Dieser Moment, in dem die rot geäderten Augen nach Feuchtigkeit brüllen und gegen meinen Willen den Blinzel-Reflex auslösen. Ich krache mit Tempo 300 viel zu früh in den Gegenverkehr und schramme, schon wieder, knapp an der Goldmedaille vorbei. Zu müde um den Controller gebührend an die Wand zu werfen, starte ich einen neuen Versuch. Der wievielte es ist, habe ich vergessen. Natürlich wäre es klüger, ins Bett zu gehen und die ganze Sache morgen Abend frisch und ausgeruht erneut anzugehen. Aber es ist doch nur mehr diese eine verf***te Kreuzung. Und ich bin SO dicht davor den Highscore zu knacken…
In den Jahren 2001 bis 2005 bescherte mir Criterions „Burnout“ Serie regelmäßig eine nicht unerhebliche Anzahl schlafarmer Nächte (Schönen Gruß von meinem damaligen Arbeitgeber). Dabei waren es weniger die Rennen, die es mir angetan hatten, sondern der sogenannte „Crash“ Modus, bei dem man auf einem bestimmten Streckenabschnitt, meist waren es Kreuzungen, einfach nur möglichst viel Schaden anrichten musste. Je nach erreichter Punkteanzahl erhielt man eine Bronze-, Silber- oder Goldmedaille. Diese Kombination aus simpler aber präziser Steuerung, perfektem Timing und optisch beeindruckenden Destruktionsorgien übten eine suchterregende Anziehungskraft aus, der ich mich nur schwer entziehen konnte.
Gut ein Jahrzehnt später bin ich erneut der Droge dieses einfachen Spielprinzips verfallen. Und im Grunde wusste ich das bereits als ich den ersten Trailer zu „Trials Evolution“ sah. Dieser hinterhältige Xbox Live Arcade Titel lockte mich mit einer Demoversion in seine Fänge und ließ für läppische 1200 MS Punkte die Falle endgültig zuschnappen. Der schiere Umfang, der einem für diesen Preis geboten wird, treibt so manchem Vollpreistitel die Schamesröte ins Gesicht. Unzählige Strecken, jede Menge Mini-Spiele, optische Anpassungsmöglichkeiten für Spielfigur und Motorräder, Bestenlisten, Statistiken, Multiplayer und nicht weniger als zwei (!) Editoren zum Erstellen eigener Strecken, ja sogar vollkommen artfremder Spiele, sind mit an Bord. Doch nicht nur die Quantität stimmt. Zwar kann die Grafik in Sachen Detailgrad und Farbenfülle nicht mit Augenkaries wie „Trine 2“ mithalten, aber mangelnden Einfallsreichtum kann man den Entwicklern sicher nicht unterstellen. Von bombigen Kriegsschauplätzen über die Kulissen eines gigantischen Luftschiffs bis hin zu einer 1a Scherenschnitt-Hommage an „Limbo“. Abwechslungsreich, dynamisch und immer eine Spur übertrieben. Nie hat es mehr Spaß gemacht, die Gesetze der Schwerkraft mit seinen schmutzigen Stiefeln zu treten.
Das Gameplay ist erschreckend einfach. Die Fahrtrichtung führt, mit wenigen Ausnahmen, starr von links nach rechts durch die dreidimensionale Umgebung. Gas, Bremse und Balance des Fahrers werden vom Spieler gesteuert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit dem „Back“ Button startet man mit nur kurzer Verzögerung von vorne, mit „B“ beim letzten Checkpoint. Letztere sind zahlreich und fair über die gesamte Strecke verteilt und tragen ganz erheblich zur Dauermotivation bei. Eine Strecke erfolgreich zu beenden wird mit einer Bronzemedaille belohnt. Für Silber- oder Goldmedaillen werden bestimmte Zeitziele, und später auch eine maximale Fehleranzahl, vorgegeben. Sammelt man eine bestimmte Anzahl von Medaillen wird eine sogenannte Fahrprüfung verfügbar, in der man die erforderlichen Manöver des nächst höheren Schwierigkeitsgrads erlernt und einen neuen fahrbaren Untersatz sowie eine Reihe neuer Strecken freischaltet. Dieses Prinzip sorgt für eine langsam aber stetig steigende Lernkurve und beugt frühzeitiger Frustration wirkungsvoll vor.
Aber keine Sorge. Es WIRD Frustration geben. Eine Strecke zu meistern und mit einer Gold- oder gar Platinmedaille zu beenden, ist, vor allen Dingen in den höheren Schwierigkeitsgraden, eine Zerreißprobe für Mensch und Controller. Aber „Trials Evolution“ sorgt mit seiner einfachen, präzisen Steuerung und der fairen Streckenführung stets dafür dass die Schuld am dreiundsechzigsten Scheitern an ein und derselben Stelle einzig und alleine beim Spieler zu suchen ist. Einen Tick weniger Gas, das Gleichgewicht einen Hauch früher nach rechts verlagert, und schon hat man das zuvor als absolut unmöglich eingestufte Hindernis überwunden und alle ausgerufenen Verwünschungen lösen sich in Wohlgefallen auf. Zumindest bis zum nächsten unmöglichen Hindernis…
Jetzt wollt ihr sicher wissen, wieso ihr nicht sofort und ohne Umschweife eure Xbox anwerfen und „Trials Evolution“ kaufen solltet. Aus technischer Sicht gibt es keinen Grund. Zwar sieht man beim Neustart der Strecken regelmäßig Textur-Popups, und die auf Dauer nervige Musik wird in Frustrationsmomenten das erste und leichteste Ziel eures ungezügelten Hasses werden. Aber mehr negatives Karma gibt es nicht zu verbuchen. Das Spiel macht inhaltlich, technisch und spielerisch viel zu viel richtig, als dass man ihm diese Punkte ankreiden möchte. Psychisch labile Mitmenschen mit geringer Frustrationsresistenz gehören sicher nicht zur Zielgruppe. Ebenso wenig Leute mit gesunder Abneigung gegen Arcade-lastige Motorsportspiele. Alle anderen haben den Download hoffentlich längst angeworfen.
Im Übrigen wurde auf der E3 verkündet, dass Criterion an „Need for Speed: Most Wanted“ arbeitet. Die ersten Bilder versprühen „Burnout“ Flair. Und ich prognostiziere schlafarme Nächte…
2 Kommentare
Volle Zustimmung und die nervige Musik war gleich mal das erste, was ich in den Optionen abgeschaltet habe. Schöner Artikel, der den Wahnsinn von Trials gut zusammenfasst. :)
Excitebike mit Grafik?