Moin! Heiko hier.
Vor ein paar Tagen hat sich Gerd bei mir beschwert, wir würden zu viele 08/15-Aufträge machen. Hauptsächlich Jahresinspektionen, Räderwechsel und so Zeugs. So würde ihm die Arbeit keinen Spaß machen, meinte er.
Ich kann das auch ein Stück weit nachvollziehen. Natürlich macht der 4895. Ölwechsel keinen Spaß mehr, aber das ist auf der anderen Seite leicht verdientes Geld. Außerdem kann man die interessanten Problemfälle nicht erzwingen, nech? Ich hab ihm gesagt, dass er noch froh sein kann, weil wir eine freie Werkstatt sind. Wir haben Fahrzeuge aller Baujahre und Marken in der Kundschaft. “Was meinst du, wie es erst einem Kollegen in einer Vertragswerkstatt geht?!”, habe ich ihn erinnert. “Oder Leuten, die in der Fabrik am Band stehen!”
Obwohl ich Gerds momentane Sinnkrise für reichlich übertrieben halte, immerhin sind wir hier auf der Arbeit und nicht im Vergnügungspark, ließ mich die Sache nicht mehr los: Wie kann man alltägliche Arbeit in Spaß verwandeln? Oder Gerd wenigstens den Zahn ziehen, dass hier auf der Arbeit immer alles unbedingt Spaß machen muss? Und dann, ein paar Tage später, hatte ich abends beim Zocken eine Idee…
“Kommt mal her, Jungs! Ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen”, rief ich Gerd und Justin am nächsten Morgen ran. “Mit Beginn des nächsten Monats werden wir hier ein neues System einführen: Ihr bekommt von mir für bestimmte Arbeiten Achievements. Jedes Achievement entspricht, je nach Schwierigkeit und Aufwand, einem bestimmten Wert. Die Werte eurer gesammelten Achievements addieren sich dann zum Schrauberscore.” – Es folgte ein kurzer Moment der Stille. Dann platzte es aus Gerd heraus: “WAS?! Du willst uns doch verarschen, Heiko, oder?” – “Wie geil!”, meinte dagegen Justin.
“Um zunächst mal deine Frage zu beantworten, Gerd: Jein. Du hast dich doch kürzlich darüber beschwert, dass dir die Standardarbeiten keinen Spaß machen. Also habe ich überlegt, wie man aus langweiliger und stumpfer Arbeit Spaß machen kann und bin zu dem Schluss gekommen, dass das niemand so gut versteht wie Spieleentwickler. Ihr kennt das doch: Töte 100 weiße Tauben! So machen wir das ab jetzt auch. Nur mit Ölwechseln statt Tauben.”
Während Justin meine Gamification-Idee total witzig fand, wurde Gerd langsam sauer: “Das kann doch nicht dein Ernst sein, Heiko. Ein öder Ölwechsel bleibt ein öder Ölwechsel, egal ob ich ein Achievement dafür bekomme oder nicht.” – “Richtig!”, pflichtete ich ihm bei. “Und trotzdem hält es Scharen von Videospielern nicht davon ab, völlig stumpfsinnige Sammelaufgaben abzuarbeiten, um diese oder jene Trophäe zu erhalten, nech? Vielleicht probieren wie es einfach mal eine Zeit lang aus und gucken dann, ob sich dadurch etwas geändert hat?” – “Ich weiß nicht, Heiko. Was haben wir denn überhaupt davon? Wenn ich mich das nächste Mal mit Thomas und Andy zum Skatspielen treffe, kann ich wohl schlecht mit meinem Schrauberscore angeben. Die lachen mich doch aus! Und das zu Recht.” – “Natürlich, weil die das in ihren Betrieben nicht haben. Mit deinem Gamerscore kannst du deine Mutter ja schließlich auch nicht beeindrucken. Aber du kannst dich immerhin mit Justin und mir vergleichen.” – “Ich finde die Idee ganz cool. Auch wenn’s nur just for fun ist”, mischte sich Justin ein. – “Ja, ganz toll”, sagte Gerd trocken. “Und was ist, wenn ich den Ölwechsel komplett durchgespielt habe? Mit Ölwechsel-Platin kann ich dann in Rente gehen, oder was?” – “Natürlich nicht”, sagte ich. “Nach dem Ölwechsel kannst du noch die Bremsbeläge, die Winterräder, die Scheinwerfereinstellung und tausend andere Sachen durchspielen!” – “Nicht zu vergessen den beliebten Irgendwas knarzt hier in meinem Benz-DLC!”, ergänzte Justin.
Gerd machte eine abwehrende Handbewegung und wollte sich schon genervt abwenden, als ich noch ergänzte “…und am Ende des Monats muss derjenige mit dem höchsten Schrauberscore seine Rechnung bei unserem Stammtisch nicht bezahlen.” – Gerd hielt schlagartig inne, drehte sich langsam wieder in unsere Richtung und grinste nun auch übers ganze Gesicht. “Ah, jetzt reden wir Tacheles, Chef. Warum hast du das nicht eher gesagt? Kann ja vielleicht wirklich nicht schaden, das mal auszuprobieren.” – Frei saufen. Besser als jedes Achievement. Damit bekommt man Gerd immer.
Später, so gegen halb eins, kam Justin mit dem Essen aus Gerdas Imbiss zurück: “Ein Jägerschnitzel mit Pommes und zwei Gyrosteller mit Reis, die Herren!” – “Bedankt. Hast du dran gedacht?”, fragte Gerd? – “Türlich. Kein Salat, dafür extra viel Pommes und Mayo”, bestätigte Justin und ließ noch ein “*PLING!* Achievement unlocked: The vitamins are a lie” hören. – “Sehr witzig. Zuhause gibt’s schon genug Vitamine. Aber wenn du noch weitere 99 Mal Essen holst, hast du endlich die Feeding the beast-Trophäe.” – “Yay! Aber die ist gar nichts gegen dein Grumpy Mechanic-Abzeichen, das du täglich aufs Neue freispielst”, konterte Justin. – “Ach, da fällt mir ein, dass deine Perle vorhin angerufen hat, Justin”, sachte ich. “Ich soll dir ausrichten, wenn du heute wieder vergisst, nach der Arbeit noch beim Supermarkt vorbeizufahren, rückt dein Beziehungs-Platin in ganz weite Ferne.” – “Kein Scheiß?” – “Kein Scheiß.” – Gerd schoss ein Stück Pommes mit Mayo aus der Nase…
Selbst wenn die Achievement-Idee für rein gar nichts gut war, dann immerhin für die spaßigste Mittagspause seit langem.
Während wir so beim Essen weiter Unsinn schnackten, stand plötzlich ein Kunde im Eingang zum Pausenraum und räusperte sich: “Tut mir leid, dass ich Ihre Mittagspause störe, aber mein Polo ruckelt immer mal wieder beim Gasannehmen. Manchmal geht der Motor sogar einfach während der Fahrt aus. Ich war schon bei zwei VW-Werkstätten, aber keine hat den Fehler finden können…” – Gerd bekam sofort leuchtende Augen und meinte: “Keine Problem. Ich kümmer mich sofort darum.” – Als er bereits den Tester an den VW anschloss, überlegte ich mir derweil einen coolen Namen für das Achievement. Flogging a dead horse vielleicht…?
Munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne “Heikos Garage” in der WASD. Dieser Text wurde im Juli 2017 für die 12. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema “Fun, Fun, Fun – Müssen Videospiele Spaß machen?” geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
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