Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse, denn ich bin einmal in Leipzig gewesen. Das muss im Jahr 2005 gewesen sein, ich erinnere mich unter anderem an 360-Mockups auf dem Microsoft-Stand und ein Probespiel dieses Mexiko-Shooters, der `ne Mischung aus “Tony Hawk” und “Max Payne” werden sollte. Ich habe den Namen vergessen. Tja, das Alter. Damals war ich schon Mitte 20, fand`s aber doch irgendwie hübsch, mal endlich auf eine dieser Spielemessen zu gehen, von denen man als jugendlicher Zeitschriftenabonnent immer soviel gelesen hat. So habe ich also einen Tag meines Leipziger Kurzurlaubes auf dem dortigen Messegelände verbracht. Den eigentlich geplanten halben Folgetag habe ich allerdings gestrichen. Was ich erlebt und gesehen habe – unter anderem Halbwüchsige mit lethargischem Blick und zweifelhaftem Deutsch, die sich in der schrillen Halbdunkelheit beinahe um ein “F.E.A.R.”-Shirt prügeln – hat mir gereicht. Leipzig ist schön, das Wetter war sehr gut, in der Innenstadt konnte man zu einem kühlen Bier fein essen und im Kino wurde “Sin City” kredenzt. Mein Spielemessenfazit war also: schön, mal na gewesen zu sein. Aber danke, nein danke. Nicht nochmal. Dreimal “nicht nochmal” bei diesem Reiseaufwand.
Wie gesagt, ich war bereits in Vietnam. Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Als dann die Kölnmesse ihrer Leipziger Konkurrenz die GC je nach Wohnort, Lesart und geistigem Reifegrad abgepresst / abgekauft / niederträchtig geklaut / im Handstreich geschickt abgeluchst hat, war die Veranstaltung plötzlich in meine Heimatstadt gezogen und sie rückte dank ÖPNV in eine verdammt bequeme Nähe. Jetzt schiebt mich bitte in keine Schublade. Ich wohne zwar hier am Rhein und dass auch sehr gerne, aber mir geht dieser Leizpig vs Köln – Mist vollkommen am Sitzorgan vorbei. Für mich zählen rein praktische Gründe und gut is’. Aber zurück zu Lück, also zu meiner offensichtlichen Erinnerungslücke. Ich muss meine Erfahrungen aus Leipzig in eine alte Gedächtniskiste gesteckt und diese irgendwie tief unter dem Hippocampus versteckt haben. Nur so lässt sich ein Gedanke erklären wie: “ich muss nur in die Bahn springen und rechtzeitig wieder aussteigen. Meine Güte, Grobi, das kann man sich doch eigentlich nicht entgehen lassen.” Meine Güte Grobi, hattest du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Was genau hast du erwartet?
Eigentlich wollte ich ja am Donnerstag gehen, denn wie sich das jugendliche Besuchsvolk über die Tage verteilt, kann man sich mit selbst mit dem winzigsten Brocken gesunden Menschenverstandes ausmalen. Leider kam kurzfristig alles anders und so sah ich mich gezwungen, die Messe am Samstag zu besuchen. Oh, welch grausames Schicksal. Damit sei vorweg also gesagt: dass ich den ganzen Tag nur einmal für diesen “Dark Void”-Rotz aus dem Hause Capcom anstand, anstehen konnte oder anstehen wollte und dass ich nicht mehr mitgezählt habe, wie viele Ellbogen ich im Laufe des Tages verteilt habe, liegt nicht in der Natur einer Spielemesse, sondern an der überaus bescheidenen zeittaktischen Umorientierung auf das Wochenende. Denn gute Güte, besucherzahlenmässig war der Samstag der absolute Super-GAU. Eine Stunde anstehen für 8 Minuten Probezock ist da womöglich noch eine ziemlich gute Quote. Hey, ich will zwar mal “Diablo 3” antesten, dafür aber nicht mit Ravioli, Esbit-Kocher und Schlafsack nächtelang auf dem Bürgersteig kampieren. Wofür? Damit ich der Erste bin? Entschuldigt mal, das Spiel ist doch keine Jungfrau! So wichtig ist mir dieser Videospielescheiss nicht. Wobei der Spezialexperte, der seinen Begleitern zum Thema “Modern Warfare 2” zu berichten wusste: “das ist das World of Warcraft im Shooterbereich” diese Einstellung vermutlich nicht nachvollziehen könnte. Wisst ihr jetzt Bescheid, WoW im Shooterbereich. Da kann man ruhig mal 18 Stunden anstehen. Schließlich gab`s zur Belohnung ein Video zu sehen, dass seinen Weg garantiert niemals ins Internet finden wird. Haha. Und so ging das überall und nirgendwo. “Brütal Legend”, “Operation Flashpoint”, you name it: überall standen die Schlangen einmal um den Block, nur mühevoll im Zaum gehalten von armen Securityleuten, die notdürftig Absperrband gezogen hatten. Wenn man dann doch in so einer sozialistischen Wartegemeinschaft (da isse, die versteckte Leipzig-Stichelei!) verweilen darf, rotiert das Hirn alle 45 Sekunden durch folgenden Gedankenzyklus: “wie lange noch? Wieviele gehen rein? Wieviele kommen raus? Hey, haben die da was geschenkt bekommen? Oh Mann, den Trailer sehe ich jetzt zum 512. Mal! Die anderen in der Warteschlange haben so leere Blicke. Ob sie wohl das gleiche denken? Wie war noch mal der Name des Spiels? Was MACHE ich eigentlich hier?”. Vergesst Schlafentzug und Waterboarding in Guantanamo. Warteschlangen auf Spielemessen sind die wahre Folter. Da steht man also teillobotomisiert und beobachtet andere Verrückte, wie sie überladen mit Werbegimmickscheisse in Form von Rockstaraufklebern, Aufblasschwertern, Pappkronen, mit “Bioshock 2”-Logo verziertem Schweinegrippenmundschutz und bunten Tragetaschen voller Poster um, durch oder über die eigene Warteschlangenzone balancieren, während der Verstand langsam den strategischen Rückzug antritt.
Apropros Schweinegrippe, da kann ich eine kleine Anekdote zum Besten geben. Noch draussen vor dem Eingangsbereich befand sich eine Art Jugendgruppe mit Betreuer. Dieser hatte gerade im Moment meines Vorbeigehens seine Schäflein im Halbkreis um sich herum angeordnet und hob zu folgendem Satz an: “ich möchte euch ja keine Angst machen, aber wenn ihr hier Controller anfasst, dann passt auf…” Logisch, die sind alle mit einem völlig sterilen Verkehrsmittel angereist. Ich habe mir den Rest erspart, denn eines ist klar: Killerspiele lauern überall.
Wieso ich von Teillobotomie rede, fragt ihr? Na, wegen der atmosphärischen Rahmenbedingungen. Unter dem Einfluss einer Kakophonie aus extrem lauter Musik verschiedenener Geschmack- und Himmelsrichtungen sind mir zwischenzeitlich Zeit- und Ortsgefühl verloren gegangen. Und meinen Namen habe ich phasenweise auch vergessen. Mein lieber Herr Gesangsverein. Stellt euch vor, ihr befindet euch in der akustischen Schnittmenge zwischen Minibühnen, auf denen zwei Gruppen armer Bockwürstchen “Rock Band Beatles” (“I wanna hold you hahahahand”) zocken, einer Rock Band-Bühne mit echt bösen und total schlecht gelaunten Metalheads, die System of a Downs “Chop Suey” intonieren, das ganze untermalt vom brechreizigen, aber fettbassigen Billokirmestechno des Konkurrenzstandes nebenan. Ätzend! Sowas radiert einem das Kurzzeitgedächtnis aus. Aber das allgegenwärtige Stroboskoplicht betäubt auch diese Schmerzen und tilgt die letzten Reste gesunden Menschenverstandes aus, so dass vormals äusserst vitale junge Menschen wie hirntot durch die Messehallen stolpern. Nur, um sich vor der nächstbesten Bühne mit Bumsmusik und Hupfdohlen einzufinden, von der aus ein wochenmarktgestählter Fleischereifachverkäufer das Volk mit Gegröhle wie “HALLO? HAAALLLO????” und “Das geht noch lauter!” einer Gehirnwäsche unterzieht. Und der tumbe Haufen reisst ihm den Plastikmüll, den er in die Menge schmeisst, wie zum bersten geil und mit Viagra vollgepumpt aus der Hand. “Wollt ihr den totalen Schlüsselanhänger?”- “JAAAAAA!” brüllen 500 Kehlen, die in diesem Moment ihre Oma für eine Tüte von NCsoft verkaufen würden.
Eure Inneneinrichtung liegt gerade verschüttet unter unnützem Werbekrempel und ihr hasst mich für meinen Rant? Dann rafft doch bitte mal beim nächsten Mal das traurige Bißchen Menschlichkeit zusammen, dass euch noch bleibt und schaut dem Standpersonal zur Abwechslung mal ins Gesicht, statt auf das Merchandising oder die Titten. Aber ich warne euch: was ihr da sehen werdet, ist nicht schön. Ihr werdet in fertige, ausgebrannte, leere Gesichter blicken, die Augen glasig auf irgendeinen imaginären Punkt gerichtet, der sowohl räumlich als auch zeitlich möglichst weit vom Messegelände in Köln-Deutz entfernt liegt. Bevor ihr dann weiterzieht und euch vor dem nächsten Messestand für 3 Wochen eingrabt, um 2,3 Sekunden eines Trailerankündigungsvideos schauen zu können, atmet tief ein und sagt einmal laut und deutlich: “es tut mir leid”. Ihr tragt dazu bei, Menschen psychisch zu vernichten, da wird eine kleine Entschuldigung ja noch drin sein. Meine gute Tat auf der Gamescom war die simple Vorlage meines Personalausweises bei der Ausgabestelle der Altersbändchen, ohne die es keinen Zugang zu den jugendverderbenden Spielinhalten gab. Die gute Frau dort war sichtlich glücklich, als sie sagte: “Oh Gott sei Dank, nicht NUR junges Gemüse!” Gehet also hin und tuet Buße, ihr könntet zum Beispiele einem der Securityleute einfach mal einen schönen Tag wünschen. Das wird sicher für ein wenig Freude sorgen. Anschließend an eure Miniläuterung könnt ihr euch dann meinetwegen rüber zu den Rekrutierern der Bundeswehr begegeben, die jeglicher “Killerspiele”-Hexenjagd zum Trotz mit eigenem Stand samt Panzerspähwagen zugegen waren. Der Stand war frei zugänglich, die Altersbändchen in diesem Fall total wurscht. Bei den Jungs in Grau könnt ihr euch dann mit den euch zugeworfenen Kulis ein paar Jahre zum Dienst verpflichten. Denkt aber daran: das blöde Plastikschwert zum Aufpusten und die Pappkrone schinden in Afghanistan keinen Eindruck.
4 Kommentare
Wunderbarer Beitrag, der wohl vielen Besuchern unserer Generation aus der Seele sprechen dürfte.
Ich war ein paarmal in Leipzig auf der GC, aber so krass wars dann doch nie. Mein letzter Besuch war zwar auch nicht mehr der Knaller, was ich aber eher meiner abnehmenden Begeisterungsfähigkeit zuschreibe, aber derartige Warteorgien hatte ich auf der GC (Leipzig) nicht erlebt. Es gab zwar auch die Ansteh-Stände, bei besonders geheimen Trailern, aber zum Probespielen oder um in einen Ab18-Bereich zu kommen, stand ich damals nie länger als 5 Minuten. Vielleicht gehört das zu den Anfangsschwierigkeiten der Messe, vielleicht liegts auch an den bekloppten Ausstellern.
Die seelenlosen Gimmick-Sammler waren allerdings jedesmal präsent, wenn ich da war. Und auch ihre “Moderatoren”, die es dann doch genossen, über einen Mob von plastikgeilen Kiddies zu herrschen. Nunja, kann ich ignorieren.
Auf der alten GC hat mich bisher jedoch zumindest immer ein Musikact positiv überrascht, der irgendwo auftrat, irgendwie schon bekannt war und irgendwie meiner Musik entsprach. Unter Umständen trägt das nicht wenig zum Gesamteindruck bei.
Naja, scheint ja jedenfalls nich wirklich besser als in Leipzig gewesen zu sein ;)
Mir geht’s nicht um Köln gegen Leipzig. Das galoppierende “Anti” da oben in dem Text ist eher ein Ausdruck dessen, dass ich sowas von überhaupt nicht die Zielgruppe für so eine Veranstaltung bin.
Ich geh’ halt nicht auf eine Spielemesse, um tolle Musik zu hören. Ich gehe natürlich auch nicht auf eine Spielemesse, um meinen Intellekt herauszufordern, ein bißchen Show und Spökes gehört vermutlich auch dazu. Aber Hilfe, mein Intellekt soll auch nicht vor Schreck explosionsartig aus meiner Birne flüchten.
Das Konzept (egal ob com oder convention) ist für meine Begriffe einfach für’n Arsch. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, können die 16 bis 18jährigen da nächstes Jahr gerne ohne mein Genörgel Spaß haben. Was ihnen vermutlich ohnehin lieber ist. ;)
Vieles in dem Artikel sehe ich auch so. Samstag hab ich es dort kaum ausgehalten. Den Donnerstag und Freitag hingegen fand ich sogar richtig gut. Der Untertitel der Gamescom war richtig gewählt mit “Celebrate The Games”. Denn genau darum gings mir auch persönlich. Mir war im Vornerein klar, dass es nicht viel neues geben wird, was man nicht schon aus dem Internet kennt bzw. in Kürze kennen lernen wird. Aber die Party drumrum, die hier ja teilweise verteufelt wird, fand ich schon ganz witzig. Die Skater bei Tony Hawk und die Breakdancer bei Sony waren echt gut. Die Präsentationen von den Chefentwicklern & Co bei Bethesda und die 3-Teilige Videowand bei EA…. Könnte noch mehr Beispiele aufzählen. Das ist natürlich einerseits furchtbar gehaltlos, aber ich tauchte für ein paar Tage (jawohl, ein paar Tage) in die Welt der Bits & Bytes ab und hab mir so den Urlaub gespart. ;)
Allerdings: 4 Stunden anstehen wollte ich auch nicht. Bei EA war die Ausbeute besser. 1,5 Stunden Anstehen für 0,5 Stunden Dragon Age spielen – das fand ich persönlich in Ordnung.