Ninja Theory aus England haben uns kürzlich ein wertvolles Geschenk gemacht. Ihr neuestes Baby Hellblade: Senua’s Sacrifice wartet mit einem bisher eher seltenen, inhaltlichen Aspekt auf: Der Umstand, dass die Protagonistin Senua — eine junge Pikten-Kriegerin die sich auf den Weg in die Unterwelt macht, um die Seele ihres ermordeten Geliebten zu retten — an einer Psychose leidet, soll sich unmittelbar auf Erzählstil und Gameplay ihrer Geschichte auswirken. Das klingt grundsätzlich erstmal interessant, denn Krankheiten, seien sie psychisch oder physisch, geben bis dato eher selten das Hauptthema von Videospielen, und die Umsetzung erfordert entsprechend ein gewisses Feingefühl, gute Recherche und Kreativität.
SpielerZwei, Doreen und molosovsky haben Hellblade gespielt und sich darüber ausgetauscht, wie sie das Spiel in all seinen Facetten wahrgenommen haben.
SpielerZwei: Wegen seiner Permadeath-Mechanik war Hellblade für kurze Zeit in aller Munde. Eigentlich ziemlich traurig, dass ein derartiges Spiel überhaupt so einen plumpen “Marketing-Gag” nötig hat, oder?
Doreen: Nö, hat es nicht.
Molo: Obacht, hier muss ‘ne fette SPOILER-Warnung her. Ich hab Hellblade gleich am Veröffentlichungsabend und den Folgetag gespielt und überhaupt nix vom “Marketing-Gag”-Pahö mitbekommen. Ich würde jedem diesbezüglich Ahnungslosen anraten, weiterhin möglichst ahnungslos zu bleiben, und wenn das nicht mehr so ist, wünsch ich das Geschick, sich den Kenntnisstand in Sachen Permadeath wieder weg zu blitzdingsen.
Denn: Ich will Ninja Theory Glauben schenken, dass sie mit durchaus redlicher Absicht angepeilt haben, die Spieler an der Nase herumzuführen, um sie extra unter Druck zu setzen, damit das ganze Spielerlebnis mit jedem Sterben immer noch ein Stückchen nervenaufreibender wird. Das ist einerseits freilich ein fieser Schmu. Aber andererseits auch (beschwörende Geste mach) voll Meta, weil Senuas Wahrnehmung — und damit die der Spieler — aufgrund ihrer Psychose durch Halluzinationen verzerrt wird. Sie nimmt wegen trügerischer Infos die Welt nicht so wahr, wie sie tatsächlich ist. Man kann Ninja Theory aber durchaus Naivität vorwerfen, wenn sie geglaubt haben, so einen Kniff anwenden zu können, ohne Unruhe und Ablehnung zu verursachen.
Doreen: Für mich war das ein ziemlich skurriler Ritt. Ich wusste bis zu den letzten Minuten nicht genau, was ich von diesen acht Stunden eigentlich halten soll. Ich war wirklich hin- und hergerissen.
Und mal abgesehen davon: Ist es in meinem Fall wirklich erschreckend, dass ich das Spiel bis zum Release wieder mal nicht auf dem Schirm hatte und wärt ihr nicht gewesen, hätte ich es mir wohl erstmal nicht geholt und wenn, dann erst viel später. Wie war das denn bei euch? Seit wann wusstet ihr von Hellblade und seinem “möglichen” Inhalt?
Molo: Kann mich an die E3-Trailer von 2015 und 2016 erinnern, die mich vage hoffen ließen, dass der Titel meine Bloodborne-Geilheit ansprechen könnte. Von wegen: geerdet, dunkel, düster, Kriegerin schnetzelt Horrormonster nieder!
SpielerZwei: Obwohl ich das Studio mag (Enslaved und DmC: Devil May Cry fand ich beide sehr gut), hatte ich Hellblade vorher nicht wirklich auf dem Schirm. Wenn unser Christian nicht zufällig Melina Juergens (die Senua-Darstellerin aus Paderborn) kennen würde und deshalb in der Redaktion Werbung für das Spiel gemacht hätte, wäre es vermutlich an mir vorbei gerauscht.
Von der inhaltlichen Thematik wusste ich aber trotzdem schon vor dem Spielen, denn es gab in den Tagen vor dem Release ja mehr als genug darüber zu lesen. Das bringt mich aber auch gleich zu meiner Kritik am Spiel: Ich behaupte einfach mal, dass 99,9% der Spieler nicht darauf gekommen wären, was das Spiel überhaupt zeigen will, wenn man nicht so viel darüber gehört hätte und auch das Making-Of nicht Teil des Spiels gewesen wäre. Eben weil ich vorher wusste, was das Ganze soll, habe ich beim Spielen sehr genau darauf geachtet und bin der Meinung, dass die ganze Sache mit der psychischen Erkrankung Senuas durch die Inszenierung bzw. das Storytelling überhaupt nicht klar wird. Mir haben das Kampfsystem, die Puzzles und die ganze Präsentation eigentlich gut gefallen, aber wenn ich einmal nur das nehme, was die Macher mit dem Spiel rüberbringen wollten und beurteilen müsste, wie gut das gelungen ist, würde ich leider sagen, dass sie gescheitert sind. Ohne dass es einem jemand sagt, kommt man im Leben nicht drauf. Und dann ist es halt nur ein mystisch-düsterer Götter-Sagen-Brawler mit einfallsreichen Puzzles und einem mehr als blöden Ende.
Molo: Den guten Willen ein tröstliches Ende zu bieten spürte ich wohl, was ich auch löblich finde, nur allein, ach, es hat mich nicht so berührt, wie es wohl angestrebt war.
SpielerZwei: Das ist ein Grundproblem, das ich mit so mancher Kunst habe: Wenn der Künstler dem Publikum nicht auf’s Butterbrot schmiert, was er ausdrücken wollte, kommt kein Schwein von alleine drauf. Und das erscheint mir immer irgendwie etwas “billig”. Man hätte ja genauso am Ende von God of War einfach behaupten können, dass alles im Spiel nicht so ist wie es scheint, sondern alles nur in Kratos’ Kopf stattfindet, weil er so den Verlust seiner Familie verarbeitet bzw. einfach übergeschnappt ist. Wisst ihr, was ich meine…?
Doreen: Jap, verstehe ich. Ulkigerweise sprichst du da genau die Punkte an, die ich während des Spielens die ganze Zeit im Kopf hatte und deshalb auch lange nicht genau einordnen konnte, was ich von dem ganzen Ding nun eigentlich halten soll. Erschwerend kam dann auch noch hinzu, dass ich eine sehr liebe Freundin habe, die auch eine ähnlich verlaufende Erkrankung hat bzw. hatte, aber seit Jahren gut medikamentös eingestellt ist und jetzt ein beschwerdefreies Leben führen kann. Ich habe Phasen ihrer Erkrankung mitbekommen, in denen sie stundenlang im Auto durch die Gegend fuhr, weil sie sich nicht mehr traute auszusteigen und die Stimmen ihr sagten, sie dürfe das Fahrzeug nicht verlassen. Sie fuhr dann ewig durch die Stadt bis der Tank leer war und erst dann rief sie in Panik und Angst den Notarzt. Ursprünglich war sie eigentlich losgefahren, um ihren Sohn aus dem Kindergarten abzuholen — da ist sie aber nie angekommen, dass muss man sich mal vorstellen! Aber das nur so am Rande. Ich tat mich deshalb unglaublich schwer damit, diese reale Beobachtung der Erkrankung mit der fiktiven im Spiel zusammenzutackern. Und ich denke auch, dass ich ohne das Vorwissen und die Hinweise in Bezug auf Hellblade, nicht oder nur sehr schwer darauf gekommen wäre, Senua könnte an einer Psychose leiden. Ich habe keine Ahnung, ob es vielleicht am Fantasy-Setting liegen könnte, aber für mich haben sich da zu viele Diskrepanzen aufgetan. Also die Krankheit in unserer Gesellschaft, im Alltag und dann hier. Für mich war das etwas schwierig.
Trotzdem wusste das Spiel mich zu fesseln, jedoch glaube ich, dass es für mich besser funktioniert hätte, wäre Senuas Psychose nur eine mögliche Theorie am Ende gewesen und kein Fakt. Und in Bezug auf Kunst sage ich mir immer: Ich muss Kunst nicht immer verstehen, sie soll mich nur beeindrucken. — Das hat im Fall von Hellblade für mich so halb und halb funktioniert.
Molo: Jetzt muss ich mich outen, will sagen: widersprechen. Senuas Psychose kam für mich gut rüber, sowohl kräftig und gelungen im Gameplay und der Inszenierung, als auch, wenn auch nicht ganz so geschmeidig, in der Handlung und den Texten. Größte Schwäche für mich: Spieleautoren Tameem Antoniades und Elizabeth Ashman-Rowe zelebrieren die Schablone der Joseph Campbell’schen Heldenreise, als ob die erst jüngst auf einer revolutionären TED-Talk-Präsentation einer bis dahin ahnungslosen Öffentlichkeit enthüllt worden wäre. Man sagt Hellblade — zurecht — eine gewisse Verwandtschaft mit gelungenen Spaziergehsimulationen nach, allerdings haben z.B. Everybody’s Gone To The Rapture und Gone Home mit mehr Geschick gezeigt, wie man eine lineare Erzählung in kleine Episoden oder Puzzleteile zerteilt, um diese in einem freier erkundbaren, narrativen Raum zu verteilen. Mag seltsam klingen, aber für mich war der Plot, also die Abfolge der Erzählung dessen was geschehen ist, von Hellblade noch viel zu geradlinig.
Ich stimme Doreen zu: ich muss bei Kunst — oder ich sag mal: bei einem Werk — nicht alles gleich verstehen. Es reicht und hat einen guten Job gemacht, wenn es mich beeindruckt oder berührt oder in mir irgendwas zum Gären bringt, worüber ich grübeln und reflektieren kann.
SpielerZwei: Ich gebe dir ja Recht, Molo, dass das alles gut inszeniert und auch nachvollziehbar ist, wenn — und das ist in meinen Augen der Haken — man vorher schon weiß, was das alles soll. Du wusstest doch bestimmt auch schon vor dem Spielen, worum es geht, oder?
Molo: Vor dem Spielen wußte ich nur, was die bereits genannten 2015/2016-Trailer, sowie die neuen Trailer, die 2017 erschienen sind, umreißen. — Allgemein: Hab nix gegen klar erzählte, schnurgerade A-B-C-D-Handlungen, aber ich mag es auch sehr, wenn ich durch Desorientierung und Herumspringen von A nach D und C nach B gezwungen bin, verwirrt durch eine Geschichte zu taumeln. Es gibt zu wenig (positive) Verwirrung! Hatte schon immer ‘ne Schwäche für “Psycho-Phantastik” a la Brazil, König der Fischer, Fight Club”, das meiste von David Lynch, Eternal Sunshine of the Spotless Mind, oder jüngst Anomalisa.
Allerdings bin ich ähnlich wie ihr auch etwas hin- & hergerissen, denn die Handlung an sich ist nicht gerade rasend originell und die Dialoge grenzen bisweilen arg am Tragik-Schmalz. Okay, das Szenario des finsteren, brutalen Mittelalters wird sehr dick aufgetragen und erinnert oft an Horror-Höllen-Kitsch: überall verstümmelte und verkohlte Leichen nach dem Durchzug der brandschatzenden, mordenden Wikinger; der brutalstmöglich aufgeknöpfte Geliebte (Blutadler!); die als Hexe hingerichtete Mama; die von ‘ner Seuche dahingeraffte Dorfgemeinschaft; ein grausamer Papa, der seine Tochter in einem Erdloch wegsperrt usw ect pp. — Gottseidank gibt es auch einige wirklich kraftvoll und gelungen inszenierte idyllische Momente, die einen dringlich nötigen Kontrast setzten. — Tipp: Der Film Walhalla Rising hat einiges gemein mit Hellblade, ist aber mit fast schon zu viel Understatement und entsprechend wortkarger inszeniert.
Hellblades Mängel werden meiner Ansicht nach aber mehr als wettgemacht durch:
- die pure grafische und atmosphärische Schönheit des Spiels, (obwohl z.B. Senuas Füße im nassen Sand keine Abdrücke hinterlassen — womöglich voll der Skandal für Trü Gämerz Gräfick Nazis!!! —, oder die Architektur überwiegend zum historisch unkorrekten, mit Wikinger-Schnurgeln verzierten Fantasy-Schmarrn neigt);
- die gelungene Abwechslung zwischen Erzählspaziergang, Runen-, Illusions- & Zeiten-Puzzle, Gesäbel und effektiven Cut Scenes;
und VOR ALLEM: - einer hinreissenden Senua. Zu sagen, dass Melina Juergens einen guten Job gemacht hat, ist eine gehörige Untertreibung. Es ist nicht weniger als eine Sensation, wie prächtig hier jemand zum ersten Mal als Darstellerin alle normale Scheu überwindet und sich voll dafür entblödet die für Senuas Geschichte nötige öffentliche Urschrei-, Winsel- und Wuttherapie mit Herzblut und Nuancen zu liefern. Natürlich trug auch technische Expertise das ihre dazu bei, dass Senua — vor allem ihre Mimik — so gut funktioniert, um den empathischen Funken überspringen zu lassen, und das künstlerische Design läßt sie dazu noch gut aussehen, ohne auch nur im mindesten auf billige Titts & Ass-Reize zurückgreifen zu müssen. Nicht weniger wertvoll ist der Beitrag den das Theater-Ensemble Rash Dash für die Kopf-Stimmen von Senuas Furien geleistet hat. Ich halte es nicht für verfehlt festzustellen, dass Hellblade vor allem durch die Gnade der Expressivität von Frauen mehr geworden ist als ein x-beliebiger, tragisch-zorniger Grim’n’gritty-Garn.
Doreen: Ach ja, da war ja was mit dem “Theater”. Ich schrieb es an anderer Stelle schon mal, aber ich wiederhole mich da auch gerne nochmal. Warum mich Hellblade emotional nicht gänzlich packen konnte war tatsächlich die Omnipräsenz der latenten Theatralik oder nennen wir es eine von mir subjektiv empfundene Überdramatik. Ich stelle die schauspielerischen Leistungen nicht in Frage, Milena Juergens spielte vorbildlich und überhaupt war das gesamte Spiel ausgezeichnet vertont. Das Skript wurde denke ich eins zu eins perfekt umgesetzt, aber im Drehbuch standen eben auch immer und immer wieder die gleichen Phrasen und die permanent verkrümmten Gesten. Mir fällt die Vorstellung einfach wirklich schwer, dass — mal überspitzt formuliert — wirklich jemand bei Liebeskummer nach Hause kommt, die Wohnungstür hinter sich schließt und dann erstmal weinend die Tür hinunter rutscht. Nur mal so, wie ich Hellblade manchmal empfunden habe.
Ich selbst bin eine große Freundin von wohlklingenden Phrasen und auch von Auseinandersetzungen mit Psychologie und Poesie, vor allem wenn es die eigene Persönlichkeit betrifft. Ich bin im Gegenzug aber auch eine Freundin von Understatement. Und dieses besitzt — mit Verlaub — Hellblade in keinster Weise. Ich empfand etwa 80% des Spiels als großes Bühnenstück oder Spektakel, geschwängert mit ganz viel Schmalz — es sollte wahrscheinlich auch wirklich ein Spektakel sein, oder?
Molo: Unter Spektakel versteh ich noch mal was anderes, aber Hellblade hat sicherlich die Absicht, emotionale Wucht und Intensivität aufzufahren. Das funzt bei ein paar Szenen ganz doll, z.B. wenn Senua nach ihrer ersten vergeblichen Konfrontation mit Unterweltsgöttin Hel voll durchgeknallt mit ihrer eigenen Finsternis im Spiegel spricht, bevor sie den Mumm aufbringt, sich mit einer glühenden Klinge eine Gesichtswunde auszubrennen. Tragik, wenn man sie hoch auftürmt, läuft allerdings schnell Gefahr zu ermüden oder abzunerven.
Doreen: Ein Hauch bessere Dosierung und ich wäre um einiges beeindruckter gewesen. Mir wurde schlussendlich fast alles etwas zu sehr totgeredet. Das klingt jetzt womöglich harscher als ich es meine. Hellblade und sein Thema finde ich durchaus wichtig und ich begrüße Spiele dieser Art. Bitte mehr davon! Aber genau deshalb beiße ich mich gerne mal an Einzelheiten fest.
Ich fand es wirklich faszinierend, wie Ninja Theory einige Symptomatiken der Erkrankung in das Spiel verwoben hat: Wie man z.B. Brücken oder Treppen “repariert” indem man Senuas Sichtfeld (und damit die des Spielers) passend auf aura-artige Wahrnehmungsverzerrungen ausrichtet. Oder wie man in der Umgebung Runen finden kann. Und auch dieses Barbarentum, dieses Grausame und Unmenschliche und dieses perfide Schicksal Senuas — das elendige Gefängnis. Gepaart mit den gelegentlichen Kampfeinlagen und den Puzzles, alles Topp! Und wie Molo auch schon anmerkte: Ein unfassbar hübsches Spiel! Und wenn ich mich noch recht erinnere, war Enslaved auch eines dieser Spiele, welches auf zwischenmenschlicher Ebene wunderbar funktioniert hat. Ninja Theory können schöne Geschichten schreiben, die nicht oberflächlich sind und vielleicht auch etwas hinterlassen, was eben nicht so offensichtlich ist. Hellblade hätte für meine Begriffe einen Hauch mehr Schweigsamkeit vertragen können, aber ich möchte den Autoren das nicht direkt ankreiden, eben weil auch so viele Menschen daran beteiligt waren, die da einen ganz anderen Erfahrungsschatz aufweisen können als ich, und ihre Meinungen sollten ja auch mit einfließen. Ich blicke zurück mit Freude und Respekt, aber auch mit einem klitzekleinen Bedauern.
SpielerZwei: Was glaubt ihr, war eigentlich der Grund dafür, dass ein Studio wie Ninja Theory, das schon einige AAA-Titel für große Publisher gemacht hat, ein so aufwendiges Projekt alleine gestemmt hat? Lag’s wirklich am Inhalt oder wollte man einfach nur die Vertriebskette verkürzen?
Doreen: Bin mir jetzt nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube das wurde angesprochen in dem Making-Of, das als Bonus zum Spiel-Download gehört. Es ging wohl tatsächlich um die Selbstbestimmung. Es ist auch anzunehmen, dass mit einem großen Publisher und mehr Zeitdruck, die vielen Betroffenen auch gar nicht so intensiv in das Geschehen involviert gewesen wären. Ich denke, es wäre mit ziemlich großer Sicherheit ein ganz anderes Spiel herausgekommen, vielleicht mit ein oder zwei Ausnahmen. Sony hätte da vielleicht auch was investiert, die schätze ich mittlerweile so ein, ein kleines Gespür für individuelle Perlen zu haben. Ich kann mir auch vorstellen, dass eine persönliche Erfahrung und Motivation der Entwickler dahinter steckt. Irgendwie strahlt Hellblade etwas aus, dass es für irgendjemanden eine extrem wichtige und persönliche Herzensangelegenheit ist. Wie eine Art Widmung, aber genaues habe ich da nicht nachgelesen, ich vermute lediglich.
Molo: Ninja Theory glänzt bei Hellblade auf jeden Fall damit, für die Spieleindustrie ungewöhnlich offen zu kommunizieren. Die haben z.B. 29 Entwicklungs-Tagebuch-Filmchen bei youtube eingestellt und auf der Spiel-Website findet sich der Vortrag The Independent AAA Proposition, den Tameem Antoniades bei der Game Developers Conference Europe 2014 gegeben hat. Aus meiner Sicht dabei das Wichtigste, zusammengedampft: Ninja Theory wollten selbst bestimmen was sie machen. Grob gesagt: FUCK DESIGN BY COMMITTEE! FUCK DESIGN BY SPREADSHEET! (Bei sowas blüht mein Herz auf.); sie wollten zur Abwechslung mal die Rechte an einer entwickelten IP behalten und nicht an einen Publisher abgeben; wollten entsprechend mehr vom Kuchen, wenn die IP abhebt; wollten aus dem ganzen GO BIG OR GO HOME-AAA-Rüstungswahnsinn raus, mit seinem für die Kreativität schädlichen Zielvorgaben, wie Verkauf von 5 Millionen Exemplaren, teurem Ladenpreisen von 70 $/€, auf Metacritic 85 % erreichen, aufgeblähter Palette an Spiel-Features ect pp ff.
Doreen: Die Transparenz ist ja zugleich auch eine gute Werbung, die nichts oder kaum etwas kostet. Kamera laufen lassen, einige interessante Interviews dazu und online stellen, kann mir kaum eine bessere Werbung vorstellen. Ich finde den Preis von 30 Euro letztendlich auch irgendwie interessant, obwohl mich das eigentlich nie wirklich kümmert. Ich hoffe, für Ninja Theory kommt da ein ordentliches Plus am Ende raus.
Molo: Lobenswert, daß unter anderem die tiefsitzende “Kreative Führungs-Problematik” der kapitalistischen Blödmaschinen-Kulturindustrie erläutert wird. Je kreativer Leuz sind, um so schwerer ist es bei Zeit- und Kostendruck eine einheitliche Linie zu fahren. Also neigen auf Profit orientierte Unternehmen zum Konsens. Menschlich-schöpferische Sehnsucht, das zu erschaffen, was man gerne machen würde, kann da stets nur auf einer vor allem durch Vertriebs- und Marketing-Daten bestimmten Route marschieren. Und so gleicht sich alles einander an, werden altbekannte Schablonen und Formeln immer fester zementiert, weil nachgemacht wird, was bereits Erfolg hatte und als sichere Bank gilt.
Der Vortrag endet mit einem drei Punkte-Ziel für ein kommendes neues Spiel:
- Hardcore Kampfmechanik;
- bedeutungsvolle Geschichte;
- wunderschöne Gestaltung.
Wie gut oder schlecht Hellblade diese drei Ziele erfüllt, muss letztendlich jeder Spieler selbst abwägen.
Doreen: Was anderes noch: Ich habe Hellblade ein zweites Mal durchgespielt, um es zu komplettieren. Ich musste feststellen, dass das Spiel für mich hauptsächlich vom Ersteindruck lebt und ich beim zweiten Durchgang sehr dazu neigte, skippen zu wollen, wenn es denn gegangen wäre. Dass die Wirkung von mal zu mal abnimmt, ist prinzipiell ja nichts neues, aber so komplett von 100 auf, naja sagen wir mal 40 oder 30, ist schon ein Quantensprung bzw. ein “Quantenfall”. Habt ihr es auch mehr als einmal gespielt und wie war es bei euch? Molo hatte glaube ich auch einen zweiten Durchgang, oder?
Molo: Drei Lorestone-Runen hatte ich beim ersten Mal nicht gefunden und unter anderem deshalb für Platin einen zweiten Durchgang gespielt. Ich finde die Kämpfe kurzweilig genug, um mit ihnen auf mancherlei Weise herumzudoofen, und die Präsentation bleibt ‘ne Wucht. Stimmt aber, was Doreen sagt: Hellblade ist nix, was man in kurzer Folge hintereinander mehrmals spielen sollte. Das Spiel bietet ein intensives Erlebnis und damit es nochmal fruchtbar greift, muss man es wohl eine ganze Weile abkühlen lassen. Ich werde irgendwann noch einen dritten Anlauf machen, um genauer zu protokollieren, welche Story-Beats wann kommen, und welche nordischen Geschichten genau die Lorestones erzählen. Im Augenblick bin ich aber auch pappsatt von diesem mächtigen Drama-Tragik-Menü.
SpielerZwei: Ich habe es nur einmal gespielt und werde es auch dabei belassen. Zum einen finde ich die eigentliche Spielmechanik dann doch nicht so toll, dass ich es alleine deshalb noch einmal spielen würde. Die Rätsel kenne ich ja nun schon und das Kampfsystem ist zwar ok, aber rechtfertigt für mich alleine kein Wiederspielen, da es hier deutlich bessere Vertreter gibt. Zum anderen fand ich das Ende schon ziemlich enttäuschend und habe allein deshalb kein Verlangen, mir das Ganze nochmal zu geben.
Das klingt jetzt vielleicht negativer als es gemeint ist. Als Einmal-Trip finde ich Hellblade durchaus spielenswert und der Preis geht für die acht bis zehn Stunden Spielzeit auch vollkommen in Ordnung, aber zu einem zweiten Durchgang bringen mich aus den oben genannten Gründen keine zehn Pferde. Und erst recht keine verpassten Sammel-Achievements…
2 Kommentare
Ich muss korrigieren: ich kenne Melina Jürgens nicht persönlich, sondern bin auch bloß über die (wirklich hervorragenden und sehenswerten) Entwicklertagebücher auf sie aufmerksam geworden. Mich hat allerdings, wie molosovsky, sofort schwer beeindruckt, wie sie als völlige Schauspiel-laiin in ihrer Rolle aufgegangen ist und welche Leistung sie da auf den Bildschirm gezaubert hat.