Alles ist tot. Die Welt eh. Japan ist ein dämonenverseuchtes Ödland geworden. Im Parlament herrscht eine chinesische Götzin. Tokyo ist tot-yo.
Gott ist auch tot. Sagt nicht nur Nietzsche, sagen auch die Dämonen, die ihn unter der Führung Lucifers sterben haben sehen.
Die Erzengel sagen das nicht. Die sagen “Fuck you” und schicken eine Armee Engel auf die Erde. Die kabbeln sich mit den Dämonen, so richtig Krieg ist nicht. Mit einem Unentschieden können die Engel eigentlich gut leben, denn solange niemand gewinnt, bleibt alles wie es ist, und das heißt Gott, also der judäo-christlich-islamische Schöpfer bleibt Obermacker, selbst wenn er eigentlich vielleicht nicht mehr existiert, und die göttliche Ordnung bleibt bestehen.
Die Dämonen finden das soweit auch ganz okay, denn Götter werden können Sie ohnehin nur, wenn sie ihr “Wissen” zurückbekommen. Das “Wissen” hat Gott ihnen abgenommen und in einem Baum versteckt. Leider hat die Menschheit den leer gefressen. Jetzt fließt das “Wissen” durch die Menschen und lässt sie Gut von Böse unterscheiden, Moralentscheidungen treffen. Für die Dämonen ist die Sache also klar: Menschen finden, sie zur Zusammenarbeit bringen, fusionieren. Was dabei rauskommt ist ein Nahobino, eine Art alter Gottheit, die auf Augenhöhe mit Gott steht und ihm ins Maul treten kann. Das finden die Engel nur so lange gut, wie der Nahobino für die alte Ordnung kämpft, klar.
Der Nahobino bin natürlich ich. Und ob ich für die alte Ordnung kämpfe, weiß ich noch nicht. Denn wie alle Shin Megami Tensei-Titel zuvor hat auch SMT V ein Moralsystem, bei dem ich durch Entscheidungen zwischen “Ordnung” (den Engeln), “Chaos” (den Dämonen) und “Neutral” (die göttliche Personifikation von Frank Sinatra’s Arschlochhymne “My Way”) oszillieren kann. Und wie in den meisten anderen Shin Megami Tensei-Titeln tendiere ich zu Fedora und Nadelstreifenanzug. Denn freier Wille hin oder her, Lucifer ist und bleibt ein Egomane, und wenn ich mich dem hochheiligen Faschismus der Engel verschreiben wollen würde, müsste ich wahrscheinlich Kirchensteuer bezahlen. Die Möglichkeit, sich dieselbe Geschichte durch verschiedene Linsen anzusehen und am Ende auf einer Skala von “Wir ignorieren diesen ganzen himmlischen Konflikt einfach” bis “Ich bin Gott” so ziemlich alles auswählen zu können, macht in den Spielen der Hauptreihe von Shin Megami Tensei immer schon einen großen Reiz aus.
Andere Sachen sind nicht mehr so wie in den älteren Teilen der Reihe. Auch SMT V ist vom industrieweiten Schub in Richtung Breath of the Wild nicht verschont geblieben. Es findet nun in einer offenen Unterwelt statt und nicht mehr wie zuvor in von einer Oberwelt anwählbaren Dungeons. Bis vor wenigen Monaten, als ich Shin Megami Tensei IV: Apokalypse durchgespielt habe, hätte ich nicht vermutet, dass ich die lineare Dungeon-Struktur einmal vermissen würde. Aber wie in Zelda, so ist es auch in SMT: Ich habe zwar die Freiheit, überall hingehen zu können, aber keinerlei Anreize, auch irgendwohin zu wollen. Trotz zahlreicher Sammelobjekte motiviert mich Shin Megami Tensei V nicht, mich in seiner Welt aufhalten zu wollen. Meine Bewegungsoptionen stecken noch deutlich im Korsett eines starren JRPGs fest: Ich kann zwar springen, aber nur dort, wo ich soll, komme ich damit auch auf höhere Ebenen. Ich finde Items, neue Skills und verkaufbaren Schrott, aber da es kein Ausrüstungssystem gibt – warum auch immer, ein klarer Rückschritt von älteren Teilen der Reihe – habe ich so gut wie keinen Anreiz, mich mit dem Shop-System und dem Geld auch wirklich zu befassen. Und da der vertikale Aufbau einiger dieser neuen, aufregend wirkenden Gebiete Unterwelt-Tokyos mich nicht in die Ferne, sondern nur in einen die technischen Schwächen der Switch kompensierenden Nebel schauen lässt, habe ich vom tollsten Aussichtspunkt nichts. Shin Megami Tensei V bricht aus dem JRPG-Rahmen seiner Vorgänger merklich in Richtung AAA-Titel aus, und das ist auch lobenswert. Ich glaube nicht, dass ich eine klassischere Erfahrung mit Dungeons lieber gemocht hätte, schließlich habe ich das auch schon zig Mal gespielt. Leider hat SMT V auf dem Weg zu dieser neuen, aufregenden Mainstream-Erfahrung so viel Potenzial liegen gelassen, dass das Ergebnis sich eher nach öder Leere als nach aufregender Terra Nova anfühlt. Klar, kein Kompliment für diesen SMT-Teil – aber nun ist immerhin der Grundstein gelegt, und weitere Titel, darunter das garantiert schon in Entwicklung befindliche Spinoff-Spiel, werden davon profitieren und wahrscheinlich viele der alten Stärken zurückbringen können.
Doch Shin Megami Tensei zeichnet sich ohnehin selten durch seine Welt aus. Stil und Ästhetik der SMT-Reihe sind seit jeher etwas roher und auf seine Hardcore-Mechaniken fokussiert als die der Persona-Subreihe. Wer Story und Charaktere will, spielt Persona, wer düstere Atmosphären und das beste Kampfsystem im Genre will, lieber SMT. Zumindest war das die längste Zeit so. Denn obwohl SMT V mit seinen aufpolierten Animationen und neuen Fusionen ein fast perfektes Kampfsystem noch besser macht, merke ich doch, wie die Persona-Variationen für mich längst den Pokal aus den Händen ihrer Elternreihe gerissen haben. SMT folgt einem strikten Rundensystem, in dem die Züge pro Runde durch die Anzahl beschworener Dämonen festgelegt sind. Durch kritische Treffer und das Herausfinden der gegnerischen Schwachpunkte lassen sich diese Züge maximal verdoppeln. Eine verloren wirkende Situation bleibt dadurch in den meisten Fällen unrettbar, denn wenn nach einem starken Angriff nur zwei Figuren auf dem Schlachtfeld verbleiben, stehen eben auch nur zwei Aktionen zur Verfügung, was meist weder zum Heilen noch zum Wiederbeleben, geschweige denn zum Angreifen reicht. In meiner gesamten Zeit mit SMT V habe ich öfter genervt geseufzt und das Spiel neu gestartet, weil ein kritischer Glückstreffer meines Gegners mir einen fast gewonnenen, fünfzehnminütigen Bosskampf versiebt hat, als ich zählen kann. Hier hätte sich SMT V ruhig etwas vom weniger strategischen, dafür deutlich taktischeren One More-System aus Persona abschneiden können. Da es ohnehin mainstreamtauglicher werden zu wollen scheint und eine neue Zielgruppe erschließen will, werden Serien-Neulinge solche unfairen Stolperfallen noch deutlich kritischer bewerten, als ich es tue.
Mir ist klar, dass Hardcore-Fans das SMT-System gerade für sein Number Crunching und die bis ins Nirvana ergrindbaren hohen Zahlen lieben. Aber unter der schimmernden neuen Fassade und den Ansätzen für ein wirklich zugängliches Mythologie-Epos, die mit ein wenig zusätzlicher Politur in einem potentiellen Nachfolger zum System Seller avancieren könnten, wirkt dieser herausgeforderte Frust doch umso mehr Fehl am Platz.
2 Kommentare
Wenn/Da kein Persona für die Switch kommt, nehm ich eben das?
Typisch. Kaum kaufe ich SMT V, wird P5R für die Switch angekündigt.