Das Schönste an Valiant Hearts ist ja: Auch wenn nur einer den Controller in der Hand halten kann, lässt es sich trotzdem wunderbar gemeinsam spielen. Der Zweite auf der Couch tut seine Lösungsvorschläge für Rätsel einfach verbal kund, und oft kann man sich während des Spiels wissend zunicken: Das im Hintergrund war Brahms‘ Ungarischer Tanz Nr. 5, oder? Valiant Hearts enthält reichlich Musik, die um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist. Während einer rasanten Taxifahrt erklingen Rimski-Korsakows Hummelflug und Mussorgskis Nacht auf dem Kahlen Berge, geschickt zusammengeschnitten. Blicke reichen hier nicht mehr: „Warum funktioniert das? Warum passen die so nahtlos aneinander?“ Schulterzucken: „Das ist die Rimski-Korsakow-Bearbeitung von dem Mussorgski. Vielleicht deshalb?“ Dann: „Liszts Totentanz hätte auch gepasst. Oder – ganz radikale Idee! – warum eigentlich keine Musik, die während des Weltkriegs oder kurz danach entstanden ist? Strawinskis Geschichte vom Soldaten oder sowas?“
„Sowas“ kommt nicht vor. Was vorkommt, ist Mahlers Fünfte Sinfonie. Hier spricht aus den Blicken nicht nur „Hast Du auch erkannt, oder?“, sondern vor allem: „Was macht das hier?“ Valiant Hearts nutzt nur den zweiten Satz der Fünften, Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz, zur Charakterisierung eines, nun ja, weniger freundlichen Zeitgenossen. Das Problem dabei ist nicht nur, dass sich dieser Satz thematisch deutlich auf den vorangegangenen Trauermarsch bezieht, der in Valiant Hearts gar keine Verwendung findet, sondern dass er auch reichlich polyphon ist. Was die einzelnen Stimmen zu spielen haben, ist ineinander verschachtelt, miteinander verschränkt, und wenn die Phrase der einen Stimmgruppe endet, setzt oft jemand anders schon wieder neu ein. Aus diesem viertelstündigen Brocken kleine 15-Sekunden-Häppchen herauszuschneiden, die sich nicht unsanft abgewürgt anhören, ist fast unmöglich. Das hindert Valiant Hearts freilich nicht daran, es mehrfach zu versuchen.
Der Rest des Soundtracks ist größtenteils stock music, kaum irgendetwas wurde speziell für das Spiel komponiert. Der Titelsong ist Little Trinketry aus The Curious Box of little Happiness von Daniel Teper. Falls ihr mal “quirky little frolics with a hint of the magical“ braucht, hier habt ihr sie. Ja, der Song klingt oberflächlich nach Yann Tiersens Amélie-Soundtrack, es gibt ihn aber in mehreren Geschmacksrichtungen: The Magical Toybox aus The Curious Box of Little Scores für den täglichen Bedarf an „independent, arthouse, small film themes“ bedient sich zum Beispiel des gleichen thematischen Materials.
Die Musik aus dem Trailer, die im Spiel während der Credits läuft? Hat Ian Livingston ursprünglich für seinen kranken Sohn geschrieben. Einer der traurigsten Momente im ganzen Spiel? Nurture von Chris Allen, Alex Johnson und Steve Satterthwaite, aus dem Album Emotive Piano Scores, „inspiring and evocative solo piano in contemporary and minimalist styles”. Klingt ein bisschen wie Thomas Newmans Road to Perdition-Soundtrack, nur nicht ganz so gut.
Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. Die Musik erfüllt schon ihren Zweck, aber ein stimmiges Ganzes ergibt sich aus den Versatzstücken nie. Ein Fazit, das ich ähnlich übrigens auch dem Spiel insgesamt ausstellen würde, einem Adventure mit Quick Time Events, einem Jump&Run ohne Jumps, dafür aber mit Bosskämpfen. Einem Spiel, dessen Erzählung im besten Fall betroffen macht. Es werden Familien auseinandergerissen, Menschen werden an die Front geschickt und sterben zu hunderttausenden. Valiant Hearts zeigt das. Historische Hintergrundinformationen, Fotos und Briefe sind jederzeit nur einen Knopfdruck entfernt. Wenn Giftgas und Maschinengewehre zum Einsatz kommen, ist man in den meisten Fällen am tödlicheren Ende der Waffe und nicht der- oder diejenige, die abdrückt oder auslöst. Für ein Videospiel immer noch eine erfrischend andere Perspektive. Deshalb wiegen die Momente um so schwerer, in denen Ubisoft in gewohnte Standards verfällt und man als Spieler plötzlich doch selbst mit Artillerie herumballert. Wenn Lucky Freddy in seinem Mark-I-Panzer durchs Gelände schüsselt, ausgiebig Gebrauch von seiner Bordkanone macht und gleich mehrere Rote Barone vom Himmel schießt, wähnt man sich völlig im falschen Spiel. „Also jetzt wird’s absurd“, wird von der Couch aus kommentiert.
Es fühlt sich einfach zu gut an, endlich in den Panzer zu steigen und sich mit dem Geschütz einen Weg durch die feindlichen Linien zu bahnen. Kein Bedauern. Keine Gewissensbisse. Das verwässert die Grundaussage des Spiels doch ziemlich. Die Wucht und Intensität, die einzelne Szenen durchaus haben, geht Valiant Hearts als Gesamtwerk deshalb meines Erachtens ab.
Trotzdem! Trotz aller kleineren Mängel! Ich find’s großartig, dass sich einhundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs überhaupt einer der großen Publisher daran gemacht hat, sich einigermaßen reflektiert mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wer hätte das sonst getan, wenn nicht Ubisoft? DRM, Uplay, stark auf Massentauglichkeit optimierte Spiele wie Assassin’s Creed und Watch_Dogs auf Basis des immergleichen Ubisoft-Open-World-Baukastens: Können sie alles gerne weiterhin machen, solange sie auch Rayman bringen, Child of Light oder eben Valiant Hearts.
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