Gerne schriebe ich an dieser Stelle davon, wie ich mir die Nächte mit dicken Augenringen und Jagged Alliance 2 (im Folgenden schlicht mit JA2 abgekürzt) um die Ohren geschlagen habe. Wie ich mich mit Fidel fast verbrüderte und bei jeder Aktion von Shadow mitgefiebert habe. Was jedoch nie der Fall war. Aber anscheinend gehört es bei jedem Artikel eines JA2 auch nur sehr vage ähnlichen Spiels dazu, so zu tun, als wenn man außer JA2 jahrelang nichts gezockt hat. So à la “He, guckt mal, ich bin so ein Hardcore-Taktiker; mir kann’s nie zu schwer sein.” oder auch “Ha, ich weiß noch… JA2 und Commandos… viel zu einfach, pah!”. Gibt es irgendwo da draußen etwa ein Paralleluniversum, in dem sich die gesamte Menschheit endlosen JA2-Sessions hingibt?
Ich habe JA2 zwar gespielt, aber nie so krankhaft-besessen, wie es einige Leute vorgeben getan zu haben. Das Prinzip des Anheuerns von Söldnern und dem stückweisen Befreien von Arulco war sicher ganz spaßig, aber irgendwann hat sich dann die Routine eingestellt. In einen Sektor latschen, Kampf abwickeln, Miliz aufstellen. Fertig. Und mal ehrlich: Deidranna war in den “Zwischensequenzen” sicherlich schön böse, aber den Drang, ihre Diktatur zu beenden, verspürte ich eigentlich nicht.
Doch was mussten meine entzündeten Ohren vor einiger Zeit vernehmen: Eine Art inoffizieller Nachfolger war im schönen Russland in Arbeit. Ein paar beinharte Fans, denen es anscheinend gar nicht hardcore genug zugehen kann, haben zusammen mit Shaun Lyng – seines Zeichens Autor und Co-Designer von JA2 – ein Taktik-Spiel mit dem etwas befremdlichen Namen Brigade E5 entworfen, dass zusätzlich den ziemlich dreisten Untertitel “New Jagged Union” besitzt.
Mit einem Jahr Verspätung steht nun die dt. Fassung in den Läden. Hat sich die Wartezeit gelohnt?
Um die vielleicht dringendste Frage gleich zum relativen Beginn (*hust*) zu beantworten: Nein, BE5 löst JA2 (ich liebe Abkz.) nicht ab. So. Jetzt wisst ihr es. Aber wehe, ihr denkt jetzt, dass ihr euch den restlichen Artikel sparen könnt. Nun habt ihr bereits so weit gelesen, da könnt ihr doch gleich da bleiben.
Auch erfahrene Taktiker sollten unbedingt die ersten Schritte im Tutorial absolvieren und zusätzlich das relativ gute Handbuch zu Hilfe nehmen. Die Bedienung von BE5 gehört nicht gerade zu den komfortabelsten seines Genres.
Sich auf verschiedene Arten zu bewegen, Leichen durchsuchen, Messer- und Granatenwurftraining und eine kleine Scharfschützenübung stehen auf dem Programm. Allerdings dient diese Aufwärmübung gerade mal dazu halbwegs die Steuerung zu kapieren, den Rest kann man lediglich erahnen. Die Handhabung ist zwar kein Totalausfall, aber wenn man in den ersten Minuten bereits daran scheitert einen simplen Verbandskasten zu benutzen, kann irgendwas nicht ganz stimmen…
Vor dem Start der Kampagne sucht man sich noch den passenden Schwierigkeitsgrad aus oder de- und aktiviert beliebig die einzelnen Optionen. Daumen hoch, eine sehr gute Idee. Und so ziemlich die einzige Möglichkeit für Neulinge nicht gleich im erstbesten Feuergefecht den Rechner zu demolieren. Wer immun gegen kritische Treffer sein möchte, mit Medkits die komplette Gesundheit wiederherstellen will und ein vereinfachtes Finanzsystem benötigt, kann sich den Grad seiner Herausforderung maßschneidern.
Die Bandbreite der Schwierigkeit reicht dabei von “sehr schwer” bis “quasi unmöglich”. Ganz im Ernst, bitte überschätzt nicht den Taktiker in euch, auch wenn ihr Erfahrungen auf diesem Gebiet besitzt bzw. glaubt zu besitzen. Spätestens wenn euer erster Söldner von einem Feind aus ca. 80m Entfernung mit einer rostigen Schrottpistole einen sauberen Kopfschuss erhält oder mit verletzten Beinen und schwerem Schockschaden hilflos vor sich hin krebst, weiß man, welche Dimensionen Frust wirklich annehmen kann…
Zu Beginn des eigentlichen Spiels sucht man sich natürlich erst mal den Hauptsöldner aus und verpasst ihm oder ihr einen Spitznamen und ein Spezialgebiet, wie z.B. Scharfschütze oder Mediziner. Nun kann man entweder das Spiel sofort mit dieser Figur beginnen oder beantwortet einige Fragen, um den Charakter in eine beliebige Richtung zu lenken. Da die Beantwortung der Fragen nicht immer unbedingt klar ist (“Wo haben Sie gedient?” “Beim FSB.” – Was zum…?! Beim Front Side Bus?!), kann man sich unbesorgt gleich ins Getümmel stürzen.
Die Reise beginnt im fiktiven Tropenstaat Palinero, bei der die Ausgangssituation besser nicht sein könnte: Man ist verletzt, hat außer einem kaputten M16 nur eine popelige Pistole zur Verfügung und steht mitten in den Unruhen zwischen Regierung, Rebellen und Banditen.
Sofort nach dem Start wird man schon von einem Einwohner um Hilfe gebeten, man möchte ihn doch bitte in das nächste Kaff begleiten und bis dahin beschützen. Ach, und außerdem haben sich noch ein paar furchtbar-fiese Herrschaften in einem Haus in der Nähe einquartiert, die könnte man ja auch gleich beseitigen…
Das komplette Spiel läuft grundsätzlich in Echtzeit ab. Man kann jedoch jederzeit in den Pausen-Modus wechseln und in Ruhe planen und Befehle erteilen. Jede Aktion benötigt dabei eine realistische Menge an Zeit, die bis auf hundertstel Sekunden berechnet wird. Zusätzlich kann man selbst noch definieren, bei welchen Ereignissen (z.B. Feind entdeckt, fliegende Granate entdeckt, etc.) automatisch pausiert wird.
Die KI-Gegner machen eine recht gute Figur, vorausgesetzt man hat vor Spielstart nicht ihre Routinen beschnitten. Es wird oft versucht, den Trupp des Spielers an einer ungeschützten Seite anzugreifen, und auch Granaten werden sehr gerne eingesetzt. Dazu kommt noch, dass die Feinde fast immer in erdrückender Überzahl auftauchen. Dementsprechend haarig sind vor allem die anfänglichen Kämpfe, wenn man quasi ohne Ausrüstung und allein unterwegs ist.
Sehr eindrucksvoll und so meines Wissens noch nicht da gewesen sind die panischen Reaktionen der Gegner, wenn man sie z.B. mit Nachtsichtgeräten und schallgedämpften Waffen des Nachts angreift. Ein hilfloser Haufen aufgeschreckter Hühner trifft es ganz gut. Später sind die Widersacher ebenfalls mit diesen Spielereien ausgestattet, was den Vorteil von Nachtangriffen etwas mindert.
Die Gegner frühzeitig zu erspähen ist fast schon die halbe Miete. Da unser Held zu Beginn jedoch ähnlich gefährlich wie ein taub-blindes Küken ohne Füße ist, sollte man tunlichst bedächtig vorgehen. Hier kommt eine interessante Komponente ins Spiel: Der Adrenalinpegel. Ein kleines Diagramm zeigt den aktuellen Wert an, der z.B. durch Verletzungen und das spontane Auftauchen von Gegnern steigt. Ist dieser Pegel sehr hoch, wird der Kämpfer hektisch, kann kaum noch richtig zielen und fällt für eine Runde Mikado quasi völlig flach.
Bei den Feuergefechten spielt eine Vielzahl an Faktoren eine gewichtige Rolle, z.B. Position des Schützen, Abstand zum Ziel, Waffenklasse, Menge der Kämpfer-Energie, Uhrzeit, Blutgruppe, Farbe der Unterhosen, Anzahl der Zähne, ob man eher der Coca-Cola- oder Pepsi-Trinker ist, usw.
Man kann sich das ungefähr so vorstellen: Söldner 1 erblickt einen Feind und nimmt eine geduckte Haltung an. Gegner 1 kommt auf ihn zugelaufen. Söldner 1 hat derweil Maß genommen und feuert eine gezielte Kugel auf den Torso ab. Und trifft? Haha, aber nicht doch. Das wäre doch viel zu einfach.
Nachdem Söldner 1 seinen Schuss abgegeben hat, fliegt ein Schmetterling von der Erde in einen 10 Milliarden Lichtjahre entfernten Quasar hinein. Dadurch fing die Andromeda-Galaxie an sich zu entfernen, und die Milchstraße drehte sich schneller. Dadurch wiederum ist in Windeseile in einem anderen Sternsystem eine Zivilisation entstanden, die zum Pluto geflogen ist. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Atmosphäre des Mars eingefroren ist, wodurch Söldner 1 plötzlich niesen musste. Dadurch wurde der Abzug seiner Waffe ausgelöst. Die Kugel flog jedoch nicht nur durch den Brustkasten von Gegner 1, sondern noch weiter. Sie wurde von einer 20 Millionen Lichtjahre entfernten Zivilisation aufgefangen und wird seitdem als heiliges Relikt verehrt.
Und das ist sogar nur eine stark simplifizierte Fassung…
Zwischen den Gefechten reist man mit seinem Trupp auf einer Weltkarte von einem Sektor zum nächsten. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, ob man befestigte Straßen oder den direkten Weg durchs Gestrüpp wählt: Wer er lieber komfortabel mag, kommt zwar schneller voran, läuft allerdings auch häufiger Gefahr von feindlichen Patrouillen entdeckt und zum Kampf gebeten zu werden. Eine Wanderung durchs Grünzeug ist zwar für die Kämpfer ermüdend und benötigt mehr Zeit, dafür wird man nicht so leicht entdeckt.
Erst sehr viel später, wenn man genügend Kleingeld sein Eigen nennen kann, steht ein Fahrzeugkauf zur Debatte. Mit diesen ist man nicht nur deutlich schneller und erholsamer unterwegs, sondern kann auch die ganze Beute aus den Kämpfen bequem verstauen. Auch als Deckung sind die Boliden durchaus zu gebrauchen.
Verschiedene NPC in den Dörfern und Städten vergeben Aufträge, die meist das bitter benötigte Geld einbringen. Eine echte Konversation findet nicht statt, meistens klickt man sich durch die üblichen Standardsätze.
Die Aufträge sind politisch nicht immer korrekt, und die Entwickler wollten sichtlich Abwechslung schaffen, nach einer Weile stellt sich jedoch Routine ein. Hauptsächlich nimmt man die üblichen Laufburschenaufträge an.
Mit genügend Bargeld können sich Waffennarren und Militärfetischisten so richtig austoben. Zur Verfügung stehen haufenweise Pistolen, Gewehre, Sturmgewehre, Scharfschützengewehre und noch viel mehr. An Granaten gibt’s u. a. diverse Rauch-, Splitter- und Offensiv-Exemplare. Nicht ganz alltäglich ist das Feature vom Minen- und Spanndrahtlegen.
Wem die Standardexemplare nicht gefallen, montiert je nach Bedarf Schalldämpfer, Zielfernrohre, Kollimator, Laserpointer, Zweibein, Bajonett, Unterlaufgranatwerfer… Ihr merkt schon, es gibt extrem viele Möglichkeiten.
Kommen wir nun zu den nicht erfreulichen Dingen, und davon bietet BE5 ebenfalls mehr als genug.
Die Grafik… nun ja… ist zweckmäßig. Ich weiß nicht, woher die Vorliebe von osteuropäischen Entwicklern für depressive Endzeitgrafik herrührt, aber BE5 ist ein typischer Vertreter davon. Die meist braun-grünen Texturen wirken hochgradig künstlich und sind wenig detailliert. Die Figuren gehen noch halbwegs in Ordnung, leider gibt es nur wenige Modelle. Die Areale erlauben zwar eine Vielzahl an Vorgehensweisen, sind jedoch oft so kahl gefegt wie nach einem Atomschlag. Das Innere von Gebäuden ist seltsam leer und steril; Einrichtungsgegenstände fehlen oft völlig.
Andererseits geht mit Sicherheit viel Leistung für die unzähligen Berechnungen im Hintergrund drauf. Da wären z.B. die permanenten Abfragen und Berechnungen der Sichtlinien, die natürlich die Landschaft und die Lichtverhältnisse berücksichtigen müssen. Die Einschläge von Projektilen: Waffeneigenschaften plus die Fähigkeiten des jeweiligen Söldners – ist es ein Treffer? Wenn nicht, wen oder was trifft die Kugel stattdessen? Und das alles wohlgemerkt in Echtzeit.
Um den Sound ist es nicht unbedingt besser bestellt. Die Charaktere reden nur äußerst selten, und falls sie es zufällig doch tun sollten, kommen emotionslose Laiensprecher zum Vorschein, die vermutlich als ahnungslose Passanten direkt von der Straße entführt und ins Tonstudio gezerrt wurden.
Die Waffengeräusche stimmen da schon etwas versöhnlicher, auch wenn ich teilweise das Gefühl hatte, dass ein Bug(?) das Abspielen selbiger verhinderte.
In Deutschland wurde BE5 von Morphicon (im Forum bereits in Morphium-Con umtituliert, aber dazu später mehr…) bzw. Peter-Games veröffentlicht.
Anscheinend arbeiten dort nur Analphabeten, anders kann ich es mir nicht erklären, wie eine derart katastrophale Übersetzung zustande gekommen ist. Bereits in den allerersten Minuten trifft man auf mehr Rechtschreibfehler als Wörter. Die Wörter, die anscheinend zufällig korrekt geschrieben wurden, wurden vermutlich zuerst vom Russischen ins Englische übersetzt und von dort aus 1:1 ins Deutsche. Da steht dann statt “Hüftschuss” schon mal “aus der Hüfte” und ein “durchsuche Leiche” wird eindrucksvoll in “suche eine Leiche” umformuliert. Da werden doch glatt Erinnerungen an Thief 1 (“Unbewusster Körper”) wach. Manche Dialoge sind sogar noch komplett in kyrillischen Buchstaben gehalten. Respekt, eine echte Rarität. Hey, selbst eine Horde betrunkener Affen mit Babelfish als Übersetzungsprogramm hätte wahrscheinlich in einem Jahr eine bessere Lokalisierung auf die Beine gestellt!
Das zweite große Manko sind die Bugs. Die zufällig generierten Paketmissionen kann man quasi komplett vergessen: Mal wird der Auftrag kurz nach der Annahme als gescheitert gewertet, ein anderes Mal verschwindet er spurlos aus dem Questlog. Die anderen Quests sind ebenfalls teilweise recht stark fehlerbehaftet, die Paketaufträge schießen den Vogel aber ab.
Manchmal passiert es nach dem Laden eines Spielstands, dass der fahrbare Untersatz nicht mehr vorhanden ist oder sich der gesamte Kram im Kofferraum in Wohlgefallen aufgelöst hat. Sehr unterhaltsam fand ich das spontane Auftauchen von ca. 15-20 Feinden nach dem Laden. Wohlgemerkt in einem Sektor, den ich zuvor mühsam und komplett gesäubert habe. Nach einem erneuten Ladevorgang waren die Herrschaften auch schon wieder verschwunden.
Die Liste an Fehlern und Ungereimtheiten ließe sich noch locker fortführen. Die Fehler sind einzeln gesehen zwar kein Beinbruch, in der Gesamtheit jedoch sehr störend, wenn auch nicht wirklich kritisch. Es sind eher unschöne Flüchtigkeitsfehler, die mit etwas mehr Sorgfalt und Feinschliff mühelos hätten vermieden werden können.
Die Aussicht auf Besserung in Form eines Patches ist quasi gleich Null: Ein Offizieller von Morphicon verschwand nach satten sieben Forenposts bereits in der Versenkung, natürlich nicht, ohne vorher noch vollmundig weitere Patches anzukündigen. Seitdem herrscht bei den deutschen Fans ein akuter Mangel an Information darüber, wie und ob es mit dem Spiel noch eventuell weitergeht.
Von Seiten der Entwickler besteht auch wenig Hoffnung, da diese nur ein kleines Team sind und bereits eifrig am Nachfolger “7.62” arbeiten. Somit wird der kürzlich für die russische Version veröffentlichte Patch, der u. a. eine Sortierfunktion für den Kofferraum einbaut und weiblichen Söldnern das Tragen von Helmen erlaubt (kaum zu glauben, aber wahr: Weibliche Söldner können keine Helme tragen, vermutlich liegt es an den Frisuren…), wohl nie seinen Weg in die dt. Fassung finden.
BE5 wurde für den deutschen Markt in einer blutleeren Fassung herausgegeben. Nun bin ich mit Sicherheit kein krankhafter Splatterfan, in einem so taktischen Spiel bringt die Blutarmut jedoch einen gravierenden Nachteil mit sich, denn verletzte und fliehende Feinde können nicht anhand ihrer Tropfenspur verfolgt werden.
Publisher Morphicon hat indes eine faszinierende Erklärung für den fehlenden Lebenssaft: “Wurde aus Versehen vergessen, sorry.” Ach so. Vermutlich hat irgendein inkompetenter Praktikant zufällig und unbeabsichtigt das Blut entfernt. So was Dummes aber auch. Das hat bestimmt rein gar nichts damit zu tun, die USK-Freigabe auf 12 Jahre zu drücken. Nein, das wäre völlig absurd und abwegig…
Dafür bietet die deutsche Version einen einzigartigen Bonus in Form des StarForce-Kopierschutzes. Herzlichen Dank dafür!
Was bleibt am Ende als Erkenntnis? Apeiron hat mit Brigade E5 ein erstaunlich gutes Erstlingswerk abgeliefert, dass in Punkto Kampfsystem das Vorbild Jagged Alliance 2 bereits locker in die Tasche steckt. Wenn sie jetzt noch beim Nachfolger das Drumherum stark verbessern und den Söldnern mehr Persönlichkeit einhauchen, dürfte es endgültig abgelöst werden.
Einen Wunsch habe ich noch zum Schluss: Bitte, bitte, findet für “7.62” einen anderen Publisher als Morphium-Con. Dann klappt das nämlich auch mit der deutschen Version.
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