Liebes Tagebuch,
es reicht. Ich brauche einen Karrierewechsel. Meine Zeit als professioneller Wrestler neigt sich dem Ende zu. Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt und jetzt endlich den Entschluss gefasst, mein Leben zu ändern. Warum auch nicht? Ich habe alles erreicht. Erinnerst du dich noch an meinen ersten Kampf gegen Rolf Mysteriös? Mein Tag-Team mit Kante? Wie ich Die Große Veranstaltung auf meine Schultern hob und durch einen Tisch warf? Den Tag, an dem ich gegen die Harten Jungs Joseph und Matthias antrat? Und nicht zu vergessen: Mein wohl bestes Match gegen den Unternehmer? Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, wie ich mich in meinem Beruf noch steigern soll. Darum der Tapetenwechsel.
Ich habe lange überlegt, wo ich mich bewerben soll. Wo kann ich meine Qualitäten als Unterhalter der Massen nur einbringen? Ja, für mich stand Wrestling schon immer für Unterhaltung. Rastete das Publikum aus, wusste ich, dass ich das Richtige tat. Dieses Gefühl wollte ich nicht verlieren. Zum Glück hatte ich schon seit einiger Zeit meinen Blick auf eine andere Sportart geworfen, die die gleichen Ziele verfolgt wie Wrestling: Den Rallyesport!
Rallye-Fans sind bekannt für ihre Leidenschaft. Sie gehören zu einem Rennen genauso dazu wie die eigentliche Strecke. Sie fiebern mit, feuern an und genießen den Staub der an ihnen vorbei fahrenden Autos auf ihrer Haut. Und wie beim Wrestling sorgen sie mit ihren lustigen Klamotten für eine angenehme, entspannte und vor allem fröhliche Atmosphäre.
Die Entscheidung stand also fest: Ich werde Rallyefahrer!
Nun sitze ich hier am Tag vor meinem ersten Rennen. Viel ist passiert. Natürlich wird man nicht einfach so Rallyefahrer. Man muss sich vorbereitet. Und das tat ich auch.
Zunächst musste ein Auto her. Das stellte sich als leichter heraus, als ich anfangs befürchtet hatte. Durch ein Inserat in der Tageszeitung wurde ich auf einen Rentner aufmerksam, der seine Rente aufbesserte, indem er Rallyeautos aus Tiefkühlgemüse schnitzte. Auf meine Anfrage reagierte er sofort und konstruierte mir innerhalb weniger Tage mein eigenes Rallyauto.
Dabei griff er nur auf die hochwertigsten Materialien zurück. Die Rückspiegel baute er beispielsweise vollständig aus Spiegeleiern von im Freiland erschossenen Hühnern.
Die Stoßstange dagegen entstand aus einer Mischung aus Salzstangen und Brotwurst.
Ich gebe zu: Die Frage, wo genau hier das Tiefkühlgemüse steckt, wollte ich auch stellen. Aber dann fiel mir ein, dass ich mich eher auf die Suche nach einem guten Beifahrer begeben sollte. Schließlich ist eine Rallyefahrt ohne Beifahrer gar nicht möglich. Wie soll ich mich auf die Strecke konzentrieren und mir gleichzeitig das Gesicht pudern?
Wieder inserierte ich in der Tageszeitung und wieder war ich erfolgreich. Ich fand tatsächlich jemanden, der mir seine alte SNES-Sammlung verkaufen wollte. Mit „Mario Kart“, „Link to the past“ und „Zombies ate my neighbors“. Nur von „Turtles in time“ wollte sich der Geizhals nicht trennen. Um es kurz zu machen: Der Kerl hatte sowieso gerade nichts vor und erklärte sich darum dazu bereit, mein Beifahrer zu werden.
Mein Beifahrer heißt übrigens Knatbert. Wir wurden sofort gute Freunde und begannen unser Training. Natürlich konnte ich bereits Auto fahren und er war gut im kleinen Einmaleins und konnte perfekt die Zahlen von eins bis sechs aufsagen. Trotzdem wollten wir uns nicht vollständig auf unser Glück verlassen. Darum besuchten wir einen Tag lang ein Trainingsgelände. Hier merkten wir schnell, dass wir ganz gut waren. So trafen wir zum Beispiel beim Slalomfahren als einziges Team in der Geschichte des Trainingsplatzes alle Hütchen. Auch auf gerader Strecke!
Auch die Absperrung war vor unserem Können nicht sicher.
Ich lernte schnell, dass ich das Auto nicht fahren, sondern eins mit ihm werden musste.
Aber nicht nur mit dem Auto musste ich zu einer Einheit verschmelzen. Auch Knatbert musste ich in mich aufnehmen. Wir mussten uns verbinden. Ein Teil von mir musste in ihn eindringen. Als ich merkte, dass meine Fingernägel seinem Auge Schmerzen bereiteten, änderten wir unsere Trainingsmethoden. Wir fuhren einfach den ganzen Tag lang zusammen in der Gegend herum und er rief mir Kommandos zu. Zu Trainingszwecken überfuhren wir Kinder, die gerade alten Menschen über die Straße halfen. So lernte ich schnell, Knatbert blind zu vertrauen. Und er lernte meine Rechts-Links-Schwäche kennen und wie er damit umzugehen hatte. Oder war es eine Links-Rechts-Schwäche? Ich kann es mir einfach nicht merken.
Nach all dem Training fühlten wir uns bereit. Wir hatten von dieser einwöchigen Rallye gehört, die hier ganz in der Nähe stattfinden sollte. An dieser wollten wir teilnehmen. Um zu gewinnen. Warum sich kleine Ziele setzen, wenn man stattdessen nach dem Großen streben kann? Aber wir wollten nicht nur gewinnen, wir wollten die Massen begeistern. Hier kam der Wrestler in mir hoch. Das Publikum sollte ausrasten. Es sollte mich anfeuern. Es sollte mich lieben. So schrieben wir die Veranstalter an. Schnell kam eine Absage zurück. Man hielt uns noch nicht für gut genug. Darum kidnappten wir den Plüschpinguin des Nachbarkindes eines der Veranstalter und sicherten uns so eine Startposition. Niemand hatte behauptet, dass es leicht werden würde.
Nun sitze ich hier einen Tag vor dem Start in meinem Zelt und schreibe diese Zeilen auf deine Seiten. Ja, ich sitze in einem Zelt. In der Nähe der Startlinie wurde ein Bereich abgesteckt, auf dem die Fahrer ihre Zelte aufschlagen dürfen.
Leider war es uns nicht gestattet, mit den Autos zu nah an die Zelte heranzufahren. Der Platz wurde auf einem alten Cosplayerfriedhof errichtet, wodurch unser Auto immer wieder von Geistern mit komischen Frisuren zurück auf die Straße teleportiert wurde, wenn wir uns den Zelten näherten. Natürlich habe ich versucht, mich an ihnen vorbei zu schleichen aber es hat nicht funktioniert.
Da ich mich nicht mit Cosplayergeistern einlassen, sondern lieber auf das Rennen konzentrieren wollte, hatte ich meine Aufmerksamkeit schnell auf andere Dinge gerichtet. Zum Beispiel stellte sich heraus, dass nicht alle Fahrer in Zelten übernachteten. Die Favoriten hatten andere, weitaus teurere Schlafplätze errichtet. Der angeblich beste Fahrer der Welt hatte gleich eine ganze Basis dabei. Als ich sie mir mal aus der Nähe ansehen wollte, wurde ich leider vom Gelände gejagt. Eitles Proletenvolk.
Der hatte sogar einen eigenen Hubschrauber!
Da dieser irgendwo hinter der Basis abgestellt war, schaffte ich es sogar, mich kurz in ihn rein zu setzen.
Als ich entdeckt wurde, wollte man die Polizei rufen. Ich zog schnell eine Pistole und richtete sie auf den Stoffpinguin, den ich stets in einem Jutesack mit mir führte. Man ließ mich ziehen. Vorbereitung ist alles.
Den Höhepunkt stellte übrigens das Haus eines Veranstalters dar. Um die Rallye stets im Blick zu haben, hatte er sich am Streckenrand ein eigenes Haus errichten lassen. Man kann es auch übertreiben.
Aber weißt du was, liebes Tagebuch? Genug von all dem Gerede. Ich muss ins Bett. Morgen ist der große Tag. Die Rallye beginnt! Ich bin sehr aufgeregt. Vermutlich habe ich deswegen gerade so viel in dich geschrieben. Ich bereite mir jetzt noch schnell einen frisch gepressten Waldbärensaft zu und lege mich danach hin.
Ich melde mich nach dem Rennen bei dir.
Bis morgen.
Dein Stifti.
Tag 1
Liebes Tagebuch,
es war ein Desaster! Dabei fing es so gut an! Die heutige Etappe führte durch ein wundervoll anzusehendes Waldgebiet.
Aber irgendwie wollte der Funken nicht so richtig überspringen. Ich habe alles gegeben. Ich bin gefahren wie ein Weltmeister. Ich habe den Fans zu gewunken, mich überschlagen und was weiß ich nicht noch alles. Meine Handbremse winselte kurz vor der Ziellinie um Gnade. Wäre die Fahrt ein Wrestlingmatch gewesen, die Fans wären ausgerastet. Aber was bekam ich von den Rallyefans zurück? Das hier:
Die Kameraleute wandten sich gelangweilt von mir ab und die Zuschauer jubelten in alle möglichen Richtungen, nur nicht in meine. Dabei tat ich alles, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Aber es wollte einfach nicht funktionieren.
Was war los? Was habe ich falsch gemacht? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es heraus finden. Anscheinend muss man hier anders an die Fans herantreten als beim Wrestling. Ich will ehrlich sein: Ich mag Herausforderungen. Morgen wird alles anders.
Bis morgen.
Dein Nürsel.
Tag 2
Liebes Tagebuch,
Scheiße auch! Nichts hat sich geändert. Doch, natürlich hat sich etwas geändert. Vom Wald ging es diesmal ins Gebirge.
Aber diese Oberflächlichkeit interessiert mich nicht. Ich wollte die Zuschauer begeistern und habe erneut auf ganzer Linie versagt. Dabei bin ich diesmal etwas bescheidener an die Sache herangegangen. Ich dachte, ich könnte meine Wrestlingerfahrung einbringen. Es ist schwer, als Neuer sofort Aufmerksamkeit zu bekommen. Man muss sich erst einen Ruf aufbauen. Darum nahm ich diesmal vorsichtig Kontakt zur Presse auf.
Aber was bekam ich zurück? Desinteresse! Niemand richtete seine Kamera auf mich. Man schien sich nicht für mich zu interessieren. Wie sagt man so schön? Auch negative Werbung ist Werbung. Ich hätte mich in diesem Moment sehr über negative Werbung gefreut. Warum auch nicht? Ich bin lange kein Heel mehr gewesen. Meine letzten Tage im Wrestlingbusiness erlebte ich als Babyface. Ich war hier wegen der Abwechslung. Warum also nicht auch charakterlich neue Wege gehen?
Aber all meine Planungen waren umsonst. Ich ging gar keine Wege. Klar, ich nahm weiterhin an der Rallye teil und folgte der vorgegebenen Strecke. Aber in Wirklichkeit kam ich nicht von der Stelle.
Ich muss etwas ändern.
Bis morgen,
Dein Stiftnürsel.
Tag 3
Liebes Tagebuch,
ich habe gerade eine Mottenkiste unter der Rückbank gefunden. In ihr lag ein Zettel mit der Aufschrift: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Es folgt die Zusammenfassung des Tages:
Von diesem Kerl werde ich vermutlich noch einige Tage lang Albträume bekommen. Sieh ihn dir an. Wie er ignorant seine Arme vor dem Körper verschränkt und mich keines Blickes würdigt. Ich hasse ihn! Mehr als all die Motten, die sich gerade weigern, wieder zurück in ihre Kiste zu klettern! Mistviecher!
Ich habe Nachforschungen angestellt. Diese haben gezeigt, dass ich Motten nicht mag.
Und damit wende ich mich wieder wichtigeren Dingen zu. Zum Beispiel meinem Döner. Nein, ich kann jetzt nicht an Essen denken. Ich bekomme nichts runter. Nicht nach dem heutigen Tag. Der Kerl da oben war nämlich noch gar nicht das Schlimmste.
Ja, er hat mich ziemlich aus dem Konzept gebracht. Aber als Wrestler weiß ich, dass das Publikum unberechenbar ist. Aber ich weiß auch, wie ich es wieder auf meine Seite ziehen kann. Ein Botch ist zwar immer unangenehm aber kein Weltuntergang. So fuhr ich weiter. Und plötzlich bemerkte ich jemanden. Einen Fotografen. Er schoss ein Foto! Und zwar von mir!
Ich verwandelte mein Gesicht in eine frisch tapezierte Wohlfühloase, aber noch während eine Pickelfamilie fröhlich durch die neu eingerichteten Zimmer lief und dabei alle zehn Sekunden ein neues Lied auf ihrer „Langweilige Lieder“-CD startete, wurde mir klar, dass man den Fotoapparat gar nicht auf mich gerichtet hatte.
Nein, wieder interessierte man sich nicht für mich. Wofür dann? Ich weiß es nicht.
Aber ich will es mittlerweile auch gar nicht mehr wissen. Die Enttäuschung ist groß. Fast schon zu groß. Ich fühle mich hilflos. Und diese Hilflosigkeit sitzt gerade in mir und weigert sich, meinen Körper zu verlassen. Genauso wie diese verdammten Motten meine Bikinizone. Das war jetzt bildlich gemeint. Also im übertragenen Sinne. Ach, ist auch egal.
Ich weiß ja, dass man Ruhe bewahren muss. Gerade im „Sports Entertainment“ ist Geduld wichtig. Aber ich muss auch zugeben, dass ich mehr erwartet hatte. Kennt mich hier denn keiner? Weiß niemand, was für ein bedeutender Wrestler ich war? Ich muss mich hinlegen. Meinen Kopf frei bekommen. Morgen geht es weiter. Ich könnte heulen.
Stiftnürsel.
Tag 4
Liebes Tagebuch,
ich gebe auf. Jaja, erst die Fakten. Heute fuhr ich durch einen deutschen Wald. Ganz klassisch. Mit Kaserne am Wegesrand.
Aber ich habe gar keine Lust, mich weiter mit irgendwelchen Ortschaften zu beschäftigen. Ich habe mir heute meinen verdammten Arsch aufgerissen. Entschuldige meine Ausdrucksweise, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll. Willst du wissen, wie die heutigen Reaktionen ausgefallen sind? Willst du es wirklich wissen? Bitte schön!
Und es ging noch weiter.
Dann traf ich auf diese drei Vollidioten.
Reaktionen? Fehlanzeige.
Es reicht. Wie schon in der Einleitung angedeutet: Ich gebe auf. Ich mag ein guter Wrestler sein, das macht mich aber wohl noch lange nicht zu einem guten Rallyefahrer. Als ich heute durch die Ziellinie fuhr, wollte ich mein Auto verlassen und niemals zurückkehren.
Knatbert hat mich aber aufgehalten. Er meinte, ich solle gerade jetzt nicht aufgeben. Als ich ihn darauf hinwies, dass ich keine Energie mehr in mir hatte, wies er mich auf etwas hin: Vielleicht verlangte ich einfach zu viel von mir. Vielleicht sollte ich die Last des Erfolgs nicht vollständig auf meine eigenen Schultern verteilen. Ich erkannte meinen Fehler. Ich war neu im Geschäft. Ich brauchte jemanden mit Erfahrung, der mir wichtige Tipps geben würde. Einen Manager, der mich in ungeahnte Höhen katapultieren würde.
Ungeahnte Höhen ließen in mir eine Idee heranwachsen. Ich erinnerte mich an den Hubschrauber. Wenn ich den Topfahrer auf meine Seite ziehen könnte, würde das Publikum vielleicht folgen.
Ich habe mich über besagten Fahrer informiert und herausgefunden, dass seine Großmutter einen Bratwurststand ganz in der Nähe leitet. Von ihr klaute ich ein paar Fotos, die sie im Geschäft aufgehängt hatte.
Ich wollte mich heute noch mit den beiden unterhalten, um unsere Storyline zu planen, leider wurde ich von einer Horde aufgebrachter Aufseher vom Gelände geworfen. Vermutlich haben sie die Hubschraubergeschichte noch nicht vergessen. Gut. Dann muss ich das morgen eben spontan während des Rennens besprechen. Für einen Wrestler kein Problem. Wir planen schließlich nie ein komplettes Match, sondern nur die wichtigsten Spots. Ich werde einfach spontan handeln. T. H. wird sicher mitziehen. Er ist ja ein Profi.
Morgen wird alles anders.
S.
Tag 5
Liebes Tagebuch,
Hans T. H. Muller ist der unprofessionellste Mistkerl, der mir je über den Weg gelaufen ist!
Das ganze Rennen über habe ich ihm Kommandos zugerufen. Zunächst so, dass sie von den umstehenden Zuschauern nicht gehört werden, doch er hat nicht reagiert. Irgendwann war mir dann alles egal und ich habe ihn angebrüllt. Trotzdem hat er mich ignoriert. Darum habe ich ihn letztendlich von der Straße gedrängt. Idiot. Es ist seine eigene Schuld. Wenn er eine Fehde möchte, dann soll er sie haben.
Leider scheinen die Rallyefans von meinen Taten alles andere als begeistert zu sein. Hatte ich vor einigen Tagen noch behauptet, auch gerne die Rolle des Heels zu übernehmen, stellte sich nun heraus, dass dies im Rallyesport nicht funktioniert. Nach meiner Aktion gegen Muller gingen die Fans auf die Barrikaden.
Man fordert mittlerweile, mich aus dem Rallyesport zu verbannen und mir die Fahrerlizenz zu entziehen. Natürlich ist der Tod von T. H. tragisch, hätte aber mit ein bisschen Kooperation seinerseits verhindert werden können.
Offensichtlich bin ich nun ganz auch mich gestellt. Ein Tag-Team kann ich vergessen. Ich muss mich alleine durchschlagen und positiv an die Sache herangehen: Ich habe die Aufmerksamkeit, die ich einforderte. Nun muss ich sie nutzen.
Bis morden, äh, morgen.
Tag 6
Liebes Tagebuch,
morgen ist mein letzter Tag als Rallyefahrer. Warum? Weil die Veranstalter das so wollen. Morgen wird mir die Fahrerlizenz entzogen. Knatbert und ich haben heute alles gegeben und versucht, die Leute zu begeistern. Wir haben sogar einen Fan bei uns im Auto mitfahren lassen. Wir trafen einen Jugendlichen vor den öffentlichen Toiletten, schlugen ihn nieder und setzten ihn in unser Auto.
Wir wollten ihn überraschen. Was uns auch gelang. Als er erwachte, riefen wir laut „Überraschung!“ und fuhren los. Ich wäre an seiner Stelle ausgeflippt vor Freude. Er dagegen bekam eine Panikattacke und einen Herzinfarkt. Wir warfen seine Leiche auf halber Strecke aus dem Fahrzeug. Dann halt nicht. Empfindlicher Depp.
Dieser erste missglückte Versuch, eine Beziehung zu den Zuschauern aufzubauen, entmutigte uns aber nicht. Im Gegenteil. Wir gingen nur noch aggressiver auf die Suche nach Freundschaft.
Aber die offensichtlich von Vorurteilen besessenen Fans gaben uns nicht die Möglichkeit, sie von unserer freundlichen Gesinnung zu überzeugen. Stattdessen hetzte man uns die Polizei auf den Hals. Diese konnten wir zwar abhängen, indem wir ein paar Zuschauer schwer verletzten und die Ordnungshüter so beschäftigten, doch ich weiß nicht, wie lange wir uns noch verstecken können. Unser Zelt haben wir aufgegeben und stattdessen ein Baumhaus aus Wurstresten errichtet, dessen Geruch die auf uns gehetzten Hunde ablenkt.
Unser Auto haben wir unterdessen als Zuschauer getarnt.
Nun sitzen Knatbert und ich hier in unserem Wursthaus. Wir haben uns in einen Schlafsack gezwängt und kuscheln uns wärmend zusammen, während ich diese Zeilen schreibe. Morgen werden wir uns aus der Welt des Rallyesports zurückziehen. Wir haben erkannt, dass wir hier nicht hingehören. Die Rallyewelt ist einfach nicht mit der Wrestlingwelt zu vergleichen. Darum kehre ich in meine Heimat zurück. Eine Anfrage bei der GGW (Ganz Gutes Wrestling) zeigte mir, dass man anscheinend nur auf einen Anruf meinerseits gewartet hatte. Das freut mich. Morgen feiere ich dann meinen großen Abschied. Bis dahin werde ich mich auf das Wacheschieben konzentrieren. Diese Wurstzecken sind heute ganz besonders aggressiv.
Tag 7
Liebes Tagebuch,
der heutige Tag war wundervoll. Ich hatte meine Wut und meine Trauer vergessen und die letzten Tage einfach aus dem Gedächtnis verdrängt. Ein letztes Mal befuhr ich die Rallyestraßen mit meinem treuen Tiefkühlgemüsewagen (ich habe ihn Bofrost getauft) und genoss die Aussicht.
Als man begann, auf mich zu schießen, gab ich nach und zog mich zurück. Ich hängte meine Verfolger ab, indem ich den zu Beginn meiner Rallyetour gekidnappten Stoffpinguin auf die Straße warf. Schade. Ein bisschen hatte ich ihn ja mittlerweile doch ins Herz geschlossen. Vielleicht werde ich ihn als Twitteravatar benutzen.
Jedenfalls stellte ich mein Auto in einer ruhigen Minute ab und versteckte es neben einem kaputten Lieferwagen.
Ob es jemals gefunden wird? Ich weiß es nicht. Es ist mir aber auch egal. Ich habe andere Ziele. Als ich mich von Knatbert verabschiedete, umarmte ich ihn kurz und gab ihm einen anerkennenden Kuss auf seine rechte Brustwarze. Ein Zeichen der Ehre im Wrestlingbusiness. Knatbert hatte die ganze Zeit über zu mir gestanden und keine Fragen gestellt. Ich versprach ihm noch, meine Schulden für das SNES so schnell wie möglich zu begleichen, dann trennten sich unsere Wege. Hoffentlich für immer, bezahlen werde ich die Konsole nämlich garantiert nicht.
Als ich auf meinem aufblasbaren Ballonesel in den Sonnenaufgang ritt, freute ich mich. Ich kannte mein Ziel. Ich war wieder auf dem Weg in die Welt, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin.
Vielleicht bis bald,
Dein Stiftnürsel.
5 Kommentare
“Destruction Derby: Attention Whore”? :-D
Unternehmer? Du bist einem falschen Freund aufgesessen. Aber du hast mich auch daran erinnert, dass ich dringend mal wieder Wrestling schauen muss. :)
Gnu
Stifti trau ich durchaus zu, dass das mit dem Bestatter Absicht war. I know how the bunny is running!
Es tut mir Leid, dass das Rennfahren nicht deine Domäne war. Deine Wurzeln sind aber auch nicht das Wahre, das haben wir in dem Film ‘The Wrestler’ gelernt. Wie wäre es mit Skaten? Entgegen wüster Behauptungen auf Brigitte.de ( http://www.brigitte.de/gesellschaft/politik-gesellschaft/stellungnahme-skateboard-1149149/) kann man das als Erwachsener Mensch durchaus noch anfangen.
Als alter Turbo Outrun Veteran darf ich Sie trösten. Über die letzen Jahre hinweg bewegte sich meine fahrerische Kompetenz nicht minder auf einem schmalen Grad zwischen Blödheit und nackter Verzweiflung. Als wenn jedes Mal eine Pavianhorde meine Vernunft aus dem fahrenden Fahrzeug schmeißt, um sich über die Fahrzeugkontrolle herzumachen.