Puh, schon drei Uhr nachts. Ich bin müde. Aber irgendwie will ich noch nicht schlafen. Warum? Ich weiß es nicht. Es gibt eben so Tage, an denen man nicht schlafen will. Und ein solcher Tag hat sich gerade in meinem Kopf eingenistet und macht keinerlei Anstalten, in den nächsten Minuten wieder wegzufliegen.
Was kann ich tun? Mich ins Bett legen und versuchen, doch einzuschlafen? Nein. Das wäre langweilig und vernünftig. Viel lieber bleibe ich am Computer sitzen und besuche irgendwelche Internetseiten, um ihre Archive nach interessanten Artikeln abzugrasen. Nicht um sie zu lesen, dazu bin ich zu müde. Nur um sie gefunden zu haben. Den einen oder anderen Text kann ich mir ja vormerken. Für morgen, wenn ich aufwache. Sollte ich überhaupt jemals wieder schlafen. Wie lange kommt ein Mensch eigentlich ohne Schlaf aus? Ich bin müde. Was ist das? „Realm of the mad god“? Klingt interessant. Ein Actionrollenspiel im Browser? Das gucke ich mir an. Ich habe ja sonst nichts zu tun.
Ah, ein Flashspiel. Anmelden? E-Mail, Passwort… ach, was soll´s. So. Charakter erstellen. Na toll. Es gibt dreizehn Charaktere, vom Magier, Ritter und Nekromanten ist alles dabei. Aber nur zwei davon kann ich auswählen. Zauberer und Priester. Den Rest muss ich erst freischalten. Für den Nekromanten brauche ich zum Beispiel einen Zauberer und einen Priester auf Level 20. Das klingt doch nach einem Ziel für diese missratene Nacht. Ich werde alle Charaktere freischalten und auf Level 20 bringen. Kann ja nicht lange dauern. Ist schließlich nur ein kleines Flashspielchen. Ich werde mit dem Zauberer anfangen.
Versuch 1
Die Einführung ist simpel. Zunächst möchte ich aber die Grafik loben. Sie dürfte wohl das darstellen, was man heutzutage als Retro-Look bezeichnet. Alles erinnert an alte Pixelspiele vom Supernintendo, sieht dann im Nachhinein aber doch schon wieder zu sauber aus. Egal. Was interessiert mich die Grafik? Ich kann meine Augen kaum aufhalten.
Gesteuert wird mit Maus und Tastatur. Mit WASD bewegt man seine kleine Figur schnell über den Bildschirm, per Mausklick schießt man in Richtung des Mauszeigers. Einfach, so mag ich das. Die ersten Gegner sind schnell besiegt und dann ist die Einleitung auch schon wieder vorbei. Ich betrete die Spielwelt. Was ist das denn? Hier rennen ja noch andere Spieler rum! Oha. Vielleicht hätte ich den Text über das Spiel erst einmal lesen sollen, bevor ich auf den Link geklickt habe. Offensichtlich handelt es sich hier um ein MMORPG. Interessant.
Ein Charakter kann vier Gegenstände tragen. Bei meinem Zauberer bedeutet das: Einen Stab, einen Zauber, einen Umhang und einen Ring. Leider sind die letzten beiden Plätze noch leer. Aber hey, Sammeltrieb. Wer kennt ihn nicht? Das ist hier aber auch ein Gewusel auf dem Bildschirm. Es laufen dutzende Charaktere hin und her. Ziemlich chaotisch. Ich muss an einen Ameisenhaufen denken. Nur, dass die Ameisen hier wie wild um sich schießen.
Am Bildschirmrand steht etwas. „Quest: Elf Wizard“. Quest! Eine Aufgabe! Ein Ziel! Juhu! Die Nacht ist also doch noch nicht ganz verloren. Huch. Meine Aufgabe! Sie ist weg. Wieso? Oh. Da oben ist eine Karte. Wenn ich mein Mausrad benutze, kann ich den Kartenausschnitt vergrößern oder verkleinern. Da ist ein roter Punk. Die Aufgabenmarkierung ist plötzlich auch wieder da. Ein weiterer „Elf Wizard“. Der Pfeil zeigt in Richtung des roten Punkts. Und eine Horde grüner Punkte bewegt sich auf ihn zu. Trotz meiner Müdigkeit macht es plötzlich „Klick“. Oder auch gerade wegen dieser, denn ich bin mit dem Fuß an den Schalter meiner Stromleiste gekommen und habe ihn umgelegt. Alles ist aus. Ich ärgere mich kurz, beschließe dann jedoch, endlich ins Bett zu gehen.
Ich betätige den Schalter erneut und schiebe die Leiste daraufhin weit unter den Schreibtisch, damit ich nicht noch einmal mit dem Fuß an sie komme. Dann schalte ich meinen Rechner ein. Ich kann doch jetzt nicht aufhören. Ich habe gerade erst angefangen. Und müde bin ich auch nicht. Ich konnte mich selbst schon immer am besten belügen.
Im Spiel befinde ich mich plötzlich an einem anderen Ort. Schnell finde ich heraus, dass es sich hier um den sogenannten „Nexus“ handelt. Plötzlich wird mir kalt. „Nexus“. Ich muss an „Demon´s Souls“ denken und an all die schweißerfüllten Stunden, die mich dessen Durchspielen gekostet hat. Schnell lenke ich mich ab und sehe mich um. Vom Nexus aus kann man die eigentliche Spielwelt betreten. Außerdem erreicht man von hier aus einen Raum, der nur für einen selbst geöffnet ist. Hier stehen Kisten, um Gegenstände zu lagern. Zwölf Kisten mit jeweils acht Ablageplätzen. „Das ist eine Menge Platz!“, würde ich sagen, wenn ich reich wäre. Bin ich aber nicht. Darum habe ich nur eine Kiste. Die anderen elf Kisten muss man sich für echtes Geld dazukaufen. Ganz kostenlos ist „Realm of the mad god“ also doch nicht. Ist aber auch nicht schlimm. Serverkosten müssen ja bezahlt werden.
Nachdem ich den Kistenraum verlassen habe, sehe ich mich weiter im Nexus um. Hier liegen überall Gegenstände auf dem Boden. Aber auch diese muss man kaufen. Für echtes Geld. Farben für die Kleidung, besondere Tränke und sogar Tiere. Brauche ich aber nicht. Ich will nur spielen. Plötzlich höre ich das Geräusch eines auf den Boden fallenden Geldbeutels. Da ich mein Geld nicht in Beuteln aufbewahre und selbst wenn dies der Fall wäre, ich sie nicht einfach auf den Boden werfen würde, war mir sofort klar, dass das Geräusch aus meinen PC-Lautsprechern und somit aus dem Spiel kommen muss. Und tatsächlich. Nicht weit von mir entfernt liegt ein Beutel auf dem Boden. Ein anderer Spieler muss ihn kurz zuvor fallengelassen haben. Ich gehe zu ihm und sofort öffnet sich ein kleines Fenster, das mir den Sackinhalt anzeigt. Ein Schwert. Ich hebe es auf und stelle fest, dass ich es nicht tragen kann. Charakterbezogene Gegenstände. Erinnerungen an Tierköpfe durchfliegen diabolisch grinsend meine Gedanken. Ich lasse sie, wie das Schwert, einfach auf den Boden des Nexus´ fallen. Ein anderer Spieler rennt auf den Beutel zu. Ein Ritter. Er nimmt das Schwert mit und zieht weiter. Unhöfliches Pack. Nicht einmal bedankt hat er sich.
Genug geguckt. Auf geht´s. Ich habe Charaktere freizuschalten. Ich betrete die Spielwelt und lege los. Wie ein unaufhaltsamer Marathonläufer fege ich über die Wiesen und Wälder, schieße um mich, töte Monster, sammel Erfahrungspunkte und innerhalb weniger Sekunden erreiche ich Level zwei. Beflügelt von meinem Erfolg renne ich immer weiter herum, bis ich plötzlich in eine Gruppe von etwa zwanzig Gegnern hineinlaufe. Ich habe keine Chance. Vor meinen Augen verwandelt sich „Realm of the mad god“ plötzlich in einen Bullethell-Shooter und ich selbst bin damit so überfordert, dass ich sterbe. Also nicht ich, sondern mein Charakter natürlich.
Man präsentiert mir Statistiken, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Ist auch egal. Ich muss anscheinend einfach ein bisschen vorsichtiger spielen. Kein Problem.
Versuch 1
Todes-Level: 2
Monster getötet: 47
Quests: 3
Fame: 0
Plötzlich befinde ich mich wieder im Hauptmenü bei der Charakterauswahl. Was soll das? Kann ich nicht… oh nein… Moment. Was flackert da vor meinem geistigen Auge umher? Ein Wort. Aber welches? Ich putze meine Brille, dann sehe ich es. „Permadeath“. Das ist ein Witz, oder? Ich warte ein paar Sekunden, kann aber kein Gelächter vernehmen. Kein Witz. Ein toter Charakter bleibt ein toter Charakter. Wie im echten Leben. Ich hasse realistische Spiele. Ich wähle erneut den Zauberer.
Versuch 2
Mein zweiter Anlauf verläuft besser. Ich verhalte mich zurückhaltender und renne nicht mehr planlos herum. Stattdessen orientiere ich mich an den Quest-Markierungen. Sie führen mich zu immer neuen Monstern und nach einigen Minuten habe ich nicht nur Level 4 erreicht, sondern auch einige gute Ausrüstungsgegenstände gefunden. Gegner lassen nach dem Zufallsprinzip Säcke fallen, die mit Gegenständen gefüllt sind. Das können Heil- oder Manatränke sein, oder aber die lieber gesehenen Ausrüstungsgegenstände. Mein Charakter kann acht Gegenstände im Inventar tragen (die vier ausgerüsteten nicht mitgezählt). Als mein Inventar voll ist, erinnere ich mich wieder an das Ende meines ersten Versuchs. Ich sollte mich vorbereiten.
Ich teleportiere mich zurück in den Nexus, was zum Glück jederzeit möglich ist. Dort gehe ich zu meiner Kiste und lege ein paar Gegenstände hinein. Den Umhang, den ich gerade trage, habe ich zum Beispiel doppelt. Ein Exemplar wird in der Kiste deponiert, damit ich einen neuen Charakter sofort damit ausrüsten kann, sollte dies nötig sein. Natürlich gehe ich nicht davon aus. Aber Vorsicht ist die Dingens. Einen besseren Zauber habe ich auch gefunden. Zauber gibt es bei „Realm of the mad god“ übrigens nur einen pro Charakterklasse. Mein Zauberer hat eine Art Explosionszauber, der Feinden in dessen Radius Schaden zufügt. Ein Priester wiederum kann Mitspieler in seiner Nähe heilen. Man findet nun keine anderen Zauber, sondern verbessert lediglich den vorhandenen. Das Spiel ist extrem simpel. Läuft dafür aber ungemein flüssig ab.
Zurück im Nexus schreibt plötzlich ein Zauberer neben mir folgende Nachricht: „Dropping Wizard-Stuff for free!“. Sofort verwandele ich mich in einen hungrigen Wolf und der Spieler in ein fettes Schaf. Ich renne ihm hinterher und lasse ihn nicht mehr aus den Augen. Dann höre ich den fallenden Geldbeutel. Ich renne hin: Ein neuer Stab. Viel besser als mein alter. Zack, ein weiterer Beutel: Ein besserer Zauber. Zack: Ein besserer Umhang. Zack: Ein Ring. Mein erster Ring! Während ich meine neue Ausrüstung begutachte, ist der freundliche Spender schon wieder verschwunden. Vielleicht hätte ich mich bedanken sollen? Ach quatsch, keine Zeit.
Ich gehe erneut zu meiner Kiste und deponiere dort meine alte Ausrüstung. Habe ich soeben tatsächlich meinen Charakter verbessert, ohne etwas dafür getan zu haben? Das Spiel gefällt mir! Aber ein bisschen selbst Hand anlegen will ich dann doch. Also zurück in die Spielwelt.
Mit Level 6 werde ich fast von einer Gruppe Schleime getötet. Eigentlich handelt es sich bei ihnen nur um Schleimklumpen, die fast doppelt so groß sind wie ich und mit Feuer auf mich schießen. Alleine sind die kein Problem. In der Gruppe jedoch verwandeln sie sich schnell in ein solches. Tötet man einen Schleim, verwandelt er sich nämlich in vier kleine Schleime. Kombiniert man das mit fünf großen Schleimen auf einem Haufen und meinem Radiusangriff steht man plötzlich vor zwanzig Gefahrenquellen auf einmal. Als mein Charakter anfängt, rot zu blinken, teleportiere ich mich zurück in den Nexus. Das war knapp. „Free Wizard Stuff“, Pling. Was? Wo? Schnell! Da! Boah! Neue Rüstung! Doppelt so gut wie meine alte! Gut, dass ein Charakter jede Rüstung tragen kann, die zu seiner Klasse passt, und keine Mindestanforderungen an Charakterwerten beachtet werden müssen! Pling! Ah! Schon wieder! Da! Noch einmal die gleiche Rüstung! Wahnsinn!
Ich eile zu meiner Kiste und verstaue eine der neuen Rüstungen. Meine Kiste ist voll. Ich tausche die neue mit einer alten Rüstung aus. Die brauche ich schließlich nicht mehr. Zurück im Nexus stelle ich mich breitbeinig hin und schreibe überlegen grinsend: „Free Wizardstuff.“ Ich lasse die Rüstung fallen. Eine Gruppe Zauberer bewegt sich zum Beutel. Aber keiner hebt ihn auf. „Lol.“ „Noob.“ Ich schließe meinen Browser und gehe ins Bett. Hoffentlich hat sich niemand meinen Namen gemerkt.
Ein paar Stunden später.
Gähn. Was für eine Nacht. Wirklich schlafen konnte ich nicht. Die ganze Zeit stellte ich mir vor, durch einen Wald zu rennen. Der pure Stress. Jetzt erst einmal frühstücken.
Währenddessen könnte ich ja noch ein wenig „Realm of the mad god“ spielen. Mittlerweile sollte doch jeder meinen Namen wieder vergessen haben. Wir Spieler sehen ja sowieso alle gleich aus. Zumindest die armen, die sich keine Farbe für ihren Charakter gekauft haben. Level 6. Hm. Ich setze mir mal das Ziel, Level 8 zu erreichen.
In den folgenden zehn Minuten bin ich fast unbesiegbar. Ich töte einen „Death Mage“, danach den „Horned Drake“ und dazwischen unzählige andere Monster. So schaffe ich es sogar, Level 10 zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt merke ich, dass ich die ganze Zeit über nervös mit den Beinen wippe. Das Spiel ist schlimm. Entspannend wirkt es definitiv nicht auf einen. Man rennt dauerfeuernd durch die Welt und hetzt von Aufgabe zu Aufgabe. Um einen herum machen das alle anderen Spieler auch und so fühlt man sich nach wenigen Minuten wie im Trainingslager der weißen Kaninchen aus Alice im Wunderland.
Mit Level 10 betrete ich den Nexus. Mir reicht es erst einmal. Ich laufe noch ein wenig herum und habe wieder Glück: Ein Magier lässt sein Zeug fallen. Ich bekomme einen besseren Umhang und zwei bessere Stäbe. Ich schaue auf die Uhr: 10 Minuten gespielt, 10 Minuten im Nexus gesammelt. Drei Level und fast komplett neue Ausrüstung. So kann es weiter gehen. Jetzt brauche ich eine Pause.
Wenige Minuten später.
Level 11 erreicht. Die Pause kann warten. Das Beinwippen hört sowieso nicht mehr auf. Ich habe gelernt, dass man sich selbst zu anderen Spielern teleportieren kann. Man klickt einfach auf einen grünen Punkt auf der Karte und danach auf teleportieren. Schon steht man neben ihm. Das ist eine sehr komfortable Methode, sich schnell über die Karte zu bewegen. Und es hat noch einen weiteren Vorteil: Ist der nächste Questgegner zu weit weg aber man sieht, dass sich gerade ein anderer Spieler zu ihm bewegt, kann man sich einfach in dem Moment zu ihm teleportieren, wenn er den Gegner erreicht hat. So kann man ihn unterstützen. Viel wichtiger ist aber, dass man die Erfahrungspunkte für den Gegner bekommt und es vielleicht sogar schafft, vor dem anderen Spieler beim Gegenständesack anzukommen. Das ist natürlich nicht nett aber für Nettigkeiten habe ich gerade keine Zeit. Erfahrungspunkte werden ja nicht geteilt. Jeder bekommt die volle Summe.
Das Teleportieren hat jedoch auch einen großen Nachteil, wie ich selbst bereits feststellen durfte. Es kann nämlich vorkommen, dass sich der als Ziel dienende Mitspieler gerade in einem ausweglosen Kampf befindet. Das geschah vor wenigen Minuten: Ich teleportierte mich in die Nähe des „Sand Kings“. Leider starb mein Mitspieler in diesem Moment, da er umgeben war von Monstern. Ich selbst wurde von einem bis dahin unbekannten Monster angeschossen und verlor sofort über die Hälfte meines Lebens. Ich konnte nur noch entkommen, weil ich sofort auf F5 gedrückt hatte, was die Taste für die Rückkehr in den Nexus darstellt.
Aber es hielt mich nicht lange im Nexus. Mittlerweile bin ich Level 13. Mein neues Questziel habe ich bereits ausgemacht, es ist aber wieder so weit weg, dass ich lauffauler Mensch den Weg nicht selbst in Angriff nehmen will. Zumindest nicht vollständig. Ein anderer Spieler ist näher an meinem Ziel als ich. Er ist Level 16. Ich teleportiere mich zu ihm und bin umgeben von fliegenden Augen. Ich zähle vier, weiß aber nicht, ob die Anzahl stimmt. Alles geht viel zu schnell. Ich blinke rot, ich sterbe, tot.
Versuch 2
Todes-Level: 11
Monster getötet: 876
Quests: 44
Dungeons: 6
Fame: 8
So ein Mist. Warum muss ich mich auch wie wild durch die Welt teleportieren? Aber gut, jeder muss aus seinen Fehlern lernen. Ab jetzt wird nicht mehr einfach so drauflos teleportiert. Ich muss gezielter vorgehen. Fame bekommt man übrigens für getötete Monster und so Zeug. Errechnet sich nach bestimmten Werten. Unwichtig.
Versuch 3
Ich muss mich erst einmal beruhigen. Ich merke, dass mich das Spiel extrem nervös macht. Man rennt und ballert herum und alle anderen machen mit. Man kommt stets vorwärts, auf die Bewegung aber auch die Charakterstufe bezogen. Aber genau da liegt auch die Gefahr. Man spielt ZU schnell und passt nicht mehr auf.
Um mich zu beruhigen, starte ich den „Minecraft“-Soundtrack. Dieser besteht fast ausschließlich aus gemütlichem Gedudel. Genau das, was ich jetzt brauche.
Und es scheint zu klappen. Erst mit Level 7 betrete ich zum ersten Mal den Nexus. Nicht aus Not, sondern um mal wieder meine Kiste umzusortieren. Danach stürze ich mich sofort wieder in den Kampf. Ich will Level 20 erreichen. Sofort. Schneller. Nein, nicht schneller. Ich wollte doch langsamer spielen.
Level 11. Keiner kann mich aufhalten. Der gleiche Level wie bei Versuch 2. Diesmal läuft es aber viel, viel besser. Ich habe sogar einen Gott, ein besonders starkes Monster, besiegt. Mein nächstes Questziel vor Augen renne ich vorwärts und stehe plötzlich einer Gruppe kleiner Teufel gegenüber. Sie rennen auf mich zu und ich schieße auf sie. Ein Treffer lässt sie wachsen und zurückschießen. Ich zünde meinen Zauber, noch bevor ich darüber nachdenke.
Versuch 3
Todes-Level: 13
Monster getötet: 1049
Götter getötet: 1
Quests: 51
Dungeons: 6
Fame: 11
Ich brauche eine Pause.
Zwei Stunden später.
Versuch 4
„Super Meat Boy“-Soundtrack. Ja, das ist jetzt genau das Richtige. Schnelligkeit, Geschick, Konzentration. Das war es, was ich zum Beenden dieses Spiels benötigte. Und das ist es auch, was „Realm of the mad god“ von mir fordert.
Als ich zum ersten Mal den Nexus betrete, befinde ich mich bereits auf Stufe 11. Es lief sehr gut bisher. Ich habe etwas langsamer gespielt und vor allem eins gelernt: Spiele nicht alleine. Es laufen genug andere Spieler auf meinem Level durch die Gegend. Mit diesen tut man sich einfach zusammen. Meistens geschieht dies automatisch. Man wechselt kein Wort miteinander. Man rennt einfach nebeneinander her und schon hat jeder verstanden, dass hier eine Gruppe zusammengekommen ist. Das ist auch die einzige Art, sich zusammenzutun. Wirkliche Gruppenoptionen gibt es nicht. Gruppen ergeben sich, man plant sie nicht. Zumindest nicht vor Level 20. Und da will ich hin. Aber im Nexus werde ich das nicht schaffen. Auf in den Kampf.
Mein neues Ziel hört auf den Namen „Oasis Giant“. Den kenne ich noch nicht. Ich sehe ihn auf der Karte und einen anderen Spieler, der sich anscheinend gerade um ihn kümmert. Da werde ich helfen. Teleportieren und WAS? ZIG GEGNER! MITSPIELER TOT! SCHÜSSE! ARGH! TELEPORTIEREN!
Puh. Das war jetzt aber nicht so gut. Ich WOLLTE mich doch nicht mehr teleportieren! Eigentlich lief es besser, als ich die Funktion noch nicht kannte. Verdammt noch mal. Jetzt Ruhe bewahren und weiter.
Level 13. Sehr gut. So kann es weiter gehen. Ich habe zwei „Liches“ hintereinander besiegt. Mein neues Ziel steht am anderen Ende der Karte. Ich teleportiere mich schnell hin, dann muss ich nicht laufen. Und Zack.
VERDAMMT
Versuch 4
Todes-Level: 13
Monster getötet: 994
Quests: 35
Dungeons: 6
Fame: 11
Eine Stunde später.
Versuch 5
OK, Spiel, du hast es so gewollt: „Demon’s Souls“-Soundtrack. Neuen Charakter und los.
„Stuff for noobs!“ Ich bin kein Noob! Trotzdem nehme ich den fallengelassenen Stab. Er ist schließlich besser als alles, was ich jemals zuvor im Spiel in der Hand hatte. Mieser Penner.
Level 11, es läuft. Wer ist dieser „Mad God“ eigentlich? Ist das dieser Oryx, der die ganze Zeit über das Chatfenster die Mitspieler beleidigt? Es sieht so aus. Aber ich habe gerade keine Zeit für Erklärungen.
Level 13. Jetzt aber. Da vorne ist eine große Horde Gegner und keine Unterstützung in Form von Mitspielern in Sicht. Wenn ich langsam vorwärts gehe. ARGH! WAS IST DAS? NEIN! ICH KANN NICHT LAUFEN! WARUM? NEIN! MIT DER MAUS AUS DEM FLASHFENSTER GEKLICKT! NEIN!
Versuch 5
Todes-Level: 13
Monster getötet: 932
Quests: 40
Dungeons: 5
Fame: 9
Ich habe keine guten Gegenstände mehr in der Kiste. Verdammtes Drecksspiel.
Zwei Stunden später.
Versuch 6
Ich habe Nachforschungen angestellt. Oryx ist der Endgegner. Er erzählt den Spielern, welche besonderen Monster gerade in der Welt unterwegs sind, um ihn zu beschützen. Das Zentrum der Weltkarte ist das schwerste Gebiet. Je näher man ihm kommt, desto übler werden die Gegner und desto weniger sollte man sich alleine dort herumschlagen. Das sind tolle Informationen. Das bedeutet nämlich folgendes: Ich nehme meinen Stufe 1 Helden und teleportiere mich in die Mitte der Karte. Da rennen immer diverse Stufe 20 Helden herum. Unter die mische ich mich und kann so viel Erfahrung abgreifen. Das ist der beste Plan, den man sich vorstellen kann. Auf geht’s.
Versuch 6
Todes-Level: 1
Monster getötet: –
Quests: –
Dungeons: –
Fame: 0
Versuch 7
Versuch 7
Todes-Level: 1
Monster getötet: –
Quests: –
Dungeons: –
Fame: 0
Versuch 8
Ich glaube, ich sollte meinen Plan noch einmal überdenken. Ich habe keine Ahnung, wer oder was mich gerade getötet hat. Um mich herum herrschte das pure Chaos. Spieler und Schüsse. Sonst konnte ich nichts erkennen. Ich kam nicht einmal in die Nähe eines Gegners.
Im Grunde muss ich nun noch einmal von vorne anfangen. Meine Kiste ist leer und kein Spieler im Nexus hat Gegenstände für einen armen Zauberer. Egoisten. VERDAMMTE EGOISTEN! Ich schieße im Nexus auf meine Mitspieler. Das macht denen zwar nichts aus, bringt mir aber Befriedigung. Mein Psychologe hat übrigens angerufen. Über meiner Wohnung wurden bedrohliche Gewitterwolken gesichtet. Wie immer, wenn ich wütend werde. Ich bin gerade so sauer, dass meine Popel abgestandene Milch in Sirup verwandeln können.
Aber eigentlich wollte ich mich ja nicht aufregen. Ich wollte Level 20 erreichen. Mit jedem Charakter. ALSO REISS DICH ZUSAMMEN!
Level 6 ist schnell erreicht. Schnell im langsamen Sinne natürlich. Ich habe ein paar gute Gegenstände gefunden und in meiner Kiste verstaut. Sie sind nicht so gut wie die, die ich zuvor von irgendwelchen Noobfreunden bekommen habe, aber man will sich ja nicht beklagen. Mit Level 7 teleportiere ich mich in die Nähe eines Questmonsters und sterbe fast. Ich kann mich nur noch im letzten Moment in den Nexus teleportieren.
Ich schließe das Browserfenster und suche ein Internetforum, in dem Minderjährige Tierbabybilder sammeln. Ich werde fündig und melde mich an. Ich lade eines der Bilder runter, öffne es in Paint und besprühe es am gesamten Körper mit Hilfe des Sprühdosenwerkzeugs mit roter Farbe. Dann poste ich das Bild und verlasse das Forum mit einem Grinsen im Gesicht.
Level 12. WAS ZUM TEUFEL IST DENN JETZT LOS? Der Boden beginnt zu beben. Im Chat rasten alle aus. „LET´S GO!“, „OH YEAH!“, „WOOHOOO!“, „LET´S DO THIS!“ Dann verstehe ich plötzlich: Orxy kommt. Der verdammte Boss des Spiels! Endlich verstehe ich. All die Questgegner werden von ihm zum Schutz gerufen. Wenn sie tot sind, ruft er alle Spieler, die sich gerade in dieser Welt befinden, zu sich. Ein riesiger Massenevent wird ausgelöst.
Der Bildschirm wird schwarz und wenige Sekunden später stehe ich in einer riesigen Höhle. In ihrer Mitte befindet sich ein roter Punkt. Oryx. Ich sehe unzählige grüne Punkte und alle bewegen sich auf die Mitte der Karte zu. Die Spieler. Sie greifen an. Das will ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen. Ich renne mit.
In der Mitte der Karte kocht die Hölle über. Es ist ein unglaubliches Chaos. Es wird geschossen und geheilt. Überall sterben Spieler und hinterlassen Grabsteine. Das Besondere: An diesen Steinen liegen die Gegenstände, die der Spieler zum Zeitpunkt seines Todes getragen hatte. Ich muss wohl nicht erklären, dass sich nach jedem Tod eine Traube von Spielern auf den Grabstein stürzt und die wohl lustigste Form der Leichenschändung durchführt, die ich je gesehen habe. Sie alle vergessen Oryx und denken nur noch an die Gegenstände. Dabei sterben wiederum andere Spieler, da sie einfach nicht mehr aufpassen, und das Getummel geht wieder von vorne los.
Ich kümmere mich nicht weiter um die Toten. Ich will erst einmal Oryx sehen. Er ist schließlich der Boss des Spiels! Da sollte man definitiv mal einen Blick drauf werfen! Aber ich komme nicht an ihn ran! Seine Schüsse sind geschätzte fünfmal größer als ich. Ich stelle um auf Dauerfeuer (T-Taste) und unterstütze meine Gruppe so gut es geht. Plötzlich ruft Oryx Unterstützung. Ein roter Ritter erscheint direkt hinter mir. Er holt aus und…
Versuch 8
Todes-Level: 1
Monster getötet: 1106
Quests: 69
Dungeons: 10
Fame: 11
ACH KOMM!
Versuch 9
Weißte was, Spiel? WEISSTE WAS?
Samy Deluxe. SchwarzWeiss.
Level 10. Alles normal.
Level 11. Spinnenhöhle gefunden. Manchmal lassen Gegner Höhleneingänge fallen. Das klingt jetzt irgendwie merkwürdig. Ist aber auch egal. Bisher war ich jedenfalls nur in Piratenhöhlen. Die Spinnenhöhle war deutlich schwerer als die anderen Höhlen zuvor. Aber ich habe sie ganz alleine geleert und sogar Level 12 erreicht.
Level 13: Nexus. Ein Typ lässt Robe fallen. Beste bisher. Sehr gut. Es macht schon fast wieder Spaß.
Level 14: IRGENDWELCHE MONSTER, DIE MEINER MEINUNG NACH GAR NICHTS IN DIESEM DUMMEN SPIEL VERLOREN HABEN, KOMMEN AN UND SCHIESSEN MICH KAPUTT! VERDAMMT NOCH MAL! ICH HABE KEINEN BOCK MEHR!
Versuch 9
Todes-Level: 14
Monster getötet: 1295
Götter getötet: 1
Quests: 59
Dungeons: 8
Fame: 15
Zwei Stunden später.
Versuch 10
Na gut. Jetzt oder nie. Mir reicht es. Ich habe offensichtlich nicht genug Geduld für dieses Spiel. Immer mache ich etwas falsch. Ich gebe ihm jetzt noch eine Chance. Keine Musik mehr. Nur noch pure Konzentration. Keine Spielereien.
Ich betrete die Spielwelt und laufe herum. Langsam. Vorsichtig. Level 4. Immer weiter. Keine Risiken. Wenn ich eine Mitspielergruppe sehe, schließe ich mich ihr an und laufe ein bisschen mit. Ich lege die Priorität nicht mehr auf die Missionsziele, sondern auf meinen Charakterlevel. Das hätte ich von Anfang an tun sollen. Ich Idiot. Nein, ich darf nicht mir die Schuld geben. Das Spiel ist hier der Idiot. Das muss ich begreifen. Sonst. Level 5. Schön ruhig bleiben. NEIN! NEIN! NEIN! NEIN! ORYX RUFT! NEIN! NICHT JETZT! LEVEL 5 VERDAMMT! WAS SOLL ICH DENN TUN!
Ich stehe in Oryx´ Halle. Alle Mitspieler stürmen los. Ich zögere. Was soll ich schon ausrichten? In diesem Moment läuft ein Level 1 Spieler an mir vorbei. „Ach, was soll´s.“, denke ich mir und folge ihm. Ich stelle mich in den Pulk an Mitspielern und schieße. Ich bekomme Oryx nicht zu sehen und laufe einfach der Masse hinterher. Ich vermute, dass meine Schüsse nicht mal bei Oryx ankommen. Aber das ist nicht weiter schlimm. Schließlich kann ich nichts an meiner Situation ändern.
„Oryx wurde besiegt.“
WAS? WAS! Nicht euer Ernst, oder? Doch, es stimmt. Im Chat freuen sich alle. Der Boss ist gefallen. Ich schweige. Mein kleiner, schwacher Zauberer hat Oryx besiegt. Auf Level 5. Ich weiß nicht, ob ich mich mitfreuen soll. Ich fühle mich nutzlos. Ich gehe zur Mitte der Karte, an der Oryx ursprünglich stand. Hier muss er extrem wertvolles Zeug fallengelassen haben. Aber davon sehe ich nichts mehr. Andere haben sich darüber hergemacht. Aber die haben die Belohnung auch eher verdient als ich.
Ich teleportiere mich zurück in den Nexus und stelle mich neben einen der dort positionierten Brunnen, damit man meine Tränen nicht zu deutlich sieht. Ich habe „Realm of the mad god“ durchgespielt. Aber erzählen will ich davon niemandem.
Trotzdem begebe ich mich wieder zurück in die Spielwelt. Es gibt, das habe ich noch gar nicht erklärt, stets mehrere geöffnete Portale in unterschiedliche Spielwelten. In einer Welt dürfen sich maximal 85 Spieler aufhalten. Ist eine voll, öffnet sich eine weitere. Die Tore schließen sich, sobald Oryx in dieser Welt vernichtet wurde. „Realm of the mad god“ hat kein richtiges Ende. Es geht immer weiter.
Als mir dies klar wird, wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich gehe an mein CD-Regal und suche den „Team America“ Soundtrack. Ich lege die CD in mein Laufwerk und starte das Lied „Montage“. Mein Ziel: Level 20. Es geht los. Wer kann mich schon aufhalten? Ich habe den Boss besiegt! Auf Level 5!
Level 6, Level 7, Level 8, Level 9. Keine Tränke mehr. Startgegend. Tränke sammeln. Weiter. Level 11, Level 12. Lich King besiegt. Level 13, Level 14, Level 15, Level 16. Neuer Rekord. Die Erde bebt. Oryx erscheint. Schon wieder. Ich stelle mich ihm. Er schießt, er trifft.
Versuch 10
Todes-Level: 16
Monster getötet: 1230
Götter getötet: 3
Quests: 40
Dungeons: 2
Fame: 19
Zwei Tage später.
Versuch 11
Ich habe mich gerade bei meinen Nachbarn für den Lärm vor einigen Tagen entschuldigt. Insgesamt kostete mich das sechs Säcke Salz und sechs Brotlaibe. Gieriges Pack. Ich habe momentan genug eigene Probleme. Die neue Maus war nicht gerade billig.
Zur Beruhigung werde ich mir gleich die Liveübertragung des „Dota 2“-Turniers über einen Webstream ansehen. Wirklich interessiert bin ich zwar nicht an dem Spiel, aber da ich vor einiger Zeit ein bisschen LoL gespielt habe, möchte ich mir die Unterschiede zwischen den beiden Spielen aus der Nähe ansehen.
Leider bricht der Stream immer wieder ab. Nein, so ist das nicht richtig. Nicht der Stream bricht ab, sondern die Übertragung wird unterbrochen. Die haben scheinbar Serverprobleme. Toll. Was mache ich denn in der Zeit? Mal in meinen „Spielen“-Lesezeichen im Browser herumwühlen. Irgendwas gutes finde ich da immer. Was ist das? „Realm of the mad god“. Oh, es wird dunkel draußen. Das sind aber fiese Gewitterwolken über mir. Oh, das Telefon klingelt. Mein Psychiater? Ich bin nicht da.
Plötzlich erinnere ich mich. Ich wippe mit den Beinen auf und ab. Ich habe da noch etwas zu erledigen. Ich habe eine Aufgabe. Ich wollte jeden der insgesamt 13 Charaktere auf Level 20 bringen. Jeden verdammten Charakter. JEDEN VERDAMMTEN CHARAKTER!
Ich beginne ein neues Spiel. Plötzlich schlägt der Blitz im Haus gegenüber ein. Und auch, wenn das mit dem Spiel und der gesamten Situation nichts zu tun hat, wird mir einiges klar. Ich schaue in den Blitz und das Licht blendet mich. Aber ich lasse mich davon nicht irritieren. Ich suche den Eingang zum Licht. Ich suche die Tür und finde sie. Ich öffne sie. Mir geht ein Licht auf. Die Quests sind nicht so wichtig wie ich anfangs dachte. Man bekommt auch ohne sie genug Erfahrungspunkte. Vor allem in einer Gruppe. Natürlich erhält man von den Questgegnern Gegenstände aber es schadet nicht, den einen oder anderen unbeachtet zu lassen, wenn man dafür in einer Gruppe weiterkämpft. Schließlich spielt man nicht alleine. Bei „Realm of the mad god“ spielt man mit allen Spielern einer Welt zusammen, auch wenn man sich an ganz anderen Ecken der Karte befindet. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich über alle Level aller Spieler. Oryx scheucht seine Dämonen über das Land und die Spieler müssen sie aufhalten. Die mit hohen Stufen kümmern sich um die harten Brocken, während sich die „kleinen“ Spieler auf schwächere Gegner stürzen. Erst, wenn alle Feinde besiegt wurden, kann man gegen Oryx antreten. Und auch dies geschieht wieder in der Gruppe. Natürlich machen schwache Spieler nicht viel Schaden. Aber sie machen Schaden. Auch ein schwacher Priester kann heilen und einen starken Spieler so vor dem Tod retten. Man MUSS zusammen spielen. Darum verschenken manche Spieler auch gute Gegenstände. Sie wissen, dass sie einem im Kampf gegen Oryx vielleicht helfen können.
Mit diesem Wissen erreiche ich Level 4. Dann beginnt der Boden zu beben. Oryx. Schon wieder. Früher als beim letzten Versuch. Ich lasse mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Ich halte mich zurück und bekomme Oryx sogar einmal kurz zu sehen, als sich alle Spieler auf ihn zu bewegen, doch sofort halte ich mich wieder im Hintergrund auf. Trotzdem schieße ich stets in seine Richtung. Ich mag nicht viel Schaden anrichten, aber immerhin richte ich Schaden an. Und dann geschah es: Oryx fällt. Wir haben gesiegt. Die Gruppe hat gewonnen. Ich freue mich und plündere die Leichen meiner gefallenen Mitstreiter. Ein wenig Egoismus gehört schließlich dazu.
Zurück im Nexus pausiere ich das Spiel. „Dota 2“ geht weiter.
Fünf Minuten später.
Wieder wurde das Spiel pausiert. Serverprobleme. Ich wechsele den Tab im Browser und laufe ein wenig durch den Nexus. Gerade, als ich die Spielwelt betreten will, geht es bei Dota 2 weiter.
Drei Minuten später.
Und wieder eine Pause. Was auch immer an Dota 2 so toll ist, die Server sind es jedenfalls nicht. Zurück in „Rotmg“ (OK, „Dota 2“ ist leichter auszusprechen) erreiche ich irgendwann Level 11. Ich schließe mich mit ein paar Spielern zu einer Gruppe zusammen und wir dominieren unsere Umgebung. Dann bebt erneut die Welt. Oryx. Wahnsinn. Ich werde immer angespannter.
Mein zweiter Kampf gegen Oryx. Nur 6 Level später. Und was soll ich sagen? Wir besiegen ihn ein weiteres Mal. Zwar gibt es am Ende keine neuen Items für mich, dafür wächst mein Selbstvertrauen. Ich kann es schaffen. Ich WERDE es schaffen.
Level 12, Level 13, Level 14, Level 15. Level 16. Als ich Level 17 erreiche, entgleist neben meiner Wohnung eine U-Bahn, kippt um und rammt einen LKW. Das Fahrzeug fängt Feuer und dieses breitet sich auf das an die Straße angrenzende Gebäude aus. All das werde ich aber erst einige Zeit später aus dem Internet erfahren. Denn in diesem Augenblick bekomme ich gar nichts mehr mit. Ich habe alles um mich herum ausgeblendet. Es gibt nur noch meinen Zauberer, mich und meine Mitspieler. Und mit Level 17 habe ich meine bisher höchste Stufe erreicht.
Ich schaue auf die Karte. Ich bin fast in der Mitte der Welt angekommen. Wieder befinde ich mich in einer Gruppe und wieder bewegen wir uns flüssig durch die Welt. Bekommt jemand Probleme, eilt ihm ein anderer Spiele zu Hilfe. Entweder in Form von Heilung oder mit Gewalt. Es funktioniert. Wir kommen in der Mitte an. Hier treffen wir auf Gegner, mit denen nicht mehr zu Spaßen ist. Alleine wäre hier kein Vorwärtskommen möglich. Alles ist voller Schüsse. Eigene kreuzen sich mit gegnerischen. Wie Wellen bewegt sich meine Gruppe vorwärts und wieder zurück. Wird es zu gefährlich, ziehen wir uns zurück. Dennoch bleiben wir stets aggressiv.
Außerdem bekommen wir Verstärkung. Immer wieder teleportieren sich neue Mitstreiter zu uns. Hin und wieder handelt es sich bei ihnen um viel zu schwache Spieler, die wie ich damals gucken möchten, was hier los ist und es nicht besser wissen. Sie werden einer nach dem anderen niedergemäht. Dann erreichen uns aber immer mehr Spieler auf Level 20. Ich merke, dass die Mitte der Welt den Punkt darstellt, an dem man sich als guter Spieler aufhalten muss. Hier findet man die guten Gegenstände und hier wird das Spiel so richtig anspruchsvoll.
Als ich irgendwann auf meinen Erfahrungspunktebalken sehe, erschrecke ich. Dort steht es: Level 20. Ich habe es geschafft. Ich reiße meine Fäuste in die Luft und schreie. Natürlich ist das in meiner Situation ein Fehler. Aber das ist mir egal. Ich habe es tatsächlich geschafft. Ich habe nicht nur Oryx besiegt, sondern auch Level 20 erreicht. Eine große, weiße Kugel trifft meinen Charakter.
Versuch 11
Todes-Level: 20
Monster getötet: 1001
Götter getötet: 25
Quests: 52
Dungeons: 3
Fame: 45
Mein Tod kümmert mich nicht. Level 20 mit dem Zauberer. Ein Held geschafft. Fehlen nur noch 12. Aber das ist Stoff für eine andere Geschichte. Mal sehen, wie oft ich in dieser „dog“ statt „god“ schreiben werde.
8 Kommentare
Umfang: Ohne Worte…!
Hatte in das Spiel auch mal kurz reingeschnuppert, aber wenn man eine seltsame Aversion gegen Flash-/Browserspiele UND Diablo’ekse Action-RPGs hat, wird man damit wohl nicht recht warm.
Toller Artikel! Hat Spass gemacht zu lesen.
tl;dr: irgendein Blogger hat Realm of the Mad God gespielt und gut gefunden.
Die Ignoranz, die manche Typen [pun intended *höhö*] an den Tag legen, ist manchmal schon erschreckend. Dachte bisher, [i]polyneux[/i]-Leser hätten ein gewisses Niveau…
Trotz seiner Länge ist der Artikel echt gut zu lesen und hat weniger gelangweilt als es lange Texte idR tun.
Da ich oft aber weniger Frust-resistent bin, werd’ ich mir das Spiel vermtl. nicht angucken. ;)
Hab’ BTW wirklich viel zu oft “dog” statt “god” gelesen. Blödes Gehirn…
Klasse Artikel, hab ich genauso verschlungen wie dich Realm of the Mad God.
Aber genug geschrieben, muss Level 5 erreichen.
Mit dem Gastaccount habe ich ohne Probleme Level 4 erreicht, dann bin ich aber wieder auf der Startseite gelandet. Ob das eine Einschränkung für die Gäste ist (Level oder Spieldauer) oder ob das ein komisches Verhalten von Flash war, kann ich nicht beurteilen. Gestorben bin ich jedenfalls nicht. ;)
Habe auch schon eine Menge Zeit bei Realm of the Mad God “verschwendet”. Das lustigste Erlebnis war bisher eine Art Zug aus etlichen Spielern, die wie die Verückten ballernd auf den endlosen Wegen entlang liefen. Ich habe mich gleich angeschlossen und bestimmt 6 Level in dieser Parade geschafft. Der geballten Masse ist halt kein Monster gewachsen.
@Missingno: Ich habe auch nur einen Gastaccount ohne Anmeldung und habe auch schon bis Level 20 gespielt. Klingt also eher nach seltsamen Flash-Verhalten.
Was ich besonders interessant finde:
Kurze Spiele funktionieren und machen Spaß, wenn sie zum Wiederspielen motivieren. Und das ist hier ja wohl der Fall.
Damit ist “Realm of the mad god” für mich eher ein Spiel, als die ganzen interaktiven Spiel-Filme (z.B. CoD) mit ihren 6-10 Stunden Spielzeit.