Wenn ich dieses Jahr auf ein Spiel gewartet habe, dann war es Guitar Hero II! Ich bin ja schon seit langem ein Fan vom Entwickler HARMONIX, aber mit dem ersten Guitar Hero haben sie ihr bislang bestes Spiel veröffentlicht. Kein Spiel habe ich in den letzten Monaten so oft ausgepackt, wenn Besuch da war. Und kein Spiel (außer BUZZ! und natürlich Mario Kart DD) hat die Nicht-Spieler in meinem Bekanntenkreis so sehr begeistert. OK, im Grunde ist es lediglich Amplitude mit einem speziellen Controller in Form einer Plastik-Gitarre, aber genau dieser Controller ist eben das gewisse Etwas, das vermutlich auch für den ersten richtigen kommerziellen Erfolg der Jungs aus Boston verantwortlich ist.
Eigentlich ist der zweite Teil ja so innovationsträchtig wie die ganzen Singstar-Fortsetzungen – nämlich eher gar nicht. Es geht in erster Linie um Songnachschub. Und auf genau den werde ich später noch genauer eingehen. Aber vorher möchte ich noch ein paar Worte über die kleinen, aber feinen Veränderungen gegenüber dem ersten Teil verlieren.
Neu ist vor allem der erweiterte Multiplayer-Teil. Im ersten GH konnte man nur gegeneinander antreten, was ich in etwa so spannend fand wie der Wäsche auf der Leine beim Trocknen zuzuschauen. Das lag aber auch daran, dass man ohnehin im Freien Spiel ganz nett abwechselnd um Highscores kämpfen konnte. Nur um gleichzeitig um Punkte spielen zu können, sah ich den Kauf einer zweiten Gitarre bisher echt nicht ein.
GH II habe ich nun allerdings wieder inklusive Gitarre gekauft, da es nun auch einen Coop-Modus gibt, bei dem man die Songs zusammen spielen kann. Während ein Spieler die Lead-Gitarre spielt, kann der zweite wahlweise den Bass- oder Rhythmusgitarren-Track spielen. Und das rockt wirklich extrem! Nett ist dabei besonders, dass man für beide Spieler separat den Schwierigkeitsgrad wählen kann, denn so können auch Spieler unterschiedlichen Könnens wunderbar zusammen spielen. Natürlich sind die Bassläufe manchmal etwas eintönig – das liegt einfach in der Natur der Sache – , aber dennoch macht es mir extrem viel Spaß, mit SpielerinZwei gemeinsam durchs Wohnzimmer zu rocken. Meistens nehmen wir dabei beide den einfachsten Schwierigkeitsgrad, um noch genügend Aufmerksamkeit für das stilgerechte Bühnenposing übrig zu haben. Es kommt tatsächlich so etwas wie Bühnenatmosphäre in den heimischen vier Wänden auf. Harmlose Menschen mutieren zu Wohnzimmer-Rockern. Und wenn dann die Starpower von beiden Spielern gleichzeitig durch Hochziehen der Gitarren aktiviert werden muss, dann fehlen eigentlich nur noch die angeklebten ZZ Top-Bärte.
Ebenfalls neu ist der Trainingsmodus, den ich persönlich zwar gar nicht nutze, der aber sowohl Anfängern als auch Hardcore-Freaks die Möglichkeit bietet, bestimmte Passagen eines Songs im Detail zu üben bzw. auswendig zu lernen. Auch das Tutorial wurde überarbeitet und bietet gerade Einsteigern nun eine bessere Unterweisung, als es noch der erste Teil tat.
Was leider gar nicht geboten wird, obwohl ich mir dieses Feature sehnlichst gewünscht hätte, ist das Verwenden der Songs aus dem ersten Teil, wie es ja z.B. auch die Singstar-Spiele bieten. Sehr schade, das.
Mir ist natürlich klar, dass dies für den Coop-Modus technisch eh nicht so einfach zu lösen gewesen wäre, weil man ja die separaten Bass- und Rhythmusspuren des ersten Teils irgendwie dem zweiten hätte beifügen müssen. Dennoch hatte ich insgeheim gehofft, dass man während des Spiels einfach die DVD des ersten Teils hätte einschieben können, um dann quasi eine Mega-Playlist inklusive gemeinsamer Highscoreliste zur Verfügung zu haben.
Ansonsten hat sich zum Vorgänger eigentlich kaum etwas geändert. Grafisch gibt es natürlich neue Bühnen (welche wesentlich interaktiver sind als im ersten GH – Stonehenge als finale Bühne ist wirklich der Hammer!), Figuren (inklusive freischaltbarer Outfits zum Wechseln), Gitarren (inklusive freischaltbarer Lackierungen) sowie verbesserte Konzert-Animationen, aber prinzipiell verstehe ich all das eher als Feintuning. Wirklich neue Features sind außer dem Multiplayer-Teil und dem Trainingsmodus nicht vorhanden. Macht aber auch nichts, denn mehr wollte ich eigentlich ohnehin nicht von Guitar Hero II.
Außer natürlich dem Wichtigsten überhaupt: Tonnenweise neue Songs!
Hier zunächst die Liste der 40 regulären Songs:
Mötley Crüe – Shout at the Devil
Danzig – Mother
Cheap Trick – Surrender
Wolfmother – Woman
Spinal Tap – Tonight I’m Gonna Rock You Tonight
Kiss – Strutter
Nirvana – Heart-Shaped Box
Police – Message in a Bottle
Van Halen – You Really Got Me (eigentlich ist der Song aber von den Kings…)
Kansas – Carry on Wayward Son
Foo Fighters – Monkey Wrench
Alice in Chains – Them Bones
Iggy Pop and The Stooges – Search and Destroy
Pretenders – Tattooed Love Boys
Black Sabbath – War Pigs
Warrant – Cherry Pie
Butthole Surfers – Who Was in My Room Last Night
Matthew Sweet – Girlfriend
Rolling Stones – Can’t You Hear Me Knockin’
Guns ‘n’ Roses – Sweet Child O’ Mine
Rage Against the Machine – Killing in the Name Of
Primus – John the Fisherman (die einzige Nicht-Cover-Version in dieser Liste!)
The Sword – Freya
Thin Lizzy – Bad Reputation
Aerosmith – Last Child
Heart – Crazy on You
Stone Temple Pilots – Tripping on a Hole in a Paper Heart
Stray Cats – Rock This Town
Allman Brothers – Jessica
Jane’s Addiction – Stop
Anthrax – Madhouse
Living End – Carry Me Home
Lamb of God – Laid to Rest
Reverend Horton Heat – Psychobilly Freakout
Rush – YYZ
Avenged Sevenfold – Beast and the Harlot
Suicidal Tendencies – Institutionalized
Dick Dale – Misirlou
Megadeth – Hangar 18
Lynyrd Skynyrd – Free Bird
Außerdem gibt es, wie schon im ersten Teil, noch über 20 Bonus-Songs von eher unbekannten Bands freizuschalten.
Schauen wir uns die Tracklist doch mal genauer an, denn ich habe hierzu inzwischen schon einige Statements an anderen Stellen des Internets gelesen.
Dass jeder in der Liste etwas vermisst, das er im zweiten Teil gerne gesehen hätte, versteht sich von selbst. „One“ von Metallica, „Temple Of Love“ von den Sisters, „Love Like Blood“ von Killing Joke, „A Forest“ von The Cure und „Last Exit For The Lost“ von den Fields würden meiner Meinung nach alle perfekt ins Spiel passen, werden aber wohl für immer nur mein persönlicher feuchter Guitar Hero-Traum bleiben. Dennoch werde ich mit Sicherheit irgendwann mal eine Bitt-Mail an HARMONIX schicken, in der ich eine „Goth-Rock-Edition“ von GH anregen werde. Man wird ja schließlich noch träumen dürfen…
Ebenso sind wieder viele Songs enthalten, auf die sicherlich der eine oder andere von uns gerne verzichtet hätte. Aber dennoch ist die Zusammenstellung bunt gemischt und weit davon entfernt, so grottig wie bei den meisten Singstar-Ausgaben zu sein, bei denen für mich persönlich jeweils nur zwei bis fünf Songs dabei sind, die ich überhaupt singen möchte. So ziemlich jedes Singstar ist für sich alleine genommen überwiegend voller Schrott, den ich, egal wie besoffen ich bin, niemals persönlich intonieren will. Erst wenn man einige Singstar-Teile zur Auswahl hat, wird die Sache für mich auch abendfüllend erträglich. Guitar Hero II steht in der Zusammenstellung der Songs seinem Vorgänger eigentlich in nichts nach. Zudem ist es wie mit dem ersten GH: Viele der Songs, die man so nie freiwillig in den CD-Spieler packen würde, machen beim Spielen dann doch richtig viel Spaß.
Interessanter finde ich da schon „Internet-Aussagen“ wie beispielsweise diese hier: „GH II geht wesentlich mehr in Richtung „Metal“ als der erste Teil.“ Ähm… HALLO?!?! Was ist das denn für ein Quatsch?! Man kann mit viel Wohlwollen vielleicht ein Drittel der Songs dem Metal-Lager zuordnen. Der Rest ist überwiegend (Indie-)Rock und Pop der letzten 40 Jahre. Wahrscheinlich halten solche Leute DJ Bobo auch für einen coolen HipHop-Act und Europe für eine bahnbrechende Death-Metal-Combo…
Auch finden wohl einige Leute, dass diesmal zu wenig bekannte Songs bzw. Bands dabei wären. Auch das halte ich mit Blick auf die obige Liste für totalen Bockmist. Der Anteil von Rock-Klassikern ist zum Vorgänger sogar stark gestiegen.
Anyway.
Kommen wir nun aber zu meiner Kritik an Guitar Hero II:
Die Qualität der Songs bzw. der Cover-Versionen entspricht leider nicht immer der des Vorgängers. Der erste Teil beeindruckte gerade dadurch, dass die Cover-Versionen größtenteils nicht als solche zu erkennen waren. Und bei den wenigen Songs, bei denen dies doch der Fall war, konnte man das (verständlicherweise) fast ausschließlich am Gesang fest machen. Die Instrumentalspuren waren alle von derart hoher Qualität und Authentizität, dass ich wirklich mein Haupt aus Ehrfurcht vor den Studiomusikern verneigt habe.
GH II kann diese hohe Qualität über weite Strecken nicht halten. Es gibt in meinen Augen leider sogar ein paar Totalausfälle. Das geniale „Mother“ von Danzig klingt beispielsweise im Spiel wie die Version einer Schützenfest-Kapelle um 4 Uhr morgens. Sorry, aber sogar ich kann die Stimme von Glen „Dauerkokser“ Danzig nach einer Flasche Whiskey besser imitieren. Es gibt noch ein paar andere Songs, bei denen der Gesang sehr deutlich als „nicht original“ auffällt, aber darüber soll und kann man sich eigentlich nicht wirklich aufregen. Dass beispielsweise der Gesang bei „Heart-Shaped Box“ exakt wie Kurt Cobain klingt, erwartet ja auch keiner ernsthaft, oder?
Viel schlimmer ist jedoch, dass auch die Instrumentenspuren die Songs manchmal nur zu deutlich als Cover-Versionen enttarnen. Der Tiefpunkt ist Dick Dales „Misirlou“, welches wohl jedem als „Pulp Fiction“-Titeltrack bekannt sein dürfte. Wer auch immer diese Version für GH II eingespielt hat, wollte oder konnte den Song nicht originalgetreu nachspielen. Manche Stellen sind so frei improvisiert, dass man das Stück kaum wiedererkennen kann. Sehr schade!
Aber auch wenn die Spuren, was natürlich bei der großen Mehrheit der Songs der Fall ist, originalgetreu aufgenommen wurden, so sind sie dennoch meist sehr leicht als Cover zu erkennen, weil die Mischung nicht stimmt. Bei fast jedem zweiten Song habe ich das Gefühl, dass ich die Aufnahme einer rohen Jam-Session höre. Mal sind die Drums zu leise, mal ist der Basslauf zu laut oder der Gesang zu matschig. Was vielen Songs fehlt, ist tatsächlich ein wenig mehr Zeit bei der Mischung im Tonstudio. Wie kommt so was? Anderes Studio? Andere Musiker? Anderer Toningenieur? Oder einfach nur zu wenig Zeit, weil der Termin- und Erfolgsdruck diesmal höher waren?
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich natürlich zugeben, dass ich in diesem Punkt auch wirklich sehr pingelig bin, weil ich mich jahrelang semi-professionell mit diesen Dingen beschäftigt habe. Außerdem hat der erste Teil in genau dieser Hinsicht fast unfair genial vorgelegt!
Also: Hängt meine Mäkelei an den Songs nicht zu hoch. GH II ist trotzdem klasse! Aber ich wollte dennoch mal erwähnt haben, dass der Vorgänger mich in diesem Punkt mehr überzeugt hat…
Wie ich eingangs schon erwähnte, ist Guitar Hero endlich der kommerzielle Erfolg, den ich HARMONIX schon seit Jahren gewünscht habe. GH entwickelt sich derzeit zu einem richtigen Franchise á la Singstar: Inzwischen gibt es diverse 3rd-Party-Controller für GH. Von abgefahrenen Metal-Gitarren über Wireless-Versionen bis hin zu kleineren Gitarren, die Kinderhänden das Handling erleichtern sollen. Auch wird die Reihe in Kürze nicht mehr PS2-exklusiv sein, denn Anfang 2007 soll eine Version für die Xbox 360 erscheinen. Schlechte Nachrichten gibt es allerdings für Rocker, die beabsichtigen, ihre PS2 komplett einzumotten, sobald die PS3 hierzulande erscheint, denn ersten Berichten aus Amiland zufolge kann man die Original-Controller nicht ohne weiteres an der PS3 betreiben. Aber da es mit der Abwärtskompatibilität der PS3 eh nicht so weit her sein soll, wie Sony uns vorher versprochen hat (die Liste diesbezüglicher Berichte wird seit dem US-Release quasi täglich länger), betrifft dies nicht nur die GH-Fans.
Unterm Strich kann man Guitar Hero II nahezu uneingeschränkt als einen der wenigen noch anstehenden Pflichtkäufe für das Auslaufmodell PS2 empfehlen. Besitzer des ersten Teils dürften es ja eh schon gekauft haben. Aber auch Anfängern gelingt dank des verbesserten Tutorials und des neuen Trainings-Modus ohne Probleme der Einstieg in die Welt des Wohnzimmer-Rockens. Allerdings wurde das Balancing im Vergleich zum Vorgänger verschoben: Der Schwierigkeitsgrad wurde auf der leichtesten Stufe des Spiels eindeutig gesenkt, zieht beim Wechsel auf Normal dann aber um so mehr an. Von den beiden letzten Stufen will ich gar nicht erst reden. Was mich zunächst etwas irritierte, macht nach einiger Überlegung durchaus Sinn, denn der Einstieg ins Spiel wird dadurch bei GH II extrem erleichtert, um dann jedoch in den folgenden Stufen die dauerhafte Herausforderung zu erhöhen. Auch dies ein Beispiel für all das Feintuning, das man dem Nachfolger hat angedeihen lassen. Guitar Hero II ist zusammen mit dem Vorgänger die absolute Referenz unter den Musikspielen!
Lediglich den Besitzern einer Xbox 360 rate ich, eventuell noch zu warten (sofern sie es überhaupt aushalten), denn die entsprechende Version dürfte noch um einiges schicker aussehen, vielleicht einen Wireless-Controller out-of-the-box bieten und zudem gegebenenfalls sogar ein paar andere Tracks enthalten…
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