Am Anfang waren wir vier Freunde. Echte Namen, vorheriges Schaffen oder ähnliches sind nun vollkommen irrelevant, wichtig ist nur, dass wir uns entschlossen, parallel mit SpielerEins bis -Vier subjektiv und unabhängig über Computer- und Videospiele zu schreiben, form- und zwanglos. Und eine Zeit lief das auch ganz gut: Wir bekamen größtenteils positives Feedback von Euch, konnten ohne Deadlines und Layoutvorgaben arbeiten und taten niemandem weh. Dachten wir zumindest.
Ende November 2004 sagte uns ein sichtlich beunruhigter SpielerVier, dass er glaubte, dass jemand in seine Wohnung eingebrochen war. Er war mitten in der Nacht von Schrittgeräuschen geweckt worden, und als er nach seiner Brille suchte, sah er einen großen Mann in der Tür seines Schlafzimmers stehen (“Er war… groß. Wirklich groß!”). Dieser legte seinen Zeigefinger auf seine Lippen, machte “Shhh!” und ging. Kurz darauf hörte SpielerVier das Geräusch der sich schließenden Haustür, und er war wieder alleine. Natürlich waren wir uns alle einig, dass es sich dabei nur um einen schlechten Traum handeln könnte, aber allein um sich wieder sicher zu fühlen, ließ er das Schloss auswechseln. Als ich ihn fragte, ob er eine Ahnung hätte, warum ihn jemand solch einen Besuch abstatten sollte, nickte er nur. Dann veröffentlichte er seinen nächsten Artikel, und es wurde schlimmer.
Nächtliche Besuche blieben aus, was sicherlich daran liegen konnte, dass SpielerVier seine Tür sicherer gemacht hatte als die aus dem Silent Hill IV-Apartment. Dafür bekam er Anrufe. Tagsüber, nachts, in unregelmäßigen Abständen. Was genau ihm da gesagt wurde, wollte er nicht einmal uns verraten. Und irgendwann hatten sie ihn gebrochen. Ich weiß nicht, ob es die Anzahl oder die Inhalte der Anrufe waren, die ihn zerrütteten. Vielleicht beides. Eines Nachts rief er bei SpielerEins an, dass er aufgeben wolle, dass er den Scheiß nicht mehr aushalte, dass wir nicht den gleichen Fehler machen sollten, dass er hoffe, es wieder gutmachen zu können. SpielerEins versicherte ihm, dass er sich ruhig eine Pause gönnen sollte, dass er das alles nicht so ernst nehmen solle, es wären doch nur Spiele. “Ja, das dachte ich auch. Früher!” antwortete SpielerVier und legte auf.
Ein paar Tage, nachdem sein Pirates!-Artikel online ging, rief ich bei ihm an, um ihn zu fragen, ob es ihm nun besser ginge. Niemand nahm ab. Auch nicht am nächsten Tag. Nie mehr. Weder seine Freundin noch seine Eltern hatten ihn seitdem gesehen, auch SpielerEins und -Zwei wussten von nichts. Bis heute haben wir nichts mehr von ihm gehört. Aber wir ahnten, was passiert war.
Natürlich waren wir erstmal geschockt. Unser eigentlich harmloses Hobby hatte ein Opfer gefordert, dass wir nie bereit gewesen wären zu bringen, hätten wir die Wahl gehabt. Nichtsdestotrotz sahen und sehen wir es als unsere journalistische Pflicht, die Wahrheit zu schreiben. Doch was sollte mit SpielerVier.de geschehen? Einfach vom Netz nehmen? Das wäre ein eindeutiges Zeichen an unsere Leser gewesen, dass SIE gewonnen hätten. Hätten wir ihn als Märtyrer hingestellt, hätte uns keiner geglaubt, zumal wir ja keine Beweise besaßen.
Die nächsten Monate machten wir weiter wie zuvor, unschlüssig, was wir mit der brachliegenden vierten Seite anfangen sollten. Etwa ein Dreivierteljahr später hatte SpielerEins eine zündende Idee: Wenn er unter SpielerViers Namen weiterschreiben würde, müsste er zwar sein Output auf zwei Seiten verteilen, aber könnte IHNEN den Stinkefinger zeigen, sagen: Wir geben nicht auf. Klar, er begann mit einem Text, der ihn als neuen Schreiber vorstellte (Was nun im Nachhinein für Euch auch den letzten Satz des Artikels erklären dürfte), aber er war sicher, dass unsere Leser dies bald wieder vergessen haben würden, und der primäre Eindruck der Öffentlichkeit war: Wir sind wieder vier. Wie einer kranken Hydra, der man einen Kopf abschlägt, wuchs zumindest einer wieder nach. Also sinnbildlich.
Eine Zeitlang ging das gut. Dann schrieb SpielerEins auf seiner Seite einen nicht wirklich begeisterten Artikel über SSX On Tours, und auch er bekam einen Anruf. Keinen Besuch, anscheinend hatte er sich durch die Burnout- und Battlefield 2-Artikel etwas Spielraum erkauft. Wir wollten aber kein Risiko eingehen und beschlossen, SpielerVier erstmal wieder zu den Akten zu legen. SpielerEins konnte wieder ruhig schlafen, und wir machten nun nur auf drei Seiten weiter.
Aber SpielerEins ist niemand, der gerne aufgibt. Ihr kennt alle den Need For Speed-Artikel, schließlich stand er fast ein Jahr auf SpielerEins.de. Ich rief ihn an, fast von Sinnen vor Angst und Wut über solch eine Leichtsinnigkeit. Er hatte nicht unüberlegt gehandelt, sagte er: Er war es leid zu kuschen, er wollte seine Grenzen austesten. Und tatsächlich passierte gar nichts. Also waren Artikel, die nicht durchweg positiv waren, okay? Dachten wir zumindest. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich zwei Monate später herausfinden würden.
Im April 2006 schrieb SpielerZwei auf seiner Seite einen nicht gerade begeisterten Bericht über Black. Er fühlte sich in Sicherheit, da es sich ja nicht um einen klaren Verriss handelte. Bei SpielerEins hatte das ja auch geklappt. Ein paar Tage später ging ich ihn besuchen und fand seinen Namen nicht mehr auf den Klingeln. Nein, ein Herr Büttner hätte hier nie gewohnt, sagten die neuen Bewohner seiner Wohnung, die, soweit ich das von der Wohnungstür aus erblicken konnte, komplett neu gestrichen und eingerichtet war. Diese Wohnung würde ihnen schon seit mehreren Jahren gehören, ich könnte gerne die Besitzurkunde sehen, wenn ich wollte. Ich bedankte mich höflich und ging. Auf seinem alten Briefkasten stand nun der Name der neuen Bewohner: Erich & Cora Ambach. Na klar.
Ich war bereit aufzugeben. Ich rief bei SpielerEins an, um ihm zu sagen, dass ich erstmal eine Zeitlang in meine Heimatstadt fahren würde, Abstand nehmen von dem Ganzen. Nur sein Anrufbeantworter ging ran, was nichts Außergewöhnliches war. Ich hatte allerdings nicht mehr die Nerven, auf das Ende seines verschobenen Tag/Nachtrhythmus oder City of Heroes-Marathon zu warten, daher beschloss ich, bei ihm vorbeizuschauen, allein schon, um meine Sorgen zu zerstreuen, was sein Wohlergehen anging. Pustekuchen.
Seine Haustür war offen, als ich ankam. Den Geruch nahm ich erst später wahr. Er saß vor seinem Rechner, Battlefield 2 wartete geduldig auf die Auswahl seines nächsten Spawnpoints. Ich erbrach mich über die im Zimmer zerstreuten Schädelstückchen.
Der Polizist teilte mir später mit, dass es sich eindeutig um Selbstmord handelte, was natürlich vollkommener Blödsinn war. Ich wusste, dass er nie eine Waffe besessen hatte, und die offene Wohnungstür schien auch niemanden zu interessieren. Es ist etwas im Spiel, sagte die Polizei der Presse, dass wohl latente Selbstmordgedanken fördern würde, und dies führte zu einer weiteren, allerdings lokal begrenzten Killerspielhetze.
Von einem Tag auf den anderen war ich plötzlich komplett auf mich allein gestellt. Ich bekam weder einen Anruf noch einen Besuch, das war auch gar nicht nötig: Mehr Angst konnte man mir nicht machen. Ich hätte alles sofort hingeschmissen, wenn wenigstens einer übrig geblieben wäre, dem ich mich hätte anvertrauen können. Aber jemandem davon zu erzählen, hieße, diesen auch in Gefahr zu bringen. Ich schrieb also weiter kritiklose, konkrete Spiele nur selten behandelnde Artikel und alberne Kacke auf meiner Seite, und kämpfte mir Artikel für SpielerZwei.de und SpielerVier.de aus den Fingern, in der Hoffnung, dass niemand einen Unterschied merken würde. Ich legte das Erstellungsdatum meines ersten SpielerVier-Artikels um einen Monat vor, um etwaige Gerüchte schon im Ansatz zu ersticken. Und na ja, das ging fast ein Jahr so. Ein Jahr, in dem ich alles tat, um nicht nachzudenken. SpielerEins.de blieb unberührt – Jedes Mal, wenn ich mich an einen Artikel machte, sah ich seinen zerfetzten Ledersessel und das, was die neue Fütterung davon war… Ich konnte einfach nicht.
Anfang dieses Jahres habe ich einen Beschluss gefasst. Ich schrieb erneut für SpielerEins.de, zum Teil schöne Illusion und Wunschdenken, zum Teil das Streuen von Zweifel IHNEN gegenüber. Könnte das wahr sein? Könnte er es tatsächlich überlebt haben? Könnte er vielleicht aussagen? Ich glaube nicht, dass meine Finte gelungen ist, aber zumindest begann 2007 mit vier lebenden, schreibenden Spielern – so sollte es zumindest Euch erscheinen. Es tut mir leid, dass ich Euch die ganze Zeit über habe anlügen müssen, und ich kann nur hoffen, dass ihr mir nun, da ihr die Gründe kennt, verzeihen könnt.
Dies ist der letzte Text, den ich schreiben werde. Meine Koffer sind gepackt, und sobald ich diesen Artikel abgeschickt habe, werde ich meine Wohnung für immer verlassen. Ohne dass ich sie täglich ändere, werden sie bald die Passwörter geknackt haben. Wisset, dass wer auch immer nach diesem Text etwas auf diesen Seiten veröffentlicht, dass es nicht ich, nicht wir sind. Vielleicht erwischen sie mich, vielleicht komme ich davon, aber ich kann nur hoffen, dass genug von Euch das hier lesen werden, um aus unseren Fehlern zu lernen. Es gibt Kräfte, die zu gefährlich sind, um sich mit ihnen anzulegen. Fordert nicht alles heraus. Don’t challenge everything.
(Addendum: Dieser Text funktionierte wesentlich besser auf spielerdrei.de, da ich dort noch die Möglichkeit hatte, auf die entsprechenden Artikel beim alten SpielerVier etc. zu verlinken. Das ist halt der Lauf der Welt.)
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