So vieles lässt sich zerreden. Beziehungen, Sex und Gefühle zum Beispiel. Die Magie zwischen den Zeilen verschwindet und übrig bleiben zu viele Worte, manch überflüssige Interpretation und eine gewisse Ernüchterung. Bei Videospielen verhält es sich ähnlich. Deswegen höre ich gerne weg, wenn Spiele, die mich interessieren, schon weit vor ihrem Release besprochen, beurteilt und kategorisiert werden. Das klappt eigentlich gut. Aber nicht immer. The Order: 1886 ließ ich beispielsweise wegen der Spieldauer-Debatte länger auf dem Pile of Shame reifen als ursprünglich gewollt und bin froh darüber. Auch This War of Mine setzte Staub an, bevor ich es aus dem Regal der Schande zog. Das hatte mit zwei Schubladen zu tun, in die das Spiel oftmals gezwängt wurde (z.B. hier und hier) und bei denen 100 Meter gegen den Wind zu erschnuppern war, dass sie dem Spiel wohl eher nicht gerecht werden.
Auf der ersten Schublade klebt ein buntes Sternchen als Auszeichnung dafür, dass sich der Entwickler eines Videospiels (!) tatsächlich eines erwachsenen (!) Themas annahm und ein Antikriegsspiel entwickelte. This War of Mine spielt in einem nicht weiter erläuterten Bürgerkrieg in Osteuropa und handelt von dem schwierigen Überlebenskampf einiger Zivilisten inmitten einer gewalttätigen Eskalation. Keine Frage, 11 bit studios erfand ein spannendes Setting. Aber das ist noch kein Qualitätsmerkmal für das Spiel an sich. Dass ein Antikriegsfilm nicht automatisch gelungen ist, nur weil er ein Antikriegsfilm ist, dürfte beispielsweise außer Frage stehen. Die Brücke oder Apokalypse Now blieben und bleiben über Jahrzehnte unvergessen, weil es hervorragende Filme sind. Auch, aber nicht nur, weil sie sich gekonnt mit der Kriegsthematik beschäftigen.
In die zweite Schublade passt This War of Mine nicht einmal hinein. Was aber nicht davon abhielt, sie ausufernd zu bemühen. Auf ihr steht infantiler Spielspaß. Den soll es nicht geben bei This War of Mine. Was gut ist. Und so gar nicht überrascht bei einem Antikriegsspiel. Diese seltsame Spielspaß-Perspektive verrät einiges über den abschätzigen Blick auf die Spieler, den so manche pflegen und der mir mächtig auf den Zeiger geht. Ich bin mir sicher, dass es viele Menschen da draußen gibt, die nicht komplett bescheuert sind und etwa Dear Esther oder Journey abseits des reinen Spaßes, bei dem man so unkontrolliert vor sich hin gluckst, als das mochten, was sie sind: Interaktive Erfahrungen. Denen muss man nicht ausdrücklich mitteilen, dass ein Antikriegsspiel etwas mit Ernsthaftigkeit zu tun haben könnte. Die „echten Gamer“, von denen SpielerZwei spricht, die gibt es natürlich auch, klar, aber die machen wohl schon aufgrund der 2,5D-Optik einen großen Bogen um das Spiel. Da reicht ein Screenshot und weg sind sie über alle Berge. Nicht jedem muss jedes Spiel gefallen, das ist schon ok. Aber warum oftmals die Kriterien der „echten Gamer“ genutzt werden, um ein Spiel zu besprechen, dass diese Gruppe eh nicht spielt, leuchtet mir zumindest inhaltlich nicht ein.
Weil ich mich von alldem leider nicht zum Release von This War of Mine frei machen konnte, sondern verstimmt war, blieb es erst einmal im Regal der Schande. Bis vor drei Wochen. Und dann war ich aus zwei Gründen doch sehr überrascht: Erst einmal weil This War of Mine eine lupenreine Survival-Simulation ist, die konsequent auf Wiederspielbarkeit hin angelegt wurde. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und zweitens, dass die negativen Emotionen der Charaktere einerseits einen bemerkenswert großen Raum erhalten – andererseits aber durch den Konsum von Zigaretten oder einem Buch so simpel wieder eingefangen werden können. Das erscheint mir doch recht einfach gestrickt, ist aber kein Drama. Wobei: Traurig oder depressiv werden die Bewohner unseres Hauses im Kriegsgebiet nicht nur, weil sie schwer auf die Annehmlichkeiten ihres früheren Lebens verzichten können, sondern weil sie (sofern wir es wollen) Dinge tun, die sie nicht so einfach verarbeiten können. Einer alten Dame Medikamente zu stehlen, zum Beispiel. Oder selbst gewalttätig zu werden. Die Perspektive auf psychische Leiden und alltägliche Probleme in Kriegszeiten ist sicherlich eine große Stärke von This War of Mine, vor allem, weil die verschiedenen spielbaren Charaktere aus unterschiedlichem Holz geschnitzt wurden. Es existiert nicht die eine allgemeingültige Formel, um seine Leute bei Laune zu halten. Die nötige Dosis an Ablenkung, Konsum und friedlichen Tagen etc. unterscheidet sich von Charakter zu Charakter. Trotzdem: Wer als Zivilist eigentlich kein Mörder ist und trotzdem mordet, wird nicht wieder stabil, nur weil endlich Gemüse und ein gutes Buch im Haus sind. Natürlich darf und muss This War of Mine die Entwicklungen seiner Charaktere vereinfacht darstellen, aber die Kluft zwischen dem großartigen ersten Schritt, der tiefen Integration der Psyche in die Spielmechanik, und dem zweiten, der Kontrolle derselben, ist dann doch etwas groß geraten.
In meiner ersten Runde fieberte ich leidenschaftlich mit Bruno, Pavle und Marko, der Urbesetzung im Spiel, mit. Ich achtete darauf, dass es ihnen so gut wie möglich ging. Tagsüber baute ich z.B. Betten, Herd und einen Kräutergarten und versuchte damit das Leben der Bewohner erträglich zu gestalten. Mit der Zeit eröffneten sich neue Möglichkeiten, sei es durch den Handel oder neu zugezogene Mitbewohner. Aber es tauchten ebenso neue Probleme auf. Durch Angriffe fremder Plünderer ist der eigene Bestand an Nahrung, Werkzeugen und Medikamenten durchgehend in Gefahr und wenn die Bude mal richtig ausgeräumt wurde, blutete mir das Herz. Den Winter nach dreißig Runden erlebte meine Truppe schon recht angeschlagen, Bruno und Arica verließen die Hütte, Pavle kam nicht mehr so recht auf die Beine und Zlata war schwer depressiv. Nur Marko plünderte und plünderte, war dabei aber traurig.
Als der Winter gnadenlos zuschlug und die Waffen und Nahrung nicht mehr ausreichten, war Schluss. Eine traurige Geschichte. Und kein Wunder, der bloße Kampf ums Überleben in der Anarchie geht nun mal selten gut aus. Außer man legt es darauf an. Und beginnt mit einer zweiten Runde, bei größerer Auswahl an Charakteren und dem erlernten Vorwissen im Gepäck. Spätestens jetzt verändert sich der Schwerpunkt von This War of Mine hin zum konventionellen Spiel, indem man effizienter crafted, gezielter plündert und im Notfall genau weiß, wen man zuerst bei knappen Ressourcen opfern sollte. Das ist natürlich nicht tragisch und die Spielspaß-Schublade als Bewertungsmaßstab passt trotzdem noch nicht, aber neben der emotionalen Entfremdung zum Spiel fällt nun so manche Ungereimtheit negativ auf, weil das Spiel anderen Gesetzen folgt. Denen der Effektivität und Logik, zum Beispiel. So fühlt sich This War of Mine in späteren Runden mehr wie eine Solopartie Starcraft als ein berührendes Antikriegsspiel an. Und da beginnen die Brüche mehr zu nerven als bei der Premiere, als ich noch darüber nachdachte, ob ein vermeintlicher Bug nun ein Bug oder doch ein dramatisches Feature ist. Ist halt ein Bug.
Wie beispielsweise als Pavle sich „tödlich“ verletzte. Ich wollte ihm Gutes tun und ihn nicht nur mit einer Bandage verarzten, sondern auch ein Medikament zukommen lassen. Wegen möglicher Entzündungen und Fieber, die ich bei ihm vermutete. Doch Pavle dachte gar nicht daran, sondern bekräftigte, dass es ihm gut gehe. Trotz schwerer Verletzung und Depression. Als er aufstehen sollte, um etwas zu essen, was Sinn machte, weil er extrem hungrig war, wollte er nicht. Einfach so. Obwohl er direkt vor dem Herd hockte. Oder Bruno, der nach einer schweren, blutigen Nacht am Boden zerstört war und verletzt eine Bandage verlangte. Ich wies ihm eine zu, aber er wollte nicht aufstehen. Eine Minute später kletterte er über zwei Etagen hinab und legte sich ins Bett. Das passt alles nicht so recht zusammen.
Wäre ich doch nur bei der einen, ersten Runde geblieben! Einige anderen Schwächen wären mir dann nicht aufgefallen. Zum Beispiel das viel zu leicht zu überlistende Speichersystem, das sich problemlos zu einem Immersionskiller entwickelt, wenn man es zulässt. This War of Mine speichert nur am Ende einer Nacht und dann springt der Zufallsgenerator an. Wem zu viel aus der eigenen Hütte geplündert wurde, startet das Spiel einfach noch einmal neu und hat gute Chancen, dass sich die Lage nun wie von Geisterhand verbessert hat. Ich gestehe, hier bin ich schuldig. Ein bisschen. Aber erst ab der zweiten Runde. Der Permadeath lässt sich natürlich ebenso einfach aushebeln. Kam ein Charakter in der Nacht um, beendet man flugs via Task Manager das Spiel und beginnt den Tag von neuem. Sofern der Spieler es so will, natürlich. Wenigstens von der Permadeath-Schummelei hielt ich mich fern. Obwohl This War of Mine zu diesem Zeitpunkt schon einiges von seinem ursprünglichen Reiz verloren hatte.
Es gibt eben immer nur dieses eine erste Mal und manchmal gerät es so eindrucksvoll, dass ein zweites keinen Sinn mehr macht. Wie beim listigen Spec Ops: The Line. Dass es dem Spieler erst einen 08/15-Deckungsshooter unterjubelt, um ihn dann frontal den ganzen Wahnsinn des Krieges mit voller Wucht vor den Latz zu knallen, kann nicht zwei Mal funktionieren. This War of Mine ist durch seine erwünschte Wiederspielbarkeit konventioneller aufgestellt und verliert damit auf Dauer viel mehr an Schrecken und Ernsthaftigkeit, als es dem Spiel gut tut. Schade. Trotzdem, gerade weil die erste Runde von This War of Mine eine fantastische und einzigartige Erfahrung ist, die eine ganz eigene Schublade nur für sich selbst verdient hat, kann ich es nur allen empfehlen, bei denen es ebenso im Regal der Schande zu verschimmeln droht wie es bei mir der Fall war.
4 Kommentare
Gute Entscheidung, dass du das Spiel noch ausprobiert hast :).
Mir hat This War of Mine extrem gut gefallen, tatsächlich auch nach mehreren Durchgängen. Zwar habe ich es dann eher als forderndes Strategiespiel anstatt als beklemmendes Antikriegsdrama wie beim ersten Mal empfunden, aber das hat mich nicht gestört… Vielleicht, weil ich es allgemein eher positiv als negativ sehe, wenn ein Spiel eine ernste Botschaft und fesselnde Spielmechaniken verbindet. Die meisten konzentrieren sich stark auf eine der beiden Seiten, aber ich mag die Kombination aus beidem. Das schmälert die Ernsthaftigkeit für mich nicht.
Zu den Bugs: Ich bin soweit ich mich erinnere auf keine gestoßen. Dass man ihnen, wenn es ihnen sehr schlecht geht, keine direkten Befehle geben kann, ist so gewollt. Man muss dann einem anderen Charakter die Anweisung geben, dem “Kranken” Essen zu bringen oder ihn medizinisch zu versorgen. Ist es das, was du meinst?
Ja, es ist ja auch ein gutes Strategiespiel, keine Frage! :-) Mir war der Sprung irgendwie zu groß, zumindest erst einmal, dass es nahezu egal ist, wenn ein Charakter das Haus verlässt oder stirbt, denn was soll´s…bei der nächsten Runde lebt er ja wieder! Ich denke, da ist ein gewisser Abstand zu This War of Mine nötig – denn alle Damen und Herren heil und gesund durch den Winter zu bringen, ist ja ohne Frage auch ein schönes Ziel!
Ja, genau, dein Beispiel meinte ich und es wohl unsauber formuliert. Dass bei einem bestimmten Zustand keine direkten Befehle mehr gegeben werden können, ist gut, richtig und auch verständlich. Nur passt es halt manchmal nicht. Wer ein Bandage will und davor sitzt, würde sie halt im Zweifelsfall doch eher nehmen als es nicht zu tun und anstelle dessen dann ins Bett zu gehen. Aber, das sind Kleinigkeiten, die nur so ein bisschen pieksen.
Das kleinliche Rummäkeln meinerseits dürfte wohl an der Fallhöhe liegen. Die erste Runde war nun mal eine der großartigsten Spielerfahrungen, die ich so hatte bislang und bei der die Feinheiten des Mikromanagements im Haus noch eine ganz andere Rolle spielten als bei der zweiten Runde. Vielleicht hätte ich dazu mehr schreiben sollen…
Der psychologische Aspekt ist echt gut gelungen. Da kann man gerne über die nciht ganz ausgereiften Grafiken hinwegsehen.
Ein schöner Artikel; der psychologische Punkt hat was !