The World Ends With You – oder TWEWY, wie die coolen Kids im Internet sagen – hat mich nie so gepackt, wie es eigentlich hätte müssen. Hätte ich das Hiphop-Drama um Einsamkeit und Freundschaft direkt 2007 mit 14 Jahren zum Release gespielt, wäre das vermutlich anders gewesen. Doch nur vier Jahre später, als ich die DS-Version endlich in die Finger bekam, ließ mich der brütende Emo-Protagonist Neku mit seinen völlig unproportionalen und trotzdem merkwürdig sexualisierten Partner*innen und Feinden ziemlich kalt. Das Kampfsystem, das zwar viel narrative Symbolik schulterte, aber spielerisch riesiger Mist war, tat da sein übriges, sodass ich das letzte Drittel des Spiels nie sah.
Da ich jedoch seit 2020 eine Switch besitze und zu meinem Gebrauchtkauf von einer guten Freundin auch das TWEWY-Remake dazu bekam, habe ich mich nochmal dran versucht. Viel kritisiert wurde der Wechsel von Pixelsprites zur Graffitooptik der Switch-Version, den finde ich jedoch angemessen – Graffiti spielen immerhin eine riesige Rolle in TWEWYs Shibuya – und tatsächlich ganz hübsch. In dieser Version habe ich nun endlich das Ende des Spiels gesehen, inklusive des Switch-exklusiven Epilogs. Begeistert war ich da immer noch nicht, zumal auch die auf der Switch nicht vermeidbare deutsche Übersetzung gar grausige Dialoge produziert, aber immerhin konnte ich ein wenig der Faszination nachvollziehen. TWEWY ist ein zugängliches Amalgamat vieler Subkulturen Japans beziehungsweise Tokyos, und da diese im Westen nun mal immer noch für einige Faszination sorgen, wundert mich der Geheimtipp-Status des Spiels nicht mehr.
Zugänglicher, aber nicht weniger bunt
NEO: The World Ends With You scheint sich an Menschen wie mich zu richten, die ihre Erfahrung hauptsächlich aus der Switch-Version ziehen. Zum einen baut der zweite Teil der TWEWY-Reihe auf den Enthüllungen des Epilogs auf, wenn NEO auch mehrere Jahre später spielt und man das Wissen um die vorangegangenen Ereignisse nicht direkt braucht. Zum anderen nimmt NEO die Ästhetik der Switch-Version ernst und setzt sie in dreidimensionale Modelle um. Gerade für Menschen, die TWEWY erst jetzt auf der Switch entdecken dürfte das ein Vorteil sein, denn an die DS-Version kommt man abseits von Emulatoren und Flashcards heute ohnehin so gut wie nicht mehr ran.
Löst nun NEO das Versprechen ein, das TWEWY mir damals gegeben hat – von grundsätzlich veränderten Perspektiven auf meine Beziehungen mit den Menschen um mich herum, die ich nicht bereits als Freunde bezeichnen würde, vom Kennenlernen neuer Menschen und vom Hinterfragen der eigenen schlechten Charaktereigentschaften?
Wenn ich nun “Nein” schreibe, tue ich dem Spiel damit Unrecht. Denn mir verschafft NEO: TWEWY nichts dergleichen. Aber ich bin mit 28 nicht die Zielgruppe, genauso, wie ich es auch mit 18 schon bei TWEWY grade so nicht mehr war. TWEWY war ein Spiel für Teens, die Angst vor der großen, weiten Welt hatten und sich fühlten, als stünden sie alleine darin. Wenn ich meinen Internetbekanntschaften aus dieser Zeit glauben schenken darf, dann hatte Nekus Reise durch die Unterwelt von Shibuya einen geradezu therapeutischen Effekt auf eine nicht zu verachtende Menge an ängstlichen Teenagern. NEO: TWEWY sieht sich in seinen Aussagen nicht als Nachfolger von TWEWY, sondern als moderne Interpretation davon. Das diesmal kompetente Action-Kampfsystem reißt keine Bäume aus, stößt jedoch gleichzeitig auch nicht so ab wie das überfordernde Zwei-Bildschirme-System auf dem DS oder die langweilige Umsetzung als Touch-Minispiel im Switch-Remake zuvor. Allein die Zuordnung der verschiedenen Angriffe auf den Schultertasten und Facebuttons zu unterschiedlichen Figuren, die sich ins Geschehen stürzen und während ihrer zugeordneten Attacken auch getroffen werden können, erzeugt ein stärkeres Gefühl von Kooperation, als Square es noch 2007 im ersten Versuch geschafft hat. Auch die Charaktere selbst passen besser zum Zugehörigkeitsgefühl einer Generation von jungen Menschen, die immer online sind: Der ruhige, modebewusste Protagonist, der nicht mehr blöd fragt, wenn er etwas nicht versteht, sondern einfach googelt; die in Fan-Foren aktive Studentin mit dem Crush auf eine fiktive Figur; der unsichere Witzeschleuderer, der mit durch seine Flapsigkeit die meisten seiner Kontakte vergrault – im Wesentlichen spiele ich in NEO einen Haufen Twitterbekanntschaften. Und die wachsen mir ans Herz. Außerdem schafft es NEO tatsächlich, einige der nervigsten Figuren des ersten Teils als sympathische Figuren sinnvoll in die neue Geschichte einzubauen. Allein, dass ich dem matheversessenen Minamimoto nicht mehr sein Megaphon in den Rachen stopfen will, macht NEO: The World Ends With You zu einer deutlich angenehmer lesbaren Spielerfahrung. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Spiel bei der weiterhin eher adoleszenten Zielgruppe einen ähnlichen Effekt erzielen kann wie der erste Teil vor fast fünfzehn Jahren. Darauf würde ich es aber nicht reduzieren: Wer japanophil genug ist, um in den Stadt-Vistas, Modemarken und der Rockmusik Tokyos einen Reiz zu sehen, wird Freude mit NEO haben – ob 18, 28 oder 48.
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