Das mit den Videospielen und der Öffentlichkeit ist ja so eine Sache. Das sind ja schließlich alles unnütze Zeitfresser, die dumm machen, zu Mord und Totschlag animieren und die Sitten verrohen. Und trotzdem ist sich mittlerweile selbst der gemeine WDR-4-Hörer nicht zu schade, sich einen ganzen Abend lang vor seinen Radio-Empfänger zu setzen und dem Krieg der Welten, pardon: den schöngeistigen Klängen digitaler Musik im sinfonischen Gewand orchestraler Instrumentierung zu lauschen. Das ist nicht nur schön, weil es tatsächlich auf seine ganz eigene Art hilft, die Verständniskluft zwischen der “analogen” Welt älterer Generation und der spielerischen Lebenswelt uns Spätgeborener aufzubrechen, sondern ebenso dazu beiträgt, dass sich das Thema Videospiele so auf eine sehr subtile Weise und unter der Tarnkappe kultureller Wertigkeit sozusagen von hinten in die Wohnzimmer dieses Landes pirscht, um nicht nur den Gehörgang des gemeinen Spießbürgertums mit einer längst überfälligen Reinigung zu übermannen.
Wo Spielmechaniken, Grafikbombast und sogar den (virtuellen) Helden einer ganzen Generation der Aufstieg in die Hall of Fame künstlerisch wertvollen Siechtums verwehrt bleibt, schafft es offenbar einzig und allein die Musik, Grabenkämpfe zwischen Kulturpessimisten, wahnsinnigen Berufsirren auf politisch bedeutsamem Posten, medial verblendeten Amok-Angsthasen in breiter Masse und dem oftmals tatsächlich allzu nerdig daherkommendem Prototypen des durchschnittlichen Gamers – zumindest für ein oder zwei Stunden – zur Waffenruhe finden zu lassen.
Ausgerechnet die Musik! Ausgerechnet das oftmals in der Erinnerung allzu sehr verklärte, fiepsige Gepluckere gequälter 8-Bit-Prozessoren, die unter Aufbringung ihrer letzten Kraft so etwas ähnliches wie eine eingängige Melodie aus den scheppernden Fernsehlautsprechern ehemaliger Zeit gepresst haben. Ausgerechnet dieses reduzierte Gefiepse und Geplärre also schafft es, im gesetzten Rahmen eines pompös aufgeblasenen sinfonischen Konzertes selbst den vermeintlichen Klassenfeind, in Form des archetypischen WDR-4-Schlagerfuzzis, an das Radiogerät zu bannen? Oder schlimmer noch: ihn zum Kauf einer Konzertkarte für ein solches Ereignis zu bewegen?
Doch wo die Beatles seinerzeit nur mal kurz ein “All you need is love” oder “Hey Jude” in die Saiten hauen mussten, um endlich auch im Mainstream anzukommen, will dieser natürlich nicht mit diesem unsäglichen Gequietsche längst vergangener Spiele-Perlen belästigt werden. Stattdessen ist ein genauso umfangreiches wie aufwändiges Neu-Arrangement sämtlicher Tunes in die künstlerisch wertvollste aller Musikformen, nämlich die Klassik, nötig, um auch wirklich jedem mit dem Vorschlaghammer einzubläuen, dass es sich hierbei wahrlich um akustische Meisterwerke handelt – und eben nicht nur um die digitalisierte Variante einer besonders lästigen Tinnitus-Form. Entsprechend ist die Verabreichung solcher Harmonien bestenfalls in homöopathischen Dosen in Form trojanischer Zäpfchen, auch Sinfonie-Konzert genannt, vonnöten, um den interessierten, aber nicht überzeugten Hörer geduldsam zu ködern, ohne ihn durch allzu hektische Bewegungen zu verschrecken. Ein solches Konzert bietet der WDR Rundfunk mittlerweile als feste Größe einmal jährlich mit wechselndem Fokus auf einzelne Komponisten bzw. Publisher in Form seiner “Symphonic-Schlagmichtot”-Reihe.
Am Donnerstagabend war es mal wieder so weit und der WDR lud über 2000 Gäste und Pilgerer in die zwar ausverkaufte, allerdings leider nicht annähernd voll besetzte Kölner Philharmonie, um im dritten Jahr in Folge ein weiteres Mal einzig und allein der Musik aus Videospielen zu huldigen. Nach der Uraufführung mit den größten Klassikern keines geringeren als Chris Hülsbeck im Jahr 2008 (Symphonic Shades), sowie der musikalischen Aufarbeitung der Final Fantasy- und Chrono-Trigger-Geschichte im Rahmen der Symphonic Fantasies im vergangenen Jahr, erfolgte in diesem Jahr die Fokussierung auf die großen Klassiker des Nintendo-Universums.
Als bekennender Nintendo-Hasser war ich nach zwei furiosen Durchgängen dieses Mal ja auf das Schlimmste gefasst – und wurde in mancherlei Hinsicht sogar bestätigt. Da ich mich zwar seit mittlerweile deutlich über einem Vierteljahrhundert mit Videospielen beschäftige, Nintendos Machwerke dabei aber weitestgehend zu meiden wusste wie der Teufel das Weihwasser, ist mir ein Großteil der Melodien aus dem Nintendo-Universum fremd. Entsprechend gering war der Wiedererkennungs-Wert für mich am gestrigen Abend. Besonderer Überraschungs-Effekt dabei für mich: wo mir die Nintendo-Welt für gewöhnlich vor allem aufgrund ihrer geradezu unerträglichen Infantilität auf den Zeiger geht, war im Rahmen des Konzertes von dem üblichen Feelgood-Heititeiti gestern herzlich wenig zu spüren. Stattdessen zeigte sich das musikalische Gesamterlebnis ausgesprochen erwachsen, sogar über weite Strecken überraschend dramatisch und düster. So blieb denn auch die Super Mario Retro-Suite beinahe schon das einzige wirklich von Fröhlichkeit durchsetzte Werk der gesamten Veranstaltung.
Der große Rest versuchte sich derweil vor allem in Bombast, verlor dabei allerdings viel zu oft die wirklich erinnerungswürdigen Melodien aus den Augen und büßte dadurch massiv an Eingängigkeit ein. Das ist nicht nur anstrengend zu hören, sondern führt unweigerlich dazu, dass man als Hörer immer mehr und mehr vom Geschehen auf der Bühne abdriftet und sich innerlich schon jetzt auf seine nächste Steuererklärung vorbereitet. Das ist vor allem deshalb schade, da die beiden vorangegangenen Konzerte eben vor allem durch ihre großen Melodien, die geschickte gesponnenen Spannungsbögen und ihre große Eingängigkeit zu glänzen wussten. Ob die musikalische Welt Nintendos hier, bis auf wenige Ausnahmen, einfach viel weniger hergibt als ihre “Mitbewerber”, oder ob es an den Interpretationen der einzelnen Arrangeure lag, vermag ich hierbei allerdings nicht zu beurteilen.
Soviel ist zumindest sicher: wo die Originale zumeist gerade durch ihre Einfachheit bestechen, wird eine aufwändig instrumentierte Orchester-Version natürlich zwangsläufig um ein vielfaches komplexer, verlieren sich einzelne Hooks viel zu schnell im großen Ganzen. Hinzu kommt dann noch der Umstand, dass von den Arrangeuren offenbar oftmals sehr viel an Eigenkomposition mit einfließt, um ein Stück auch wirklich für ein 80köpfiges Orchester tragbar zu machen, wodurch Stücke zusätzliche Verfremdung erfahren. Der Umstand, dass jede der dargebotenen Symphonic Legends eine Suite war, die gleich mehrere Kompositionen in sich vereinte, führt zu weiteren Verfremdungen an den Nahtstellen zwischen den einzelnen Gliedern. Doch wie gesagt: ich bin in der Nintendo-Welt leider nicht firm genug, um hier ein wirklich qualifiziertes Urteil abgeben zu können.
Alles in allem waren die Symphonic Legends für mich in diesem Jahr ein eher anstrengendes Erlebnis mit zuviel Dramatik und zu wenig Sinn für die wirklich großen Melodien. Negativer Höhepunkt war die gut 30minütige (!!!) Legend of Zelda Suite, die außer dem hin und wieder aufblitzenden Main Theme für mich herzlich wenig Wiedererkennungswert hatte und sich zu sehr in dramatischem Bombast suhlte. Eine Kürzung auf die Hälfte der Zeit hätte hier sicherlich gut getan. Allerdings gab es andererseits natürlich auch ein paar Highlights zu vermelden. Für mich waren das ganz eindeutig die beiden direkt vor der Pause gespielten Suiten zu Pikmin und Super Mario Galaxy. Letzere gefiel mir erstaunlicherweise sogar besser als Marios Retro Suite inklusive dem berühmten Super Mario Land Theme, das mir leider ein wenig lieblos eingeflochten erschien.
Hoffen wir also einfach mal auf Besserung im nächsten Jahr und vielleicht die Rückbesinnung auf einen einzigen Komponisten. Nichts desto trotz ist mein Ziel, auch 2011 wieder mit von der Partie zu sein. Wer nun ebenfalls mit dem Kartenkauf liebäugelt, sollte spätestens ab Januar die Augen aufhalten, da das vorhandene Kontingent erfahrungsgemäß sehr schnell erschöpft ist. Und wer mit einem Spieleverächter seiner Wahl die Meinungskluft in den heimischen 4 Wänden musikalisch überwinden möchte, kann sich ja einfach die Symphonic Shades oder Symphonic Fantasies bei iTunes bzw. Amazon shoppen.
16 Kommentare
Ich teile deine Meinung in etwa. Gerade bei der F-Zero-Suite ging der Charme des Originals ziemlich unter. Barraks Einleitung war passend zum Rennsportthema (wenn auch wieder etwas zu lang), aber der Rest … mit Mühe waren zwar die Originalmelodien erkennbar, aber das war’s dann auch schon.
Anderes war dafür besser gelungen, die Qualität des Arrangements und der Aufführung war sowieso erhaben, ABER: Meiner Meinung nach sind die Nintendo-Spiele beispielsweise den Square-Enix-Spielen aus dem letzen Jahr musikalisch weit unterlegen. Da hilft dann auch kein “Sinn für die wirklich großen Melodien”, wenn die einfach nicht da sind.
Der Zelda-Teil inklusive der Zugabe stach was das angeht etwas hervor, so man denn die Melodien wiedererkennen konnte. Zelda hat nun mal schöne Musik, aber mit dem, was beispielsweise die Final Fantasy-Serie so auffährt, kann das kaum mithalten.
Oder ums mal so zu sagen: Das, was im letzen Jahr mit One Winged Angel und dem Chocobo Theme getrieben wurde, wäre mit der Zelda-Musik bei bestem Willen nicht drin gewesen.
PS.: Schade, dass die Zugabe nicht mit auf der Symphonic Fantasies CD ist.
PSS.: Schade, dass ein älteres Ehepaar schon vor der Zugabe gegangen ist. Wussten es wohl nicht besser …
Sehr guter Artikel! Ich hatte schon befürchtet nur Lobhymnen zu lesen ;)
@Thomago: soweit ich verstanden habe wollten die die Zugabe im Internet zum Download anbieten weil sie nicht mehr auf die CD gepasst hatte
Ich ärgere mich trotz der verhaltenen Kritik etwas darüber, dass ich es dieses Jahr nicht zu dem Konzert geschafft habe. Neuinterpretationen musikalischer Art – gerade wenn es vom digitalen zum klassichen geschieht – finde ich immer wieder spannend, auch wenn man am Ende vielleicht doch etwas enttäuscht über den mangelnden Wiedererkennungswert ist.
Gemessen an den Originalmelodien kann ich aber vor allem bei Zelda gut nachempfinden, dass ein 30minütiges Medley doch sehr anstrengend sein kann (ich hab die meisten Zelda-Spiele nie zuende gespielt, weil mir vor allem die Musik auf den Keks ging irgendwann). Ich finde Nintendo hat starke Themen, aber keine besonders guten Stücke “für dazwischen”. Bei den Square-Kompositionen sind nicht nur die pompäsen Dramatik-Wirbelwinde hörenswert, sondern auch die leiseren Stücke, oft sogar nur die, die man eher als Lückenfüller eingestreut hat. Es lohnt sich beispielsweise sehr die Piano-Versionen von dem Final Fantasy-Soundtracks genauer anzusehen, weil dort die im Spiel eher unauffälligen Stücke samt und sonders zur Geltung kommen. Symphonic Fantasies vom letzten Jahr habe ich daher auch sehr euphorisch aufgenommen.
Für 2011 möchte ich mich wieder RECHTZEITIG um Karten bemühen. Ich bin gespannt, was für das nächste Mal auf dem Programm steht.
Ich bin beim Anblick der bisherigen Kommentare ja wirklich froh, nicht der einzige zu sein, der seine Probleme mit dem Konzert hat.
Hatte ja wirklich befürchtet, dass mich alle als voreingenommenen Spinner abstempeln, aber anscheinend gibt der musikalische Nintendo-Output ja wirklich nicht viel her.
Ist es nicht eher so, dass du/ihr einfach keine Verbindung mit den Musikstücken hast/habt? Ich meine, ich wüsste jetzt nicht wie sich das Chocobo Theme anhört und könnte es beim Hören höchstens vage in die Final Fantasy-Ecke einsortieren. Eine Interpretation davon fände ich dementsprechend langweiliger als wenn ich mich in Welt 2-1 von Super Mario zurückversetzt fühle oder wieder einmal musikalisch die Eisbahn herunter schlittere.
Die Verbindung ist bei mir sowohl zu den Nintendo-, als auch zu den Square-Stücken relativ gering. Die Chocobo-Meldodie hätte ich trotz Genuss von insgesamt 5 FF-Teilen nicht unbedingt erkannt.
Allerdings hatten die Square-Stücke im letzten Jahr eine deutlich herausragendere musikalische Qualität, die jedes Medley, jede Suite zu einem in sich schlüssigen und immer aufregenden Gesamterlebnis gemacht haben. Bei den Nintendo-Stücken hatte ich öfter das Gefühl, dass ganze Passagen nur deshalb drin waren, weil das Werk auf Länge gezogen werden musste. Und insgesamt wirkt alles so, als hätte man den sonst eher kindlichen Ansatz Nintendos ausgerechnet in der Musik bewusst im Keim ersticken wollen und deshalb alles konsequent auf Dramatik und pompöses Herumgedonnere gebürstet, statt sich auf die kleinen, wirklich herausragenden Melodien zu konzentrieren.
Ach so, das muss ich unbedingt nochmal festhalten:
ICH MAG CHIPTUNES. ICH MAG ES AUCH HEUTE NOCH, IN MEINE ALTEN HÜLSBECK-TUNES REINZUHÖREN.
ICH LIEBE AUCH BSPW. DAS SUPERFROG-THEME IN SEINER GANZEN 8-BIT-IGEN HERRLICHKEIT!!!!
Obenstehende Passage mit dem Gefiepse und dem Tinnitus etc. bezieht sich als ironischer Seitenhieb auf den Mainstream, der mit Chiptunes nunmal herzlich wenig anzufangen weiß (und mit Klassikkonzerten, BTW. übrigens auch nicht!!!).
Ich mag Chiptunes auch sehr, aber Hülsbeck finde ich hoffnungslos überbewertet. Er hat sehr geile Stücke gemacht, allen voran Turrican, Superfrog oder Tunnel B1, aber so vergöttern, wie es die Spieleveteranen beispielsweise tun … naaaaaaaja. ;)
*räusper* Superfrog ist nicht von Hülsbeck, sondern von Allister Brimble *hüstel*.
War von mir nur als zusätzliches Beispiel neben Hülsbeck gedacht.
Aaah, wieder was dazugelernt. Ich hätte jetzt geglaubt das wäre auch von ihm.
Wo Du Allister Brimble erwähnst, fällt mir glatt wieder die Melodie von Project X ein. Die war doch irgendwo in meiner Musiksammlung …? *such*
Da ich das Konzert nicht gehört habe, glaube ich dir einfach mal. ;) Aber es ging mir mehr um
[quote]anscheinend gibt der musikalische Nintendo-Output ja wirklich nicht viel her[/quote]
was du ja indirekt mit
[quote]deshalb alles konsequent auf Dramatik und pompöses Herumgedonnere gebürstet, statt sich auf die kleinen, wirklich herausragenden Melodien zu konzentrieren[/quote]
abgeschwächt hast. :D
Mit dem Nintendo-Gedudel kann ich auch nichts anfangen. Immer wenn irgendwo diese Musik erwähnt und gehypet wird und ich dann reinhöre, denke ich nur “Hä?”. Wahrscheinlich muss man die Spiele gespielt haben.
Trotzdem gibt es grandiose Chiptunes, immer wieder gerne höre ich z.B. [url=http://remix.kwed.org/?search_id=236]Echos of the Master[/url].
Die “Super Mario Galaxy”-Suite ist großartig. Einfach nur großartig!
Aber die Musik von Galaxy hat mich während des spielens auch schon begeistert und wochenlang als Ohrwurm begleitet.
Möchtegern-Opportunist, der wohl offensichtlich kürzlich mit dem großen Schachtelsatz-Duden bedacht wurde. Spätestens bei “erwachsen” und “düster” darf man hier aufs Kreuzchen klicken. Bitte [s]an die Wand stellen[/s] abstellen.
Ironie-Nichtchecker künftig alle ins Stocktanz-Gulag einweisen. Danke.