Guten Tag, meine Damen und Herren. Nachdem Sie bereits letzte Woche erfolgreich den einwöchigen Kurs “Propaganda für Anfänger” auf Kuba absolviert haben, werden wir nun anhand dieser Anleitung die ultimative Spielverpackung kreieren. Der Umsatz wird dadurch um grob geschätzte 327,485% steigen. Was benötigen wir dazu? Eine Schere (am besten vorne abgerundet, damit man sich nicht piekst), eine Tube Klebstoff (vorher dran zu schnüffeln ist später bei der Farbgebung hilfreich), ein handelsübliches Blatt DIN A4-Papier, einen Bleistift der Stärke 7B (angespitzt, aber nicht zu stark, sonst droht beim Pieksen evtl. eine Bleivergiftung) und einen arbeitswilligen Praktikanten, aber dazu später mehr.
Zuerst ist natürlich das Frontcover dran. Da dies das Erste ist, was der Kunde im Laden beim Vorbeigehen mit einem flüchtigen Blick wahrnimmt, muss das Cover ein absoluter Eyecatcher sein. Da es allgemein bekannt ist, dass sich junge Männer – niemand anderes spielt schließlich Computerspiele – nur für leicht bekleidete Damen, große Waffen und schnelle Autos interessieren, werden wir zwecks maximaler Umsatzsteigerung alle drei Motive fusionieren. Eine äußerst werbewirksame Gestaltung könnte z.B. so aussehen: Im Vordergrund schlittert eine aufgepimpte Prollschleuder unter starker Rauch- und Qualmentwicklung seitlich auf den Betrachter zu. Die Fahrerin ist eine wie ein Zirkuspferd aufgetakelte Bordsteinschwalbe mit üppigem Plastikdekolleté, die dem Pubertierenden mit einem dümmlich-grinsenden Lächeln sofort die Blutzufuhr zum Gehirn abdreht. Sie hält eine feuernde Maschinenpistole in der Hand – das Mündungsfeuer muss mindestens so groß sein wie ein Medizinball. Im Hintergrund der Szene ist eine gigantische Explosion zu sehen, vorzugsweise von irgendwelchen Polizeiwagen, um dem Betrachter zu vermitteln, dass dieses Spiel auf alle gesellschaftlichen und politischen Normen pfeift und er sich so richtig wie ein kleiner, böser Anarchist fühlen kann, auch wenn er im echten Leben noch von Mama eingekleidet wird und die Pausenbrote geschmiert bekommt. Vive la Révolution!
Die gesamte untere Hälfte des Covers ist selbstverständlich für das Logo des Publishers vorgesehen. Entwicklerlogo? Brauchen wir nicht, im Spiel gibt es ja auch schon lange keine Credits mehr. Wir wollen ja nicht einigen Personen unnötig Popularität verschaffen, die sie dann in Gehaltsverhandlungen evtl. gegen uns einsetzen könnten.
Wir werden selbstverständlich keine langen Überlegungen bezüglich des Namens unseres Produktes verschwenden, dafür hat man schließlich Praktikanten. Die Lebensform des gemeinen Wald- und Wiesen-Praktikanten ist in nahezu jedem Unternehmen anzutreffen, jedoch oftmals sehr scheu, was eine komplizierte psychologische Herangehensweise nötig macht. Häufig trifft man Exemplare dieser Spezies beim Kaffeeautomaten, wo sie die Grundlagen der Büroarbeit lernen.
Nachdem Sie nun einen geeigneten Praktikanten ausfindig gemacht haben, locken Sie ihn unter Vortäuschung falscher Tatsachen (Aussicht auf Übernahme) in Ihr Büro. Dort zwingen Sie ihn zur Programmierung eines BASIC-Programmes, das automatisch aus dem Fundus der nachfolgenden Wörter einen Namen erstellt. Diese Wörter erfreuen sich schon seit Anbeginn der Computerspielbranche großer Beliebtheit, und ein Ende ist noch lange nicht abzusehen: “Commander”, “War”, “Strike”, “Lancer”, “Battle”, “Thunder”, “Cyber” und “Warrior” sind absolute Klassiker. Die Menge an Kombinationsmöglichkeiten ist dabei schier unendlich. Nach getaner Arbeit geben Sie dem Praktikanten einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und schicken ihn zurück zum Kaffeekochen.
Kommen wir nun zur Rückseite der Packung. Da der potentielle Kunde bereits vom Cover freudig angeregt und neugierig gemacht worden ist, gilt es nun die in Stein gemeißelten Fakten aufzuzählen, weshalb es ewige Schuldgefühle nach sich ziehen würde, wenn er ausgerechnet dieses Spiel im Regal stehen ließe.
Der vermutlich wichtigste Punkt zuerst: Rollenspielelemente! Alle Bemühungen sind umsonst gewesen, wenn dieses Schlagwort fehlt! Egal, wie diese Rollenspielelemente letztendlich umgesetzt sind, ob sie dem Gameplay überhaupt zuträglich sind und ob sie überhaupt Sinn machen: Rollenspielelemente gehören einfach in jedes, wirklich jedes Spiel, das etwas auf sich hält. Auch Ego-Shooter, Action-Adventures, Point&Click-Adventures, Echtzeit-Strategie und sogar Knobelspiele wie Sudoku profitieren enorm von Rollenspielelementen! Wir erinnern uns nur mal an Tomb Raider: The Angel of Darkness, geradezu ein Paradebeispiel für sinnvoll eingebundene Rollenspielelemente. Die Protagonistin geht zu Tür A. Um Tür A aufzubrechen, ist sie jedoch zu schwach. Also geht sie flugs zu Tür B – die übrigens haargenau so aussieht wie Tür A – und bricht diese mühelos auf. Nun geht sie zurück zu Tür A und kann diese wundersamerweise ebenfalls aufbrechen. Genial!
Ein weiteres absolutes Must-Have ist die nicht-lineare Story. Auch hier gilt: Die Umsetzung ist völlig bedeutungslos, schließlich wird für die Packungsrückseite programmiert und nicht für das Spiel. Glaubt man den einschlägigen Magazinen, ist Fahrenheit ein schönes Beispiel dafür. Nun ja. Im Prinzip muss man dem Kunden nur vorgaukeln, dass er eine Wahl hätte. Letztendlich ist die Entscheidung schon vorher gefallen, fast so wie in Matrix in dem Gespräch mit dem Architekten.
Als nächstes möchte der geneigte Spieler natürlich erfahren, mit wie viel Inhalt er rechnen kann. Und rechnen ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Es ist ungemein wichtig, dass die Anzahl der verfügbaren Waffen, Missionen und Karten exakt beziffert wird. Falsch: “Mehr als ein Dutzend Waffen.”. Korrekt wäre hingegen: “Benutze 17,52 authentische Waffen, um die verfluchten Gegner zur Hölle zu schicken!”. Hier fallen gleich mehrere Unterschiede zwischen den Formulierungen auf: Zuerst muss der Kunde natürlich mit einem plump-vertraulichen “Du” persönlich angesprochen werden. Gerade ein bekannter Branchenriese kann sich als einer der Pioniere auf dem Gebiet der ungefragten Duzerei rühmen. Was mit mangelndem Gehirnschmalz der Übersetzungsabteilung angefangen hat, ist mittlerweile eine übliche Anrede in der Werbebranche. Man möchte ja bereits mit der Packungsrückseite ein vertrauliches Verhältnis zu seinen Kunden schaffen. Weiterhin fällt auf, dass die saloppe und unpräzise Formulierung “mehr als ein Dutzend” durch eine genaue Dezimalzahl ersetzt wurde. Es ist gut möglich, dass ein potentieller Käufer sich sagt: “Ey, dieses verfuckte Game, ey, tut wohl nur 14 Waffen haben oder so. 16 – kommt das nach 14? – Waffen müssen es schon sein, das ist sonst superwenig und tut ja keinen Spass machen tun, weißt du? Ich geh’ jetzt Superstar gucken, ey.” Und überhaupt: Wer weiß denn in der heutigen Zeit noch, wie viel ein Dutzend ist?
Wichtig ist auch das Wort “authentisch”. Verkappten Bundeswehrsoldaten, psychopathischen Waffennarren und Hobby-Militaristen wird hiermit signalisiert, dass man das Schießpulver fast riechen und das Gehirn des Gegners fast schmecken kann, so realistisch verhalten sich die Waffen. Dass man z.B. mit einem Raketenwerfer mitten im Stehen und sogar im Laufen feuern und nachladen kann, fällt niemandem auf. Dank Google, Wikipedia und Konsorten kann ja heutzutage jeder 13-jährige Möchtegerngangster ein scheinbarer Waffenspezialist sein und sein gerade ergoogeltes Wissen in Form von Forenbeiträgen niederschreiben. Alternativ kann das durchaus als konservativ und langweilig anzusehende Wort “Waffen” auch durch andere beliebte Synonyme ersetzt werden, z.B. “Schießprügel”, “Wumme”, “Bleispritze”, “Knarre”, etc. Das Ausrufungszeichen gehört prinzipiell hinter jeden Satz, um dem Betrachter zu vermitteln, dass es um jede Sekunde geht! Schnapp’ dir gefälligst die Packung, renn’ zur nächsten Kasse und bete zu Gott, dass du nicht zu langsam warst!
“21 schweißtreibende Missionen!” Wer möchte sich daraufhin nicht sofort mitten ins Getümmel stürzen? Eben, niemand. Ob es sich dabei lediglich um aneinander gereihte, völlig unsinnige und im höchsten Maße sinnlose Aufträge handelt, ist auch hier egal. Wer braucht schon eine vernünftige Story, wenn man von A nach B rennen, alle Feinde töten und in den Zwischensequenzen Kaugummiwerbung genießen kann? Immer an die nicht-lineare Story denken! Es ist dem Spieler schließlich selbst überlassen, ob er Weg 1 oder Weg 2 nimmt, was immerhin in leicht unterschiedlichen Gegnerzahlen resultiert.
Jetzt wird’s spannend. Die Grafik ist schließlich DAS Kaufargument schlechthin! Man mag uns zwar nachsagen, dass wir zu doof sind mal gescheite Features in unser Spiel einzubauen, aber immerhin veröffentlichen wir ein jährliches Grafikupdate! Auch Spielezeitschriften lassen sich gerne seitenlang über die Optik eines Spiels aus. Schließlich ist es absolut unmöglich und mit dem geistigen Horizont einiger Redakteure nicht zu erfassen, dass ein Spiel mit nicht ganz aktueller Grafik in irgendeiner Form Spass machen kann. Das geht ganz einfach nicht. Quasi ein Paradoxon. Als Schlagworte müssen hier unbedingt möglichst kryptische Grafikfeatures aufgezählt werden, die zwar seit der Einführung von 3D-Karten zum Standard von Vollpreisprodukten gehören, aber durch geschickte Formulierungen jedes Jahr als neu angepriesen werden. Fantastische Grafik durch “Shadow Morphing”, “Dynamic Terrain Shading” und “Multi Displacement Per-Pixel-Mapping!”. Was? Du hast noch nie davon gehört? Dann kauf’ gefälligst das Spiel, oder willst du, dass dich deine Freunde auslachen, wenn ihr das nächste Mal bei Milch und Keksen fachsimpelt? Na also, geht doch.
“Mit der deutschen Synchronstimme von Bruce Willis!”. Spätestens hier kann niemand mehr widerstehen. Wenn Bruce Willis im verschwitzten Unterhemd mehrmals die Welt rettet, nebenbei eine Schachtel Zigaretten raucht, sich zwei Butterbrote schmiert und eine Liebesbeziehung führt, fühlt man sich so richtig männlich! Wer wollte nicht schon immer als wandelnde Testosteronbombe und mit soviel Männlichkeit wie ein Pferd ausgestattet durchs Ghetto ziehen? Alternativ kann man natürlich auch echte Gangster-Rapper straight from da hood die Vertonung übernehmen lassen, die dann auch gleich den Titelsoundtrack beisteuern können.
“Faszinierender Multiplayermodus! Messe dich mit 64 herausfordernden Gegnern aus der ganzen Welt auf 7 Karten in 12 unterschiedlichen Modi!” Wer diesen Satz formuliert hat, ist ein echtes Verkaufsgenie und gehört umgehend zum Community Manager befördert. Dass die verschiedenen Multiplayermodi erst mit einem nie erscheinenden Patch nachgereicht werden, es nur drei statt sieben Karten gibt und es ab 24 Spielern quasi unspielbar laggt, ist dabei vernachlässigbar. Man könnte natürlich auch schreiben “Wenn ihr als ewig nörgelnde Endverbraucher nicht immer online spielen wollen würdet, dann stürzten auch die Server nicht ständig ab, und das Spiel liefe stabiler mit besseren Pings!”, aber das stellt verkaufstechnisch natürlich ein absolutes no-go dar.
Kommen wir zu den Hardwareanforderungen. Diese müssen sich stets in einer winzigen Schrift auf der Unterseite der Packung befinden und keine Details enthalten, das verwirrt nur. Der durchschnittliche Spieler, der seinen Aldi-PC auf 84 Monatsraten abstottert, vermutet ohnehin, dass in seinem Rechenknecht die Fleckenzwerge Schwerstarbeit verrichten und jedes Polygon mit den Füßen einzeln klöppeln. Die Mindestanforderungen bestehen erstaunlicherweise seit mindestens fünf Jahren aus einem Pentium 500 MHz mit 64 MB RAM und einer 16 MB Grafikkarte. Dass mit dieser Konfiguration nicht einmal das Hauptmenü flüssig dargestellt wird, ist dabei nebensächlich, schließlich wollen wir was verkaufen. Die empfohlenen Anforderungen sind ein Pentium 4 oder höher mit einer 64 MB Grafikkarte, was an Detailfülle wahrlich nicht zu überbieten ist. Es ist schließlich die Schuld des Kunden, dass eine “nur” gute Grafik Hardwareanforderungen stellt, die jenseits von Gut und Böse sind.
Zur finalisierenden Verzierung der Packung verwenden wir Zitate und Awards von (Online-)Magazinen und einer an dieser Stelle nicht näher beleuchteten Werbesendung für Haargel. Die billigen Award-Grafiken, die von einem willigen Praktikanten mit Paint gemalt wurden, senden unbewusst trügerische Qualitätsreize an den Betrachter. Dazu kommen noch so aussagekräftige Zitate wie: “Dieses Spiel […] ist ein […] Pflichtkauf […]”. Darunter ganz klein: Magazin XY, Juni 1996. Nämlich genau von dann, als das erste Artwork herumgeisterte. Ganz trickreiche Werbefachleute haben auch schon ganz ungeniert ihre eigenen Pressetexte als Zitate von Redakteuren dargestellt. Wie? Der Pressetext wurde in der Zeitschrift abgedruckt (als Pressetext gekennzeichnet). Also kann es später als Zitat verwendet werden. So einfach ist das. Den betreffenden Werbefachleuten wurde übrigens ein eigener Schrein + Tempel gebaut, wo noch heute zahlreiche PR-Leute aus aller Welt hinpilgern und Gratis-T-Shirts und Schlüsselbänder opfern.
Puh, damit hätten wir die Packungsgestaltung unter Dach und Fach. Dennoch gilt es auch bei der Innenraumgestaltung der DVD-Hülle einige grundlegende Dinge zu beachten. Wer noch Platz für einige Adjektive übrig hat, sollte unbedingt noch über das Hinzufügen von “hollywoodreif”, “bahnbrechend”, “kinoreif”, “bombastisch” und “dramatisch” nachdenken. Der Mensch ist schließlich sehr empfänglich für die Wirkung von Adjektiven.
Natürlich befindet sich kein gedrucktes Handbuch in der Hülle, es ist nur als pdf- oder html-Datei auf dem Datenträger vorhanden. Der Kunde kann schließlich glücklich sein, wenn er für knapp 50€ überhaupt einen Datenträger bekommt. Stattdessen befindet sich eine zweiseitige schwarz-weiße Referenzkarte in der Packung. Auf der ersten Seite wird die Installation beschrieben und vor epileptischen Anfällen gewarnt; die zweite Seite enthält den 50-stelligen CD-Key, der in einer besonders kreativen Schriftart gedruckt sein muss. Richtig gut ist die Schriftart nur, wenn man “G”, “5”, “6”, “0”, “O”, “l” und “1” nicht mehr auseinander halten kann. Nach der dritten Installation oder einem Hardwarewechsel muss übrigens eine kostenpflichtige Hotline angerufen werden, um sich zu rechtfertigen, weshalb man denn bitteschön die Software erneut benutzen möchte.
Übrigens: Die kräftezehrende Gestaltung einer Packung muss man zum Glück nur einmal auf sich nehmen. Im nächsten Jahr wird das gleiche Spiel mit leicht besserer Grafik, aber astronomisch hohen Anforderungen, einfach wieder ins Regal gestellt. Man muss lediglich eine “2” hinter den Namen schreiben und sich evtl. noch einen kongenialen Untertitel ausdenken.
Das wäre dann alles, Kollegen. In einer unseren nächsten Sitzungen wenden wir uns der Anfertigung eines Holzkreisels zu, um Besprechungen spannender zu gestalten. Bis dahin empfehle ich Ihnen den Kurs “Origami für Choleriker”. Und immer dran denken: Bei akutem Stress ist es hilfreich einen Roringstek mit zwei halben Schlägen in das Schlüsselband zu knoten.
Wegtreten.
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