Mitte des Jahres hatte ich schon einmal eine Doppel-Review zu den fast zeitgleich erschienenen Addons zu Victoria 3 und Crusader Kings 3 geschrieben. Ihr erinnert euch nicht, weil ihr den öden Strategiescheiß nicht lest? Fair Point. Lasst es mich also zusammenfassen:
Als im Juni 2023 sowohl das große Addon Tours & Tournaments für Crusader Kings 3 als auch das kleine Voice of the People für Victoria 3 erschienen, war ich wenig angetan. Tours & Tournaments tat nicht genug, um als großes Overhaul zu gelten und fügte im Detail nur nervige Beschäftigungsmaßnahmen hinzu. Voice of the People wiederum war als kleines, erstes DLC okay und beinhaltete einige wichtige Sachen wie die Pariser Kommune und Marx als Agitator auf europäischem Boden, außerhalb von Frankreich bemerkte man aber von den spärlichen neuen Mechaniken kaum was. Ich hatte damals gehofft, dass Crusader Kings 3 sich wieder auf kleinere, regionale Overhauls konzentriert, während Victoria 3 wirklich dringend ein großes Addon brauchte.
Nun, mein Wunsch sollte in Erfüllung gehen. In den letzten Wochen erhielten beide Spiele erneut frischen Content, diesmal genau andersrum: Mit Legacy of Persia bekam Crusader Kings ein regional beschränktes Flavour Pack, Colossus of the South ist zwar ebenfalls klein und mit sechs Euro auch sehr günstig, will Victoria 3 aber ganz grundlegend ein wenig voranbringen, weil es im Verbund mit einem wichtigen Patch kommt. Ist das nun besser?
Großes im Wesir
Fangen wir mit meinem Leib-und-Magen-Strategiespiel an, Crusader Kings 3. Kurz und knackig: Legacy of Persia ist ein Volltreffer. Das Addon konzentriert sich auf die Region zwischen Levante und Indien, was sowohl der Ausdehnung des alten persischen Imperiums als auch der größten Fläche unter Herrschaft der arabischen Abbasiden-Dynastie entspricht. Die ist zum Startzeitpunkt von CK3 bereits im Niedergang begriffen, regiert aber immer noch als Caliphat über ganz Ägypten, die arabische Halbinsel und beträchtliche Teile von Persien. Die eigentlichen Perser hingegen, zahlreiche kulturelle Gruppen gemeinsamer iranischer Abstammung und diverse Dynastien aus den Regionen, sind zwar durch den muslimischen Glauben noch als Caliphat gebunden, können sich aber von der Fremdherrschaft befreien. Mit der Struggle-Mechanik, die Paradox in einem früheren Addon eingeführt, können so über den Verlauf der ersten etwa dreihundert Spieljahre diverse unterschiedliche Game States ausgelöst und dauerhaft zementiert werden, von einem erstarkten Abbasidenreich über ein iranisches Marionettencaliphat bis hin zur iranischen Wiederauferstehung, einem neuen persischen Großreich, das sich weg vom Islam und hin zum alten Zoroastrismus bewegt.
Mit diesem Fokus auf die Region kommen aber nicht spezifisch abbasidisch-persische Interaktionen, sondern eine Menge großartiger neuer Mechaniken. Zum einen ist die Clan-Regierungsform nun endlich eine nutzbare, einzigartige Option. Zur Erklärung: In CK3 gibt es drei Regierungsformen, Stämme, Feudalherrschaft und Clans. Bisher waren Clans nur eine Art zivilisierte Stämme, die nicht mehr wild plündern, dafür aber die solideren Gebäude der Feudalreiche mitnutzen konnten. Jetzt endlich haben sie eigene Mechaniken, die sich auf die Herrscherfamilie beziehen: Clanreiche wollen möglichst viele Herrschaftssitze mit eigenen Familienmitgliedern besetzen und können durch eine neue House-Unity-Mechanik steuern, ob sie dadurch besonders stabile Reiche aufbauen (in denen Familienmitglieder kaum Ränke gegen die Herrscher schmieden) oder besonders schnell expandieren (indem sie dank innerer Streitereien ständig kriegsbereit sind und sich die Kosten für Kriege dramatisch senken). Clans können keine Vasallenverträge aushandeln, aber über Steuereintreiber und einen besonderen Mitherrscher, den Wesir, sehr schnell sehr reich werden. Der nette Nebeneffekt dieser überarbeiteten Regierungsform ist, dass nun endlich auch westafrikanische Gebiete ordentlich spielbar sind, die nämlich bisher keine Liebe erfahren haben, aber hauptsächlich in Clans organisiert sind.
Außerdem haben sowohl Zoroastroanismus als auch der Islam als Religionen riesige Updates erfahren, etwa durch Glaubenssätze, die neue Kriegerformen freischalten und durch solche, die speziell auf Steuereintreibung fixiert sind. Gerade die neuen muslimischen Glaubensrichtungen und der Caliph als zentraler Fixpunkt der arabischen Sunni-Strömung wirkt sich auf die gesamte Karte aus, immerhin heißt das Spiel nicht umsonst Crusader Kings. Dass das persische Herzland um Baghdad und die weiter östlich gelegenen Gebiete bis Afghanistan zahlreiche neue Spezialgebäude wie das Haus der Weisheit in Baghdad selbst und die Assassinenfestung Alamut spendiert bekommen haben, und dass die iranischen und arabischen Regionen nun spezielle eigene Forschungsbäume haben, die den technischen Fortschritt dort wiederspiegeln, macht es umso besser. Kurzum: Legacy of Persia ist in etwa so einflussreich auf das Spielgefühl, wie es The Northern Lords war, das die Stämme-Regierung und die nordischen Gebiete überarbeitet hat. Es ist ein Muss, wenn man heute Crusader Kings 3 spielen will.
Bolívar ganz gut
Und Victoria 3: Colossus of the South? Ist nicht übel, so viel sei vorab gesagt. Das Addon konzentriert sich auf Südamerika, das kurz nach dem Zusammenbruch von Bolivars Großkolumbien instabil und voller Kriegsherde ist. Colossus fügt neue Arten der Interaktion zwischen den lateinamerikanischen Staaten hinzu und stellt neue Ziele: beispielsweise eine riesige Andenrepublik zu gründen oder Großkolumbien wieder zu vereinen. Dafür dreht es auch an der Art, wie Co-Regierungsformen von nominell unabhängigen Ländern funktionieren. Allerdings nicht viel: Es gibt neue Ziele, um bestimmte Vasallenstaaten und Personalunionen zu vereinen, aber keine generelle Möglichkeit, einen Vasall “einfach so” zu integrieren. Im Fokus stehen vor allem Brasilien und Kolumbien, die die meisten neuen einzigartigen Events spendiert bekommen haben und die, geographisch bedingt, auch die meisten der neuen Aktionen zur Ausbeutung des Amazonas ausführen können. Das ist alles cool, vor allem weil Südamerika nun nicht mehr nur als “Europa mit schlechteren Ausgangsbedingungen” in Afrika herumkolonialisiert, wie es vorher war. Dort zu spielen macht nun einen spürbaren Unterschied im Spielgefühl – wenn man davon überhaupt reden kann, denn das Gameplay von Victoria 3 besteht immer noch aus einigen wenigen Klicks pro Minute, zwischen denen man mehreren Balken beim Füllen zuschaut. Daran ändert leider auch das Addon nichts.
Was aber ebenfalls positiv zu erwähnen ist: Mit dem Addon liefert Paradox einen Patch aus, der auf dem europäischen Kontinent einige großartige neue Möglichkeiten einführt. Nach denen hatte die Community so lange gefragt, bis der Developer einknickte. So muss das! Unter anderen lässt sich nun als polnischer Vasall Russlands die Freiheit erkämpfen, sogar im Verbund mit Litauen als Schwesterstaat, wenn man so richtig viel Beef will. Schafft man es, ganz West- und Mitteleuropa zu vereinen, kann man wahlweise das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wiedererschaffen oder man greift als Republik ins 20. Jahrhundert vor und gründet die Europäische Union. Diese großen Ziele sind, was Victoria 3 im Moment am Leben hält, weil sich das Moment-to-Moment-Gameplay leider einfach nicht trägt. Ich hoffe, da kommt noch was – bin aber auch hier, bei Colossus of the South, deutlich positiver gestimmt als beim letzten Addon. Das wird schon noch.
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