Im Zuge meiner Landjugend, die überaus friedlich, unbeschwert und größtenteils so ereignislos war, wie es eben nur eine Landjugend sein kann, war ich tatsächlich ein Mal jagen. Strenggenommen zwei Mal. Das erste Mal mit einer selbst gebauten „Armbrust“ zählt aber nicht, da wir weder etwas sahen, noch, wenn wir etwas gesehen hätten, darauf angelegt und gar geschossen hätten (Tierquälerei ist auf dem Land nicht so verbreitet, wie man gemeinhin vermuten mag). Das zweite Mal war dann eine „richtige“ Jagd, bestehend aus dem Dorfmetzger, der genau so aussah, wie man sich einen Dorfmetzger vorstellt, mir und einem Hochstand. Auf letzterem saßen wir an einem Sommerabend etwa drei Stunden lang, ohne dabei ein Wort zu wechseln, denn das hätte ja Tiere vertreiben können. Gerade als es dunkel wurde, erhob sich der Dorfmetzger, legte an, schoss und… das war es dann. Ob er etwas getroffen hat, haben wir beide nie erfahren. Dort, wo er hingeschossen hatte, lag nichts. Also fuhren wir ins Dorf zurück, er ging fix in seine Bude, kam wieder raus und drückte mir einen Revolver in die Hand, versehen mit der Erklärung, dass Jäger angeschossenes Wild nie mit dem Gewehr töten würden. Schon das kam mir eigentlich komisch genug vor. Gefunden haben wir natürlich weiterhin nichts, es wurde finstere Nacht und wir fuhren unverrichteter Dinge nach Hause. Die Jagd schien mir eher langweilig.
Überhaupt sind Jäger komische Menschen, die vor allem alles über die Jagd besser wissen als die, die keine Jäger sind. Und das auch deutlich mitteilen. Die anderen haben nämlich keine Ahnung davon, dass es nötig ist, Tiere zu töten. Denn das reguliert ja dies, das, Ananas. Und der Fuchs ist auch ein Schädling, den man abknallen darf, wann immer man ihn sieht. Warum auch immer das so ist. Überhaupt halten Jäger die Jagd für unglaublich nötig und gar weltbewegend. Vermutlich würde in der Welt der Jäger das Ökosystem Wald kollabieren, wenn man mal ein Jahr lang nicht stundenlang wo rumsitzen und mit einem Gewehr aus sicherer Distanz etwas abknallen würde. Long story short: Das ist alles eine sehr eigene Welt. Kaum verwunderlich, dass Jäger auch eine eigene Sprache sprechen. Die irgendwie klingt, als wäre sie während eines Saufgelages entstanden, was der Wahrheit vielleicht näher kommt als man denken mag. Jäger sind jedenfalls sehr komische Menschen, wie eingangs erwähnt.
Und weil das so ist, bin ich verwundert. Über mich selbst. Denn seit einigen Wochen spiele ich ein Jagdspiel namens „TheHunter 2019 Edition“ auf der Playstation und finde das tatsächlich interessanter als vieles, das ich in den letzten Jahren so gespielt habe. Interessant genug, um sogar mal wieder einen Text über ein Videospiel zu schreiben.
Vielleicht liegt das daran, dass „TheHunter“ genauso langweilig ist wie die Jagd selbst, insofern also tatsächlich eine gelungene Simulation – sie kommt dem Vorbild ja erstaunlich nahe. Man sucht sich zunächst eine Landschaft aus (Wälder die so generisch nach Kanada aussehen, dass man weinen mag vor so viel Schönheit oder sibirische Tundra oder Steppe), läuft dann los und tut eben, was ein Jäger so tut. Spuren verfolgen, drauf achten dass man nicht zu laut rumrennt, drauf achten, dass man unentdeckt bleibt, Tierrufe aufspüren, schauen wie alt die Scheiße auf dem Boden da ist und bisweilen auch stundenlang in Büschen herumhocken. Falls jemand es hier noch nicht verstanden hat: Da passiert nicht so viel in diesem Spiel. Es ist tatsächlich sehr ruhig, beruhigend, geradezu meditativ.
Blöderweise muss man gelegentlich halt doch was töten, denn das gibt Erfahrungspunkte und Geld. Erstere lassen einen im Skilltree neue Funktionen freischalten wie etwa „Bei Nebel bist du weniger sichtbar“ oder „Beim Zielen kannst du länger den Atem anhalten“. Geld wiederum braucht man für neue Waffen, neue Visiere, Munition, Lockmittel, Zelte und was der Jäger von Welt eben so dabei hat. Wer’s ganz archaisch will, der investiert direkt in einen Bogen und hat viel Spaß mit dessen Zielsystem und der Erkenntnis, dass er eben nicht John Rambo ist und auf 500 Meter einem Elch zwischen die Eier schießt. Das ist schließlich eine Simulation, zumindest so ein wenig. Und da hat ja alles seine Richtigkeit zu haben. Am Ende des Tages darf es aber auch nicht „zu richtig“ sein, denn das würde keinen Spaß machen. Corioliskraft und Co. hat man also weggelassen, der Jäger soll ja nicht auch noch an den Wind denken müssen wenn er die Flugbahn der Kugel berechnet. Ein Erfolgserlebnis muss schließlich hier und da sein, denn ansonsten verkäme das Spiel schnell zu einem Walking-Simulator.
So bleibt „TheHunter“ einerseits relativ entspannend, weil man sehr viel herumläuft und sonst nichts tut, gleichermaßen aber auch spannend, eben dann, wenn plötzlich der Ruf eines Schwarzbären einige Meter weiter zu hören ist. Da ist tatsächlich sowas wie Thrill da, wenn es dann durchs Unterholz robbend in Richtung Bär zugeht und finalerweise auch ein Schuss fällt. Vor allem, weil es nicht nur ein Schuss ist. Man will ja gut treffen, das Tier soll gleich umkippen und nicht danach noch ewig weiterlaufen, so dass man „schweißen“ muss (in verständlichem Deutsch: dem angeschossenen Tier nachgehen). Und Punkte gibt ein guter Schuss natürlich mehr als ein schlechter Schuss. Das ist jetzt alles recht blöd, denn ohne es zu merken verleitet das Spiel zu sowas wie waidmännischem Verhalten, wenn man das denn so nennen kann. Denn letztlich knallt man ja immer noch Tiere ab, die einem eigentlich nichts getan haben, sondern lediglich in der Gegend herumlaufen, fressen, Brunftschreie abgeben oder einfach nur schlafen. Und dann findet man das auch noch gut, etwa wenn es besonders viele Punkte gab oder ein seltenes Tier war, das man da gerade aus dem Leben gerissen hat. Dabei weiß man ja eigentlich, dass das alles gar nicht richtig ist.
Bleibt zum Ende also der klägliche Versuch einer Rechtfertigung vor mir selbst: Autofahren ist auch nicht richtig und dennoch mag ich Rennspiele. Krieg ist nicht richtig und dennoch hab ich mal ein „Call of Duty“ 600 Stunden lang online gespielt. Jede Menge Entscheidungen, die ich in „The Walking Dead“ getroffen habe, waren nicht richtig, aber ich wollte sie treffen, weil ich zumindest in Spielform mal ein Charakterschwein sein wollte. Last but not least: Nazi sein ist definitiv absolut einhundertprozentig nicht richtig und trotzdem schließe ich mich in „Fallout“ immer der Brotherhood of Steel an, die nichts anderes als ein Faschisten-Trupp ist. Videospiele erlauben uns, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens das Falsche zu tun und dennoch Gefallen dran zu finden, eben weil dieser Rahmen nicht verlassen wird. Nun eben die Jagd betreffend, danke, „TheHunter“. Und jetzt gehe ich eine Runde mit dem Hund in den Wald und hoffe, dass uns nicht wie neulich ein Wildschwein über den Weg läuft.
1 Kommentar
https://kotaku.com/the-deadliest-deer-in-the-world-1841209257
Zufall, dass ich beide Artikel am selben Tag entdecke? Höchstwahrscheinlich!