Hätte mir letztes Jahr jemand gesagt, dass ich mal einen Text zu einem aktuellen Call of Duty schreiben würde, hätte ich mich vermutlich schlapp gelacht. Das liegt mitnichten daran, dass ich eine besondere Abneigung gegenüber dieser Reihe hege, sie war mir einfach immer herzlich egal. Erst Anfang der 2010er begann ich mich nach jahrelanger Abstinenz wieder intensiv mit Videospielen zu beschäftigen. Der Aufstieg von CoD zur populärsten Spieleserie überhaupt geschah dementsprechend, ohne dass ich diesen wahrnahm. Zufällig sah ich seinerzeit einen Fernsehwerbespot zu Modern Warfare 2 und ich dachte mir: „Mensch, das sieht ja aus wie ein Interessantes Spiel mit einer Menge Knall-Bumm-Peng und Totschießungen usw. Das ist doch bestimmt ganz prima.“ Ich kaufte mir MW2 für die Xbox360 und spielte die Kampagne mit Genuss, als Actionfilmfan war das durchinszenierte Spektakel genau das Richtige für mich. Den Mehrspielermodus ließ ich aus, da ich keinen Goldaccount für Xbox Live besaß und Multiplayer ja ohnehin doof finde. „Famos“, dachte ich bei mir. „Da es sich hier um den zweiten Teil der Modern-Warfare-Unterserie handelt, gibt es da ja noch einen ersten Teil, der bestimmt ähnlich töfte ist, wie der Nachfolger.“ Ich spielte also auch Call of Duty 4: Modern Warfare und stellte rasch fest, dass es tatsächlich exakt den gleichen Käse bot und brach nach kurzer Zeit gelangweilt ab. Das war das vorläufige Ende meiner heftigen Affäre mit CoD. Als gut informiertem Videospieltypen entging mir in der Folgezeit nicht, dass Modern Warfare einerseits zahlreiche Nachahmer auf den Plan brachte, sondern dass andererseits auch jährlich weitere CoDs herausgequetscht wurden. Dass die Settings hier leicht variierten war mir herzlich schnurz, da das alle trotzdem zu sehr nach dem alten Rezept klang und mir inzwischen auch die Ernsthaftigkeit, mit der das Militärgewichse in dieser und vergleichbaren Spielereihen praktiziert wurde, schwer an die Nieren ging. Erst Jahre später sollte ein neuer Call-of-Duty-Teil erneut mein Interesse wecken.
Call of Duty: Infinite Warfare zog bei Sonys E3-PK erstmals meine Aufmerksamkeit auf sich. Kommentarlos wurde ein Trailer abgefahren, der einen Shooter im Weltall präsentierte, mit Schwerelosigkeit und Flugsequenzen und allem Pipapo. „Wie geil ist das denn!“, dachte ich bei mir und schaute aufmerksam zu. Erst am Ende des Trailers wurde offenbar, dass es sich um das neue CoD-handelte und ich war überrascht und ein bisschen beschämt. Ich hatte Call of Duty in den letzten Jahren für eine abgrundtief bescheuerte Spielserie gehalten, auf die nur grobe Menschen und Zwölfjährige mit großer Fresse abfahren. Es konnte doch nicht möglich sein, dass MIR dieser Quatsch auf einmal gefiel! Aber ich bin erwachsen und habe gelernt mit meinen Affekten zu leben und als der Release näher rückte, nahm mir vor, Infinite Warfare nach allen Regeln der Kunst zu begutachten. Zwar erinnerte ich mich dunkel, dass mir auch im eigentlich ansprechenden Trailer ein, zwei arg menschenverachtende Szenen etwas sauer aufgestoßen waren, aber das war eben nur ein Trailer und als solcher steht dieser nicht unbedingt stellvertretend für den Ton des ganzen Spiels. Dank des freundlicherweise von Activision zur Verfügung gestellten Rezensionskeys, konnte ich das neue Call of Duty am Veröffentlichungstag nach nur ca. sechsstündigem Download starten. Witzigerweise bekam ich gleich die Version spendiert, die auch das Remake des ersten Modern Warfare enthält (nehmt das, ihr frustrierten Nerds!), somit bot sich mir die Gelegenheit, auch dieses erneut in Augenschein zu nehmen. Doch dazu mehr an anderer Stelle.
Widmen wir uns zunächst dem neuen Lieblingsspiel vieler Konsolenshooterfans: Der Einstieg von Call of Duty: Infinite Warfare ist direkt und brutal. Wir rennen in einem kleinen Trupp von Militärhoschis über eine vereiste Ebene und infiltrieren eine unterirdische Basis mit irgendetwas wichtigem innen drinne. Doch irgendwie läuft überraschender Weise alles schief und wir werden geschnappt und schließen Bekanntschaft mit dem Antagonisten, Salen Kotch. Dieser wird vom allseits beliebten Schauspieler Jon Snow dargestellt, bekannt aus „Jon Snows Game of Thrones“ oder „Jon Snow und der explodierende Berg“. Gleich zu Beginn zeigt Jon bzw. Salen, was für ein fieser Ficker er ist, indem er gemein herumschnauzt und schließlich uns und unsere Soldatenkumpels mies um die Ecke bringen lässt. Salen Kotch, so erfahren wir, ist der gewohnheitsmäßig Hassreden schwingende Anführer der ultragemeinen Settlement Defense Front (SDF), einer Gruppe von Marskolonisten, die sich in einem Sezessionskrieg von der die Erde regierenden United Nations Space Alliance (UNSA) abgespalten hat. Die SDF ist eine regelrechte Dreckschweinvereinigung, die keine Gefangenen macht und deren Mitglieder häufig mit russischem Akzent sprechen. Nachdem der erste Protagonist in unter zehn Minuten massakriert wurde, finden wir uns in der Rolle des harten, aber herzlichen Militärheinis Reyes wieder. Dieser wird Zeuge wie die SDF Genf aufmischt, die prestigeträchtige Hauptstadt der UNSA. Als sei das nicht genug, verstirbt der Captain von Reyes‘ Schiff bei einem riskanten Verteidigungsmanöver, sodass unser Held vom Rang des einfachen Militärheinis umgehend selbst zum Captain befördert wird. Von diesem Zeitpunkt an ist es Reyes‘ und unsere Aufgabe, die UNSA (gut) vor dem Großangriff der SDF (böse) zu verteidigen. Um die Ordnung wieder herzustellen, müssen wir in seiner Rolle jede Menge Leute erschießen und Raumschiffe in die Luft sprengen. Denn erstmalig wird in CoD auch im Weltall mittels Waffeneinsatz für Gerechtigkeit gesorgt.
Das Herumlaufen nebst Schießen bringt ordentlich Spaß. Besonders unterhaltsam wird es, wenn die Ballerpassagen durch hübsche Skriptevents unterbrochen werden. Hier fliegt alles in die Luft und Reyes fällt ordentlich auf die Schnauze, während um ihn herum alles zusammenbricht. Gelegentlich bewegen wir uns auch in der Schwerelosigkeit, was einigermaßen funktioniert, aufgrund der fummeligen Steuerung jedoch kein Highlight darstellt. Die Flugsequenzen sind ebenfalls unterhaltsam, wenn auch anspruchslos. Wir lenken kleine, wendige Gleiter durchs All, die sogenannten „Jackals“, die sich komfortabel durch Asteroidenfelder und Armadas feindlicher Schiffe steuern lassen. Die pausenlose, alles wegfratzende Action täuscht gelungen darüber hinweg, dass hier wenig Finesse gefragt und ein Versagen kaum möglich ist. Zum Glück sind diese Passagen immer so kurz gehalten, dass sie nicht langweilig werden. Neben dem linearen Abarbeiten der Hauptmissionen besteht die Möglichkeit, einige sekundäre Aufgaben zu absolvieren, mittels derer wir neue Waffen und Perks freischalten. Auch hier wird entweder gerannt und geschossen oder geflogen und geschossen. Hat man eine Reihe dieser Missionen absolviert, gibt es neben den oben genannten Goodies noch eine PSN-Trophäe. Unterhaltsam sind auch diese Abschnitte, nur fehlen die beeindruckenden Skriptsequenzen.
Spielerisch ist also alles im Lack. Als vom Fleck weg schade empfunden habe ich die Besetzung des Hauptcharakters mit einem Typen, der direkt dem Baukasten für weiße harte Typen entsprungen scheint und offenbar gerade seinen Master in Dudebroness and Fistbumping absolviert hat. Dass man auch mit einer dezent progressiven Variante eines Hauptcharakters ein AAA-Spiel stemmen kann, hat jüngst Mafia 3 unter Beweis gestellt. Diese Chance wurde hier vertan. Dass der restliche Cast halbwegs divers daherkommt tröstet nicht darüber hinweg, dass Reyes wirklich der austauschbarste unter den coolen weißen Typen ist, den man sich vorstellen kann. Theoretisch sollte mir so ein Heino ja einigermaßen zur Identifikationsfigur taugen, da ich selbst enorm cool und geradezu erschreckend bleich im Gesicht bin. Allerdings reicht es mir nach Jahrzehnten der heteronormativen Weißbrotdominanz so langsam mit dem Scheiß. Variation ist gut für alle! Am Ende liegt es aber ganz bei uns, wieviel blöde Scheiße wir zu ertragen bereit sind. Und immerhin hat Reyes seinen duften Roboterkumpel Ethan dabei, der ja nur eine Maschine ist, aber irgendwie doch Emotionen hat und Angst empfinden kann und innerhalb eines Tages zu Reyes bestem Kumpel und auch sowas wie einem Familienmitglied wird und den irgendwann sogar die harten Marines akzeptieren, die eigentlich Roboter total doof finden und tötet mich bitte.
Die Einfallslosigkeit, mit der der Protagonist gestaltet wurde, ist selbstverständlich nur die Kirsche auf der Torte, denn auch die Handlung selbst ist ein wahnwitziger Haufen beknackten Unsinns. Die SDF ist ein eindimensionaler Klumpen aus Schlechtigkeit, die UNSA dagegen das absolute, unfehlbare Gute. Salen Kotch ist nicht nur ebenso flach wie seine Kumpanen, er spielt auch die gesamte Zeit über keine nennenswerte Rolle und hält bis zum Ende nur ab und an seine Fresse in die Kamera, um lahmen Faschokram von sich zu geben. Passend dazu werden uns Patriotismus und Pathos so dick aufs Brot geschmiert, dass die Call-of-Duty-Stulle in keine Tupperdose mehr passt. Klammer der Geschichte ist, dass Reyes anfangs denkt, dass ein guter Captain alle seine Leute lebendig nach Hause bringen muss, schließlich aber lernt, dass die Mission immer Vorrang genießt. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis gehen zahlreiche seiner Kumpanen und am Ende auch er selbst drauf. Spoiler! Hatte ich den größten Teil des Spiels noch meinen Spaß, trotz der blöden und doofen Geschichte, so verbrachte ich die letzten Abschnitte jedoch ächzend bis facepalmend bis geifernd vor dem Bildschirm. Solche Dinge propagiert eine der populärsten Spieleserien überhaupt? Solchen Mist werfen die einem jungen, leicht zu beeinflussenden Publikum hin? Vielleicht liegt es ja an der sprichwörtlichen Militärgeilheit eines gewissen Teiles der US-Gesellschaft, dass dort so eine Message als unverfänglich begriffen wird. Mir als Mitteleuropäer kommen bei solcherlei Mumpitz allerdings die Kotze und folgende Gedanken hoch: Krieg ist scheiße, töten ist scheiße, sterben ist ebenso scheiße und sich blind und blöd für sein Vaterland, die Menschheit oder sonstwas zu opfern ist doppelt scheiße und obendrein noch die reine Idiotie! Make unser Sonnensystem great again!
Ich habe in der Regel keine Probleme mit virtuellem Töten und virtuellen Toden, aber die miese Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit, die Infinite Warfare in diesen Belangen an den Tag legt, ließen bei mir unvermittelt Arsch und Hutschnur platzen. Aber da ich erwachsen (s.o.) und mir vollauf bewusst bin, dass viele andere Titel in ein ähnliches Horn stoßen, mag ich das Spiel trotz meiner harschen Worte nicht völlig verdammen. Ich erwähnte bereits, dass die Spielelemente mir im Mittel sehr zusagten und ich mich über weite Strecken gut unterhalten fühlte. Auch die Präsentation habe ich als überaus ansprechend empfunden, wenn auch die Interieurs gelegentlich etwas grau daherkommen. Einige Szenarien auf den verschiedenen Planetenoberflächen schauen richtig schick aus mit ihren stimmungsvollen Lichteffekten und so weiter. Besonders hübsch sind die Kämpfe in den flotten „Jackals“ anzusehen, hier pifft und pafft es ordentlich, so wie es einer zünftigen SciFi-Knallerei gebührt. Es ist deutlich, Infinite Warfare lässt mich hin- und hergerissen und verwirrt zurück. Während ich mit dem Spiel für sich sehr einverstanden bin, verhagelt mir der Patriotenscheiß die Suppe und die Pathoskacke versalzt mir die Petersilie. Oder umgekehrt. Vermutlich bin ich einfach nur so entsetzt von diesem Zeug, weil ich schon viele Jahre keine Militärshooter mehr gespielt habe. Ich bin eben ein Ex-Zivildienstleistender, ein Philanthrop und Schöngeist, der Gewalt in zu ernsthaften Kontexten nicht gut vertragen kann. Das SciFi-Setting von Infinite Warfare hat mich darüber hinweggetäuscht, dass hier exakt der gleiche Armeeklimbim abgeht, aus dessen Verachtung heraus ich sämtliche Vertreter dieses Genres jahrelang ignorierte. Doch trotz der schicken Zukunftsglasur ist CoD im Kern gleich geblieben. Interessanter Weise scheinen die Fans der Reihe das nicht zu kapieren, sie straften die Trailer zu Infinite Warfare mit zahlreichen nach unten gerichteten Daumen ab und auch die Verkäufe scheinen zwar stattlich, aber nicht rekordverdächtig zu sein. Und damit scheint mir ein Vorurteil bestätigt, dass ich den durchschnittlichen CoD-Fans gegenüber Hege: Die Jungs sind einfach nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Vielleicht kapiere ich das auch einfach nicht und es ist etwas völlig anderes, das die Leute unzufrieden mit dem neuesten Teil ihrer Lieblingsmilitärschießerei macht. Ist mir auch völlig schnuppe, denn für mich war es das jetzt wieder mit der Reihe. Und Battlefield und die anderen Kriegsklamotten könnt ihr auch behalten. Ich bin raus und spiele wieder Flower.
Nachtrag: Inzwischen konnte ich das Spiel auch auf der PS4 Pro testen. Irgendwie ist die Grafik etwas hübscher, vermute ich. Große Unterschiede sind mir bisher nicht aufgefallen, ich werde mir das Ganze jedoch genauer anschauen und ggf. an anderer Stelle Bericht erstatten.
4 Kommentare
Vielfach wurden die Disklikes auch der Tatsache zugerechnet, dass der Remaster von Modern Warfare nicht gesondert von Infinite Warfare zu kriegen ist.
War das zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich schon bekannt? Ich habe nur mitbekommen, dass es die Dislikes gab. Darüber hinaus habe ich erst wieder etwas bei der o.g. Sony-PK über das Spiel gehört bzw. gesehen.
Japp, bin mir ziemlich sicher, dass das da schon bekannt war. Wenn man etwas herumsucht findet man auch Artikel, die beide Ursachen – also die Unmut über das SciFi-Szenario und das Remaster-Dingen – zusammenwerfen: http://www.forbes.com/sites/erikkain/2016/09/22/the-latest-call-of-duty-infinite-warfare-has-way-more-likes-than-dislikes-on-youtube/#22cf6eba65a0