Seit dem vergangenen Jahr befindet sich bei mir eine neue Tradition in der Entstehung: Einmal im Jahr klatsche ich mir mit einem freudestrahlenden Grinsen und inmitten einer frenetischen Meute stehend die Hände wund. Freiwillig. Bis kurz vor der Ohnmacht. Vielleicht sogar darüber hinaus. Und ich wette es fehlt nicht mehr viel, ehe die ersten Blutspritzer die weißen Hemden Nerdshirts der Leute um mich herum besudeln werden. Ich kann es selbst noch kaum glauben, aber: Das war tatsächlich ein klassisches Symphonie-Konzert, dem ich da am Samstag beiwohnen durfte, und eben keine LAN-Party pubertierender Streber kein Rock- und/oder Robbie-Williams-Konzert. Symphonic Fantasies – Music from SquareEnix war – nach dem letztjährigen, fulminanten Symphonic Shades-Konzert, das meine feuchten musikalischen Jugendträume wahrgemacht und mir einige der schönsten Kompositionen Chris Hülsbecks im klassischen Gewand dargebracht hat – bereits das zweite Symphonie-Konzert des WDR-Rundfunkorchesters, welches dem geneigten Hörer ausschließlich Musik aus Videospielen präsentiert hat.
Genauer gesagt eben Musik der japanischen Rollenspielschmiede SquareEnix, bzw. noch genauer Musik der Komponisten Yoko Shimomura, Hiroki Kikuta, Yasunori Mitsuda und des Altmeisters Nobuo Uematsu (die übrigens allesamt im Saal anwesend waren und unter tosendem Beifall bejubelt wurden) mit Auszügen aus den Soundtracks zu Kingdom Hearts, Secret of Mana, Chrono Trigger, Chrono Cross und Final Fantasy. Damit beenden wir hoffentlich erstmal das Konstruieren sorgsam verschwurbelter Schachtelsätze und stürzen uns hinein in eine kleine Retrospektive des vergangenen musikalischen Genießer-Abends am Samstag.
Zunächst einmal lasst mich folgendes Einschieben: Leute… also echt. Ihr könnt doch nicht ernsthaft in solch einer Optik zu einem Videogames-Musik-Konzert erscheinen! Doch nicht in der Medienhauptstadt Köln! Also ehrlich! Auch wenn Pro7 seinen Stammsitz in München hat, sollte doch jedem klar sein, dass er mit Nerdshirt, fettigen Haaren und offensichtlich zur Schau getragener Menschenscheu bei gleichzeitiger Vertiefung in a-b-s-o-l-u-t-e Nerdcore-Themen allergrößte Gefahr läuft, von der Das-Model-und-der-Freak-Redaktion von der Straße weggecastet zu werden, noch ehe Jana-Ina ihren eigenen Namen buchstabiert hat! Also bitte! Und ehe Ihr Euch verseht sitzt ihr da nun im Fernseher, inmitten von 34 gesammelten Grafikkarten und unzähligen Kilometern Kabeln auf Eurem Bett, mit einer vom zuständigen Redakteur blickfangtechnisch 1A platzierten GameStar auf Eurer Knight-Rider-Bettwäsche und müsst nackte Frauenhaut berühren, wenn Euch Olli Pochers Ex-Gespielin die Hand geben will. Mensch! Habt Ihr aus den vergangenen Staffeln eigentlich gar nichts gelernt???
Spontan würde ich behaupten, dass Pro7 an diesem Samstagabend, dem 12. September 2009, mal locker das Casting für 3-5 weitere Staffeln der Freakshow absolviert hat. Anders kann ich mir die nach der Pause teilweise plötzlich wie leergefegten Sitzreihen nicht erklären. An der Qualität des Konzertes kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn das war durch die Bank formidabel! Und wenn wirklich so viele Leute gedacht haben, dass nach gerade mal 40 Minuten Programm und 2 von 4 gespielten Suiten schon Feierabend wäre… ja dann gute Nacht! Hallo!?!? Es war PAUSE! Das hat der liebe Onkel Moderator doch sogar ausdrücklich gesagt. Zuuuuhööören! Und nicht der süßen Maus nebenan in den Ausschnitt starren! Das gibt nur eine ganze Latte an Minderwertigkeitskomplexen, aber mehr auch nicht!
So, damit hätten wir das auch geklärt. Die süße Tittenmaus vom Sitz nebenan ist dann auch ein schöner Übergang zur weiteren Beschreibung des Abends, denn: Es waren erstaunlich viele, ja wirklich unglaublich viele, Frauen anwesend. Erstaunlich im Kontext eines Videospielkonzertes. Das ist zwar schon noch etwas traurig, dass man sowas auch in der heutigen Zeit noch besonders herausstellen muss, zeigt aber auch, wie die Behandlung des Mediums Videospiel als kulturelles Gut auch außerhalb der Kernzielgruppe Hardcoregamer für Interesse sorgt. Meine Begleitung etwa war bereits im vergangenen Jahr absolut geflasht von den Symphonic Shades, obwohl sie weder mit Spielen im Allgemeinen noch mit Hülsbeck im Speziellen etwas anzufangen wusste und ließ es sich gottlob nicht nehmen, auch in diesem Jahr wieder mit im Konzertsaal zu sitzen. Bloß mit Spielen will sie auch weiterhin nichts zu tun haben. Nun ja.
Soviel Text und immer noch kein einziges Wort über die Musik verloren. Das kann so nicht weitergehen. Doch was soll man noch groß an Worten verlieren über bekanntermaßen großartige Komponisten, die hier jeweils ein Best-Of ihres Lebenswerkes vor sich ausgebreitet bekamen und sich voller Stolz zurücklehnen und zurecht feiern lassen durften? Da es fast unmöglich ist, ihnen wirklich gerecht zu werden und einzelne Stücke in voller Länge als aus ihrem Gesamtopus herausragend zu präsentieren, entschied man sich dankenswerterweise, genau darauf zu verzichten und stattdessen jedem Komponisten eine eigene Suite auf den Leib zu schneidern, die viele kleinere Ausschnitte ihres Schaffens gleichberechtigt zusammenwürfelte und durch fließende Übergänge zu einem neuen, großen Ganzen verschmolz. Ich ziehe meinen Hut vor Arrangeur Jonne Valtonen und dem gesamten Symphonic-Fantasies-Team für diese Leistung.
Auch in diesem Jahr wieder mit von der Partie: der unvergleichliche Rony Barrak, der wieder einmal mit atemberaubender Geschwindigkeit und Eleganz seine Finger über sein Percussion-Instrument fegen ließ und uns beinahe glauben machte, mindestens 5 Hände zu besitzen. Während er sich im regulären Programm noch zurückhielt und sich dem Orchester unterordnete, gab es in der Zugabe für ihn kein Halten mehr und ich glaube, kurzzeitig war das simultane Herunterklappen mehrerer hundert Unterkiefer lauter als sein Darbuka-Spiel.
Generell fiel eine deutlich gesteigerte Spielqualität im Vergleich zum Vorjahr auf, was auch daran gelegen haben dürfte, dass man dieses Mal auf eine Teilnahme des Pianisten Jari Salmela verzichtet hat (der sich letztes Jahr eher schlecht als Recht durch die Hülsbeck-Arrangements gestolpert und für manch dissonanten Ton gesorgt hat und der, peinlich für ihn, auf dem offiziellen Mitschnitt überhaupt nicht auftauchte. Stattdessen entschied man sich damals dazu, lieber eine Aufnahme der Proben mit auf die CD zu packen). An Salmelas Stelle spielte diesmal Benjamin Nuss, der mit seiner Darbietung restlos begeistern konnte.
Einen weiteren Wechsel gab es in der Moderation: Nachdem Matthias Opdenhövel durch das parallel stattfindende Schlag-den-Raab-Event sowieso nicht zur Disposition stand, führte RTL-Spaßmacher Daniel Hartwig in gewohnt flapsiger Manier durch das Programm. Das war unterhaltsam und sorgte für ein paar Lacher, wirkte manchmal allerdings vielleicht etwas zu sehr dahingeschnoddert und wurde den Komponisten nicht so ganz gerecht. Als Entertainment-Faktor war er aber sicherlich eine Bereicherung – und die Nerds im Publikum dürften ihn spätestens ins Herz geschlossen haben, als er seine eigene Videospielgeschichte kurz durchblitzen ließ.
Und zum Abschluss dann: Standing Ovations, minutenlanges Geklatsche und “Zugabe! Zugabe!”-Rufe, befeuert von Hartwig und angestachelt durch die Tatsache, dass das gesamte Orchester weiterhin auf seinen Sitzen verharrte. Szenen also, wie man sie sonst eher bei U2 oder Grönemeyer erwarten würde. Und es gab sie, die Zugabe! Ein krönendes Sahnehäubchen auf einem ohnehin schon famosen Abend, der wieder einmal viel zu schnell vorbei war, dafür aber ausnahmslos glückliche Gesichter zurückließ. Auch wenn die Mitschnitte des Live-Videostreams nur eine ungefähre Ahnung der Stimmung vor Ort vermitteln und die Suiten bei Youtube leider aufgrund der Längen-Beschränkung zerstückelt sind, lohnt sich definitiv mehr als ein Blick in die Aufnahmen. Von einer möglichen Veröffentlichung des Mitschnitts auf CD ist bislang leider immer noch keine offizielle Aussage auffindbar. Ich drücke die Daumen, dass da noch etwas nachgereicht wird. Ansonsten bleibt mir nur noch eins zu sagen: Geiler Abend, im nächsten Jahr bin ich definitiv wieder dabei!
2 Kommentare
Ich muss echt sagen, an diesem Konzert werden sich zukünftige Spielekonzerte messen lassen müssen! Echte glanzleistung! Das Spiel mit den Erwartungen, die Auswahl und die großartige Idee ein Medley zu bauen statt einfach die Stücke mit einer Unterbrechung und einer Wiederholung in sich zu spielen.
Zu schade das ich nicht da sein konnte, 5 Stunden Zugfahrt waren es dann doch nicht wert es zu besuchen, dachte ich. Falsch gedacht :(
Das Konzert war echt grandios, nur der Moderator war ne Spur zu albern.