“Weisst Du noch damals, als wir die Allys so richtig hochgenommen haben und Du mir nach dem Raid den Heiratsantrag gemacht hast?”
“Ja, das war toll! War ne geile Zeit! Mann, ich würde so gerne wieder World of Warcraft spielen!”
“Da sagst Du was, ich auch! Nur schade, dass Blizzard vor 20 Jahren pleite gegangen ist …”
Über die Rolle von Computerspielen als zunehmend alltäglicher Bestandteil unserer Gesellschaft, über den Stellenwert von Computerspielen als “Kunst” und über das Archivieren von Computerspielen zum Zwecke des Erhalts für nachfolgende Generationen braucht man wohl kein weiteres Wort mehr verlieren. Computerspiele are here to stay und als moderne, kreative Ausdrucksform haben Computerspiele genau das selbe Anrecht auf Archivierung wie da Vincis oder van Goghs Gemälde oder diverse, zum Teil Jahrhunderte alte Handschriften.
Dass diese Archivierung bislang vornehmlich von Privatleuten unter grundsätzlicher Missachtung jeglicher Urheberrechte vorgenommen wird, da die Entwicklung von Emulatoren, das Auslesen von Cartridges, das Erstellen und Verbreiten umfangreicher ROM-Sammlungen und der Betrieb mannigfaltiger AbandonWare-Portale entweder ganz klar im illegalen Bereich oder zumindest im Graubereich der Rechtslage betrieben wird, auch darüber braucht man sich nicht weiter zu unterhalten. Legal, illegal, scheissegal!
Worüber man sich aber unterhalten sollte (und das meine ich jetzt ernsthaft), das ist der Umstand, dass man Massively Mulitplayer Online-Spiele, dass man MMOs nicht so einfach archivieren kann. Denn wird ein Server abgeschaltet, verschwindet das Spiel in der Regel FÜR IMMER im digitalen Nirvana.
Es nützt mir nichts, wenn ich den Client archiviere, da er ohne den Server nur eine nutzlose Datenansammlung ist. Der Aufwand, per Reverse Engineering die Server-Software eines MMOs zu emulieren, übersteigt vielleicht nicht den Aufwand, den man betreiben muss, um Konsolen-Hardware ab PS2 und aufwärts emulieren zu können, doch dummerweise muss man diesen Aufwand bei JEDEM MMO aufs Neue betreiben, da natürlich JEDES MMO eine andere Server-Software verwendet. Möchte ich z. B. Neocron (hier steht eine perfekt erhaltene Kopie vollkommen nutzlos im Regal) emulieren, so habe ich nichts davon, dass man die Server-Software von WoW oder Ultima Online emulieren kann. Anderes Spiel, andere Software, alles wieder von vorne.
Von daher gehe ich davon aus (unter der Annahme, dass es wohl in den nächsten 20, 30 Jahren keine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Software von virtuellen Welten zwecks Erhalt wichtiger Kulturgüter geben wird), dass das große Genre “MMO” nur in wenigen Ausnahmefällen Einzug in solche Museen und Kataloge finden wird. MMOs werden immer nur im Augenblick des Spielens existieren, sie werden niemals Einzug in irgendwelche Hall of Fames halten können, wenn es keine aktiven Server mehr gibt, weil sie dann in Windeseile aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschen verschwinden und von anderen MMOs abgelöst werden.
Ich kann nirgendwo mehr World of Warcraft spielen, wie man es zum Release spielen konnte. Ich kann nirgendwo mehr eines der mittlerweile aberdutzende MMOs spielen, die im Laufe nur der letzten fünf Jahre von ihren Betreibern aufgegeben wurden. Ich kann kein einziges Browser-Spiel mehr zocken, dessen Seite nur noch mit 404 antwortet. Diese Spiele sind verschwunden. Endgültig und für immer. Gut, gemäß Sturgeons Gesetz waren davon eh min. 90% nur schrunziger Mist, aus einem geschichtlichen, historischen Blickwinkel ist dieser Umstand aber fatal. Sicher, es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man seinen Enkeln eines Tages stolz den WoW-Charakter live im Spiel zeigen kann, den man an dem Tag eingemottet hat, an dem man die Oma kennengelernt hatte, für den Rest des Angebotes sehe ich aber schwarz. Ausser Screenshots, Filmen und diversen Artikeln in den Weiten des Netzes wird von diesen Spielen nichts mehr übrig bleiben, was angesichts der interaktiven Art eines Spieles natürlich höchst unbefriedigend ist, dereinst für Historiker Grund für bittere Tränen sein wird.
Abgesehen von dem Umstand, dass eine ganze Generation keine Möglichkeit hat, viele Jahrzehnte später sich wieder mit den Dingen aus Kinder- und Jugendtagen zu beschäftigen, weil es diese Dinge tatsächlich nicht mehr gibt. Vergilbte Bücher lassen sich gut versteckt auf Dachböden finden, alte Schallplatten lassen sich sorgfältig gereinigt mit einem restaurierten Plattenspieler abhören, usw. usf.
Alte MMOs hingegen, die sind weg. Vollständig und für immer.
*puff*
12 Kommentare
Vorab: das Problem scheint ja doch einigen Leuten bewusst zu sein und mit [url=http://www.keep-project.eu]KEEP[/url] gibt es ja inzwischen sogar ein EU-finanziertes Projekt, dass der Flüchtigkeit digitalen Lebens entgegenwirken soll und Spiele sogar mit ein, zwei Worten erwähnt.
Ansonsten muss ich dir Recht geben, ich wüsste aber auch keine Gegenmittel. Nehme ich an, es würde sich eine Waybackmachine für Spieleserver finden, so gibt es doch keine für die entsprechenden Spieler. In zwanzig Jahren alleine in Ironforge zu stehen, würde dann dem Gefühl beim Öffnen eines Pharaonengrabes entsprechen. Die NPCs wären natürlich noch da, aber sie können mich auch nicht über die Abwesenheit benötigter Begleiter für die Todesminen hinwegtäuschen. Stelle ich mir das als historischen Ausflug eines Professors mit dreissig Studenten vor, fällt dieses Argument natürlich weg. Die Studenten werden sich für das Betreten der Minen von Moria aber den benötigten Spielerlevel, die entsprechende Rüstung und Bewaffnung zusammenschummeln und vielleicht ein waches Auge auf die Encounter-Gestaltung in der Spielesteinzeit haben. Die Populationsdynamik, das jahrelange Reifen und Angleichen von Klassenkonzepten, die Liebe zum Grind, all das wird ihnen verborgen bleiben. Warum gab es Versammlungssteine? Warum haben sich Leute eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Betreten des Dungeons schon versammelt? Warum hat man zwanzigtausend Meerschweinchen für einen Beruf gehäutet, mit dessen Produkten dann doch nichts anzufangen war? Das sind für mich die releventaren Fragen, als das Verständnis für das Design von Kammer X oder die Bestimmung der Weglänge von Ort A nach Ort B. Obwohl es virtuelle Orte sind, deren Aussehen und Klang auch noch in ferner Zukunft exakt nachgeahmt werden kann, macht es die menschliche Komponente zu Orten, an denen man zu ihrer Zeit gewesen sein muss, um sie zu verstehen.
Ich werde aber auch niemals wissen, wie es in den 1970’ern war, in der Fussgängerzone eine Ratte auf der Schulter zu tragen, Anfang der 1940’er mit Zoot Suits Aufsehen zu erregen oder mit Ludwig XIV. ein Ballett zu tanzen. Aber bis zum Holodeck ist es ja nicht mehr lange hin …
Das Problem der 1zu1-Konservierung hat man aber bei vielen kulturellen Zweigen. Ein Theaterstück kannst Du zwar aufschreiben, aber die eigentliche Inszenierung müsstest Du auf Video aufnehmen, um sie der Nachwelt zu erhalten. Das geht zwar, gibt das eigentliche Erlebnis aber auch nicht vollkommen wieder. Das ist so wie mit den Urlaubsfotos: Sie erinnern Dich zwar daran, aber wiederholen das Urlaubserlebnis nicht. Kultur unterscheidet sich somit nicht großartig vom Rest des Lebens. Vieles ist einfach nicht vollständig zu konservieren, weil es auch vom jeweiligen Augenblick lebt…
In Vergessenheit geraten diese Dinge zwar nicht, weil man ja “Erinnerungsstücke” hat, aber man wird sie niemals 1zu1 für die Nachwelt erhalten können.
bei WoW ja jetzt echt kein großer Verlust für die Menschheit :p
@ Jay:
Das sehe ich persönlich auch so. ;)
Natürlich kann man gerade ein MMO-Spielerlebnis nicht 1zu1 konservieren, keine Frage. Aber man könnte zumindest damit anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man wenigstens die Software archiviert, damit das Spiel als solches nicht verschwindet.
Sich die Chance auf eine Möglichkeit offenhalten? Eine Pflichtablieferung von Serversoftware an die Deutsche Nationalbibliothek, Anbau “elektronischer Spielkram und Software”? Ich wäre dafür. Welche Bundestagsabgeordneten und Konzernvertreter müssen wir dafür bauchpinseln?
Auf der anderem Seite erhalte ich bei Google nach Eingabe von “world of w” bereits an dritter Stelle den Vorschlag “world of warcraft privat server”. Selbst nach Blizzards unwahrscheinlichem Abtreten wird es dann zumindest für WoW-Freunde immer noch eine ausreichende Zahl von Servern geben. Woher die Jungs die Software haben? Diese Quest überlasse ich den Privatdetektiven von Activision-Blizzard.
Würde es nur WoW geben, würde ich mich um eine wie auch immer geartete Archivierung keine Sorgen machen. WoW ist zu populär, um ohne explizite Anstrengungen in dieser Hinsicht ins Nichts zu verdunsten.
Von anderen Titeln (Rate mal mit Rosenthal: Aus welchem MMO stammt der obige Screenshot?) wird man später nur noch aus dritter Hand erfahren können, was gerade bei Spielen besonders ärgerlich ist.
[quote]Woher die Jungs die Software haben? Diese Quest überlasse ich den Privatdetektiven von Activision-Blizzard.[/quote]
Wie im Artikel auch bereits erwähnt, sind fast alle im Umlauf befindlichen MMO-Privat-Server per Reverse Engineering[url]http://de.wikipedia.org/wiki/Reverse_Engineering[/url] entstanden. Kurz gesagt, wurde da eine eigene Software geschrieben, die quasi “zufällig” genau die Anforderungen des MMO-Clients bedient.
Darf ich mitraten?
asherons_call.jpg, also würde ich mal sagen asherons call, hehe. Nennt mich Holmes :-)
Die Archivierung macht meines Erachtens für die Zeitzeugen noch am ehesten Sinn. Ich bemühe auch SpielerZweis Urlaubsfoto-Metapher, seh sie aber anders: Sich die Bilder anzuschauen kann dich zu einem gewissen Teil eben doch wieder in das Gefühl von damals zurückversetzen, weil du ja eine emotionale Bindung zu dem Gesehenen hast. Das ist wie wenn man Unbeteiligten von der besten Party aller Zeiten erzählt: Man erlebt das Gefühl noch mal, findet sich in Gedanken wieder an diesem fantastischen Abend – aber dem Zuhörer wird diese Welt verborgen bleiben.
Ich merke es ja jetzt schon, wenn ich Blizzard doch noch mal wieder ihre 13 Flocken in den Rachen werfe: Es ist nicht mehr, wie es war, und es fühlt sich nicht mehr an, wie es war, als es neu, groß und aufregend war. Wir können das eigentliche Erlebnis nicht zurückholen, weil wir uns auch selbst nicht mehr in der selben Ausgangssituation befinden.
Es sei denn, es sei denn wir schwelgen in Erinnerungen, denn diese sind momentan das einzige Mittel, uns auch emotional wieder auf die selbe Stufe zu stellen.
Ich sehe mir gerne Mitschnitte von Konzerten an, aber Mitschnitte von genau den Konzerten, die ich live erleben konnte, sind unendlich viel bedeutsamer als die anderen.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten macht man sich immerhin schon Gedanken über dieses Thema, wie man im großartigen A Life Well Wasted-Podcast nachhören kann.. http://alifewellwasted.com/2009/03/03/episode-two-gotta-catch-em-all/
Es gibt sogar schon ein “richtiges” Videospiel Archiv, in England, siehe hier:[url=hier]http://www.nationalvideogamearchive.org/[/url]
Es ist eine Kollaboration zwischen einem Museum und einer Universität.
Folgend eine Zusammenfassung, die auch auf der Internetseite steht:
[quote]
The National Videogame Archive is a joint project between the National Media Museum and Nottingham Trent University, which aims to celebrate that culture and preserve that history for researchers, developers, game fans and the public.
Announced in September 2008, the Archive is working to preserve, analyse and display the products of the global videogame industry by placing games in their historical, social, political and cultural contexts. This means treating videogames as more than inert, digital code: at the heart of the National Videogames Archive is the determination to document the full life of games, from protoypes and early sketches, through box-art, advertising and media coverage, to mods, fanart and community activities.[/quote]