Sie glauben gar nicht, wie sehr ich Party-Smalltalk verabscheue! Nicht, dass ich die Kommunikation mit Anderen grundsätzlich meide. Nein. Ich unterhalte mich sehr gerne. Es ist nur so, dass bei dieser speziellen Form von Kommunikation die immer gleichen abgedroschenen Gesprächsthemen auf den Tisch kommen. Als hätte jemand einmal eine Art „Smalltalk-Bibel“ geschrieben, die wirklich jeder in seiner Nachttischschublade liegen hat: Das Wetter, das Verhältnis zum Gastgeber, das Essen, woher man wen kennt und der Job… Wie ich das hasse!
Kürzlich musste ich wieder durch die Party-Smalltalk-Hölle, weil ich auf dieser PR-Veranstaltung von NAMCO eingeladen war. Ich hätte mich ja gerne gedrückt, aber mein Chef hat mir klar zu verstehen gegeben, dass meine Anwesenheit unabdingbar wäre. Und mein Chef ist nicht irgendein Chef…
Und da saß ich dann irgendwann auch wieder in der unvermeidbaren Smalltalk-Falle. Dieses Mal offenbarte sie sich mir in Form einer ca. 30jährigen Blondine von einem Magazin, dessen Namen ich etwa zwei Sekunden später wieder vergessen hatte. Den Namen der jungen Frau weiß ich auch nicht mehr, obwohl sie eigentlich ganz nett war, aber die unangenehme Situation überschattet für mich in solchen Momenten alles andere. Wir unterhielten uns über die anderen Partygäste, das Essen und das Wetter, als sie die Jackpotfrage stellte:
„Und was machen Sie beruflich?“
Wie ich diese ganz besondere Frage hasse! Wegen dieser einen Frage ist mir dieses ganze Smalltalk-Ritual zuwider. Nicht, dass ich meinen Job nicht mögen würde. Um Himmels Willen! Für mich ist es der beste Job der Welt; quasi meine sprichwörtliche Berufung! Die Probleme beginnen immer erst dann, wenn ich anderen Leuten von meinem Job erzähle. Der Unglauben und das Unverständnis in den Augen des Gegenübers zu sehen, ist jedes Mal aufs Neue extrem frustrierend. Nun gut, ich habe insofern Verständnis dafür, dass es aufgrund einer nüchternen Beschreibung inmitten einer Party auch wirklich schwer nachzuvollziehen ist, was ich mache und warum es ein so immens faszinierender Job ist.
Aber wie dem auch sei, das Gespräch nahm seinen gewohnten Verlauf:
Ich: „Das ist schwierig zu beschreiben, aber eigentlich besteht mein Job im Wesentlichen im Umherrollen. Ich rolle so durch die Gegend. Mit Musik. Ja, Musik bei der Arbeit ist sehr wichtig. Mögen Sie japanische Popmusik?“
Sie: „Ähm…, wie habe ich mir das vorzustellen? Sind sie freischaffend tätig? Sie sind bestimmt Künstler! Mit „Umherrollen“ meinen Sie sicher, dass sie sich treiben lassen, nicht wahr? Sie sind Popmusiker!“
Ich: „Nein, keineswegs. Ich habe zwar im weitesten Sinne etwas mit Kunst zu tun, zumindest behaupten das viele meiner Fans, aber als freischaffenden Künstler kann man mich sicher nicht bezeichnen. Die Musik ist zwar wichtiger Bestandteil meiner Arbeit, aber ich mache sie nicht selbst. Im Grunde rolle ich ja nicht einmal alleine. Ich werde gerollt! Meistens vom Juniorchef.“
Sie (langsam einen leicht verwirrten Gesichtsausdruck aufsetzend): „Sie werden gerollt? Wozu? Niemand verdient seinen Lebensunterhalt ernsthaft damit, sich von anderen herumrollen zu lassen. Ich glaube ich verstehe Sie nicht so ganz…“
Ich: „Nun, das Herumrollen ist ja nicht alles, wenn auch der Kern der Sache. Das Familienunternehmen, für welches ich tätig bin, produziert Sterne, Planeten, Satelliten und sonstige Himmelskörper. Ich bin, und das kann ich ohne jede falsche Bescheidenheit sagen, der Kern des Geschäfts. Obwohl…, als „Geschäft“ kann man das wohl eigentlich gar nicht bezeichnen, denn wir verkaufen nichts. Wir arbeiten ehrenamtlich zum Wohle Aller. „Gemeinnützig“ ist wohl der treffende Ausdruck. Wobei mein Chef meist den Eindruck vermittelt, er täte alles nur zu seiner persönlichen Belustigung. Aber so ist das eigentlich gar nicht, denn er trägt eine unglaublich große Verantwortung!“
Sie (inzwischen mehr Falten auf der Stirn als für eine Frau ihres Alters gut ist): „Sie sind also im Satellitenbau tätig? Kennt man das Unternehmen? Oder arbeiten Sie bei der ESA oder NASA? Aber wie geht das mit dem Rollen zusammen?“
Ich: „Haben Sie als Kind Schneemänner gebaut?“
Sie: „Ja natürlich. Aber was hat das mit der NASA zu tun?“
Ich: „Die NASA haben Sie ins Spiel gebracht, nicht ich. Sehen Sie, das ist mein Job: Ich werde umhergerollt. Dabei bleibt allerhand an mir kleben und ich werde immer größer. Je größer ich werde, desto größer die Dinge, die an mir kleben bleiben. Wie ein Schneeball.“
Es folgte eine längere Pause, in welcher sie wohl ihre Gedanken zu ordnen suchte…
Sie: „Sie sind also ein Schneeball oder Schneemann?“
Ich: „Ja, gewissermaßen. Nur ohne Schnee. Wir reden hier von Dingen des alltäglichen Lebens, die an mir kleben bleiben. Das Spektrum reicht von Kleinigkeiten, wie z.B. Reißzwecken oder Radiergummis, bis hin zu ganzen Städten oder gar Kontinenten…“
Plötzlich fing sie an zu lächeln. Nein, zu grinsen. Ganz offensichtlich war die junge Frau nun an dem Punkt angelangt, an dem sie sicher war, einem Scherz aufzuliegen. Ich kenne diese Situation nur zu gut. In Kürze würde sie nach den versteckten Kameras Ausschau halten. Aber zunächst hatte sie entschieden, für den Augenblick mitzuspielen…
Sie: „Und wozu dient das Ganze noch mal?“
Ich: „Wenn ich groß genug geworden bin, macht der Chef mich dann zu einem Planeten, einer Sonne oder einem Satelliten. Je nachdem, was der Auftraggeber fordert.“
Sie: „So, so. Und wer war Ihr Chef doch gleich? Die NASA hatten wir ja schon ausgeschlossen…“
Ich: „Mein Chef ist natürlich der König des Kosmos. Wer sonst könnte Himmelskörper erschaffen?!“
Sie: „Oh ja, natürlich! Wer sonst?! Gut, mir würde da noch Slartibartfass einfallen, aber das ist wohl eine andere Geschichte…“
Sie lehnte sich gemütlich zurück und nahm einen weiteren großen Schluck aus ihrem Glas. Sie gefiel sich sichtlich in der Rolle, für die sie sich entschieden hatte: Die humorvolle Intellektuelle, die sich wohlwollend mit einem offensichtlich Schwachsinnigen unterhält. Dabei strahlte sie die gleiche amüsierte Überlegenheit aus, die Leute an den Tag legen, wenn sie sich mit kleinen Kindern unterhalten. „Hach wie putzig!“, muss es ihr wohl durch den Kopf gegangen sein, „Von dieser Party kann ich meinen Redaktionskollegen noch in Jahren erzählen.“
Sie: „Woher bekommt Ihr Chef denn seine Aufträge? Bestellen die Russen bei Ihnen Spionagesatelliten oder bekommen Sie ihre Bestellungen eher von weißen Mäusen?“
Ich: „Sehr witzig. Aber ich rechne es Ihnen mildernd an, dass sie aus Europa kommen. Dort ist unsere Arbeit noch nicht wirklich bekannt. Anfang 2006 könnte sich das sicherlich ändern, aber prinzipiell kann ich Ihre Skepsis durchaus verstehen.“
Sie kennen sicher diesen Gesichtsausdruck, wenn sich jemand krampfhaft bemüht, sein Gegenüber nicht auszulachen und ein ernstes Gesicht aufzusetzen. Genau dies versuchte sie gerade, wenn auch ohne größeren Erfolg…
Ich: „Früher haben wir in eigener Sache gearbeitet, aber neuerdings bekommen wir unsere Aufträge von unseren Fans. Einerseits ist der Job dadurch etwas trivial geworden, da wir früher damit beschäftigt waren, den Kosmos in Ordnung zu halten und heutzutage eher die Unterhaltung der Fans im Mittelpunkt steht. Aber andererseits ist mein Job dadurch abwechslungsreicher geworden und dafür bin ich durchaus dankbar. Wo ich früher eigentlich immer die gleiche Routine durchführen musste, kann ich heute Glühwürmchen aufrollen, um eine helle Sonne zu werden, oder an richtigen Autorennen teilnehmen, oder eine Feuerkugel werden, die nicht erlöschen darf, oder Unwetter auflösen, indem ich die Gewitterwolken aufrolle, oder Unterwasser auf Fischzug gehen. Die Aufträge sind im Vergleich zu früher um einiges abwechslungsreicher geworden! Ganz zu schweigen von der ultimativen Aufgabe, den ganzen bekannten Kosmos aufzurollen…!“
Da die junge Dame inzwischen auf dem Sofa liegend Tränen lachte und keine Anstalten machte, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass ich vielleicht doch kein armer Spinner sein könnte, war es wieder an der Zeit, dieses Gespräch so enden zu lassen, wie solche Gespräche eben enden müssen: Wenn die Worte versagen, müssen Taten sprechen!
Und so begann ich, zu rollen. Erst die kleinen Dinge. Schnittchen, Streichholzschachteln, Gläser, Handtaschen… Dann kamen irgendwann die größeren Gegenstände dran. Stühle, Tische, der Fernseher, das Sofa… Gerade als ich die richtige Größe erreicht hatte, um mich an die anwesenden Pressevertreter zu machen, schrie meine Gesprächspartnerin durch den Raum: „ICH GLAUBE IHNEN!! ICH GLAUBE IHNEN!! HÖREN SIE BITTE AUF! BITTE!!!“ Und ich hörte auf. Ich bin ja kein Unmensch.
Als sich die allgemeine Aufregung ein wenig gelegt hatte (ein großer Teil der Anwesenden hatte die Party fluchtartig verlassen), kam sie noch ein letztes Mal zu mir.
Sie: „Für meinen Artikel… Wie war noch mal Ihr Name?“
Ich: „Katamari.“
Sie: „Und wie weiter?“
Ich: „Einfach nur Katamari. Wenn Sie mögen, besuche ich Sie im Januar mal in Ihrer Redaktion. Ich bin bald auf großer Europa-Tournee. Und in Ihrem Verlag gibt es doch bestimmt auch viele, viele Dinge unterschiedlichster Größe…!“
Leider war dieser kleine Scherz dann doch zu viel für sie. Aber ich bin sicher, die Sanitäter haben sich vorbildlich um sie gekümmert, als sie wieder zu sich kam…
Jetzt verstehen Sie vielleicht etwas besser, warum ich diesen Smalltalk so hasse. Wetter, Essen, Gastgeber, Hobbys, Beruf… Eins führt zum anderen, und am Ende ist jedes Mal die Party vorüber, bevor sie richtig begonnen hat. Und das alles nur, weil ich einfach niemandem vernünftig erklären kann, was der eigentliche Clou an meinem Job ist. Schade eigentlich. Also sehen Sie bloß zu, dass Sie sich selbst einmal live anschauen, was ich so treibe, damit es bei einem etwaigen Treffen nicht die gerade beschriebene Missverständnisse zwischen uns gibt…!
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