Wir öffnen für euch jeden Tag ein Türchen in unserem Adventskalender und präsentieren euch jeweils einen unserer ganz persönlichen Lieblings-Autoren, die einen kleinen Gastbeitrag für uns und euch verfasst haben. Am 17. Dezember geht es um 1000 Berührungen.
Tausendmal berührt
Gastbeitrag von Robert Glashüttner, Radio- und Webredakteur beim famosten Radio FM4 des ORF und Koordinator des Netzkultur- & Games-Ressorts. Zusätzlich ist er Moderator und Autor von essayistisch bis wissenschaftlichen Aufsätzen im Bereich Game Studies und Videospielkultur.
Es ist schon wieder fünf Uhr früh. Allerdings läutet nicht etwa der Wecker, sondern das iPad rutscht langsam aus meiner müden Hand. Ich habe gerade noch genug Kraft übrig, um das Gerät auf das nebenstehende Tischchen zu legen damit ich die nächsten Stunden nicht auf ihm schlafe. Lange habe ich gezögert, mir das Apple-Tablet zu kaufen, doch als ich mich endlich zur Entscheidung durchgerungen hatte, wurde es schnell die neue Lieblingskonsole. Das philosophisch-selbstreflexive Therapiestunden-Adventure “Superbrothers: Sword & Sworcery EP” war für mich der wundersame Anfang, der bewiesen hat, das auch tiefgreifende und narrativ wertvolle Videospielerlebnisse mit einem überdimensional geratenen Smartphone möglich sind. Die Abenteuer danach waren dann freilich geprägt von der wiederbelebten Spielhalle, den typischeren Arcade-lastigen iOS-Spielen. Die Casual Revolution, die bei der Wii und in Flash- und Browsergames ihren Anfang genommen, und die sich am Handy zugespitzt hatte, wird am Tablet-Computer nun perfekt.
Ob ich all die wichtigen Titel des auslaufenden Jahres auch gespielt habe? “Uncharted 3”? “Batman: Arkham City”? “Assassin’s Creed Revelations”? Bei den meisten: Fehlanzeige. Bislang jedenfalls. Ich möchte all das gerne spielen, schlicht mir fehlt die Zeit. Ich wische in diesem Jahr lieber über mein Pad und lasse Flipper, Match-3-Puzzles, Musikspiele, Knobel-Games, Adventures, Jump’n’Runs und Worträtsel für lau oder wenige Euro auf die integrierte Festplatte fließen. Und bin verblüfft und entzückt über die Vielfalt, Qualität und Unmittelbarkeit so vieler Titel, die mir da entgegenströmen. Oft bleibe ich an einzelnen Spielen Tage dran, manchmal Wochen.
Bei einem ganz bestimmten Game sind nun schon Monate vergangen, und immer noch öffne ich die App tagtäglich und lasse mich in den archaischen Sog der Highscore-Jagd ziehen. “1000 Heroz” ist eine Mischung aus Racer und Platformer, ausgestattet mit einer seltsamen, aber faszinierenden Ragdoll-Physik, deren Finessen sich auch 150 Tage später nicht vollständig offenbaren. 150 Tage? Besser 1000 Tage. So lange dauert “1000 Heroz” nämlich, bis es quasi durchgespielt ist, irgendwann im Jahr 2014. Es ist das nicht endende MMOG, das doch jeden Tag endet. Es ist die Jagd nach der Bestzeit, die immer andauert und doch jeden Tag erneuert wird. Eingestiegen bei Tag 81 (irgendwann im August) kenne ich bei Tag 110 die Top-Spieler alle beim Namen und lerne, mich ihrem Können anzunähern. Irgendwann sehe ich dann zum ersten Mal meinen Gamertag in den Top 10 der aktuellen Liste und fühle mich wie nach drei gleichzeitig besiegten Endgegner der diesjährigen Triple-A-Games. Auch, wenn die Platzierung für nur wenige Minuten hält: Ich weiß, dass mich die bemerkenswerte Tiefe, die in so einem harmlos wirkenden und leicht zugänglichen Game versteckt ist, in ihrem Bann hat und noch länger festhalten wird.
Es ist schon wieder fünf Uhr früh und das iPad rutscht aus meiner Hand. Mittlerweile sind wir fast beim 200. Tag angekommen und der Wettbewerb innerhalb der “1000 Heroz”-Community wird härter. Platz 21 vor dem Schlafengehen stellt mich vorerst zufrieden. Und wer weiß, vielleicht bleibt ja diese Woche auch noch Zeit, eines dieser aufwändigen Spiele-Schinken zu spielen.
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