Nintendos bekanntester Charakter heißt Mario. Die Einen lieben ihn, die Anderen hassen ihn, den Meisten ist er aber schlichtweg egal. Und das kommt nicht von ungefähr, denn er ist im Grunde ein Charakter ohne Persönlichkeit. Mario ist, Gordon Freeman nicht ganz unähnlich, eine recht farblose Projektionsfläche, die für viele Spieler vielleicht gerade deshalb so gut und universell als Avatar funktioniert, weil sie kaum eigene Züge mit sich bringt. Das Gleiche gilt im Übrigen fast für die gesamte Pilzland-Gang, die Mario immer im Schlepptau hat: Peach, Wario, Bowser, Toad, Kooper, Yoshi und wie sie alle heißen, sind mit wenigen Worten umrissene Stereotype, die jedwede Charaktertiefe entbehren. Doch es gibt eine Ausnahme: Marios jüngerer Bruder Luigi besitzt mehr Persönlichkeit als der Rest der ganzen Bande zusammen.
“Moooment!”, werdet Ihr sagen, “Der ist doch auch nur eine schlaksige Version von Mario, dessen größtes Individualmerkmal eine andersfarbige Mütze ist.” – Ja, prinzipiell habt Ihr damit sogar Recht. Anfangs (1983) war er nicht mehr als ein identischer Mario-Sprite mit veränderter Farbpalette, der einzig für den Mehrspielermodus von Mario Bros. erschaffen worden war. Das änderte sich auch in den folgenden Jahren kaum. Zwar wurde sein Aussehen irgendwann etwas mehr ausdifferenziert (größer und schlanker als Mario), aber im wesentlichen blieb er lange Zeit nur “der grüne Mario”.
Sein erster großer Soloauftritt sollte erst 2001 kommen, als der gerade frisch erschienene GameCube überraschenderweise keinen Mario-Starttitel, sondern das Spiel Luigi’s Mansion im Gepäck hatte. Und genau dieses Spiel sorgte dafür, dass Marios kleiner Bruder fortan mehr Charaktertiefe besaß als alle anderen Bewohner des Pilzlandes zusammen; den weltberühmten italienischen Klempner mit der blauen Latzhose und der roten Mütze eingeschlossen. Das Besondere dabei ist, dass dies nicht etwa gelang, indem man Luigi plötzlich eine großartige Backstory, irgendwelche Kindheitstraumata oder ausschweifende Dialoge verpasste, sondern lediglich durch ein paar unscheinbare Kleinigkeiten, die sich quasi von selbst aus dem Kontext des Spiels ergaben.
An dieser Stelle ist es vielleicht ganz sinnvoll, kurz zu erklären, worum es in Luigi’s Mansion überhaupt geht: Luigi erhält ein Schreiben, in dem er darüber informiert wird, dass er eine Villa als Hauptpreis in einem Wettbewerb gewonnen hat. Er wundert sich zwar zunächst, weil er nie an besagtem Wettbewerb teilgenommen hat, aber einem geschenkten Gaul…, Ihr wisst schon. Als er sich nun mit seinem Bruder wie verabredet in der Villa treffen will, gibt es weit und breit keine Spur von Mario. Dafür stellt sich aber schnell heraus, dass das alte Herrenhaus nur so vor Geistern wimmelt. Hier trifft er dann auch Professor Elvin Gadd, seines Zeichens Geisterforscher und Erfinder, der ihm erklärt, dass die Villa erst vor wenigen Tagen aus dem Nichts aufgetaucht ist und sein Bruder just von den Geistern entführt wurde. Der angebliche Hauptgewinn war offensichtlich eine Falle für die beiden Schnurrbart-Brüder. Glücklicherweise hat Professor Gadd eine Art Geisterstaubsauger konstruiert, den “Poltergust 3000”, den er Luigi zwecks Geisterjagd und Mario-Rettung überlässt. Der Rest ist das bis dahin wohl beste Ghostbusters-Spiel ohne offizielle Ghostbusters-Lizenz, dem man maximal vorwerfen konnte, dass es einfach viel zu kurz und spielerisch recht rudimentär war. Dennoch ist Luigi’s Mansion ein kleiner Nintendo-Klassiker geworden, der auch dafür sorgte, dass Luigi fortan seine eigene Fan-Gemeinde haben sollte.
Luigi ist im Spiel ein ausgemachter Angsthase. In Situationen, in denen seinem Bruder nichts anderes einfällt, als die Faust gen Himmel zu strecken und “Woo-hoo!” zu sagen, reißt er angsterfüllt die Augen auf und beginnt wie Espenlaub zu zittern. Und wenn Professor Gadd ihn als tapferen Helden anspricht, blickt sich Luigi suchend nach hinten um, um zu sehen, wer da wohl gemeint sein könnte. Luigi ist kein klassischer Held. Genau das macht ihn irgendwie menschlich. Und sympathisch.
Erstaunlicherweise hat es trotzdem wieder ganze 12 Jahre gedauert bis der Klempner mit dem Loser-L auf der Mütze endlich seinen zweiten Soloauftritt erhielt. Das lange Warten hat sich aber mehr als gelohnt, denn Luigi’s Mansion: Dark Moon ist eine Videospielfortsetzung von der allerbesten Sorte: Der Spielumfang ist deutlich größer, das Gameplay variantenreicher, der Schwierigkeitsgrad etwas höher und Luigis Charakterzeichnung noch mal deutlich detaillierter.
Wie schon erwähnt, sind es die vielen Kleinigkeiten in der Präsentation, die dem Charakter seine Substanz geben. Wenn Luigi beispielsweise ängstlich durch dunkle Räume wandert und plötzlich anfängt, die Spielmusik mitzusummen. Abgesehen davon, dass sein Mitsummen das klassische Pfeifen im Dunkeln ist, mit dem sich Kinder von ihrer eigenen Angst ablenken, wird hier auch auf witzige Art die vierte Wand durchbrochen, was für Nintendo-Titel ziemlich ungewöhnlich ist und ansonsten höchstens noch in den Paper Mario-Titeln zu finden ist. – In denen hatte Luigi übrigens auch den einen oder anderen coolen Cameo-Auftritt. Aber leider nicht mehr als das. – Sehr schön auch: Wenn Luigi einen Level geschafft hat, feiert er es genau wie sein Bruder mit einem “Yeah-hey!” und Becker-Faust (TM). Eine Sekunde später poppt hinter ihm ein Fenster mit der Levelstatistik auf, was ihn wieder so sehr erschreckt, dass er sich fast in die Hose macht.
Man sollte auch nicht vergessen, dass das, was Luigi für mich zu einer sehr witzig-sympathischen Figur macht, für meinen sechsjährigen Sohn noch eine weitere Dimension hat: Wenn es etwas gruselig wird, gruselt sich der Avatar auch, aber auf eine lustige Art und Weise, was wiederum für meinen Sohn die “Grusel-Situation” entschärft. Luigi summt die Spielmusik folglich nicht nur als 4th-Wall-Gag für uns Erwachsene mit, sondern ermöglicht es den Designern auch, ein Grusel-Spiel mit einer USK 6 Freigabe zu veröffentlichen, bei dem der Avatar ein für Nintendo-Verhältnisse ungewöhnlich hohes Identifikations-Potenzial gerade für Kinder besitzt.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Dark Moon nicht wie der erste Teil intern von EAD entwickelt wurde, sondern von den kanadischen Next Level Games stammt, die abgesehen von der Mario Strikers-Serie bisher nicht viel mit Nintendos eigenen Charakteren zu tun hatten. Umso größer fällt das Lob dafür aus, dass sie die Essenz des Originals so gut erfasst und diese dann sogar noch besser auf den Punkt gebracht haben als das Original-Team bei Big N.
Wie ich schon oft erwähnt habe, bin ich nicht der klassische Handheld-Spieler und benutze den 3DS daher auch recht selten. Um das zu unterstreichen, habe ich Dark Moon gleich zum Release im März gekauft und erst jetzt gespielt, weil im Sommer wieder einmal die berühmte Spieleflaute herrscht. Anyway, wichtig dabei ist, dass ich bis heute nicht so richtig warm mit der Nummer “kleines Display und suboptimaler Ergonomie-Faktor” geworden bin. Trotzdem fand ich sowohl die Steuerung als auch die Präsentation im Großen und Ganzen sehr gut. Auch der 3D-Effekt wird wirklich gut eingesetzt, beißt sich aber leider in einem Punkt gehörig mit der ansonsten guten Steuerung: Neben dem Stick …ähm… Circle-Pad kann man auch die Bewegungssensoren zur Staubsauger-Steuerung und zum Verändern des Blickwinkels verwenden, was das Handling des Spiels durchaus vereinfacht. Weil man in 3D aber kaum den eigenen Blickwinkel auf den Screen verändern darf, da ansonsten die Bilder verschwimmen, macht so eine Bewegungssteuerung in Kombination keinerlei Sinn. In der Praxis bedeutet das, zumindest für mich, dass man zwischen 2D oder verknoteten Fingern wählen muss. Nicht super schlimm, aber etwas schade. Damit erschöpft sich meine Kritik am Spiel dann aber auch schon.
Da Luigi dieses Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, bekommt er von Nintendo auch etwas mehr Aufmerksamkeit als gewohnt. Neben seinem eigenen AddOn zu New Super Mario Bros. U (New Super Luigi U), erhält er auch noch eine etwas gewichtigere Rolle in Mario & Luigi: Dream Team für den 3DS. Aber wenn es dieses Jahr ein Spiel gibt, das Luigis Geburtstag wirklich gebührend ehrt, dann ist es definitiv Luigi’s Mansion: Dark Moon. Und wenn Ihr auch nur ein wenig Sympathie für Marios schlaksigen Bruder mit der grünen Mütze hegt, dann ist es genau das Spiel, das Ihr kaufen solltet. Denn es ist wirklich cool geworden!
13 Kommentare
Nur fürs Protokoll: auf deutsch heißt Professor Gadd [i]Immanuel Gidd[/i] und der Poltergust 3000 wurde zum [i]Schreckweg 08/16[/i]. (Die neue Version ist der [i]Schreckweg 09/15[/i].)
Und alle Anfangsbuchstaben der Bosse lesen sich “GEIST” bzw. im englischen “GHOST”
So wie die Anfangsbuchstaben aller Villen “GEIST” bzw. “GHOST” lesen
Aber das ist nichts ungewöhnliches: alle Anfangsbuchstaben der Bonuslevel lesen sich “GEIST” bzw. “GHOST”
Und wenn man ein paar völlig beliebige Buchstaben aus dem Artikel nimmt und sie in die richtige Reihenfolge bringt, dann ergibt sich das Wort “Klugscheißer”…
;-)
Ein Fall für Galileo Mystery!
Oder die Fringe Division.
Wie habt Ihr’s denn überhaupt gefunden? Für mich ist Dark Moon das bisher beste 3DS-Spiel, was aber nicht viel heißt, da ich bisher keine 10 Titel für das Ding habe.
Da ich gerade erst die erste Villa erkundet habe, mag ich dazu nicht allzuviel sagen (können). Dieses (kurze) Missions-Konzept gefällt mir ehrlich gesagt nicht so wirklich. Der erste Teil war (wenn ich mich jetzt richtig entsinne) mehr so “Open-Villa”-mäßig (nach und nach ist man immer weiter/tiefer vorgedrungen) und jetzt kommt es mir etwas arg künstlich beschränkt vor, wenn ich immer wieder in den gleichen Teil geschickt werde, aber mal nur dort und mal nur hier hin kann, aber immer noch viele Räume zigmal besuchen muss.
Andererseits haben mich auch [i]Paper Mario: Sticker Star[/i] und [i]Super Mario 3D Land[/i] eher enttäuscht. Gefallen gefunden habe ich an [i]LEGO City Undercover: The Chase Begins[/i] und (ich weiß auch nicht warum, da ich Wild World ziemlich schnell beiseite gelegt hatte) [i]Animal Crossing: New Leaf[/i].
Gestern Abend E-4 erledigt. Was für ein Sch…! Zuviele zufällige Faktoren – es ist einfach nur frustrierend, wenn man es raus hat (was auch etwas dauern kann) und es dann nur jedes fünfte oder zehnte Mal klappt.
Huh? Was meinst Du denn genau? Ich kann mich nicht an irgendwelche gravierenden Zufallsfaktoren im Spiel erinnern.
E-4 ist doch der Battle gegen Big Boo in der Modelleisenbahn, oder? Schwierig ja, aber Zufallsfaktoren…?
Ja, ist der “Bosskampf”. Schwierig fand ich den nicht. Aber ob das Buu jetzt Attacke 1 oder 2 macht, war für mich Zufall. Bei der einen musste man ja nur ausweichen, bei der zweiten so ausweichen, dass er den Zug trifft, der eben herumfährt. Da ist es schon wieder Zufall, ob das gerade überhaupt geht oder der Zug aktuell hinter Buus Rücken vorbeituckert. Wenn man dann Buh vor den Zug schleudern könnte, ging das u.U. auch nicht, weil er zu nah an den Gleisen liegengeblieben ist, so dass Luigis Sauger keine Kraft aufbaut bzw. der Zug im Moment eben so ungünstig fährt, dass man den richtigen Abschusswinkel in der ‘kurzen’ Zeit nicht hinbekommt. Das ganze dann multipliziert für jeden kleinen Buu, die sich auch eher zufällig verteilt haben unter Zeitdruck und mit Störfaktor. Dazu eben noch, dass man ziemlich genau treffen musste.
Zuvor hatte ich schon bei dem Eisgeistboss das Problem, dass es eine Konstellation von “Platten” (in der Mitte) und Entfernung gab, wo man beim besten Willen nicht mehr mit den “Bomben” treffen konnte, weil sie immer zu weit nach unten gefallen sind über die Distanz.
Wie gesagt, das Ganze ist schon recht tricky, keine Frage, aber unfair fand ich es nicht.
Aber wenn Dich das schon so frustet, dann wird Dich der wirkliche Endkampf wahrscheinlich wahnsinnig machen! ;-)
Ich freu’ mich drauf.
Also E-5 fand ich jetzt am schwersten. Da hätte ein Zwischenspeicher vor der Terrasse nicht geschadet, weil wenn einem dort die Luft ausgeht, ist es halt wieder Fingerknoten.
Endkampf 1/2 war eher Pille-Palle, auch wenn es ein bisschen Arbeit war alles auf einen Teppich zu bekommen.
Endkampf 2/2 schon wieder etwas nerviger, aber ich habe trotzdem nicht (halb) so lange gebraucht wie bei der Eisenbahn.
Glückwunsch! ;)
Im Vergleich zum ersten Teil ist Dark Moon tatsächlich fordernder, aber eigentlich ist ja auch das beste Nintendo-Tradition.