Im Handschuhfach meines bescheidenen PKWs liegt eine selbst zusammengestellte CD. Ihre Oberfläche ist blau, wie der CD-Rohling von Welt es eben damals noch so trug. Auf ihrer Oberseite prangt ein selbstgedrucktes und, bei allem Respekt für meine jugendliche Naivität, potthässliches Label, welches Inhalt, Jahr und Autor benennt:
AMIGA Memories – 1999 – by Pixle Wizard
Dieser Datenträger findet auch heute noch regelmäßig seinen Weg in meinen CD-Player. Und wenn ich mit dieser Offenbarung eines verdeutlichen möchte dann nicht nur die Tatsache, dass ich vor 13 Jahren bereits fähig war, AMIGA-Mods zu konvertieren und auf eine Audio-CD zu brennen (oder dass ich doch allen Ernstes so bescheuert war, “Pixle Wizard” als Alias zu wählen), sondern vielmehr meine Liebe zur Videospielmusik. Und zwar nicht nur in ihrer modernen, meist orchestrierten Form, sondern auch – und im Speziellen – zu den Klängen ihrer goldenen 8-Bit Ära. Diese Liebe ging seinerzeit so weit, dass ich als angehender Chris Hülsbeck-Sukzessor Zeit und Geld in die Anschaffung eines Technosound Turbo Stereosamplers investierte und mich, mit höchst bescheidenen Ergebnissen, im Umgang mit 4-Spur Trackern übte.
Um nach diesem hochinteressanten, ausschweifenden Exkurs in meine Jugend endlich zum eigentlichen Thema zu kommen: Während der Nerd in mir in den vergangenen Jahren eine Art Dornröschenschlaf hielt (was nebenbei bemerkt wesentlich romantischer klingt als “ins künstliches Koma versetzt wurde”), fand eine ganz bemerkenswerte Entwicklung statt. Menschen meines Alters erhielten sich nicht nur ihre Begeisterung für die Klänge der Konsolen- und Computerhardware von damals™, sondern nutzten sie, um unterschiedlichsten Musikrichtungen der Neuzeit ihren eigenen, nostalgischen Stempel aufzudrücken und, entgegen allem glattproduzierten Trend, der rauen Faszination der Schlichtheit zu frönen. Das mag an sich nichts bahnbrechend Neues sein, aber die ehemals im stillen Kämmerchen vor sich hintüftelnden Nerds (und ich meine das im liebevollsten aller Sinne) haben ein Publikum gefunden. Die Chip-Music Szene war geboren.
Neulingen (wie ich es war) soll an dieser Stelle der Klick zum Wiki ihres Vertrauens erspart und eine etwas genauere Begriffsdefinition geliefert werden. Bei Chip Music (mitunter auch als “Chiptunes” oder “8-bit music” bezeichnet) handelt es sich mit Nichten um Videospielemusik, sondern sie findet dort lediglich ihren Ursprung. Teils hochgradig modifizierte Hardwareplattformen aus den 1980ern und Mitt-1990ern wie z.B. C64, NES, Amiga oder der Game Boy kommen zum Einsatz, um die charakteristischen Klänge ihrer Soundchips für Kompositionen zu nutzen. Musiziert wird entweder über entsprechend geschaffene Schnittstellen oder, falls möglich, über das Gerät selbst. Weniger pragmatisch veranlagte Künstler verwenden lediglich dem Original nachempfundene Samples. Und bevor jetzt einer von euch Erbsenzählern brüllt “Aber der XY hat doch nur 4 Bit pro Kanal!”: Ja. Ich weiß. Ich habe mir die Bezeichnung auch nicht ausgedacht.
Meine Begeisterung für Chip-Music wurde jüngst durch die Produktionsfirma 2 Player Productions (2PP) geweckt. Diese zeichnet sich unter anderem für die Videodokumentation von Tim Schafers Double Fine Adventure verantwortlich und hat sich bereits durch diverse Behind-the-Scenes Featurettes und Dokumentationen in der Videospieleszene einen Namen gemacht. Ihre erste Produktion stammt aus dem Jahr 2005 und läuft unter dem Titel Reformat the Planet (RTP). Seit 2010 auf DVD erhältlich berichtet RTP, am Beispiel des Mikrokosmos der New Yorker Untergrundszene, über die globale Chip Music Bewegung und folgt den Ereignissen rund um die Entstehung des seither jährlich stattfindenden Blip Festivals.
Besagtes Festival hat sich zwischenzeitlich zu einer festen Größe etabliert und bietet Künstlern aus aller Welt eine Bühne für ihre Musik. Diese vereint zwar die Klangcharakteristik als kleinsten gemeinsamen Nenner, die Ergebnisse könnten aber kaum unterschiedlicher ausfallen. Angefangen bei puristischen, nur einem einzigen Game Boy entlockten Tönen bis hin zu komplexen Arrangements mit Gitarren und Schlagzeug. Von melodiös eingängig über extrem tanzbar, bis hin zu industriell lärmend und, nun ja, nicht mehr so tanzbar. Eine Gewisse Grundsympathie vorausgesetzt bietet sich dem Hörer ein breites Spektrum an Stilrichtungen. Und ganz ehrlich: Enddreißiger, die mit einem Game Boy in der Hand zu den eigenen, stampfenden Beats abgehen wie Schmitz’ Katze? Ein absolutes Erlebnis!
Die Interpreten finden sich längst nicht mehr nur in den Kreisen altehrwürdig ergrauter NES-Spieler, auch die jüngere Generation hat diesen einzigartigen Sound für sich entdeckt. Mittlerweile hat sich weltweit eine stetig wachsende Gemeinschaft gebildet, die sich zudem dem Indie-Grundsatz verschrieben hat. Für Fans und Konsumenten bedeutet dies unabhängig produzierte Werke, die zu einem nicht unerheblichen Teil kostenlos dargeboten werden. Eine der bekannteren Communities dürften die 8bitpeoples sein. Zu ihr gehören Künstler und Blip-Veteranen wie Joshua Davies (Bit Shifter), Jeremiah Johnson (Nullsleep) oder William Rickman (Random). Viele ihrer Stücke stehen zum kostenlosen Download bereit. Auch auf den bekannten Videoplattformen finden sich Mitschnitte ihrer Live-Darbietungen.
Alleine über das “who-is-who” der Chip Music Szene und den technischen Aspekt, also das “Wie”, ließe sich eine abendfüllende Dokumentation produzieren. Ein Glück dass 2PP mir das bereits abgenommen hat. Was wie schamlose Schleichwerbung und eine indirekte Kauf- und Sehempfehlung klingt, soll auch eine sein. Alle tapferen Leser, die es bis zu diesem Fazit geschafft haben, lauschen hoffentlich ohnehin bereits andächtig den Klängen von Bit Shifter, Nullsleep und Co. Oder gehen dabei ab wie Schmitz’ Katze. Meine “AMIGA Memories” haben jedenfalls erst einmal Pause.
2 Kommentare
Natürlich ist die Tatsache, dass Chiptunes jetzt die neue heiße Scheisse ist erst mal ziemlich geil. Kein Frage. Was ich jedoch ums verrecken nicht verstehen will, ist die Tatsache, dass Welle: Erdball seit mittlerweile 22 Jahren erfolgreich Musik mit dem C64 machen und erst jetzt, wo das ganze das Label Chiptunes bekommen hat, kriechen die Kreuzberger Hipster aus Ihre Lofts und denken sie sind Teil einer neuen neuen Welle (sic!). Wie wichtig doch Klassifizierungen für den kleinen Geist sind.
Hipster kommen und gehen. Wenn die nächste “heiße Scheiße” um die Ecke kommt ist die Chiptunes Szene die auch wieder los. ;-)