens Erwachsensein, und da kehrte Ruhe ein für einen Moment, als wir uns trafen und nur Freunde waren und darüber redeten, wie es nicht läuft im Job und in der Beziehung und lächelten und logen, es werde schon noch alles okay und, zack, Themawechsel, witzelten über alte Storys aus der Schule oder unseren Chef, da, wo wir gemeinsam bei unserem allerersten Mini-Job nach der Schule buckelten, planlos nach dem Abschluss, also packten wir Waren in Regale, zogen Pizzen über Scanner, rannten zur Bahn, fielen atemlos in die Sitze um kurz nach 20 Uhr, atemlos auch, weil wir nicht wollten, dass ein neuer Tag des Räumen und Kassieren folgt, bis wir endlich etwas fanden, da! Das Falsche. Mal wieder. Falsche Ausbildung, falsche Beziehung, falsches Gefühl, falsche Stadt. Und dann wir, als Paar, viele Jahre später. Kaputt schon. Wir wussten das und ignorierten es. Nicht aber am Anfang. Da lernten wir uns neu kennen, und das war das Leben, wie es sein sollte, geblendet vom Licht – bis wir nicht mehr lebten, nur noch funktionierten. Manchmal nicht mal mehr das. Und dann, jemand anderes. Ich? Nicht mehr gut genug. Nicht mal für die Wahrheit.
Ungewohnt aufgeräumt ist alles in meinem Dorf in Valheim, in Kisten harrt die Beute aus, sortiert, gesichert. Bin ich sonst nicht, strukturiert, und das merkt man meinem Leben an, mein Lebenslauf stottert, meine Depression brüllt, meine Hobbys zerfasern im Mischmasch, den du zusammenhältst, bis auch du nicht mehr kannst, ich es aber nie merke, nur einmal, als wir im Auto unser Leben kurz verloren glaubten und ich dir die Diagnose des MRTs verriet, steinern sitzt du da und hörst zu, wie ich die kleinste Regung des Arztes beschreibe, bis ich fertig bin mit den Nerven und dem Sprechen und dir die Last der letzten Wochen, Monate, Jahre mit mir abfallen in einer Lawine der Tränen. Wochenlang stolperte die Unendlichkeit, stapelte die Möglichkeit einer Krankheit wie eine Mauer vor die Zukunft und wir befürchteten, dass unsere Gleichung – eins plus eins ist eins – nur Kitsch ist. Nirgendwo anders wollte ich sein, als ich dich und mich, nein: uns auffing damals im Auto, egal welche Diagnose jemals ausgerufen wird, mein Leben hat erst richtig begonnen mit dir und so sollte es enden, ob alt oder jung, Hauptsache du und ich, das ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, herrje, da prangen die vier schönsten Worte der Welt auf meinem Arm als mein viertes Tattoo, „the light is winning“ und erzählt in vier Worten tausend Geschichten inklusive Happy-End.
Tja.
Valheim, dieses Drecksspiel, jetzt heil‘ mich doch mal. Klappt nicht. Vage will ich bleiben, weil wir doch beide Scheiße gebaut haben, immer ohne Egoismus, alles bis zu einer Grenze, die im Dezember 2021 aufreißt und 12 Jahre verschluckt. Jetzt? Bereuen. So viel. Genauer: 12 Jahre. Obwohl ich weiß, so viel über dich und dein Leuchten, das sich übertrug auf mich, und dann warst du da und ich auch und ganz gleich, wie lange es noch dauern würde, jede Angst vor dem Ende verging in deinem Lächeln, das von nun an eine dieser Geschichten ist, die von folgenden Worten erzählt wird: „the light is winning“.
Zu Valheim kehrte ich zurück, nicht aus dem Druck heraus, irgendetwas zu erinnern; da war nur die Meldung über bevorstehende Änderungen an dem Schwierigkeitsgrad, nachgucken wollte ich also, nur mal luschern, ob noch alles steht, und dann – der Screenshot, dieser dreckige. Purer Zufall, und jetzt der Text, bedankt euch beim Schicksal, Pech gehabt. Warum ich mein Dorf nie fertigstellte, lag indes genau daran, an dem Fortschritt, der nötig war, um mehr und mehr freizuschalten, und plötzlich zerrte ein Druck an mir, der schon viele Durchläufe in Spielen beendete. Kann ich nicht frei entscheiden, wie schwer oder leicht das Medium der Unterhaltung meine Frustgrenze kitzelt, lösche ich es.
Die Vermeidung von Problemen durch das Herabsetzen des Schwierigkeitsgrad, eine verboten epochale Überleitung für das Ende meiner Beziehung, aber – nein, nein, eigentlich leere ich mich nur, kann doch nicht schwer sein, aufstehen und weitermachen, fürs Erste weinen, fürs Zweite seufzen, fürs Dritte saufen, fürs Vierte wieder lieben, leider nix da, da schwämmt nur wieder diese Leere das Davor an, an die Stelle, an der zumindest während unserer Beziehung die Zweisamkeit um unsere Traumata tänzelte wie eine Ballerina, jeder Schritt ein Pflaster, ein Wiedergutmachen von Gefühlen, die eigentlich nie gut, sondern noch nie da waren. Wir waren nicht perfekt, aber wir waren perfekt füreinander.
Ist wohl doch so ein Text. Valheim, Leute. Kauft es und erinnert euch, später, wenn ein Jahr vergeht oder zwei und ihr euch erinnert, an den Troll auf der anderen Flussseite, dem der Sonnenaufgang ins Gesicht lächelt, der erste Überfall auf eure Basis, an das erste Verlies, aus dem zu flüchten keine Schande war, an das erste, stolze Innehalten angesichts der 30 Stunden lang bebilderten und dann doch finalen Fantasie, die vor euch steht, erdacht, geplant, gebaut. So verträumt und schön war das Genre selten, leichtfüßig romantisiert Valheim nordische Mythologien für ein muckeliges Zuhause und ertränkt es im morgendlichen Nebel der Möglichkeiten, bis – alles, einfach alles sich richtig anfühlt.
Am 22. April 2023 stand ich wieder auf dem Turm und war froh über diese eine Nichtigkeit, dieser banale Wachturm, der einfach dasteht und für immer bleibt und mich kurz vergessen lässt, nämlich das, was geschah an jenem Tag im Dezember.
Es ist der 27. Dezember 2021, ich habe Valheim beendet und das Licht hat verloren.
1 Kommentar
Hat mich traurig gemacht, aber war lesenswert, danke.