Wir öffnen für euch jeden Tag ein Türchen in unserem Adventskalender und präsentieren euch jeweils einen unserer ganz persönlichen Lieblings-Autoren, die einen kleinen Gastbeitrag für uns und euch verfasst haben. Zum Nikolaus fanden wir ein Lichtschwert in unseren Stiefeln vor der Tür …
Von Tretmühlen und Gewissensbissen
Gastbeitrag von David Bergmann, Textlieferant beim Computec-Verlag für buffed.de.
Wir MMORPG-Fans sind ja auf Effizienz getrimmte Gewohnheitsspieler. Wir tüfteln optimale Charakter-Spielweisen aus, als ginge es um Raketenwissenschaft. Wir wissen ganz genau, von welchem aus über 200 Bossen man das gezackte Breitschwert der Breitschwertrigkeit erbeuten kann. Wir finden Abkürzungen, die selbst den Level-Designern nie aufgefallen sind. Kein Wunder. Wer Spielzeit in Tagen statt in Stunden misst und manche instanzierten MMO-Verliese 50 Mal oder öfter durchläuft, nur um den Lendenschurz der lodernden Lust zu bekommen, der will keine Zeit verschwenden und nichts dem Zufall überlassen. Wir sind effiziente Loot-Maschinen. Das liegt in der Natur des Genres Online-Rollenspiel, in dem man traditionsgemäß so ziemlich alles was man einmal tut noch zig weitere Male tut.
Das klingt für reine Offline-Spieler oftmals barbarischer als es ist. MMOs haben ihren ganz eigenen Reiz. Der offenbart sich allerdings oft erst, wenn die Maximalstufe erreicht ist und wenn man die passenden Mitspieler kennt. Der Weg zur Maximalstufe aber besteht aus einer Level-Tretmühle, die sich seit Jahren kaum verändert hat. Man erledigt banale Aufgaben wie am Fließband – epische Geschichten wie in Offline-Rollenspielen sind selten. Wenig überraschend, dass die meisten Spieler Quest-Texte schlicht ignorieren. Und selbst wer sich grundsätzlich für die Geschichten der MMO-Aufgaben erwärmen kann, der wird sich wahrscheinlich auch immer mal wieder dabei ertappen, manche Texte nur querzulesen. Vor allem aber bleiben einem Wald-und-Wiesen-Quests kaum in Erinnerung. Wer irgendeinem Soldaten an irgendeinem kleinen Außenposten wie im Vorbeilaufen dabei hilft, irgendwelchen Wölfen die Reißzähne zu ziehen, der wird Soldaten und Wölfe schnell vergessen.
Gerade die Blizzard-Entwickler hinter World of Warcraft geben sich seit der Erweiterung Wrath of the Lich King sichtlich Mühe, wegzukommen vom Quest-Einerlei. Immer regelmäßiger werden in WoW vertonte Zwischensequenzen eingestreut. Der Mut zu längeren Quest-Reihen mit echter Handlung wächst ebenso wie der Mut zu abgedrehten Aufgaben. Eine Quest der aktuellen Erweiterung Cataclysm macht den Spieler etwa selbst zum Quest-Geber. In dieser Rolle darf man sich dann mit sämtlichen Spieler-Klischees herumschlagen, von ahnungslosen Neulingen bis zu arroganten Elitespieler-Schnöseln. All das ist löblich, Questen in WoW ist heute deutlich unterhaltsamer als noch vor sieben Jahren. Abgesehen von mehr oder minder gut vertonten Ausnahmen findet die Präsentation aber immer noch in schnöden Textbildschirmen und über Sprechblasen statt. Während sich klassische Offline-Spiele wie Uncharted 3 oder Gears of War 3 eifrig immer mehr Blockbuster-Qualitäten aneignen, entwachsen MMOs gerade erst der Stummfilm-Ära.
Ich konnte damit immer gut leben. Sicher hätte ich nie nein gesagt zu besseren Erzähl-Qualitäten – aktiv vermisst habe ich sie aber nicht. Klassische Hotkey-MMOs glänzen an anderer Stelle, MMO-Quests sind eben MMO-Quests. Und dann spielte ich das erste Mal Star Wars: The Old Republic.
Die SWTOR-Macher bei Bioware warben seit der ersten Ankündigung damit, sämtliche Dialoge voll vertonen zu wollen. “Wer braucht denn sowas”, dachte ich. Alle Gespräche sollen in Bioware-typischer Multiple-Choice-Manier geführt werden, inklusive Gut-oder-Böse-Entscheidungen. “Nett, aber unnötig”, so meine Reaktion. Nach einer Stunde Spielzeit mit SWTOR war ich aber weit mehr gefangen in der Geschichte als bei jedem anderen Online-Rollenspiel. Der eigene Avatar bekommt durch die Vertonung mehr Charakter, man fiebert bei der persönlichen Storyline mit. Die Quests – so 08/15 sie spielerisch auch sind – bekommen mehr Gewicht. In anderen Spielen wäre mir nicht im Gedächtnis geblieben, wie ich einer unterversorgten Ärztin aus einem Flüchtlingslager ein Päckchen Medizin vorbeibringe. Es hätte ihr nämlich keine Schauspielerin die um Hilfe bettelnde Stimme geliehen; stattdessen hätte ich lediglich einen 500-Zeichen-Text überflogen. Ich hätte mich sehr wahrscheinlich auch nicht entscheiden müssen, ob ich die Medizin den Flüchtlingen gebe – oder den Soldaten, die an der Front kämpfen.
Es sind kleine Handgriffe, die das Team von Bioware bei SWTOR anwendet, das ansonsten nur homöopathisch dosierte Neuerungen bietet und im biedersten Sinne ein klassisches MMO ist. Es sind kleine Handgriffe, die mich fesseln und mich The Old Republic anders spielen lassen als bisherige Online-Rollenspiele. Ich lasse mir mehr Zeit, führe Gespräche mit meinen Begleitern, hadere mit so mancher Multiple-Choice-Wahl. SWTOR hat mir eindrucksvoll bewiesen, dass MMOs auch auf dem Weg zum Endgame weit mehr bieten können als die altbekannte Level-Tretmühle. Und es lässt mich umso gespannter sein auf die Zukunft dieses Genres, das noch so viel vor sich hat.
Star Wars: The Old Republic – mein Spiele-Aha-Moment 2011.
1 Kommentar
[quote]Die SWTOR-Macher bei Bioware warben seit der ersten Ankündigung damit, sämtliche Dialoge voll vertonen zu wollen. “Wer braucht denn sowas”, dachte ich.[/quote]
Hatte SOE das nicht bei Everquest II zu Beginn versucht und ziemlich schnell wieder bleiben lassen?