Das Schöne und Faszinierende an der wunderbaren Welt der Computerspiele ist, dass ein Spiele-Entwickler sich nicht an die langweiligen Naturgesetze halten muss, die uns unsere Realität der erdlichen Existenz als Fußfesseln auferlegt hat. Schwerkraft is for losers!
Ihm oder Ihr stehen alle Freiheiten eines Gottes offen. Ein kreativer Entwickler kann ein komplettes Universum nach seinen Regeln erschaffen. Das Interessante für uns Spieler daran ist, die Regeln und Gesetze dieser Welt zu entdecken, zu erforschen und schließlich zu beherrschen. Wir sind es gewohnt, uns schnell und ohne allzu großes Hinterfragen an die neuen Regeln eines Spieles zu gewöhnen und dessen physikalische Begebenheiten als neue Norm anzunehmen. Willkommen in der Welt von Echochrome.
Eine Ansammlung cleverer Entwickler mit viel Mut und Fantasie sind die Angestellten im JAPAN Studio von Sony. Bekannt wurden diese kreativen Köpfe mit dem 2008er Spiel Echochrome für PS3 und PSP. Ziel ist es, Protagonist A zu Ausgang B zu führen, ohne den Charakter selber steuern zu können. Als Spieler wählt man nur die Kameraperspektive und verändert somit den sichtbaren Levelaufbau. Das Besondere an Echochrome ist, dass hier das als Gesetz gilt, was aus der gewählten Perspektive zu sehen ist, und nicht das, was perspektivisch logisch erscheint. Echochrome ließ sich also rege von der Genialität des Künstlers M.C.Escher inspirieren und macht so dessen Kunst begeh- und spielbar.
Läuft die Figur auf ein Loch im Boden zu, genügte es, die Kamera so zu platzieren, dass das Loch durch ein überdeckendes Stück Plattform nicht mehr zu sehen ist. Was ich als Spieler nicht sehen kann, ist auch für die Figur nicht existent und im Umkehrschluss ist das gültig, was optisch Sinn ergibt, auch wenn es nicht phsyikalisch korrekt ist. Ein tolles Spiel. Ich könnte Stunden weiter über dieses Konzept und dessen Umsetzung schwärmen.
Zeitsprung, zwei Jahre später, es ist 2010. Sony kopiert die Wii und bringt den bewegungssensitiven Move-Controller auf den Markt. Leider ohne wirklich nennenswerte Spiele, die man gemütlich auf der Couch spielen könnte ohne ins Schwitzen zu kommen. Was irgendwie blöd ist, weil das meine bevorzugte Art ist, Spiele zu konsumieren. Nun, fast: Eine kleine, feine Demo zum Nachfolger von Echochrome war ebenfalls als Download erhältlich und machte einen sehr cleveren Eindruck (und ließ sich bequem im Sitzen spielen).
Echochrome II ist kein direkter Nachfolger im Sinne von „Mehr Level, neue Features und bessere Grafik“ sondern übernimmt nur die Grundmission des Vorgängers: Bringe die selbst laufende Figur sicher ins Ziel. Weiterhin manipuliere ich dazu den Level, die Kamera steht dabei diesmal jedoch fix. Der Move-Controller wird zur Taschenlampe. Per Knopfdruck erzeuge ich einen virtuellen Lichtstrahl, der je nach Position und Winkel meines Handgelenks Schatten auf eine Leinwand wirft, in dem ich den vordergründigen Aufbau an Klötzchen und Blöcken des Levels anstrahle. Dank des feinfühligen Move-Controllers fühlt sich das Ausleuchten der Level sofort völlig natürlich an. Warum das Ganze? Nun, die zu rettende Figur existiert nur als Schatten und kann nichts als stupide geradeaus zu laufen. Natürlich in nur zwei Ebenen, ergo nach links oder rechts. Nun liegt es an mir, durch geschicktes Anleuchten der zusammenhanglosen Objekte im Raum einen begehbaren Weg aus Schatten zu werfen, damit der Figur keine Hindernisse im Weg liegen.Bei Abgründen oder Mauern dreht sich der Mann ohne Namen und Hirn einfach um und läuft zurück.
Kleinere Gimmicks erleichtern mir die Arbeit und bringen etwas Abwechslung ins Spiel: Ein halb im Boden versenkter Schatten einer Kugel fungiert als Trampolin, kombiniere ich ein Rechteck mit einem Halbkreis wird daraus ein Ausgang, zwei Torbögen richtig an einem Klotz platziert bilden einen Tunnel. Das sind die Gesetze dieses fiktiven Universums, die es zu akzeptieren gilt. So funktioniert das eben im Schattenland. Die ersten Level führen den Spieler sehr behutsam in diese Regeln ein und gönnen jeder dieser Besonderheiten ein ausführliches Tutorial.
Leider ist das ganze Spiel trotz der charmanten Grundidee und der technisch sauberen Umsetzung nicht so packend wie sein Vorgänger. Während mich die absurden, hirndwindung-verknotenden Escher-Level in Echochrome mit der minimalistischen Schwarz-Weiß-Optik in ihrer bestechenden Schlichtheit auch optisch stark angesprochen hatten, lässt mich die fade Schattenwelt des zweiten Teils völlig kalt. Echochrome 2 besitzt weder das spartanische, auf das Wesentliche reduzierte Design des ersten Teils, noch den Knuddelfaktor eines Little Big Planet. Echochrome 2 möchte aber in beiden Welten sein und findet dadurch keinen durchgängigen Stil.
Zwar macht es durchaus eine zeitlang Spaß, durch geschicktes Schattenspiel auf die Lösung zu kommen, nur der Reiz dies wirklich oft zu tun, entfaltet sich zumindest bei mir nicht. Ich habe keinerlei Motivation, dieser leblosen Figur zu helfen und die nackte Mechanik als solche nutzt sich zu schnell ab, um weiter zu motivieren. Ich empfinde keinen Kitzel, die Level besonders gut oder schnell zu schaffen, trotz des Zeitlimits. Die Lust, bereits geschaffte Level gar in einem der zwei alternativen Spielmodi zu spielen, tendiert gegen Null. Dabei bin ich für Puzzle-Spiele durchaus empfänglich. Picross 3D schuldet mir Schlafstunden im hohen, zweistelligen Bereich. Bei Echochrome 2 dagegen wird mir das Prinzip bereits nach 30 Minuten zu eintönig.
Eine Geschichte will das Spiel nicht erzählen. Die Welt bleibt kalt und leblos, noch dazu läuft unser Aufziehmännchen auch bei gedrückter Vorspultaste enervierend langsam. Jeder Neustart eines Levels wird damit zur repetitiven Qual. Neue Level werden in handlichen 10er Packs freigeschaltet und können in jeder beliebigen Reihenfolge angegangen werden, so dass man in frustigen, unlösbar scheinenden Situationen zwar unbeschwert erstmal an anderer Stelle weitermachen kann, wirklich befriedigende Erfolgserlebnisse feiert man jedoch in diesem Spiel nicht. Hat man einen Level geschafft, hat man ihn eben geschafft (und kann ihn voll socialwebundso auf YouTube hochladen, warum auch immer man das möchte). Es gibt keine Sterne, keine befreite Prinzessin, keine Videosequenzen, keine Punkte, kein Rating und kein Messen mit Freunden via Highscore. Nur die Zeit, die man gebraucht hat, den Ausgang zu erreichen… Nach der emotionalen Achterbahn eines Super Meat Boy wirkt Echochrome II dagegen wie Valium. (Klar, der erste Teil von Echochrome hatte das auch alles nicht, nur vermisse ich es dort nicht, weil das Paket als Ganzes stimmiger ist)
Der Schwierigkeitsgrad zieht nach dem sanften Einstieg übrigens rapide an. Bereits im zweiten und dritten Abschnitt saß ich oft zu Beginn ratlos vor dem Bildschirm und suchte nach dem richtigen Winkel um den Level auszuleuchten. Wer Lust am Experimentieren und kühlen Knobeln hat, kommt also durchaus auf seine Kosten. Mitunter können sich manche Level aber auch schon mal sehr fummelig gestalten und mehr als einmal habe ich mit einem Schatten einer Wand unabsichtlich mein Männchen über die Klippe geschubst oder zwischen zwei Schatten zerquetscht (und einige Male daraufhin in die pink leuchtende Kugel gebissen). Im Vergleich zum ersten Teil kam ich auch deutlich öfter einfach durch wildes rumprobieren zum Ziel. Dabei fühlte ich mich stellenweise, als hätte ich gemogelt, weil ich nicht den vorgesehenen Lösungsweg gefunden habe. Alles andere als befriedigend.
Japan Studio ist es hoch anzurechnen, dass sie ihre Serie nun schon zum zweiten Mal (es gab einen PSP-Ableger namens Echoshift mit Zeitschlaufen-Rätseln) komplett neu erfinden, statt dem üblichen Sequel-Trend nachzugeben. Dabei ist ein technisch gut funktionierendes Puzzle-Spiel herausgekommen, welches es so in dieser Form nur auf der PS3 mit Move geben kann. Leider fühlt es sich für mich aber ein wenig so an, als sei nicht die Idee oder die Spielwelt im Vordergrund gestanden, sondern die Herausforderung und der Wunsch, etwas Sinnstiftendes für die neue Sony-Hardware zu erschaffen. Mir fehlt das gewisse Etwas und der Feinschliff, bzw. das stilistische Gesamtkonzept des ersten Teiles, welches aus einem soliden Puzzler ein Spiel werden lässt, welches mich bis tief in die Nacht fesselt.
Gespielt wurde eine von Sony zur Verfügung gestellte Version des Spiels. Echochrome II ist als Download über das PSN der PS3 erhältlich und benötigt den Move-Controller.
3 Kommentare
Also, da ich das Spiel bisher noch gar nicht kannte, kann ich zu dem Vergleich des Vorgängers wenig sagen!
Grundsätzlich allerdings, hab ich jetzt richtig Lust drauf das Spiel mal auszuprobieren. Schade nur das ich keine PS3 oder PSP habe.
Der Artikel ist echt super geschrieben! Macht Lust auf mehr! ^^
Kompliment!
Ist die doch etwas mickrige Resonanz auf die “bewegungsfaule” Polyneux-Leserschaft zurückzuführen? Kein Move hier? Und wie sieht es mit Kin[s]aked[/s]ect aus?
Der Artikel ging irgendwie komplett an mir vorbei, trotz Twittr und RSS-Feed… :o
Aber ja, keine Fummel-Hardware hier außer der Maus an meinem PC. ;)