Willkommen in der National Hockey League. Ich trage die Nummer 77. Beziehungsweise mein “Be A Pro”-Mittelstürmer, der mit seinen Montréal Canadiens zu Gast bei den New Jersey Devils ist. Ich befinde mich in Spiel Nummer 3 des Playoff-Halbfinales in der Eastern Conference. Ein großer Schritt auf dem Weg zum Stanley Cup, einer der begehrtesten Sporttrophäen der Welt. In den ersten beiden Spielen konnte mein kanadisches Team seinen Heimvorteil nutzen und sich mehr oder weniger deutlich gegen die Teufelchen aus dem Garden State durchsetzen. Aber Playoff-Serien in der NHL werden back to back gespielt. Das bedeutet, nach zwei Heimspielen stehen nun zwei schwere Begegnungen auf feindlichem Eis in Newark, New Jersey an. Die Partie entwickelt sich zu einer Abwehrschlacht – für die Devils. Mit fortschreitendem Spielverlauf verlagert sich das Geschehen immer deutlicher zugunsten meiner Canadiens vor das Tor des Gegners. Meine Kollegen im Sturm und ich haben dem gegnerischen Goalie – Martin Brodeur – Puck um Puck um die Ohren geballert. Bisher erfolglos. Im Gegenteil – wir haben den Mann richtiggehend warmgeschossen. Es steht 0:0.
Ausgerechnet Martin Brodeur. Geboren im kanadischen Montréal, der Heimat meines Teams. Brodeur, einer der besten Eishockeytorhüter der Welt. Der Brodeur, gegen den ich mein allererstes NHL-Tor erzielt habe. Damals, ein paar Spiele nachdem ich vom Farmteam der Canadiens – den Hamilton Bulldogs – wegen meiner guten Leistungen in die NHL-Mannschaft berufen wurde. Dieser Martin Brodeur wird jetzt – als die zweite Hälfte des letzten Drittels anbricht – regelrecht von uns belagert. Seine Feldspieler können nur noch auf wenige, schnelle Konter lauern – die aber alle an unserem Schlußmann Carey Price scheitern. Carey ist in dieser Serie bislang ohne Gegentor geblieben. Er ist auch ein verdammt guter Torhüter, steht aber in diesem Moment nicht so sehr mitten im Brennpunkt, im Auge des Orkans, wie sein Gegenüber.
Die Zeit verrinnt. Wer so spät im letzten Drittel den ersten – den Führungstreffer – erzielt, hat verdammt gute Chancen auf den Sieg. Das Team, das so spät in Rückstand gerät, braucht ausserordentliche Moral, um noch den Ausgleich zu erzielen und die Partie in die Verlängerung zu zwingen. Wir Canadiens haben das Spielgeschehen bereits 50 Minuten lang dominiert. Wir brennen auf dieses Tor. Wir haben es verdient. Es. Muss. Jetzt. Fallen. Obwohl es unmöglich erscheint, drehen wir noch mehr auf, stellen die Regler auf 11. Die Devils werfen sich in unsere Schüsse und können sich nur noch durch Fouls retten. So schenken sie uns zweimal kurz hintereinander je zwei Minuten Überzahl. Wir schießen noch mehr und versuchen, ihn mürbe zu machen. Wir passen im letzten Moment quer durch den Slot auf unseren Sturmpartner auf der anderen Torseite, um ihn auszutricksen. Wir feuern verdeckte Schlagschüsse von der blauen Linie ab, deren Wucht jeden zweitklassigen Torhüter heim zu Mami treiben würde.
Die Überzahlsituationen verstreichen. Nichts passiert. Martin Brodeur, der Hexer, stoppt jeden einzelnen unserer Versuche. Mit jedem gefangenen Puck wird er von seinen Fans frenetisch gefeiert. Die Zuschauer sind heiss. Brodeur ist heiss. In Topform. In Playoff-Form. Seine Reflexe sind mörderisch. Er scheint auf unsere Schläger zu reagieren, bevor wir sie bewegen. Sein Positionsspiel ist nicht von dieser Welt. Er rutscht scheinbar in Millisekunden auf seinen Schonern von einem Pfosten zum anderen, um einen Pass auf den Flügelstürmer zu neutralisieren. Und die Schlagschussmonstrositäten bremst er mit vollem Körpereinsatz ab – ohne mit der Wimper zu zucken. Unser Frust wächst. Und je größer dieser wird, desto weniger Qualität haben unsere Torschüsse. Wir fangen an, den Fokus zu verlieren und damit den Puckbesitz. Die in die Ecke gedrängten New Jersey Devils sind noch nicht geschlagen und nutzen diese Fehler, um sich zu wehren. Schon wieder ein Konter. Das Herz rutscht in die Hose – aber Price rettet uns mit Bravour. Dann – endlich – nach 60 Minuten und unglaublichen 41 zu 12 Torschüssen für uns, ertönt die Sirene.
Es ist Spiel Nummer 3 des Playoff-Halbfinales zwischen den Montréal Canadiens und den New Jersey Devils. Nach 60 Minuten steht es 0:0. Es geht in die Verlängerung, sudden death-Modus. Der Berg, den wir ersteigen müssen, scheint unbezwingbar. Die Festung unserer Gegner bröckelt und zittert, aber sie fällt nicht. New Jersey wird getragen durch die Euphorie seiner Fans. Ihr Torhüter arbeitet heute weiter an seiner Unsterblichkeit. Martin Brodeur ist direkt aus dem Himmel (oder aus der Hölle?) gekommen. Er und er alleine hat sein Team 60 Minuten in diesem Spiel gehalten. Er ist eine Wand. Er ist unser Mount Everest und uns geht der Sauerstoff aus. Ich bin Center der Montréal Canadiens und fahre mit meinen Kollegen zum Mittelkreis. Der Schiedsrichter wirft den Puck ein, die Verlängerung beginnt. Ich gewinne das Bully und passe auf meinen rechten Flügel. Die Beine sind schwer. Wir stürmen nach vorne. Die Gedanken mäandern. Wir verlieren den Puck im Angriffsdrittel. Irgendjemand erkämpft ihn zurück. Wir werden unkonzentriert. Wir fahren einen weiteren Angriff. Wir haben Angst. Die Schüsse werden ungenauer und scheinen eher auf das Plexiglas hinter dem Tor, als auf das Tor selbst gezielt zu sein. Unser Kombinationen lassen zusehends an Kreativität vermissen. Uns fällt nichts mehr ein. Martin Brodeur ist unsere Nemesis.
Dann verlieren wir den Puck ein weiteres Mal.
Irgendwie verlässt er die Zone der Devils und einer ihrer Stürmer startet damit durch. Mir ist klar was passiert, noch bevor die Scheibe in unserem Netz einschlägt. Carey Price ist chancenlos. Die Torsirene dröhnt, das Publikum rastet aus. Einer unserer Verteidiger – ich kann von hier nicht erkennen, wer es ist – zertrümmert seinen Schläger. Die Devils fallen sich in die Arme und werfen sich jubelnd an die Bande und auf das Eis. Inmitten dieses Freudenfestes stehe ich und schaue meinen Mitspielern in die Gesichter. Dort sehe ich nichts als Leere und Fassungslosigkeit. Wir alle wollen hier nur noch raus. Nur noch runter vom Eis und uns in der Kabine verkriechen.
Den Controller ablegend, atme ich erstmal durch. Dieses Spiel war nervenaufreibend. Es ist nur das aktuelle jährliche Vollpreisupdate einer Sportspielserie von Electronic Arts. Aber neben der sowieso schon wunderbaren Eishockey-Ästhetik fühlt es sich in manchen, vielleicht zu seltenen, Momenten einfach nur richtig an. So wie jetzt gerade eben. Ich sitze vor meiner Xbox 360 und habe Respekt vor einem elektronischen Martin Brodeur. Vor dem Echten ja sowieso. Ich sitze vor meiner Xbox und will Revanche. Die Schlacht ist verloren, aber der Krieg noch nicht. In der Serie steht es 2:1 für mein Team. Da ist noch alles drin. Ich nehme das Pad wieder in die Hand und starte die nächste Partie.
Dieses Mal ist er dran.
10 Kommentare
GNADE GNADE GNADE GNADE GNADE
*lol* Wie meinen? Ranor, bist du das? ;D
Nein, bin ich nicht. Das heißt aber nicht, dass ich nicht zustimme ;)
Oh Mann! Schon wieder so ein ätzender Laber-Beitrag! Ich will Fakten, kein Geblubber! New-Games-Journalism my ass!
;D
Ah. Ein Review für mich. :)
Ich habe mir nach zwei Jahren Pause vor drei Tagen mal wieder das aktuelle NHL gegönnt. Innerhalb kürzester Zeit habe ich mich wieder in das Spiel verliebt und mir war wieder sofort klar, warum ich das früher jedes Jahr hatte. Auch wenn es im Grunde häufig nur ein Aufguss ist, hat bisher kein Sportspiel solch eine Atmosphäre von der Wirklichkeit auf meinen Computer übertragen wie NHL. Grad hab ich wieder mit meinen Pittsburgh Penguins eine Saison gestartet. Endlich wieder nach einigen Jahren der trostlosigkeit haben wir wieder ein ordentliches Team zusammen, würde ich behaupten. Aber ich muss dir schon zustimmen grobi. So ähnlich wie du es schreibst geht es mir auch, wenn ich mit meinem Gamepad versuche den Puck so zu treffen, dass die Sirene heult. :)
SpielerZwei, Ranor und bitte: Danke! :)
Ha! Ein Leser, der meinen Artikel UND auch noch Eishockey mag. Grund genug, häufiger solche Dinge zu schreiben. Fran, zockst du NHL09 auf dem PC? Ist da eigentlich die DEL mit Ligamodus dabei?
Lieber “bitte”, im Gegensatz zu dir haben Ranor und Pjotr wenigstens die Eier, mit ihrem Namen zu ihrer Meinung zu stehen. Pjotr bekommt aber trotzdem noch einen besonderen Award… ;D
Ganz im Ernst, mir macht das Spass. Und ich schreib in erster Linie so, dass es mir gefällt. Wenn euch das nicht passt, wartet halt auf den nächsten Artikel. Schaut aber keinesfalls bei Vierfaeuste.de vorbei, sonst bekommt ihr einen Koller…
Wieso ist eigentlich niemand mit dem Vorwurf gekommen, dass ich meine Martin-Brodeur-Lobeshymne mit Ach und Krach in eine Gamesblogform gequetscht hab? Das wär wenigstens mal sinnvoll gewesen…
Ich lese ja trotzdem hier immer noch mit und freue mich auch über jeden Beitrag. Nur am Ende einiger denke ich mir halt so “…meh”
Und dass es dir gefällt sollte auch immer die oberste Priorität bleiben, aber ich glaube, da müssen wir eh nicht drüber reden ^^
Als großer Fan der NHL Reihe finde ich den Artikel gut, da ich mich da ein bisschen reinversetzen kann. Ich spiele momentan noch die hervorragende 08er Version und warte darauf, dass die 09er noch etwas billiger wird, da ich mir nicht sicher bin ob sich das alljährliche Vollpreis-Upgrade lohnt.
Reizen würde mich im Speziellen eben auch der “Be A Pro” Modus, befürchte aber die KI Mitspieler verhalten sich ähnlich dämlich wie im “Become A Legend” Modus bei PES 2009. Da würde ich mir manchmal wünschen, dass man die Blutgrätsche auch mal beim Mitspieler ansetzen könnte. Spielt die KI bei NHL 09 denn richtiges Eishockey oder sieht man dort auch die immergleichen Spielzüge?
Bin da vielleicht nicht so die richtige Referenz. Ich habe bisher ausschließlich Be a pro gespielt und dann dauern meine Drittel auch nur 5 Minuten, den Schwierigkeitsgrad wechsel ich auch dauernd, weil ich mich nicht entscheiden kann. Ist also eher ein Ballerspiel für mich. Die KI-Kollegen treffen manchmal schon wirklich merkwürdige Entscheidungen, die meiste Zeit bin aber ich es, der den Angriff fährt. Der Rest zieht dann nach und steht normalerweise sauber auf Position. Da klappt das dann auch mit dem Passen ganz gut und mit den entsprechenden Flügelspielern wird das auch mit Assists belohnt. Ich sehe auch schonmal von der Bank aus bei Toren zu, insofern funktioniert das für mich.
Ich hatte bisher 07 für den PC, da ist die Grafik ja von vorgestern und die Steuerung viel simpler. Nach der Anschaffung meiner 360 war “Be a Pro” für mich der ausschlaggebende Grund, das 09er zu holen.
Naja, DAS und weil ich wissen wollte, ob bei EA [url=http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Müller_(Eishockeyspieler)]Müller[/url] oder [url=http://de.wikipedia.org/wiki/Travis_Scott]Scott[/url] im KEC-Roster stehen, aber das ist ‘ne andere Geschichte…
:D