Moin! Heiko hier.
Unser Justin hat mich heute nach einem Vorschuss gefragt. Das ist grundsätzlich kein Ding. Ich bin ja kein Unmensch und kann mich außerdem noch gut an meine eigene Lehrzeit erinnern. Mit den knapp 450 Tacken, die er im zweiten Lehrjahr netto raus bekommt, kann man keine großen Sprünge machen. Aber ich war schon neugierig, wofür er das Geld braucht. “Kaufst Du Dir endlich ein eigenes Auto? Der alte Fiat Panda Deiner Mutter hat’s ja eh bald hinter sich. Oder geht’s mit Steffi in den Urlaub?” – “PS4”, lautete die knappe Antwort.
Justin entging nicht, dass sich meine Augenbrauen Richtung Haaransatz bewegten und schickte schnell ein “Mir bleibt keine Wahl, Chef. Meine Kumpel sind auch schon alle umgestiegen.”, als Rechtfertigung hinterher. Als er merkte, dass dies auch nicht den gewünschten Effekt hatte, sondern sich zu meinen hochgezogenen Brauen nun noch vielsagendes Augenrollen gesellte, senke er den Blick, murmelte “Naja, ist auch nicht so wichtig …” und wollte schon wieder an seine Arbeit gehen. – “Nicht so schnell!”, sagte ich, “Du bekommst Deinen Vorschuss, min Jung.” Justin machte ein dummes Gesicht, sogar für seine Verhältnisse.
“Was? So überrascht, dass Dein Chef Verständnis für Dein Hobby hat?”, fragte ich. “Das tut mir in der Seele weh, Justin. Auch Meister haben Gefühle, musst Du wissen.” – Aus der Grube hinten in der Halle kam schallendes Gelächter. Gerd, mein Altgeselle, hielt sich am Altölauffangwagen fest und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. – “Was hast Du denn für’n Problem?!”, fragte ich nun Gerd, weiterhin bemüht, keine Miene zu verziehen. – “Du hast ein Herz aus Gold, Heiko”, lachte er, “Aber ernsthaft? Ich hätte meinen Meister im Leben nicht nach einem Vorschuss für eine Spielkonsole gefragt. Einen Schlag in den Nacken hätte ich bekommen.” – Nun musste ich doch grinsen. “Ja, gut möglich. Damals waren Videospiele für die meisten Erwachsenen auch noch eine Mischung aus Kinderkram und Teufelszeug. Aber Du und ich spielen doch selber Videospiele seit wir denken können. Gerade wir sollten doch mehr Verständnis dafür haben. Mir ist es lieber, er gibt sein Lehrgeld für Videospiele aus, als dass er es, wie der Rest der emsländischen Dorfjugend, auf dem Schützenfest versäuft oder es in Enschede im Coffeeshop lässt!” – “Trotzdem”, konterte Gerd, “Wir sind auch so mit unserem Geld klargekommen.” – “Ja, aber auch nur, weil wir beide wie die Geisteskranken Raubkopien auf dem Schulhof getauscht haben. Wie viele Originalspiele hatten wir denn zu C64- und AMIGA-Zeiten?! Wirklich gekauft haben wir uns Spiele doch erst als wir mit der Ausbildung fertig waren und mehr Geld auf der Tasche hatten. Und ich werde meinem Azubi garantiert nicht zum Raubkopieren raten.”
“Hast ja Recht”, murmelte Gerd. “Schon mal über F2P nachgedacht?”, wandte er sich an Justin. “Du hast doch auch einen halbwegs brauchbaren PC. Ich mache zwar einen großen Bogen um die Dinger, aber das ist doch gerade das große Ding.” – “Nee, das sind doch digitale Kaffeefahrten für Videospieler. Ein paar wenige sind ganz ok, aber die meisten versuchen doch nur, Dich mehr oder weniger clever um Dein Geld zu betrügen.” – Verblüffungspause. – “Digitale Kaffefahrten für Videospieler? Was is das denn für’n Quatsch? Das hast Du Dir doch nicht selbst ausgedacht, Justin, oder?”, fragte ich. – “Ähm, nee. Das habe ich bei diesem ‘SpielerZwei’ im Netz gelesen.” – “Nie gehört. Musst Du mir in der Pause nachher mal zeigen. Aber wie dem auch sei, das Problem ist ja nicht, das Videospiele Geld kosten. Andere Hobbies kosten auch Geld. Das Problem ist diese Bonbon-Laden-Aura, die Videospiele umgibt. Nicht zuletzt durch das Gehype der Magazine: Alles ist sooo toll. Jedes neue Spiel ist der Hit, den man auf gar keinen Fall verpassen darf. Das war auch damals schon so, nech Gerd? Überleg mal, wie viele von den drölftausend C64-Spielen, die wir damals hatten, wir wirklich länger als `ne halbe Stunde gespielt haben! Das meiste war doch nur Schrott. Es war mehr die Sammelei als dass wir die Dinger wirklich gespielt haben.”- Gerd nickte. “Stimmt schon. Im Grunde erscheinen doch nur ein oder zwei Spiele pro Monat, die mich wirklich begeistern und dementsprechend auch ihr Geld wert sind. Macht 60 bis 70 Euro im Monat. Da sind viele andere Hobbies deutlich kostspieliger.” – “Du bist ja auch PC-Spieler, Gerd. Auf der Konsole kosten zwei aktuelle Spiele schon um die 100 Euro”, korrigierte Justin. – “Geschenkt. Sind trotzdem überschaubare Kosten. Man darf halt nur nicht jeden Scheiß kaufen. Wenn man sich auf die Sahnestücke beschränkt, braucht man auch keinen Vorschuss vom Chef. Und für eine neue Konsole kann man das Geld auch vorher sparen. Ist ja nicht so, dass die plötzlich aus dem Busch gesprungen kommen und “Überraschung!” rufen, nech!” Gerd mag es einfach nicht, vom Lehrling belehrt zu werden. Guter Mann, der Gerd!
Bei dem Thema fiel mir aber auf, dass Videospiele die letzten 30 Jahre erstaunlich preisstabil geblieben sind: Damals kostete ein Vollpreis-Spiel zwischen 80 und 120 Maak. Und heute entsprechend 35 bis 60 Euro. Als gäbe es gar keine Inflation. Das kann man wirklich nicht über viele Dinge sagen. Wenn ich da alleine an den Preis einer Kinokarte vor 30 Jahren und heute denke! Oder wie unglaublich teuer Neuwagen in der gleichen Zeit geworden sind! Schon ziemlich erstaunlich. Darüber habe ich vorher noch nie nachgedacht. Wie Gerd schon sagte: Was das Geld angeht, gibt es wirklich schlimmere Hobbies als Videospiele. Man darf nur nicht jeden Quatsch kaufen …
Ja, so war das heute. Der Tag, an dem Justin eine völlig neue Seite an seinem Chef kennenlernte: Den überaus verständnisvollen KFZ-Meister Heiko. Das sollte er sich auch rot im Kalender anstreichen, weil es so schnell nicht wieder vorkommen wird. Ist einfach keine gute Basis für eine Handwerksausbildung. Ihr versteht das sicher, nech?
Also, munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne “Heikos Garage” in der WASD. Dieser Text wurde im Februar 2014 für die 5. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema “Insert Coin – Videospiele und das liebe Geld” geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
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