Falls sich jemand gerne über Thomas Tuchels Matchplan-Referate oder Pep Guardiolas minütlichen Taktik-Updates mitsamt Rumgehampel an der Seitenlinie lustig macht, dem empfehle ich eine konzentriert gespielte Schnupper-Saison vom einzigartigen Football Manager. Danach sieht die (Fußball-) Welt ein wenig anders aus als zuvor. Der Football Manager von Sports Interactive ist ein Lehrbeispiel dafür, wie komplex und anspruchsvoll doch so ein einfaches Spiel wie Fußball sein kann. Und das in bestem Sinne. Als ernsthafte Manager-Simulation (nach britischen Vorbild) konzipiert, verbindet er seit jeher ein sexy Excel-artiges User Interface mit einem hochgradig akkuraten 3D-Modus und einer bitterbösen KI.
Und dabei bleibt der Football Manager immer auf der Höhe der Zeit und versucht Trends in Taktik und Strategie aus der wahren Welt da draußen so schnell wie möglich in das Spiel zu integrieren. Ob Tiki-taka, Konterfußball oder die flache Sechs: Gibt´s alles längst, wie übrigens auch ganz besondere Spielertypen mitsamt ihren taktischen Vorgaben, Stärken und Schwächen. Beim einzelnen Spieler anzufangen und von dort das komplette machtrelevante Spiel aufzurollen, mag mühsam sein – auch zu lesen natürlich und ich bin stolz auf alle, die das hier bis zum Ende durchstehen – aber lohnend, um dieses fantastische Simulationsmonster zu verstehen. Welches nicht ganz ohne Grund seit Jahren einen Stammplatz in den Top Ten der populärsten Spiele auf Steam hat. Der Rest, abseits der Matches, also vom Training bis zu den Finanzen, wäre übrigens too much für diesen kleinen aber doch viel zu lang geratenen Text. Das alles ist nochmal eine ganz andere Geschichte, die erzählt werden müsste.
Beginnen wir doch mit dem neuesten Spielertypen im FM, der eine Verneigung vor Deutschlands wohl besten Fußballer ist. Nein, nicht Mesut Özil oder Toni Kroos ist gemeint, sondern Thomas Müller und Sports Interactive betitelt seine unorthodoxe Spielweise mit dem interessanten Begriff des Raumdeuters. Er wird genauso wortwörtlich verwendet, obwohl der FM 16 nicht in deutscher Sprache erscheinen darf (dank EA, aber auch das ist eine ganz andere Geschichte). Sagen wir mal, die Elf auf dem Platz ist ein Squad in einem Multiplayer-Shooter, dann wäre der Raumdeuter eine Art intelligenter Anarchist, der spontan weiß, wo wann was zu tun ist und als flexibler Allrounder über nahezu alle Fähigkeiten verfügt, die auf dem Schlachtfeld vonnöten sind. Nur mit der Disziplin, gut, damit hapert es ein wenig. Der Raumdeuter eignet sich nicht gut darin, die Basis zu verteidigen.
Im Football Manager ist der Raumdeuter nicht variabel zu platzieren, sondern kann nur auf den offensiven Außenpositionen eingesetzt werden. Er verfügt über Eigenschaften, die vom einzelnen Spieler unabhängig sind. So ist der Raumdeuter ein beweglicher Spieler, der konsequent Löcher in der gegnerischen Verteidigung sucht, findet und diese überfallartig zum Torschuss oder zum finalen Pass ausnutzt. Ein Spieler, der fähig ist diese Rolle auszufüllen, kann ein Match ganz alleine entscheiden, aber gegen kompakte Gegner auch 90 Minuten in der Luft hängen oder sogar zum Problem werden, wenn die defensiven Schwächen dieser Position vom Gegner ausgenutzt werden.
Da die KI im Football Manager traditionell unbarmherzig ist und Fehler im System (mit guten Teams) innerhalb von wenigen Spielminuten auszunutzen weiß, sollte es sich ein Manager drei Mal überlegen, mit wem bzw. ob es überhaupt eine gute Idee ist, den Raumdeuter zu nutzen. Es gibt ja noch ausreichend Alternativen, wie etwa den Winger (klassischer Außenstürmer), Advanced Playmaker (spielmachenden Außen), Inside Forward (nach innen ziehenden Außenstürmer) sowie den Wide Target Man, eine Art Zielspieler auf Außen, der hierzulande als taktische Position nahezu unbekannt ist. Verschiedene Spieltyp-Alternativen gibt es zuhauf für alle Positionen im Spiel: Vom Stürmer bis zum offensiven, zentralen und defensiven Mittelfeld bis hin zu den Innen- und Außenverteidigern (das sind alles wieder ganz viele, ganz andere Geschichten). Diese Rollen wollen nicht nur von einzelnen Spielern perfekt ausgefüllt werden, sondern müssen dann auch noch obendrein in ein stimmiges Gesamtkonzept passen. Und, oha, da wird es kompliziert – vor allem, wenn man nicht Barcelona ist und das taktische Konstrukt von Gegner zu Gegner variabel hält. In der Bundesliga spielt Mönchengladbach auch im Football Manager einen ganz anderen Fußball als Ingolstadt, zum Beispiel.
Zurück zum Raumdeuter. Ich mag diese Rolle, verschmähe sie aber meist, weil ich in meinem Spielstand mit Borussia Dortmund einfach nicht den richtigen Spieler dafür finde oder finanzieren kann. Thomas Müller wollten die Bayern nicht gehen lassen, was auch wieder egal war, da der KI-Thomas Müller auch gar nicht zu mir wollte (ich lasse übrigens mal das gesamte, ebenso hochkomplexe Transfersystem des Football Managers außen vor, denn das ist natürlich wieder eine ganz andere Geschichte). Hoffenheim habe ich dann Kevin Volland abgeluchst und war überrascht, dass seine beste Position doch tatsächlich der Raumdeuter sein soll – was ungewöhnlich ist, weil es „in echt“ nicht stimmt und dem Football Manager eigentlich bei der Beurteilung von Spielern keine Fehler unterlaufen. Aber was macht einen Spieler überhaupt in der Welt des Football Managers zu einem guten Raumdeuter (oder nicht)? Das ist an seinen Fähigkeiten abzulesen, bei denen der Football Manager mal wieder null Kompromisse macht: Ganze 36 Eigenschaften besitzt ein einzelner Spieler. Da können auch die großen, traditionellen Rollenspiele nicht ansatzweise mithalten.
Diese Eigenschaften müssen positions- und rollenbezogen gelesen und interpretiert werden, denn manche sind relevanter und andere nicht. Einige Werte widersprechen sich sogar und führen dazu, dass ein Spieler mit großartigem Können dieses leider nicht regelmäßig auf den Platz bringt. Mesut Özil ist hier ein wunderbares Beispiel. Technisch betrachtet einer der besten Spieler der Welt, macht ihm auch im Football Manager ein gewisses Phlegma zu schaffen. Wer über besondere Fähigkeiten verfügt, aber diese nicht mit Entscheidungsfreudigkeit, Selbstbewusstsein oder Durchsetzungskraft untermalt, ist halt kein Spieler, der wichtige Matches alleine entscheidet. Und so ist es bei Mesut Özil. Kevin Volland funktionierte letztlich als Raumdeuter nicht, weil er dafür nicht über die erforderlichen Waffen verfügt, um auf internationalem Niveau punkten zu können. Wer im 3D-Modus ganz genau hinschaut, sieht, dass Volland eigentlich alles richtig macht: Er geht in die Lücken, er steht bestens – hat aber weder den Antritt noch die körperliche Wucht, um sich nach Ballannahme entscheidend durchzusetzen. Ihn habe ich übrigens an die Bayern verkauft, wo er als Backup zu Thomas Müller auf der Bank sitzt.
Wie oben angedeutet, ist es ja schön, wenn man den richtigen Spieler für die Wunschposition gefunden hat, nur bringt das alles nichts, wenn das taktische Gesamtkonzept für die Tonne ist (welches natürlich ebenso noch mal in vielerlei Hinsicht modifiziert werden kann: sei es beispielsweise durch ein besonderes ballbesitzorientiertes Spiel, einer tiefer stehenden Grundausrichtung oder der Anweisung, dass die Spieler diszipliniert ihre Position halten sollen). Bleiben wir beim Beispiel Raumdeuter: So wirkungsvoll er offensiv sein kann, so problematisch ist er gegen kompakte und starke Teams, die auf Konterfußball setzen. Möchte man beim Raumdeuter bleiben, sagen wir mal auf der rechten Seite, muss annähernd das gesamte Team die Nachteile dieses Spieltyps auffangen. Der Rechtsverteidiger muss besonders defensiv eingestellt werden und auch der halbrechte bzw. zentrale oder defensive Mittelfeldspieler darf nicht mit einem Spieler besetzt werden, der sein Heil ausschließlich in der Offensive sucht. Und damit die Balance offensiv nicht verloren geht, beispielsweise indem die Abstände zwischen den eigenen Spielern zu groß werden, sollte in diesem Fall der linke Außenstürmer ein Inside Forward sein, der nach innen zieht und somit ausgleicht, dass der Raumdeuter oft ganz weit rechts abseits vom eigentlichen Spielgeschehen herumlungert.
Ist noch jemand wach? Jut. Kommen wir nun also zum Matchplan. Den braucht man im Football Manager, seitdem die KI so dermaßen penetrant mit einer taktischen Variabilität begeistert, dass man sich als Manager von Welt im 3D-Modus kaum noch zurücklehnen kann. Beispiel Raumdeuter: Ich beobachte, dass die KI als Reaktion auf meine Positionswahl schnell den Raumdeuter (aktuell ist das Andrija Zivkovic, den Dortmund in der realen Welt wohl nicht bekommen kann, aber das ist eine andere Geschichte) entweder in Manndeckung nimmt, was wunderbare Löcher für den Mittelstürmer schaffen kann oder aber den Außenverteidiger ein wenig nach innen zieht – mit der Folge, dass die Löcher immer kleiner werden und die Räume in der irrelevanten äußersten Zonen immer größer. Was nicht gut ist. Um erfolgreich zu sein, muss man dann schon einen Spieler von der Klasse eines Thomas Müller aufstellen oder aber clever umstellen, beispielsweise vom Raumdeuter auf den Winger, um damit die KI durcheinander zu bringen, was mal besser und mal schlechter klappt. Das hängt auch davon ab, wie schnell, robust und technisch beschlagen der gegnerische Außenverteidiger ist.
Aufmerksam zu sein und zu bleiben, ist im Football Manager 16 die erste ganz große Herausforderung und die zweite ist, aus all den Veränderungen der rund 30 Minuten langen Spiele im 3D-Modus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die KI experimentiert nämlich auch ein wenig. Um die 60. Spielminute herum, pünktlich zu den ersten Auswechslungen, ändern die gegnerischen Teams oftmals die Formation, natürlich immer entsprechend dem Spielstand, und dann ist man gut beraten, wenn man in den folgenden Minuten besonders genau hinschaut. Kniffliger sind die kleinen, nur schwer zu identifizierenden Drehungen, die die KI an den unauffälligen Schrauben im Spiel vornimmt. Beispielsweise wenn ein defensiver gegnerischer Außenverteidiger plötzlich offensiver eingestellt wird und sich als wahrer Flankengott entpuppt. Da reicht dann ein einziger Angriff des Gegners und schwupps, muss ein ganz neuer Matchplan her. Denn in Führung stellt die KI gerne den Bus vor´s Tor. Besonders bei Auswärtsspielen.
Der Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspielen ist übrigens die eine nervige Geschichte/Pseudo-Bug beim Football Manager, mit der ich mich seit Jahren nicht anfreunden kann und möchte. Im Spiel sind die Unterschiede zwischen Heim und Auswärts spürbar größer als in der Realität. Das wirkt sich bis in alle kleinsten taktischen Kleinigkeiten aus, wenn bis auf wenige Ausnahmen KI-Teams auswärts sehr defensiv auftreten. Das macht es besonders für den Raumdeuter schwierig, denn wo gar kein Platz ist, bringt er auch nichts. Spielt man selbst auswärts, wundere ich mich über den Offensivdrang mancher KI-Teams und auch hier ist die Frage, ob man die Position des Raumdeuters so gut besetzen kann, dass bei allen daraus abzuleitenden Chancen nicht das defensive Risiko zu groß ist.
Und so wägt man als Manager durchgehend ab, hier und da, und beim Anpfiff fragt sich unsereins, inwiefern die taktische Ausrichtung nun tatsächlich clever ist oder nicht. Eines steht dabei fest: Sie ist es nur ganz extrem selten über die vollen 90 Minuten. Zumeist wippe ich guardiola-like in meiner persönlichen Coachingzone auf dem Stuhl herum und ändere von größeren Einschnitten bis zu kleinen chirurgischen Handgriffen alle zehn Minuten irgendetwas im System. Mit der Zeit lerne ich – übrigens jedes Jahr auf´s Neue, denn erwähnte ich, dass der Football Manager knallhart mit der Zeit geht und es nie, nie, nie DIE perfekte Formation/Taktik/Strategie geben kann? – die Feinheiten des Spiels kennen und baue mir mein festes Grobkonzept zusammen. Was dann aber mal schnell über den Haufen geworfen werden kann, wenn in der nächsten Transferperiode die Engländer mit den dicken Geldscheinen kommen und meinen Kader leerkaufen. Aber so ist das Managerleben, da können der „echte“ Klaus Allofs & Co. ein trauriges Liedchen von singen. Mit dem virtuellen KI-Klaus Allofs liege ich übrigens mächtig im Clinch, aber auch das ist eine andere Geschichte aus dem Football Manager-Universum.
2 Kommentare
Sehr schön geschriebener (ja, ich hab ihn bis zum Ende gelesen) Artikel zu einem großartigen Spiel.
Danke! Auch für’s Lesen des kompletten Texts…! ;-)