Meine erste Begegnung mit Tekken hatte ich an Silvester 1995. Eine Woche vorher, genauer gesagt zu Weihnachten, bekam mein Sandkastenfreund eine Playstation samt einigen Spielen geschenkt. Unter denen befand sich auch besagtes Tekken, das wir an diesem Silvesterabend bis zur völligen Erschöpfung spielten. Während unsere Eltern mit knallenden Sektkorken das neue Jahr begrüßten, brachen wir uns gegenseitig die virtuellen Knochen. Wenn ich heute an diesen Abend zurückdenke, kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass er zu den prägendsten Erlebnissen meiner Spielerkarriere gehört, so deutlich habe ich viele Bilder noch vor Augen.
Die Nachmittage der folgenden Wochen bekamen mich meine Eltern kaum zu Gesicht. Mein Freund und ich mussten schließlich alle Charaktere freischalten, sämtliche Videosequenzen sehen und jeden einzelnen Wurf, von uns unschuldig “in den Griff nehmen” genannt, ausprobieren. Dann widmeten wir uns anderen Spielen. Erst vier Jahre später brach unsere gemeinsame Leidenschaft für Tekken wieder hervor: Der dritte Teil erschien und aus den Nachmittagen wurden durchgespielte Nächte.
Tekken 3 ist für mich der wichtigste Teil der Serie. Mit ihm ging eine kurze aber intensive Liebe zuende. Ich verließ Yoshimitsu für Bryan Fury, dessen Ähnlichkeit zu Roy Batty mir erst Jahre später bewusst werden sollte. Bryan machte das letzten Endes aber noch viel cooler. Davon mal abgesehen veränderte sich auch unser Umgang mit dem Spiel. Anstatt wie zuvor planlos auf unseren Gamepads herumzudrücken, wurden wir professioneller, so seltsam das in diesem Zusammenhang auch klingen mag. Kombos wurden gelernt und gegenseitig abgefragt. Stunde um Stunde verbrachten wir im Versus- und Trainingsmodus und dienten als ebenbürtiger Sparringspartner für den jeweils anderen. Ohne ein konkretes Ziel vor Augen. Wir wollten einfach nur immer besser werden. Und ich glaube, wir waren damals ziemlich gut, auch wenn mich heutige Youtube-Videos wohl eines besseren belehren würden.
Jahre später trennten sich unsere Wege. Mein Kumpel zog in eine andere Stadt, ich tat dasselbe. Der alten Zeiten wegen legte ich mir eine gebrauchte Playstation 2 samt Tekken 5 zu. Jedoch spielte ich jetzt für mich allein. Würdige Couch-Mitspieler waren Mangelware. Ich versank im Survival-Modus und versuchte Bryan Fury weiter zu meistern. Foren und Videos waren meine neuen Lehrer, die mir eine völlig neue Sprache beibrachten, um Tastenkombinationen in verheerende Schläge und Tritte umzusetzen. “d/f+3,3,4,d+4” fasst etwa meine traditionelle Eröffnung zusammen. Danach ein paar einfache Moves wie “Mach Breaker”, “Snake Slam” oder die blitzschnelle “Stomach Combo” und der Computergegner war meist Geschichte. Doch es fehlte der Nervenkitzel, den nur ein Match gegen einen menschlichen Gegner liefert.
Dafür musste erst der Free-to-Play Ableger Tekken Revolution erscheinen. Was man darüber wissen muss? Nicht viel. Mit etwa zehn Kämpfern (es kommen immer mal wieder neue dazu) und seinen überschaubaren Modi ist es ein sehr schlanker Vertreter der Reihe. Online- und Arcade-Modus stehen nicht durchgängig zur Verfügung, sondern benötigen nach ein paar Matches immer etwas Zeit, bevor sie wieder absolviert werden können. Wem das zu lange dauert, der darf auch gerne Geld investieren, um diese Beschränkung zu umgehen. Von dieser Mechanik kann man halten was man will. Zweifellos ist Tekken Revolution mit diesem Bezahlsystem seinen Spielhallenwurzeln aber näher als jeder andere Serienteil.
Soviel zu den trockenen Fakten. Einige Wochen Spielzeit und über 200 Online-Matches später muss ich mir wohl eingestehen, dass ich auch auf diesem Tekken kleben geblieben bin. Wenn ich nach den ersten paar Matches nicht sofort Bryan Fury freigeschaltet hätte, wäre es bestimmt anders gekommen. Mit keinem anderen Kämpfer im Tekken-Universum fühle ich mich so wohl wie mit Bryan. Das Design, seine Moves und die Art zu kämpfen, haben etwas von einer sehr bösartigen Dampframme. Kurzum: Es gibt kaum etwas schöneres, als mit Bryan einen Gegner an die Wand zu nageln.
Faszinierend nach meiner jahrelangen Tekken-Abstinenz war für mich, wie sehr mir Bryans Bewegungsrepertoire noch in Fleisch und Blut steckte. Nach den ersten Spielen breitete sich alles wie eine Landkarte in meinem Kopf aus: Eröffnungen. Schlagkombinationen. Wann setze ich welche ein? Nach welchen steht meine Deckung sperrangelweit offen? Entscheidungen, die während einem Match gegen menschliche Mitspieler in Millisekunden getroffen werden müssen. Es war als hätte ich nie eine Pause gemacht.
Nach der kognitiven Wiederauferstehung Bryan Furys walzte ich täglich durch den Online-Modus und zerstampfte blutige Anfänger. Und schon hier deutete sich an, was sich über die gesamte Spielzeit bestätigen sollte: Die begrenzte Auswahl an Kämpfern führt zu einer Überrepräsentation gewisser Charaktere. Bestimmt die Hälfte meiner absolvierten Kämpfe bestritt ich gegen Laws und Kazuyas. Law deshalb, weil er zu den einsteigerfreundlichsten Kämpfern gehört und Kazuya, weil er Laserstrahlen verschießen kann. Die meisten Matches liefen dann in der Regel so ab, dass Law/Kazuya immer nur simple Kicks/Laserstrahlen spammten und dafür ganz fürchterlich von Bryan und mir bestraft wurden.
Das ging aber auch immer mal in die Hose. Dann pfefferte ich mein Gamepad in die eigens dafür vorgesehene Kissenecke. Kaum etwas ist so beschämend, wie mit solchen billigen Taktiken besiegt zu werden. Würde derjenige neben mir auf der Couch sitzen und so mit mir spielen, würde er sich ganz bestimmt einen gut gemeinten Schlag auf den Hinterkopf einfangen. Ich kann mir schon denken, wie frustrierend und verlockend es für Einsteiger ist, von solchen Lappen besiegt zu werden, in den folgenden Matches aber genau deren Taktiken nachzuahmen.
Trotzdem macht mir Tekken Revolution noch immer erstaunlich viel Spaß. Ich schätze diese flotte Unverbindlichkeit. Bis heute habe ich keinen einzigen Cent in das Spiel investiert. Einmal pro Tag absolviere ich meine fünf Onlinepartien in der Disziplin Ultra-Blitzschach mit Knochenbrüchen und logge mich nach 15 Minuten entweder gut gelaunt oder mit wüsten Beschimpfungen auf den Lippen wieder aus. Die Tekken-Serie und ich haben viel zusammen erlebt. Es ist keine dieser Spielereihen, bei der ich jeden neuen Teil mit leuchtenden Augen erwarte. Nein, Tekken blitzt immer mal wieder unregelmäßig, dafür aber umso intensiver in meinem Lebenslauf auf. Es schwingt in jedem Match viel Nostalgie und Verklärung mit. Ich habe keine Ahnung, ob Tekken Revolution ein gutes oder schlechtes Beat’em’Up ist. Ich weiß nur: Mir genügt es vollkommen.
3 Kommentare
Schön. Ich entdecke jede Menge Gemeinsamkeiten, vor allem bei den vernichteten Stunden mit dem Ur-Tekken, bin selbst aber nach Teil 3 komplett aus der Serie ausgestiegen.
Du bist nie wieder (online?) auf deinen alten Kumpel getroffen, oder?
Das wäre natürlich ein schöner Abschluss für die Geschichte gewesen, aber in Tekken sind wir nie wieder aufeinander getroffen. Zumindest läuft man sich sporadisch alle paar Jahre mal wieder in Fleisch und Blut über den Weg. Und das ist ja auch nicht zu verachten.