
Wer sich vielleicht an der Formulierung „Quasi-Vorgänger“ stört und meint, GH wäre ein völlig anderes Spiel als die beiden oben genannten Sequenzer-Kultspiele, der sollte sich diese vielleicht noch einmal genauer anschauen. Es handelt sich vom Prinzip her nämlich um exakt das gleiche Spiel, nur eben mit einer Gitarre anstelle des Gamepads als Controller: Man muss zur rechten Zeit die richtige Note spielen, um eine Sequenzerspur zu spielen bzw. zu aktivieren. Macht man dies gut, so steigt der Punktemultiplikator immer weiter an und nebenbei erhält man noch Extras (in diesem Falle „Starpower“). Macht man seine Sache hingegen schlecht, so schafft man den Song gar nicht erst bis zum Ende, was einem auch das Freischalten weiterer Songs verwehrt.

Die Tracklist ist aber dennoch abwechslungsreich: Weniger mein persönlicher Geschmack, aber dennoch spannend zu spielen sind die vielen unvermeidlichen Rock-Klassiker der Marke Black Sabbath, Queen, Deep Purple, Boston, Judas Priest, Blue Oyster Cult, Jimi Hendrix und Cream. Aber mit White Zombie, Bad Religion, Franz Ferdinand, Incubus, Megadeth, Sum 41, Audioslave, Helmet, Red Hot Chili Peppers, Pantera und Motorhead sind auch neuere Metal-, Nu Metal-, Hardrock- und Alternative-Titel dabei.
Leider werden die Titel nicht wie bei den Vorgängern von den Originalinterpreten zum Besten gegeben, sondern wurden von Studiomusikern neu eingespielt. Diese Entscheidung, die sicherlich überwiegend aus Kostengründen getroffen wurde (na ja, in manchen Fällen lagen wohl auch andere Gründe vor, denn Jimi Hendrix hätte man wohl schwerlich ins Studio einladen können, um seine Spuren noch einmal einzuspielen…), klingt jetzt aber schlimmer als sie ist, denn bei einem Großteil der Songs merkt der Laie nicht einmal, dass es sich um Coverversionen handelt, da die Neuaufnahmen allesamt sehr gut gelungen sind.
Lediglich die freispielbaren Bonussongs wurden von den Originalinterpreten eingespielt, was aber nicht so aufregend ist, da es sich hierbei ausschließlich um unbekannte Lokalbands aus Neu-England (genauer: Boston und Umgebung) handelt, die alle irgendwie aus dem Umfeld der Entwickler stammen. Diese Bonussongs sind größtenteils nicht schlecht, aber keinesfalls von der gleichen Qualität wie die Lizenzsongs. Ein lustiges Detail am Rande: Freezepop, die Minimal-Elektrospeedpopper, die man schon aus FREQUENCY und AMPLITUDE kennt, sind überraschenderweise auch mit dabei. Wie das passt? Tut es eigentlich nicht. Freezepop liefern auch in GH ihren typischen Sound ab, nur dass sie ein paar Alibi-Gitarrensamples mit eingebaut haben. Ist aber trotzdem sehr witzig zu spielen. Alles in Allem enthält GUITAR HERO 47 Songs, obwohl auf der Verpackung nur von „über 30 Songs“ gesprochen wird. Das nenne ich mal überraschendes Marketingunderstatement…!

Bei den Amis hat er ja, wie schon erwähnt, gezogen. Das freut mich persönlich sehr, denn HARMONIX haben es wirklich verdient, endlich mal viele Spiele zu verkaufen. Zugegeben, die „Karaoke Revolution“-Serie hat auch ihre Abnehmer gefunden. Allerdings eher auf den Systemen, auf denen es kein Singstar gibt (Xbox und NGC). Auf der PS2 lief das Plagiat von Sony (Karaoke Revolution gab es nämlich schon vorher!) natürlich wesentlich besser, weil Sony halt die Lizenzen der Originalkünstler in der Hinterhand hat und somit seinen großkonzernimmanenten Synergieeffekt ausspielen kann. Aber FREQUENCY, AMPLITUDE und das ähnlich geniale Eyetoy-Spiel ANTIGRAV (inklusive dem coolen Soundtrack von Apollo 440!) fanden nie das große Publikum, das sie eigentlich verdient hätten.
Aber zu meiner Freude für die Entwickler gesellt sich auch etwas Erstaunen, denn ebenso leicht hätte das Ganze nach hinten losgehen können: „Hahaa! Guck dir mal diese Kindergitarre aus Plastik an! So etwas Albernes hänge ich mir garantiert nicht um den Hals…“
Und tatsächlich war die erste Reaktion meiner heimischen Testmitspieler auch ausnahmslos ein fettes Grinsen und hochgezogene Augenbrauen, als sie die Gitarre das erste Mal sahen. Zudem ist das Spiel durch den aufwändigen Controller nicht gerade ein Schnäppchen: Zwischen 80 und 90 Euronen muss der geneigte Feierabendrocker dafür blechen. Eine Ersatzgitarre kann man übrigens direkt bei HARMONIX für ca. 40$ ordern, was ich eigentlich recht fair finde. Allerdings wird die Zweitgitarre ohnehin bald Einzug in meinen Haushalt halten, weil schon GH2 vor der Tür steht, aber dazu später mehr.
Ich erwähne das mit der Ersatzgitarre übrigens nur bezüglich der Preisgestaltung des Spiels, denn verarbeitungstechnisch ist eigentlich nicht damit zu rechnen, dass der Controller schnell das Zeitliche segnet. Auch wenn er wie eine etwas zu groß geratene Spielzeuggitarre aussieht, ist er qualitativ ziemlich hochwertig verarbeitet. Nur wer so sehr in der Rolle des Hardrockers aufgeht, dass er die Gitarre am Ende des Gigs stilgerecht auf dem Wohnzimmertisch zertrümmern muss, wird wohl öfter mal eine Bestellung bei HARMONIX aufgeben müssen…
Der Controller kommt inklusive Gurt und mehr oder weniger schicken Skin-Aufklebern in einer recht großen Verpackung daher, die sich das „Flammen-auf-schwarzem-Grund“-Design in etwa mit dem Tourbus von ZZ Top teilt. Da kein Spieleladen genügend große Tragetaschen besitzt, war mir der Heimweg durch die Fußgängerzone schon etwas peinlich. Jeder zweite Passant starrte mich und meinen Karton fragend an…

Was ich aber mit Sicherheit sagen kann ist, dass Spieler von FREQUENCY und AMPLITUDE garantiert schneller in das Spiel kommen und sich nach einer gewissen Eingewöhnungsphase schnell zuhause fühlen! Wie ich schon anfangs sagte: Die drei Spiele stehen in Sachen Spielmechanik wirklich alle in einer Reihe.
Wie spielt man das Spiel denn nun eigentlich? Ich versuche mal, es so zu erklären, dass auch alle bösen Ignoranten und Kostverächter, die sträflicherweise keinen der beiden Vorgänger gekauft haben, es verstehen können.
Auf dem Bildschirm laufen Noten in Form von farbigen Punkten von Oben nach Unten. Es gibt maximal 5 verschiedene Farben, die ihre Entsprechung in Form von 5 Tasten am Gitarrenhals finden. Man muss nun mit der linken Hand (es gibt übrigens auch eine Umschaltfunktion für Linkshänder) die gezeigten Noten entsprechend der Darstellung am Schirm greifen (drücken). Dies können Einzelnoten oder auch Kombinationen von Tasten (Akkorde) sein. Soweit, so AMPLITUDE. Allerdings werden die Noten noch nicht durch das alleinige drücken der Knöpfe aktiviert, sondern müssen mit der rechten Hand zur richtigen Zeit mit dem Kippschalter angeschlagen werden. Das Neue gegenüber den beiden Vorgängern ist also, dass man nun die Aktionen von beiden Händen zwingend koordinieren muss. Jede gespielte Note ist das Ergebnis des Zusammenwirkens beider Hände! Dies führt natürlich dazu, dass das Spielen der Songs noch mehr als früher eine Frage von guter Hand-Augen-Koordination ist. Der Einstieg mag unterschiedlichen Leuten sicherlich unterschiedlich schwer fallen, aber eigentlich ist es nur eine Frage der Übung.

Zusätzlich zu den 5 Notentasten und dem Anschlagschalter gibt es dann noch einen stilechten Tremolo-Hebel, den geübte Spieler für coole Freestyle-Variationen und zusätzlichen „Starpower“-Zugewinn nutzen.
Diese schon mehrfach erwähnte „Starpower“ ist nichts weiter als eine Energieanzeige, die es mit besonderen Combos (leuchtende Notenserien) und Tremolo zur richtigen Zeit aufzufüllen gilt. Ist sie voll, kann sie per Select-Taste am Gitarrenköper ausgelöst werden, um für kurze Zeit Multiplikator- und Publikumsboni zu erlangen. Da die Select-Taste aber irgendwie ungünstig liegt, um sie beim Spielen zu drücken, haben sich die Macher etwas besonders cooles ausgedacht: Ein Bewegungssensor im Innern des Controllers dient dazu, die „Starpower“ durch Hochziehen der Gitarre auszulösen, was auch gleichzeitig HardRock-Posing nach allen Regeln der Kunst bedeutet. Es ist echt jedes Mal ein Brüller, wenn die Leute vor dem Fernseher stehend die Plastikgitarre gen Himmel reißen…!
Recht verblüfft war ich, als ich irgendwann mal richtig auf die Hintergrundanimationen des Spiels geachtet habe: Da man anfangs ja mit dem Spielen völlig ausgelastet ist, geht das Treiben im Hintergrund zunächst unter. Dort kann man nämlich animierten Bands beim Auftritt zusehen. Was auf den ersten flüchtigen Blick zunächst genauso aussieht wie die relativ sinnfreien „Freqz“ aus den Vorgängern, die nur albern und uninspiriert zum Rhythmus herumhampelten, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Zusatzspektakel erster Güte. Die Entwickler haben es hinbekommen, dass die Komplette Avatar-Band nahezu perfekt den laufenden Song spielt. Da passt jede Lippenbewegung des Sängers, jeder Griff der Gitarristen/Bassisten und jede Bewegung des Schlagzeugers exakt zur Musik! Und sie spielen den Song nicht nur einfach herunter. Gott bewahre. Da wird auf der virtuellen Bühne so ziemlich jedes Klischeeposing abgezogen, das die Rockmusik so hergibt: Man spielt sich gegenseitig an, läuft auf der Bühne herum, kniet bei Soli nieder, wirft die Gitarre in die Luft oder zertrümmert sie gleich auf den Monitorboxen. Gepaart mit dem sehr schön animierten Publikum in den Clubs bzw. vor den Bühnen und vielen tollen Kameraperspektiven (inklusive Tiefenunschärfe und anderer cooler Effekte) bekommt man in GUITAR HERO nebenbei virtuelle „Live-Video-Clips“ geboten, die Ihresgleichen suchen.
Das Ganze macht spätestens dann auch wirklich Sinn, wenn man mit mehreren Leuten spielt und der Spielende den Zuschauern nicht mehr genügend Lacher liefert, was bei Anfängern zunächst natürlich der größte Spaß ist, sich aber nach einiger Zeit dann doch etwas verbraucht. Und da die vorbeirauschende Notenspur für die untätigen Zuschauer auch nicht so extrem spannend ist, sind die Hintergrundanimationen eine super Idee. Danke, HARMONIX, dass ihr den herumhampelnden Männchen aus FREQUENCY und AMPLITUDE, die ich immer als total überflüssig empfunden habe, endlich eine echte Daseinsberechtigung verschafft habt; und was für eine!

Live Antesten ist auch nicht jedermanns Sache, denn nur sehr extrovertierte Persönlichkeiten stellen sich in die Softwareabteilung von Saturn oder Media Markt, hängen sich eine Kindergitarre um den Hals und rocken vor dem durchschnittlich 13jährigen Publikum und deren Eltern so richtig ab…
Also hilft am Ende wohl nur wieder die patentierte „SpielerZwei-Kauf-Hypnose“:
Du willst GUITAR HERO kaufen! Du gehst sofort los und kaufst GUITAR HERO! Ohne GUITAR HERO ist dein Leben langweilig und sinnlos! GUITAR HERO macht dich glücklich! Mit GUITAR HERO wird dein Leben mit einem Schlag lebenswert!
… Nun geh schon endlich los und kauf dir das verdammte Teil, du begriffsstutziger alter Affenar***!
Für die nicht ganz so skeptischen Junkies gibt es eine tolle Nachricht zum Schluß: Wie schon oben kurz angedeutet, kündigte HARMONIX auf der diesjährigen E3 schon GUITAR HERO 2 für den November dieses Jahres an. Hoffentlich kommt der zweite Teil nicht auch erst Monate später nach Europa, denn ich kann es schon jetzt kaum erwarten, wahlweise Lead-, Rhythmus- und Bassgitarre in über 50 neuen Songs zu spielen. Und ganz besonders freue ich mich auf den angekündigten Coop-Modus, denn mit der dann vorhandenen zweiten Gitarre kann man zu zweit zwei Spuren des gleichen Songs spielen, also z.B. Bass- und Leadgitarre! Da fehlt dann eigentlich nur noch ein „DRUM HERO“ und die passende Crossoverfunktion für SINGSTAR…
Was den Spaß allerdings ein wenig trübt ist, dass mich die Nachbarn schon gebeten haben, mir in absehbarer Zeit eine neue Wohnung zu suchen; wo ich doch gerade erst eingezogen bin…
Aber das ist halt echter Rock´n´Roll!
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