The Return of the Moorhuhn. So wollte ich diesen Text ursprünglich betiteln, habe es aber doch gelassen. Der Vergleich von Lethal VR – dem ersten VR-Titel, von dem dieser Text handelt – mit dem guten alten hirnlosen Moorhuhn-Geballer war mir doch zu platt. Und zu unfair. Anschließend hatte ich etwas in Richtung „Vom Mainstream-Shooter-Tutorial zum VR-Superstar“ im Sinn, was fairer gewesen wäre. Nur wird Lethal VR kein VR-Topseller werden. Daher entschied ich mich dazu den Bogen weiter zu spannen, auf den negativen Unterton zu verzichten und neben Lethal VR über alle sogenannten „kurzen“ PSVR-Games und Erlebnisse zu schreiben, die mir vor die Flinte kamen. Das macht Sinn, denn die kleinen, oft kostenlosen Experimente verbinden uralten Retro-Demo-Charme aus den Neunzigern mit Kreativität und Mut. Super, oder?
Aber zurück zu Lethal VR. Eigentlich gehört dieser VR-Schießstand auf eine Spielesammlung á la VR Worlds, da es tatsächlich nicht mehr als ein VR-Schießstand ist. Und deswegen hinkt auch nicht der Shooter-Tutorial-Vergleich. Bei Arma 3 bietet übrigens der Tutorial-Schießstand weitaus mehr an Abwechslung als das komplette Lethal VR, da sich die Location ändert, das Waffenhandling fordernder und das Setting attraktiver ist. VR bedeutet nämlich nicht, dass die Spielerfahrung automatisch immersiv und das Design atemberaubend ist. Nicht jede VR-Erfahrung ist zum Niederknien. Lethal VR ist so ein Vertreter, der zwar als PlayStation VR-Titel verkauft wird – optisch aber das Flair eines gut abgehangenen Google Cardboard-Spiels besitzt.
Wofür Lethal VR natürlich nicht in Haftung genommen werden kann, sind die Move-Controller, die mal wieder nicht sauber erfasst werden. Nur leidet darunter eine Schießstand-Ballerei ganz besonders, denn wenn die VR-Hand grundlos zittert, wird Präzision zur Glückssache. Darunter leidet die Freude an Lethal VR nachhaltig. Ich glaube, aus diesem Grund warf ich besonders gerne mit den Messern um mich, denn dabei war die Fehlertoleranz erträglicher als bei den Schusswaffen. Dennoch: Bei allen Schwächen und Schlichtheit gefällt es mir ganz generell, dass es wieder so Spiele wie Lethal VR gibt. Es gibt ja kein Gesetz, dass Casual Games auf die mobilen Plattformen verbannt hat. Und als sinnlose Ballerei für zwischendurch ist Lethal VR gut genug, kein Zweifel, aber für mehr taugt es nicht.
VR Worlds hat dagegen einiges zu bieten – anstelle eines einzigen kurzen Videospiels findet sich in diesem Launch-Titel eine kleine Sammlung an mal mehr und mal weniger beeindruckenden Spielerfahrungen. In der Mehrheit finden sich Lethal VR-artige Casual Games, die nicht weiter weh tun, aber auch nicht länger als 15 Minuten unterhalten. Die beiden Perlen allerdings haben es in sich. Das ist zum einen Ocean Descent und zum anderen The London Heist. Ocean Descent ist weniger Spiel als VR-Experience, bei dem man in einer Taucherglocke gen Meeresboden sinkt und die Unterwasserwelt bewundern kann. Und das funktioniert unfassbar gut und ist als Einstieg in die VR-Welt neben Eagle Flight das absolute Nonplusultra. Die Immersion ist wunderbar gelungen und wer ein wenig Geduld hat und nicht meint rumzappeln zu müssen, kann den Tauchgängen eine meditative Seite abgewinnen. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und auch wenn es kein VR-Quasi-Spiel ist, dass man jeden Tag spielen kann, ist es dennoch alle paar Tage auf´s Neue ein kleines Abenteuer. Oder ein großes, wenn man den Modus mit dem Hai auswählt, dann wird es eine ganze Runde dramatischer.
Ein Blick in die Zukunft der Videospiele ist sicherlich The London Heist. Oder vielmehr ein Vorgeschmack. Es geht eigentlich ganz banal um einen Juwelendiebstahl, der aber in jeder Hinsicht clever konstruiert wurde. Zum einen wagt das Spiel einen ungewöhnlich hohen Dialoganteil, was mir sehr gut gefiel, da es mich in die recht schlicht gestrickte Story gut hineintauchen ließ. Und dann spielt The London Heist virtuos mit Ängsten, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Weil ich mir über manche Ängste einfach noch keine Gedanken gemacht habe. Und damit meine ich diese fiesen Quasi-Foltersituationen. Aus der Ego-VR-Perspektive hinterlässt ein Gasbrenner, der mir vor die Nase gehalten wird, weitaus mehr Eindruck als in Non-VR.
Das Herzstück sind aber die beiden eigentlich recht unspektakulären Actioneinlagen, die zeigen, wie Standard-Gameplay durch VR auf eine höhere Stufe gehoben werden können. Dabei ist der Raubzug selbst eigentlich nichts anderes als ein stinknormaler Deckungsshooter. Nur duckt man sich „wirklich“. Und auch aus der Deckung herauszulinsen ist in VR-Egoperspektive noch einmal eine ganze andere Geschichte als in einem Third-Person-Videospiel. Das zweite Szenario ist die Verfolgungsjagd, bei dem aus dem Auto heraus die Verfolger unsanft daran gehindert werden, den Spieler ins Jenseits zu befördern. Tempo und Timing spielen hier eine besonders große Rolle und ich weiß, es klingt seltsam, aber irgendwie habe ich das Lächeln bei der Flucht kaum aus dem Gesicht bekommen – so viel Freude machte es mir, die Jungs vom Motorrad zu schießen. The London Heist ist komprimiertes Actionkino allerhöchster Qualität und ich freue mich richtig darauf, weitere Videospiele aus diesem Genre erleben zu dürfen.
Dennoch: Auch The London Heist erinnert mehr an eine Demo als an ein ausgereiftes Vollpreisspiel. Es ist ja tatsächlich irgendetwas in der Mitte davon. Noch viel mehr gilt dieser „zwischen den Stühlen“-Status für die kostenlosen VR-Extras von schon erschienenen Spielen. Das ist an sich eine sehr interessante und vor allem erfreuliche Entwicklung und ich hoffe, dass die großen Studios diesen Trend noch lange folgen. Ein schönes Beispiel dafür ist Rise of the Tomb Raider: Der Herrenhaus- Level lässt sich optional in VR spielen und das ist natürlich per se faszinierend, aber auch gut umgesetzt. Problematisch ist dabei nur die geringe Auflösung – hier ist der Bruch zur normalen PS4-Version für meinen Geschmack zu groß. Spielerisch hält sich der Reiz zugegebener Maßen in Grenzen und wenn ich bedenke, dass ich mir Rise of the Tomb Raider nur wegen dem VR-Level kaufte, dann, na ja, kann ich froh sein, dass das Hauptspiel so verdammt gut ist. Trotzdem: Der VR-Herrenhaus-Level ist eine interessante Ergänzung zu Tomb Raider und als Goodie aller Ehren wert.
Dass Activision noch einen draufsetzt, hätte ich nicht erwartet. Als Promo für Call of Duty: Infinite Warfare wurde die kostenlose CoD: Jackal VR Experience veröffentlicht. Erwartet hatte ich mit großem Tamtam präsentierten Rotz, bekam aber einen mit großen Tamtam präsentierten EVE: Valkyre-Bruder, der zum einen respektabel als Space Combat-Spektakel funktioniert, zum anderen aber erfreulich angenehm das „CoD-Feeling“ in dieses kleine VR-Abenteuer hinüberrettet.
Ärgerlich ist bei CoD: Jackal VR Experience nur die kurze Spieldauer. Nach einer Viertelstunde, bestenfalls, ist Feierabend. Aber was soll ich da groß rummeckern. CoD: Jackal VR Experience ist schließlich so teuer wie ein geschenkter Gaul und daher verbietet sich eigentlich jedes Gemecker. Die kurze Spielzeit passt nur nicht so ganz zur epischen Massenschlacht, aber Extreme sind bei Call of Duty nichts Neues. Was ebenso wunderbar hinhaut: Neben dem hervorragend designten Weltraum-Setting funktioniert die Steuerung derart präzise, dass sich neun von zehn PSVR-Spielen mal ganz weit hinter der Jackal VR Experience anstellen können.
In einer ähnlichen Liga spielt die Star Wars Battlefront Rogue One: X-Wing-VR-Mission. Sie wurde als freundlicher Bonus kürzlich dem Hauptspiel hinzugefügt und versprüht zwar durchaus Star Wars-Feeling – aber da geht noch viel mehr. Anstelle der CoD: Jackal VR Experience in Sachen Opulenz und Space-Schlachtengewitter zu folgen, baut die Rogue One: X-Wing-VR-Mission eher auf einen Wechsel von ruhigeren Flugphasen durch Asteroidenfelder und wenigen kleineren Gefechten. Ansprechend umgesetzt ist die VR-Mission durchaus und in anderem Kontext eine gefühlt vielleicht noch größere Freude, aber der Anspruch an ein Star Wars-VR-Abenteuer ist nun mal markenbedingt eher größer als bei der Konkurrenz.
Trotzdem: Charme hat die Star Wars Battlefront Rogue One: X-Wing-VR-Mission und ich müsste lügen, wenn ich es nicht als erhebend wahrnahm, mir in der Vorbereitung meinen Flieger ganz genau von allen Seiten angeschaut zu haben. Das ist natürlich Fan-Service und gut so, aber der Rückgriff auf bekannte Gesichter oder berühmte Star Wars-Schlachten hätte weitaus mehr Eindruck gemacht als dieses ordentliche kleine Weltraum-Abenteuer.
Beinahe unfassbar gut gelungen ist der Teaser zur VR-Version von Resident Evil 7. Was Capcom in knapp fünf Minuten in Resident Evil: Kitchen gepackt hat, geht auf keine Kuhhaut. Kitchen macht ernst und beweist alles, was die verheißungsvolle Kombination aus Horror und VR verspricht. Ob der direkt vor den „eigenen Augen“ krass gemeuchelte Kollege, das ins Knie gerammte Messer (wo ich für eine Sekunde tatsächlich reflexhaft einen Schmerz erwartete – was extrem faszinierend war), das komplett düstere Setting oder der Schock am Schluss. Kitchen legt als kleine, kostenlose Demo die Latte für alle zukünftigen VR-Horror-Titel extrem hoch und aktuell kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendein Entwickler dem Resident Evil-Team auch nur annähernd das VR-Wasser reichen kann.
Ganz weit entfernt von pipi-treibenden Horror ist Allumette. Auch wenn es kein Spiel ist, verdient es eine gesonderte Erwähnung. Es ist ein kostenloser animierter Kurzfilm, der – sofern ich mich recht erinnere – schon zum Release von PlayStation VR veröffentlicht wurde. Streiten kann man über die Moral der Geschichte, die für meinen Geschmack ein Stückweit zu sehr die komplette Selbstaufgabe zu Gunsten der Mitmenschen feiert – aber abgesehen davon ist Allumette eine außerordentlich wundervolle und kreative VR-Erfahrung. Mich erinnert es ein wenig an alte Stop Motion-Puppentheater-Filme, auch wenn nur die wenigsten davon in einem kleinen Dorf auf den Wolken spielten. Oder? Egal. Als Zuschauer kann man ganz nah an die Figuren heranrücken und spielt somit sozusagen als Kameramann in eigener Sache doch irgendwie mit. Das machte die Immersion perfekt und da die Story größtenteils, ebenso wie die Charaktere, zu Tränen rührt, zeigt Allumette die gleiche intensive Erfahrung wie Kitchen – nur von der komplett gegensätzlichen, lebensbejahenden Perspektive aus betrachtet.
Noch mal kurz zur Erinnerung: Sofern man die Vollpreisversionen von Star Wars: Battlefront und Rise of the Tomb schon besitzt und wenn wir VR Worlds außen vor lassen, ist Lethal VR das einzige in diesem Text vorgestellte Spiel, dass nicht kostenlos ist. Dass ich das noch erleben darf! Noch wichtiger ist natürlich die Qualität der Spiele und die ist – ganz unabhängig vom nicht aufgerufenen Preis – über jeden Zweifel erhaben. Und das ist von einer noch recht neuen Spielweise wie PSVR eigentlich nicht zu erwarten gewesen. Dafür rechne ich nun aber mit erwachsenen, großen Nachkömmlingen dieser kleinen Perlen und gehe eigentlich davon aus, dass derart große Studios wie Activision & Co. nicht aus Spaß an der Freude diese Experimente veröffentlichen, sondern einen Plan haben.
P.S.: Bei der Vita war ich damals kurz nach Release auch fest davon überzeugt, dass es nur noch eine ganz kurze Frage der Zeit sein kann, bis die großen Studios dieses wunderbare, kleine Spielzeug erobern – aber, nun ja, daraus wurde leider nichts. Daher…Skepsis ist natürlich ebenso wie eine unbestimmte Vorfreude mehr als gerechtfertigt.
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