Mit zitternden Händen öffnete ich den Umschlag. Ich traute mich gar nicht, hinein zu schauen. Ah, da war er wirklich! Mein erster richtiger Presseausweis!1!! Musste ich gleich mal Mutti zeigen. Und nach den Ferien würde ich ihn auch in der Schule tragen. Die werden Augen machen!
All die Jahre, die ich auf diesen Moment hingearbeitet habe. All die Jahre, in denen ich immer so getan habe, als würde ich die GameStar doof finden, aber eigentlich nur deren Artikel für meine Website geschickt umgeschrieben habe. All die Jahre, in denen ich immer schnell meine Hausaufgaben gemacht habe, damit Mutti mir danach das Netzkabel für den PC zurückgibt… Aber jetzt hatte ich es endlich geschafft: Ich war ganz offiziell Spielejournalist! Mit Presseausweis!!
Das Buchen der Jugendherberge und der Bahntickets hatte Mutti für mich erledigt. Danke Mutti, du bist die Beste! Ein Glück, dass die Organisatoren die Messe immer in die Schulferien legen, obwohl sie dass ja eigentlich nicht müssten, weil die ganzen Presse- und Industrievertreter ja auch so dahin können… Nun konnte es los gehen. Auf nach Leipzig!
Meine Kumpel SpielerEins und SpielerDrei haben mich in Leipzig am Bahnhof abgeholt, denn der SpielerEins hat schon einen Führerschein und sich den Corsa seiner Schwester geliehen. Leipzig ist schon toll. Der Bahnhof ist alleine schon größer als mein ganzes Dorf! Die Fahrt vom Bahnhof zur Messe war relativ ungemütlich, weil wir ja auch noch das ganze Zeug für unseren Messestand dabei hatten. Am schwierigsten war die Schaufensterpuppe zu transportieren, die wir als SpielerVier zurechtmachen wollten. Irgendwie blöde, aber vielleicht merkt es so ja keiner, dass wir im Moment nur drei sind. Zum Glück ändert sich das in Kürze wieder…
Nachdem wir unseren kleinen Stand in einer Tiefgarage des Messegeländes aufgebaut hatten, fuhren wir zur Jugendherberge. Leipzig ist ja so riesig und spannend! Viel besser als mein langweiliges Dorf. Und plötzlich wusste ich: Wenn ich endlich einen Job bei einem echten Spiele-Magazin habe, ziehe ich auch in die Großstadt. Ich bin quasi dafür geboren. Dann kann ich auch endlich die Hauptschule abbrechen und muss keine Hausaufgaben mehr machen, um spielen zu können. Yesss!!
An diesem Abend haben wir noch einen zünftigen Zug durch die Gemeinde gemacht. Das war echt super. Und nebenbei hat sich noch herausgestellt, dass SpielerEins nicht übertrieben hat: Er fährt wirklich noch viel besser Auto, wenn er erst mal richtig besoffen ist. Man hat fast gar nicht mehr gemerkt, dass wir eigentlich nicht aus der Großstadt, geschweige denn aus den neuen Bundesländern kommen.
SpielerDrei ist ja etwas alternativ angehaucht (das kann man schon an den langen Öko-Haaren erkennen!) und hätte an diesem Abend fast noch Ärger mit ein paar einheimischen Jugendlichen angefangen. Ich konnte ihn glücklicherweise noch bremsen, nachdem ich ihm erklärt habe, dass wir wohl ziemlich schlechte Karten gegen 12 rasierte Köpfe mit Springerstiefeln unten dran hätten. Er meinte zwar zuerst, dass der Kampf mit einem Verhältnis von 1 zu 3 durchaus zu gewinnen wäre, weil die ja noch besoffener wären als wir und außerdem eh zu dumm, was man ja schon an den Frisuren sehen könne. Er ist dann aber nach einigen Minuten von selbst drauf gekommen, dass er die SpielerVier-Puppe, die wir natürlich auch auf die Kneipentour mitgenommen hatten, ja nicht wirklich mitzählen durfte…
Am nächsten Morgen, dem Pressetag, kam dann der erste Rückschlag: Unser Stand war von Obdachlosen in Beschlag genommen worden! Wie das Foto oben, welches uns netterweise von den Kollegen von d-frag zur Verfügung gestellt wurde, beweist, hat sich eine Gruppe von unbekannten Personen einfach als SpielerEins bis –Vier ausgegeben und wurde von vielen Messebesuchern fälschlicherweise für das Original gehalten. Hoffentlich hat das keine negativen Auswirkungen auf unsere Karrieren als berühmte Spielejournalisten…
Aber es kam noch schlimmer. Als wir dann endlich auf der eigentlichen Messe waren, stellten wir fest, dass da total viele Leute mit Presseausweisen waren. Lauter Jugendliche mit ihren Internetadressen auf dem Rücken. Und wir kannten nicht eine einzige dieser Seiten! Man hätte fast denken können, dass die Veranstalter nahezu jedem Deppen mit einer kleinen selbstgestrickten Website einen Presseausweis geschickt haben…
Aber nein, dass konnte nicht stimmen. Schließlich hatten wir auch Presseausweise! Trotzdem habe ich beschlossen, dieses kleine Detail später nicht in meiner Klasse zu erwähnen, wenn ich denen erzähle, wie cool es war, mit all den Entwicklern und den Kollegen von GameStar & Co. zu fachsimpeln. Warum mussten die verdammten Organisatoren die Messe nur in die Schulferien legen…!
Überhaupt werde ich für meine Berichte wohl meine Fantasie etwas mehr zum Zuge kommen lassen, denn wir konnten uns eigentlich mit keinem einzigen Entwickler persönlich unterhalten, denn der versoffene SpielerEins hatte vergessen, auch nur einen Interviewtermin vorher anzumelden. An allen Ständen wurden wir mangels Terminabsprache wieder weggeschickt. Aber immerhin waren die Türsteher an den Ständen so nett, uns exklusive Pressemappen zu geben, so dass wir für unsere kommenden Artikel trotzdem Insiderinformationen haben, die z.B. meine Klassenkameraden nie im Leben zu Gesicht bekommen werden! Außerdem gibt es ja später auch noch die Messeberichte der Print-Mags als Informationsquelle. Da ich die ja alle abonniere, habe ich die Infos immer ein paar Tage vor allen anderen…!
Ja, uns etwas geben wollten sie auf der Messe alle gern. Wir haben so viele tolle Sachen abgegriffen, dass ich gar nicht weiß, wohin mit all dem Zeug. Glücklicherweise war ja bei der Rückfahrt wieder genug Platz im Auto. Wenn man so darüber nachdenkt, war es ein regelrechtes Glück, dass unser Stand von Obdachlosen requiriert wurde. Jetzt mussten wir nur noch die SpielerVier-Puppe loswerden, aber auch dies war kein Problem: In einem unbeobachteten Moment stellten wir sie einfach an den 3D-Realms-Stand und setzten ihr noch eine Sonnenbrille auf. Da das letzte „Duke Nukem“-Spiel ja vor Äonen erschien, kann sich eh keiner mehr daran erinnern, wie der Kerl eigentlich wirklich aussah…
Wir könnten mit all den abgestaubten Goodies eine Verlosung auf unseren Websites machen! In Anbetracht der vielen T-Shirts, Kaffeebecher, Schlüsselanhänger und Kugelschreiber wäre für jeden unserer Leser ein Preis drin. Und das wiederum bindet unsere Leser natürlich, weil die das bestimmt voll cool finden, etwas so Exklusives zu gewinnen…!
Was mir dann aber doch die ganze Messe vermiest hat, war die Tatsache, dass man kaum etwas anspielen konnte. Man konnte zwar ganz viele Messebabes (SpielerWiki: Halbnackte Messehostessen, die sich wahlweise wie Lara Croft oder Bill Gates verkleiden) fotografieren, Vorführungen auf Leinwänden sehen, die mindestens so groß waren wie die in unserem Dorfkino, und coolen Großstadt-DJs lauschen, aber alle Konsolen-Racks waren von diesen ganzen jugendlichen Möchtegern-Journalisten mit den Presseausweisen besetzt.
Irgendwie erinnerte mich das Ganze an einen Release-Event bei SATURN, KARSTADT oder HMV; nur halt irgendwie größer (die Messehallen waren x-mal größer als unsere Mehrzweckhalle im Dorf!)… Aber auch davon kein Wort zuhause in der Klasse!
Nächstes Jahr könnten wir eigentlich direkt in den nächsten MEDIAMARKT fahren und darüber berichten. Das Drumherum muss man dann zwar etwas ausschmücken, aber immerhin hat man dort die Spiele, über die man schreibt, wirklich mal angespielt! Und vielleicht dürfen wir dort auch unseren Stand mal richtig aufbauen…
Da auch SpielerEins und SpielerDrei recht enttäuscht waren und ersterer auch fürchtete, langsam wieder nüchtern zu werden, fuhren wir noch am gleichen Abend wieder nach Hause. Vermutlich hatte wenigstens die SpielerVier-Puppe ihren Spaß, denn als wir sie das letzte mal sahen, hatte sich eine riesige Menschentraube um sie gebildet, während ein GIGA-Reporter ein Interview mit ihr führte…
Als ernüchterndes Fazit zur „Games Convention“ kann ich folgendes festhalten: Mein Plan, berühmter Spielejournalist zu werden, ist gestrichen! Das will ja anscheinend fast jeder in meinem Alter werden. Viel zu überlaufen, das Ganze. SpielerEins und SpielerDrei müssen sich wohl eine weitere Schaufensterpuppe zulegen…
Ich werde jetzt lieber Horrorfilm-Geek-Journalist, denn zum „FantasyFilmfest“ muss man nicht so weit fahren und die Dauerkarten, quasi noch viel besser als Presseausweise (!), sind wirklich streng limitiert, so dass die nicht jeder andere 16jährige auch hat…
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