A Plague Tale: Innocence ist eines dieser Spiele, die vor ihrem Release lange Zeit maximal als Geheimtipp gehandelt werden, um dann bei Veröffentlichung scheinbar plötzlich in aller Munde zu sein. Ein Titel aus der wieder erstarkenden Mittelklasse von Games, die es schaffen, auch ohne Triple-A-Budget ein Maximum aus ihren Möglichkeiten herauszuholen, ohne dabei große Abstriche in Punkto Grafik, Sound oder Gameplay machen zu müssen. Bei dem ein verhältnismäßig kleines Team alles gibt, um das Spiel selbst alles andere als klein wirken zu lassen. Ninja Theory’s Hellblade war so eines, die Dontnod-Titel wären weitere gute Beispiele aus dieser Kategorie. Life is Strange, Remember Me, Vampyr… allesamt Exempel dafür, wie man auch mit beschränkten Mitteln die Vision einer stimmungsvollen 3D-Welt verfolgen kann, die sich hinter den “großen” Playern nicht zu verstecken brauchen. Die es, im Gegenteil, sogar schaffen, uns für Themen zu interessieren, die im herkömmlichen Mainstream eher selten auftauchen, für Spielmechaniken, die für ein AAA-Game zu klein wären, weil sie die Spielenden nicht für hunderte Stunden vor den Bildschirm und ihnen durch Mikrotransaktionen ein kleines Vermögen aus den Taschen ziehen können.
A Plague Tale: Innocence ist ebenfalls so ein Beispiel. Ein gutes – ein sehr gutes sogar. Zum Einen, weil es schafft, eine sehr stimmungsvolle Welt in einem verhältnismäßig unverbrauchten Setting zu erschaffen, zum Anderen, weil es ihm gelingt, über seine gesamte Spielzeit hinweg immer wieder mit neuen Ideen und Einfällen zu glänzen. Oftmals just in dem Moment, da wir uns als Spielende vielleicht gerade kurz davor befinden, uns eventuell ein klein wenig zu langweilen.
Doch zuerst zur Spielwelt. Mittelaltersettings hat man in Videospielen mittlerweile eigentlich zur Genüge gesehen, sollte man meinen. Immerhin hat praktisch Generationen lang jedes Rollenspiel, das irgendwas auf sich hielt, ein mindestens vom Mittelalter inspiriertes Szenario präsentiert. Mal mit Orks, mal ohne. Mal mit Drachen, mal ohne. Spieleschmieden wie Bethesda etwa bauen einen Großteil ihres Ruhms auf diesen Umstand.
A Plague Tale: Innocence jedoch versucht sich am “echten” Mittelalter. Zumindest will es uns das glauben machen. Angesiedelt irgendwo im Frankreich des 14. Jahrhunderts begleiten wir das ungleiche Geschwisterpaar Amicia – die zugleich die Hauptcharakterin des Spiels ist – und ihren kleinen Bruder Hugo durch eine düstere Phase der Historie. Die schwarze Pest grassiert (Und WIE die grassiert! Mein lieber Schwan, grassiert die! Doch dazu später mehr…) und die Inquisition läuft gerade zur Hochform an. Letztere ist es auch, die unserem kleinen Brüderlein an den Kragen will, hat der doch eine äußerst seltene wie seltsame Krankheit, die nicht nur dafür gesorgt hat, dass seine Mutter ihn bisher sein ganzes junges Leben lang von der Außenwelt (inklusive seiner Schwester) abgeschirmt hat, sondern auch, dass er über eine besondere, übernatürliche Macht – die Macula – verfügt, die ihrerseits wiederum besondere Begehrlichkeiten beim Großinquisitor höchstselbst weckt, weshalb dieser verzweifelt versucht, Hugos habhaft zu werden.
Denn die Macula ist es, die ihrem Träger Macht und Kontrolle über die eigentlichen Stars dieses Spiels verleihen: die Ratten. Die verbreiten nicht nur allerorts die Pest, sondern treten in so unglaublich großen Schwärmen auf, dass sie ganze Landstriche verwüsten und alles fressen, was nicht bei drei die Guillotine hochgekraxelt ist. Ach nee, die kam erst später. Egal.
Während wir uns nun als Amicia mit Hugo im Schlepptau aufmachen, um ein Heilmittel zu suchen, nachdem die Inquisition unsere Familie getötet hat, stellen sich uns auf unserem Weg also fortan nicht nur Wachen und Inquisiteurienten in den Weg, sondern auch Unmengen der fiesen kleinen Nager – die im Laufe des Spiels sogar noch für einige kleinere Überraschungen und Tricks gut sind.
Wichtigstes – und im Grunde auch einziges – Hilfsmittel im Kampf gegen Gegner ist Amicias kleine Steinschleuder. Na gut. Und das Licht. Licht ist nämlich das Einzige, dass die Ratten fürchten.
Warum deshalb alle Missionen, die in irgendeiner Weise mit den graubraunen Plagegeistern zu tun haben, ausschließlich nachts spielen, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Aber nun gut, es sind ja noch Kinder. Die sind halt nicht so schlau.
Immerhin hilft uns unsere Steinschleuder nicht nur, menschliche Gegner auszuknocken, sondern auch die Laternen in deren Händen. Die nun Laternenlosen mutieren dann praktischerweise umgehend zu lecker Schmackofatz für die Rattenbande und helfen uns so unfreiwillig, das Pack abzulenken und den Weg freizumachen.
Dass das Viehzeugs allerdings überhaupt solch einen Hunger verspürt, verwundert an der ein oder anderen Stelle dann aber doch sehr. Immerhin lassen sie – nachdem die schwarze Pest, die mit ihnen daherkommt, ganze Städte entvölkert hat – haufenweise “Futter” unangetastet zurück. Das führt irritierender Weise dazu, dass sich zwar in den Straßen die Leichenberge türmen, durch die wir alsdann fröhlich (OK, eigentlich nicht so recht) hindurchwaten, wir jedoch in der Folge nichtmal einen Schnupfen, geschweige denn selbst Anzeichen der Pest davontragen. Besonders absurd wird es, wenn wir dann auch noch bei einzelnen, steinalten aber kerngesunden Bewohnern kurzzeitig Zuflucht finden, die sich die Fensterläden auch gut mit der verrottenden Landbevölkerung oder dem ein oder anderen Kuhstall samt Inhalt verrammeln könnten… Wir halten Pest, äh fest: Die Pest ist da, sie ist bösartig und gefährlich, sie tötet alles und jeden – aber an für die Geschichte wichtigen Charakteren perlt sie ab, wie Kritik an Hans-Georg Maaßen.
A Plague Tale: Innocence schafft es glücklicherweise, durch sein stimmungsvolles Zusammenspiel von – ansonsten doch recht gut erzählter – Geschichte, wirklich guter Musik und seiner eigentlichen Spielmechanik, über medizinische Logiklöcher hinwegzutäuschen. Dass es im weiteren Spielverlauf einen zunehmend übernatürlichen Spin bekommt, hilft zudem, über derlei Kleinigkeiten hinwegzusehen.
Als 3rd-Person-Action-Adventure das es ist, macht es spielerisch zwar wenig neu, schafft es aber, seine Grundzutaten zuweilen so gut miteinander zu vermengen, dass hier und da der eine oder andere kleine Überraschungsmoment herauskommt.
Größtes Manko sind aus meiner Sicht die Schleichmechaniken, die in viel zu vielen Fällen zu einem reinen Trial and Error verkommen, da viele Male nicht hundertprozentig nachvollziehbar ist, wieso ein Gegner uns denn nun schon gesehen hat, oder weil das Spiel uns nicht immer ganz eindeutig sagt, was es jetzt gerade eigentlich von uns will. Das eher rudimentäre Crafting-System für Amicias Schleuder wirkt zudem ein wenig zu aufgesetzt, da man in den meisten Fällen keine wirklich großen Veränderungsvorteile bemerkt – von größeren Taschen mal abgesehen. Dass wir über die 17 Kapitel hinweg immer wieder mal mit einem neuen Munitionstypos ausgestattet werden, bringt hingegen umso mehr, vor allem aber: reichlich Abwechslung. Neben profanen Kieseln gibt es so irgendwann Brandgeschosse, Geschosse um Brände zu löschen, Geschosse, die Gegner dazu zwingen, ihre Helme abzunehmen (fragt nicht, spielt’s einfach), Geschosse, die Ratten an bestimmte Punkte lenken und so weiter.
Jedes Mal, wenn ich gerade dachte, dass jetzt aber langsam echt mal gut ist, mit diesem oder jenem Spielprinzip, gab’s glücklicherweise ein neues Geschoss oder eine sonstwie gerartete Änderung in der Spielmechanik. Dass wir im Laufe der Geschichte noch weitere kindliche bzw. jugendliche Charaktere in unserer Gruppe willkommen heißen, sorgt zwar ebenfalls für spielerische Abwechslung, allerdings eher rudimentär.
Die größte Überraschung kommt aber durch die Wahl der Charaktere selbst zustanden. Denn während Kids in anderen Spielen gerne bis immer einfach nur nervig sind und sich irgendwann zu lästigen Anhängseln oder regelrechten Arschlochkindern entwickeln (ja, Artreyu, ich schaue auf Dich! Und jetzt ab auf die stille Treppe, Du Pottsau!), wecken die Charaktere in A Plague Tale: Innocence unser Mitgefühl und bieten beinahe so etwas wie Identifikationspotential. Mindestens aber weckt das Spiel in uns den Beschützerinstinkt Hugo gegenüber. Und allein das ist eine Errungenschaft, die ich dem Spiel ganz hoch anrechne. Für den goldenen Pokal wird es in unserem diesjährigen Polyreuxblick zwar nicht reichen (den hat bei mir relativ fest Sea of Solitude an sich gerissen), aber für Silber sollte es damit allemal reichen.
13 Kommentare
Danke für das differenzierte und unterhaltsame Review! Steht bei mir schon länger (und spätestens seit dem Gamescom-Kongress, auf dem es auch diskutiert wurde) auf der Wunschliste. :)
Vor allem im derzeitigen Sommerloch kann ich das wirklich empfehlen. Wenn auf Deiner Wunschliste oder Deinem Pile of Shame allerdings noch andere Hochkaräter stehen/liegen, kann Plague Tale durchaus auch noch warten ;-)
“Pile of Shame” – herrlich, werde ich mir merken :D. So groß ist er bei mir allerdings gar nicht! *stolz*
Ich warte bei Games ja immer auf die Sonderangebote bei Steam und Plague Tale ist da grade nicht dabei, insofern muss es ohnehin noch warten… mal sehen, ob der Herbstsale mir entgegenkommt. :))
Ach, das kommt im Laufe der Jahre. Und spätestens mit dem nächsten großen Steam-Sale ;)
A Plague Tale war glücklicherweise schon vom Ausgangspreis her nicht so teuer. Dürfte im Sale entsprechend ein echtes Schnäppchen werden.
Ich kann mich schon seit sehr vielen Jahren (einigermaßen) gut beherrschen! ;)
Genau, ich bin so eine Schnäppchenjägerin… Nur Planet Zoo werde ich mir dieses Jahr wohl zum Originalpreis kaufen, da bin ich einfach neugierig und die Jugend-Erinnerungen an Wildlifepark und Zoo Tycoon werden wach…
Da hast Du mir einiges voraus ;-)
Ich bin ja auch Psychologin… *lol*
Bei mir hat’s nur als Nebenfach im Studium gereicht ;)
Na DANN ist ja alles klar… ;)
Ich habe die Nebenfächler immer sehr bemitleidet und gleichzeitig bewundert – wer sich DAS freiwillig angetan hat, puh…
(Darf ich neugierig fragen, was dein Hauptfach war)?
Ja, das eine Jahr Statistik vorneweg war wirklich die Hölle. Ansonsten habe ich mich einfach im Laufe des Studiums von allem ferngehalten, das irgendwie auch nur entfernt nach SPSS roch – und dann war es eigentlich ein Klacks und hat sogar noch Spaß gemacht.
Kommunikationswissenschaft war’s im Hauptfach.
An meiner Uni wärst du so nicht durchgekommen – bei uns gab’ Statistik quasi vom ersten bis zum letzten Semester und SPSS wäre ja ein Segen gewesen – nein, wir haben mir R gearbeitet. :D
Aber schön, dass es dir Spaß gemacht hat!
Ist im Hauptfach vielleicht nochmal anders, aber als Magister-Nebenfach konnte man sich die Seminare ja recht gezielt selektieren.
Das Spiel war wirklich sehr schön und ich bedanke mich für dieses Review, die mich zum Kauf encouragiert hat.