Lange Zeit war ich den Plastikinstrumenten abstinent. Guitar Hero 1 und 2 hatte ich auf der Playstation 2 gespielt. Gitarre und Spiele liegen heute im Originalkarton auf einem Schrank in meinem Jugendzimmer 300km entfernt. Teil 3 der GH-Reihe spielte ich mit neuer Gitarre auf der Wii, aber sowohl Gitarre, Spiel als auch Konsole sind über Ebay weiterverkauft worden. Also nahm ich fürs erste Abstand vom rhythmischen Drücken der bunten Tasten.
Zwei Jahre später trägt der Postbote einen riesigen Karton durchs Treppenhaus. Darin befindet sich die Limited Edition des neusten Rock Band-Ablegers: The Beatles: Rock Band. Zu zweit brauchen wir für die Entfernung der Versandverpackung alleine zehn Minuten. Das verwendete Klebeband hätte ausgerollt sicherlich einmal um die Erde gereicht. Weitere zwanzig Minuten später steht ein elektrisches Drumset, eine Nachbildung von Paul McCartneys Höfner-Bass und ein Mikrofonständer mit passendem Mikrofon vor uns.
Schon zwei Wochen vorher hatte ich vom Rock Band-Konkurrenten Guitar Hero dessen Metallica-Spiel mit passender Gitarre erhalten. Mein Wohnzimmer stand jetzt also voll mit Plastikinstrumenten. Ich hatte zwei Spiele mit Musik der größten Bands der Welt. Dem Aufstieg zum Rock- bzw. Metal-Olymp stand nichts mehr im Weg.
Zu Beginn hatte ich mich nur mit GH:Metallica und dem Gitarrenpart des Spiels beschäftigt. Im Storymodus begleitet man eine Vorband für Metallica, die immer zum Einsatz kommt, wenn Songs gespielt werden, die nicht von Metallica sind. Angeblich haben die Bandmitglieder Musik benannt, die für sie und die eigene Entwicklung wichtig waren, und so darf der Spieler auch “Demon Cleaner” von Kyuss, “Stacked Actors” von den Foo Fighter oder “Tuesday’s Gone” von Lynyrd Skynyrd spielen. Zur “Story” passt das alles nicht so richtig, aber wen interessiert das schon. Ihr spielt Songs von Metallica, sammelt Sterne, spielt Songs von anderen Bands, sammelt Sterne, schaltet neue Bühnen frei, die meistens überstilisierte Nachbauten wichtiger Metallica-Konzerte sind, und landet am Ende in einer riesigen Eishöhle um “The Thing That Should Not Be” zu spielen. Diese Höhle ist merkwürdigerweise während der einleitenden Zwischensequenz mit Publikum bevölkert, geht es aber ins echte Spiel, stehen Metallica ganz allein vor leeren Rängen.
Für ein Guitar Hero-Spiel ist der gitarrenlastige Sound Metallicas natürlich perfekt und so kann ich jedem Fan der Band und jedem Einzelspieler, der seinen Fokus auf die Saiteninstrumente legt, das Spiel wärmstens empfehlen. James Hetfield und Kollegen haben sich höchstpersönlich für Motion-Capturing-Aufnahmen hergegeben, welche im Spiel für authentisches “Faust in die Luft strecken” und andere übertriebene Rock-Moves sorgen. An einer Stelle hat es Entwickler Neversoft aber mit dem “larger then life”-Status der Rocker ein bisschen übertrieben. So wird ein riesiger herabstürzender Lautsprecher vom Metallica-Sänger aufgefangen und brüllend zur Seite geworfen. Da wird aus dem überzeichneten Rock’n’Roll-Spiel eine groteske Superman-Parodie.
Das Spielen der Gitarrenparts macht also Spaß. Mit leichten Abstrichen gilt dies auch für den Bass, der natürlicherweise nicht ganz so spannend zu spielen ist.
Bleiben also noch Schlagzeug und Gesang. Bei Ersterem teilte mir das Spiel nach dem Anschließen der Rock Band Drums mit, dass ich die wirklich megacoole Guitar Hero-Experience nur bekäme, wenn ich auch passendes GH-Equipment benützte. Spielen konnte ich mit meinen Drums trotzdem, aber irgendwie wollte der Funke nicht überspringen. Ob es an der weggefallenen Spur lag (GH-Drums haben fünf Pads, RB-Drums nur vier), oder ich einfach noch zu stümperhaft mit den Holzstöcken herumklimperte, kann ich nicht genau sagen. Unter anderen Voraussetzungen kann hier sicherlich viel Spielspaß entstehen.
Beim Spielen der Gesangskarriere machte ich mir den Spaß, eine dürre, leicht bekleidete Dame im mitgelieferten Charakter-Editor zu erstellen und sie dann durch mich die rein männlichen Vocals singen zu lassen. Bei Metallica-Songs musste ich dann wieder als James singen, was meist besser klappte als bei den Songs der anderen Bands. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen schienen unsere Stimmlagen ganz gut miteinander zu harmonieren. Insgesamt kann ich den Gesang als Solo-Spieler aber nicht empfehlen. Man schaut während der ein bis zweiminütigen Intros und Outros nur zu und ergötzt sich ansonsten an der Bühnenshow. Ich habe zwischendurch im Internet gesurft und Notizen für diesen Artikel gemacht.
Mit Metallica hatte ich mich nun aufgewärmt und konnte zum nächsten Musik-Schwergewicht übergehen.
Ladies and gentlemen … the Beatles!
Als Teil der großen Beatles-Wiedergeburt erschienen am 09.09.09 nicht nur alle Alben in überarbeiteter Mono- und Stereo-Fassung, sondern auch das passende Musikspiel zur Band. Die westlichen Pioniere der Plastikinstrumente Harmonix spendierten ihrer Rock Band-Reihe einen passenden Beatlesableger. Wobei man eher sagen muss, dass es umgekehrt ist: Die Beatles haben sich in einem Rock Band-Spiel verewigt. Im Gegensatz zur Konkurrenz sind bei diesem Spiel nur Beatleslieder enthalten und einige spielerische Elemente wurden angepasst oder gar gekürzt, um dem Monument Beatles gerecht zu werden.
Star-Power heißt jetzt Beatlemania, funktioniert aber noch genauso. Anders sieht es bei den freien Drum-Solos aus. Es ist nicht möglich, wie in den anderen Rock Band-Teilen, an bestimmten Stellen eines Songs frei und improvisierend auf die Drums zu klopfen. Niemand soll den Sound der Beatles verändern dürfen. Diese Tatsache ist mir im Prinzip egal, zeigt aber zusammen mit der nicht vorhandenen Möglichkeit, Songs aus anderen Rock Band-Teilen zu importieren, dass es sich hier um ein eigenständiges Produkt handelt, welches nur ungern in den großen Rock Band-Kanon gehören möchte.
Mich stört das nicht, und wen das nicht stört, der bekommt ein perfektes Beatles-Erlebnis ins Wohnzimmer. Das Intro schlägt sofort die richtigen Töne an und zeigt gleich, wo die Reise visuell hingeht. Bunte Farben springen einem entgegen, die man so lange in der grau-braunen Ursuppe der heutigen Videospielwelt vermisst hat.
Im Story-Modus geht es in neun Kapiteln durch die Karriere der Beatles. Die Anfänge werden auf für die Band wichtigen Bühnen präsentiert und sind noch nicht sonderlich spektakulär. Geht es aber später zu den Studioaufnahmen, können dem Betrachter schnell die Augen übergehen. Nach dem Intro schwenken alle Songs in Traumsequenzen ab und zeigen Ringo, Paul, George und John in surrealen Umgebungen, die teilweise derartig aus der Mattscheibe quillen, dass man schon mal die zu spielenden Noten übersieht. Die Liebe zum Detail und die Lust an Farben machen The Beatles: Rock Band wohl zum ersten Musikspiel, dass man auch gerne wegen der Grafik spielt.
Neben dieser optischen Perfektion ist aber auch das restliche Spiel formidabel und aus rein technischer und useability Sicht ein rundum gelungenes Werk. Wo Guitar Hero in seinen Menüs mit dem dreckigen Rock’n’Roll-Charme zu überzeugen versucht, ist die Navigation bei den Beatles eine verspielte, aber elegante und übersichtliche Angelegenheit.
Ich bin kein exzessiver Beatles-Fan, aber nach dem mehrfachen Durchlaufen der Songlist muss ich der Langlebigkeit fast aller Titel meinen Respekt zollen. Die Musik ist eingängig, bietet (zu) viele Ohrwürmer und wird trotzdem nicht schnell langweilig.
Was den Schwierigkeitsgrad angeht, so ist The Beatles: Rock Band ganz klar unterhalb von Guitar Hero: Metallica einzuordnen. Dafür ist die Musik nicht schnell und chaotisch genug. Komme ich bei den Beatles mit der Gitarre selbst auf Experte durch die Songs, zerbröselt es mich bei Metallica schnell in meine Einzelteile. Ganz anders ist es beim Gesang, der bei den Beatles eine sehr viel wichtigere Rolle spielt.
Der Grundgedanke hinter den groß beworbenen vocal harmonies ist wie folgt: So wie die Beatles zu dritt und mit drei Stimmen sangen, können dies jetzt auch die Spieler. Anstatt einer Gesangsspur gibt es drei. Im Einzelspieler kann man während eines Songs frei zwischen den Spuren hin und her springen. Gezählt wird immer die, welche in einem Abschnitt am meisten gesungen wurde.
Ich mag die Singerei, aber wie bei allen Karaoke-Games ist mir nicht ganz klar, nach welchen Regeln die eigene Stimme mal als sehr hoch und dann wieder als sehr tief verstanden wird. Egal wie bewusst quietschend oder brummend ich singe, eine Regelmäßigkeit ist nicht zu erkennen. Wer es wirklich auf hohe Punktzahlen abgesehen hat, summt am besten eh ins Mikro, anstatt wirklich die Worte zu singen.
Ein paar Sätze noch zur Hardware. Die Beatles-Drums sind technisch identisch mit den Rock Band 2-Drums, welche nicht offiziell in Europa erschienen sind. Wer also bisher auf sie gewartet hat, kann jetzt zuschlagen.
Den Höfner-Bass kann man von Weitem wirklich für ein echtes Saiteninstrument halten (Originalzitat eines Besuchers: “Spielst du ein Instrument?”). Gegenüber der GH:WT Gitarre wirkt er fast riesig und sieht recht edel aus. Da ich an die klickenden Strum-Bars der Guitar Hero Gitarren gewöhnt war, kam die ruhige Rock Band-Variante etwas überraschend und bedurfte einer gewissen Eingewöhnung. Jetzt ist sie mir aber fast lieber, ebenso wie die ebenen Grifftasten, welche das Versetzen der Hand deutlich einfach machen.
Kommen wir zum Fazit. Eigentlich hätte ich mir die bisherigen 1442 Wörter sparen können und einfach die Namen der Spiele analysieren sollen. Guitar Hero: Metallica ist das anspruchsvollere Gitarren-Spiel und überzeugt mit härterer Musik, die nicht nur von der im Titel an zweiter Position stehenden Band stammt. Das rundere Gesamtpaket liefert aber The Beatles: Rock Band mit großer Liebe zur im Namen hervorgehobenen Band und einem gelungeneren Partybanderlebnis für die breite Masse.
5 Kommentare
Ist Lars Ulrich im Spiel auch ein Kotzbrocken?
Dein Hass gegen ihn kennt auch keine Grenzen, oder? ;)
Es gibt Making-Of-Videos wo er im lustigen Motion Capture Anzug in einer leeren Halle sitzt und auf eine Schlagzeugatrappe trommelt. Sieht reichlich albern aus.
Danach trifft er zwei Fans und verhält sich normal.
Ich muss dich also enttäuschen. Keine Ausfälle von Herrn Ulrich.
Wie stehts mit Yoko Ono?
Die eigentliche Innovation von Guitar Hero:Metallica bleibt aufgrund der hier verwendeten Ludwig’schen Schiessbude ja völlig unerwähnt: zwei (in Worten: zwei) Kickpedals. Da können die Beatles einpacken, da helfen auch keine Bed-Ins.
Was natürlich komplett unrealistisch ist, weil Lars Ulrich auch nur ein Pedal benutzt. Der hat halt nur schnelle Treter.