Meine lieben Polyneusen,
Vielleicht das Wichtigste zu Beginn: Es geht mir gut. Eine Woche ist es jetzt her, seit ich in den Krieg gezogen bin. Meine Zeit an der Front hat zudem nur drei Tage gedauert und ihr fragt euch bestimmt, warum ich jetzt erst schreibe. Die Antwort ist denkbar simpel. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.
Denn statt Verletzungen habe ich unglaublich viele Eindrücke mit nach Hause genommen. Damit habe ich vorher ich nicht gerechnet. Mit Kriegen kenne ich mich schließlich aus. Ich habe wer weiß wie oft den D-Day oder die Schlacht um Stalingrad mitgemacht, als Elitesoldat Diktatoren in aller Herren Länder gestürzt oder bin als Scharfschütze durch Pripyat gerobbt.
Ihr fragt euch sicher, was ein altes Frontschwein wie mich so aus der Fassung bringen kann. Ich sag’s euch: Der Erste Weltkrieg. Kennt ihr den überhaupt? Vielleicht habt ihr davon ja schon mal im Geschichtsunterricht gehört oder in Büchern gelesen. Wie dem auch sei, bei diesem Einsatz habe ich nur selten auf andere schießen dürfen. Die meiste Zeit hatte ich nicht mal eine Waffe, sondern bin um mein Leben gerannt.
Es ist schon seltsam, wie sehr der Blick für andere Dinge geschärft wird, wenn man mal nicht der Kriegsheld ist. Dann fällt einem erst auf, wie sehr die Zivilbevölkerung unter so einem Krieg zu leiden hat, welche Entbehrungen die Soldaten an der Front erdulden müssen. Überhaupt waren die Erfahrungen in den Schützengräben das Schlimmste, was ich seit langem erleben durfte. Da saßen wir nicht zusammen und haben uns gegenseitig mit Abschüssen übertrumpft, sondern angsterfüllt gezittert. Was diesen Einsatz von all den anderen unterscheidet? Das klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber ich glaube, es ging hier ausnahmsweise mal nicht um’s Töten, sondern um die Menschen an und hinter der Front.
Über die habe ich eine Menge erfahren. Habt ihr zum Beispiel gewusst, dass nicht explodierte Granatenmunition häufig zu kleinen Schatullen umgebastelt wurde? Oder dass uringetränkte Taschentücher zu Beginn des Ersten Weltkrieges der einzige Schutz vor Gasangriffen waren? Die Schützengräben und Häuserruinen waren voll von solchen trivialen Dingen. Mehrmals habe ich den ganzen Schrecken um mich herum vergessen, nur um solche kleinen Erinnerungsstücke zu finden.
Es gibt aber auch viele Sachen, die ich an diesem Krieg nicht verstehe. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Anna, einer Krankenschwester, bei der Pflege von Verwundeten zur Hand ging. Anstatt ihr wie ein OP-Helfer alle nötigen Werkzeuge zu geben, musste ich lediglich den Takt angeben, zu dem sie Verbände anlegte oder Spritzen setzte. Und ihr glaubt gar nicht, wie viele Hebel, Räder und Plattformen ich im Laufe der drei Tage bedient habe. Ja, auch auf den Schlachtfeldern! Da fühlte ich mich fast schon, wie ein Fabrikmitarbeiter.
Vielleicht waren diese Ablenkungen ja auch nötig, damit mir die bedrückende Stimmung nicht zu sehr auf’s Gemüt schlägt. Aber ganz ehrlich? Ich hätte gut darauf verzichten können. Besonders als es auf das Ende meines Einsatzes zuging, wurden meine Reflexe ein paar Mal zu oft auf die Probe gestellt, so dass ich einige Grabenabschnitte öfter sah, als mir eigentlich lieb gewesen wäre.
Aber ich will nicht maulen. Immerhin habe ich ein paar tolle Bekanntschaften gemacht. Zum Beispiel das Vierergespann aus Emilé, Freddie, Karl und der erwähnten Anna. Keiner von denen war auf das vorbereitet, was sie an der Front erwartet hat und irgendwie haben sie sich trotzdem durch sämtliche Widrigkeiten gebissen. Ich kann nicht behaupten, sie nach all den Strapazen wirklich gut zu kennen, aber es ist ein grundsympathischer Haufen. Sogar Freddie, der mich bisweilen unangenehm an die typischen amerikanischen Soldaten meiner früheren Einsätze erinnert hat. Ihr wisst schon, diese Helden, die ganze Bataillone im Alleingang zerlegen.
Ich muss jetzt so langsam zum Ende kommen. Macht euch keine Sorgen um mich. Ich melde mich bald wieder!
Sven
4 Kommentare
Schöne und mal ganz andere Rezension/Kritik!
Das 1.Weltkrieg-Setting ist in bestem Sinne sehr eigen und wohl auch mal, abseits von zweitklassigen Shootern, fällig gewesen. Passt vom Timing des Releases beinahe zu wunderbar, aber das ist schon ok. An einer Sache störe ich mich noch ein wenig mehr als du, glaube ich. Es sind diese überflüssigen 08/15-Rätsel. Ich fand sie auch weniger auflockern als verstörend, weil sie die Atmosphäre und Story zuweilen ganz schön verschandeln. Wenn schon so düster, dann bitte auch richtig! ;-)
Dass sich irgendwer mal (ernsthaft) dem Thema annimmt, war eigentlich lange überfällig. Mir fallen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg wirklich nur an dieses krude Iron Storm und zig Flugsimulationen um Manfred von Richthofen ein.
Was die Rätsel angeht stimme ich dir aber zu und schiebe die fehlende Kritik auf mein gutmütiges Naturell. Mich haben die stellenweise furchtbar genervt, mindestens aber verwirrt zurückgelassen. Ich erinnere da zum Beispiel nur mal an den riesigen “Giftgasofen”, den man früh im Spiel lahmlegen muss. Ich dachte mir an der Stelle nur: “Was soll das?”.
Sehr schöner Text :). Ich bin noch nicht ganz durch (ich schätze bei der Hälfte). Bei den Rätseln ging es mir bisher interessanterweise ganz anders als euch, ich fand sie für ein storylastiges Spiel mit ernstem Hintergrund angenehm abwechslungsreich und stellenweise sogar richtig fordernd. Andere Spiele in dem Ton, die ich bisher gespielt habe, haben im Vergleich dazu höchstens Quicktime-Events zu bieten gehabt. Das stört mich im Einzelfall nicht, aber auf die Dauer habe ich mir gewünscht, dass mal jemand etwas anderes versucht.
Ob einen die Rätseleinlagen aus der ernsten Stimmung herausreißen ist wohl Geschmackssache. Ich kann es nachvollziehen, sehe das ganze aber persönlich eher wie z.B. einen Zeichentrickfilm oder Comic, der trotz lustiger Bilder einen tragischen Hintergrund haben kann. Für mich funktioniert die Kombination aus Spiel, Geschichtsstunde und dem Schicksal der Charaktere bisher viel besser, als ich erwartet hatte.
Du meinst dieses verwinkelte, unterirdische Ding, ne? Das war eines der unpassendsten Rätsel. Wundert mich schon beinahe, dass es da keinen Shitstorm der Empörung bei Twitter & Co gab.
Es ist aber auch schwierig, sich diesem Thema “spielerisch” zu nähern. Mit den Guten & Bösen ist es nicht ganz so einfach und eindeutig, zumindest in dem Sinne, dass man aus ihm mal kurz einen Patriotismus-Shooter basteln kann. Gut so.
Wo ich dir nur recht geben kann, sind die Charaktere. Kann ich nur zustimmen, sie sind ein “grundsympathischer Haufen”!