Eric Chahi ist kein klassischer Starentwickler, wie beispielsweise die Herren Roper, Molyneux oder Wright. Er hat in den 80ern an einigen eher unwichtigen Spielen der 8-Bit-Ära mitgearbeitet und war dann fast 20 Jahre mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden. Und trotzdem war der Pressetermin, bei dem er sein neues Spiel vorstellte, mein persönliches Highlight auf der letztjährigen GamesCom. Das lag zum Einen daran, dass From Dust tatsächlich ein wirklich interessantes und eigenständiges Spiel zu werden versprach. Hinzu kam allerdings noch die Tatsache, dass ich endlich den Mann kennen lernen durfte, der, mit Ausnahme der Musik, ganz alleine den 16-Bit-Klassiker Another World (1991) entwickelt hat, welches eines meiner absoluten Lieblingsspiele auf dem AMIGA war. Ein Spiel, das viele von Euch kennen dürften, auch wenn sie noch nie etwas von Eric Chahi gehört haben sollten.
From Dust machte auf der Präsentation schon letztes Jahr den Eindruck, in direkter Tradition von God-Games der Marke Populous oder Black & White zu stehen. Jetzt, nachdem ich es durchgespielt habe, bestätigte sich dieser Ersteindruck zwar, aber Chahis Spiel ist vor allem eines: Ein Sandbox-Game im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Spieler lenkt die Geschicke eines Eingeborenenstammes, der auf der Suche nach seinen Ursprüngen, dem „Wissen der Alten“, ist. Viel mehr Storytelling gibt es nicht. Das Spiel erzählt weniger eine Geschichte, sondern erzeugt in erster Linie mit sehr reduzierten Mitteln eine extrem dichte Atmosphäre: Der einsame Stamm gegen die mächtigen Naturgewalten der Erde, auf der Suche nach seinen Urvätern. Wer Another World kennt, wird hier sofort Chahis besondere Handschrift wiedererkennen. Allein der starke Einsatz von Umgebungsgeräuschen, der nur sehr spärlich von Musikuntermalung unterstützt wird, die dafür aber um so ausdrucksstärker ist, lassen eine sehr ähnliche Atmosphäre von Einsamkeit, Fremdheit und Exotik aufkommen, die schon dem AMIGA-Klassiker zur Ehre gereichte.
Das grundsätzliche Spielprinzip erinnert zunächst frappierend an Molyneuxs Klassiker Populous (1989): Die Stammesmitglieder können nicht direkt gesteuert werden. Man kann sie lediglich durch Wegpunkte zu bestimmten Stellen auf der Karte rufen. Diese Wegpunkte sind vom Spieler nicht einmal frei wählbar, sondern bereits von vornherein auf der jeweiligen Karte festgelegt. So kann man beispielsweise bestimmen, an welchem Totem auf der Karte zu welchem Zeitpunkt ein Dorf errichtet oder wann ein bestimmtes Artefakt geborgen werden soll. Ansonsten gehen die Stammesmitglieder komplett unabhängig ihrem Tagewerk nach. Man kann also nur indirekt Einfluss auf den Stamm nehmen.
Die eigentliche Aufgabe des Spielers besteht darin, die Natur zu bändigen und so dafür zu sorgen, dass der Stamm nicht von Tsunamis, Vulkanausbrüchen oder Waldbränden ausgelöscht wird. Auf jeder der 13 Karten der Kampagne gibt es neben dem Primärziel (eine vorgegebene Anzahl von Dörfern zu gründen) auch mehrere Sekundäraufgaben. Sind erstere erfüllt, kann man die Eingeborenen zu einem Schrein rufen, der den Weg zum nächsten Gebiet darstellt.
Wer sich jetzt an das simple Anheben und Absenken von Landmassen in Populous zurückerinnert, hat zwar eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Ganze prinzipiell abläuft, ist aber letztendlich doch noch relativ weit von dem entfernt, was From Dust wirklich vom Spieler verlangt bzw. welche Möglichkeiten es ihm bietet. Man kann grundsätzlich Erde, Lava und Wasser manipulieren. Die einfachste Einflussnahme ist das Aufnehmen des jeweiligen Elementes, um es woanders wieder abzulegen. Darüber hinaus kann man mit zunehmendem Erwerb des „Wissens der Alten“ später aber auch beispielsweise Wasser gefrieren oder verdunsten lassen. Im Verlauf des Spiels kommen noch viele weitere Fähigkeiten, die Natur zu beeinflussen, hinzu. Zudem gibt es neben der normalen Vegetation, die sich von alleine über fruchtbar gemachte Gebiete ausbreitet, noch eine Hand voll besonderer Pflanzen, die man ebenfalls manipulativ einsetzen kann: Wasser-, Feuer- und Explosionsbäume lassen sich vom Spieler umsetzen und so gezielt für bestimmte Zwecke nutzen.
Am besten gebe ich mal ein konkretes Beispiel, damit man eine bessere Vorstellung von der eigentlichen Spielmechanik bekommt: Meine Eingeborenen haben ein Dorf direkt am Fuße eines Vulkans gegründet, der in regelmäßigen Abständen ausbricht und ihnen das Leben schwer macht. Ich habe als Spieler nun die verschiedensten Möglichkeiten, das Dorf vor der Vernichtung zu bewahren. Ich könnte zum Beispiel versuchen, das Dorf durch Abwehrmaßnahmen zu sichern. Hier bieten sich die Wasserbäume an, die bei Hitze explodieren und eine größere Menge Wasser abgeben. Außerdem könnte ich bei jedem Vulkanausbruch von Hand Wasser über die Lava gießen, um den Strom vor dem Dorf zum erstarren zu bringen. Oder ich könnte die Lava von Hand abschöpfen, damit sie das Dorf nicht erreicht. Viel cleverer, und zudem weniger hektisch, ist es allerdings, den Lavastrom um das Dorf herumzuleiten. Man kann die Lava beispielsweise aufnehmen und mit ihr Felsen formen, die den Strom in eine andere Richtung leiten. Oder ich platziere einige Explosionsbäume aus der anderen Seite des Vulkankraters und versuche so, den Lavastrom durch Sprengungen komplett vom Dorf wegzuleiten.
Ein anderes Beispiel wäre ein Stammesmitglied, das ich zu einem Artefakt geordert habe, welches es aber nicht ohne Hilfe erreichen kann, weil zwischen dem Dorf und dem Artefakt ein langer Fluss liegt, der nicht einfach umgangen werden kann. Ich kann nun versuchen, den Fluss (mit Erde oder Lava) zu stauen oder umzuleiten, laufe dadurch aber Gefahr, dass sich die Fluten einen anderen, ungeplanten Weg suchen und ihrerseits wieder irgendetwas anderes schlimmes anrichten. Ich kann aber auch für einige Sekunden den Fluss gefrieren lassen, das Eis an einer günstigen Stelle aufnehmen und so eine Furt für den Eingeborenen schaffen, so dass er den Fluss trockenen Fußes überqueren kann.
Das klingt jetzt wahrscheinlich alles nach sehr anstrengendem Mikromanagement, quasi dem Hüten einer Ameisenfarm. Die Eingeborenen sind aber keine nervenden Blödies oder Lemminge mit Todessehnsucht, die ständig von Klippen springen, in Lavaströme rennen oder sonst wie suizidgefährdet erscheinen. Die KI ist ganz ordentlich und die Wegfindungsroutinen erfreulich gut. Hat ein Stammesmitglied irgendwelche Probleme, weil es beispielsweise das Ziel seines Weges nicht ohne fremde Hilfe erreichen kann, macht es Halt und bittet den Spieler um sein Eingreifen. Alles in Allem agiert der Stamm eigentlich recht autark und klug. Vom sprichwörtlichen „Flöhe hüten“ manch anderer God-Games ist From Dust also weit entfernt. Außerdem erlangt der Stamm im Laufe des Spiels mit dem Wissen der Alten auch zusätzliche Fähigkeiten, auf sich selbst aufzupassen. So können sie zum Beispiel bestimmte Artefakte dazu nutzen, ihre Dörfer selbstständig vor Wasser- oder Feuerkatastrophen zu beschützen, was die Aufgabe des Spielers deutlich erleichtert.
Auch wenn die Kampagne des Spiels aus vorgefertigten Szenarien besteht, lassen sich die Aufgaben des Spiels doch grundsätzlich auf nahezu unendlich viele verschiedene Arten lösen. Jeder Spieler kann das Spiel so spielen, wie er es für richtig hält. Wie ich oben schon schrob: From Dust ist ein Sandkastenspiel im wahrsten Sinne des Wortes und zeigt, wie unzutreffend diese Bezeichnung eigentlich ist, wenn sie im Zusammenhang mit Spielen wie GTA oder Just Cause verwendet wird. Man kann in diesen Spielen zwar allerlei Zeug anstellen, das einem andere, linearere Spiele verwehren, aber es ist auch in einem GTA IV nicht möglich, die Stadt an sich frei zu verändern. Sie sind bestenfalls Open-World-Games, aber ganz sicher keine Sandbox-Games.
Anyway. Ermöglicht wird die faszinierende Spielmechanik von From Dust durch eine absolut großartige Engine, die nicht nur eine höchst beeindruckende Physik der Naturelemente zu bieten hat, sondern schlicht und ergreifend auch wunderhübsch aussieht. Besonders die Wasser- und Feuereffekte sind absolute Hingucker und lassen einen gebannt die brutale Schönheit der Naturgewalten bestaunen. Ich habe in keinem Spiel zuvor derartig schöne Vulkanausbrüche oder Tsunamis in Echtzeit gesehen. Und das auch noch in einem Downloadtitel. Hut ab, liebe Programmierer!
Die Steuerung mit dem Gamepad ist im Grunde gut gelöst worden und nervt weder durch Überfrachtung, noch Umständlichkeit. Dennoch habe ich beim Spielen des öfteren gedacht, dass vieles noch besser von der Hand gehen würde, wenn man jetzt Maus und Tastatur zur Verfügung hätte. Wer also die Wahl hat, sollte vielleicht eher die im August erscheinende PC-Version bevorzugen, die über Steam erhältlich sein wird.
Da ich beim Spielen für gewöhnlich keine Stopuhr laufen habe, kann ich den Umfang der Kampagne nur grob auf 8-12 Stunden schätzen. Das hängt auch sehr davon ab, wie der jeweilige Spieler vorgeht und wie oft er Mist baut und das Szenario deshalb neu starten muss. Aufgrund der offenen Lösungsstruktur und diverser Optionalaufgaben ist das Wiederspielpotenzial von From Dust auf jeden Fall sehr hoch. Außerdem kann man sich noch an 30 zusätzlichen Aufgabenszenarios die Zähne ausbeißen, in denen man bestimmte Rätsel gegen die Uhr lösen muss. Für ausreichende Beschäftigung ist also definitiv gesorgt.
Wenn Ihr Euch dieses Jahr genau ein Downloadspiel zulegen wollt, dann kauft Euch unbedingt Eric Chahis From Dust! Wer God-Games nicht grundsätzlich ablehnt, wird es lieben. Die grundlegende Idee des Spiels ist zwar nicht ganz neu, aber in der dargebotenen Form stellt es tatsächlich ein Unikum dar. From Dust ist der schönste und atmosphärischste Rätsel-Sandkasten, der mir bisher untergekommen ist. Peter Molyneux weint von nun an vermutlich jede Nacht leise in sein Kissen, weil dieses Spiel nicht von ihm ist…
11 Kommentare
Oha… das Spiel habe ich gar nicht auf dem Radar gehabt. Klingt, sehr sehr, um nicht zu sagen, sehr interessant!
Ich schaue mir morgen auf jeden Fall die Demo an!
Ist schon ein Preis bekannt? 1200 MS-Steine wahrscheinlich.
Das liest sich doch sehr gut. Vielen Dank für den informativen Artikel, du hast mir damit die Entscheidung das Spiel morgen zu kaufen sehr leicht gemacht.
Lustig, der Joystiq-Review wirft dem Spiel genau gegenteilig eine miese Wegfindung vor… http://www.joystiq.com/2011/07/26/from-dust-review/
Joystiq war auch erheblich kritischer, was den Spaß-Faktor des Spiels betrifft.
Allerdings interessiert mich der Titel trotzdem so absolut gar nicht.
Ich als ewig gestrige PC-Spieler-Minderheit bin hin und hergerissen. Nachdem Ubisoft zum einhunderdreiundzwölfigsten Mal die PC-Version eines Spieles nach hinten verschiebt (in diesem Fall einen Tag(!) vor Release), schwanke ich zwischen „Warte ich halt noch. ICH liefere euch kein Argument die PC-Sparte ganz einzustampfen Ubisoft!“ und einem gepflegten „Fuck you Ubisoft, werdet glücklich mit euren Konsolenmargen“.
@mnemo: Die KI der Männchen ist schon ganz gut, aber im Einzelfall kann es schon nerven, wenn sich ein Männiken blöd verlaufen hat und von der Lava grad in die „falsche“ Richtung wegläuft. Aber ingesamt hatte ich daran nichts zu meckern. Man sieht anhand der „Striche“ ja auch, wo die Männlein nicht weiterkommen. Ist gut gelöst, meiner Meinung nach.
Der Spaßfaktor definiert sich extrem dadurch, wieviel Spaß man mit dieser Phsyikengine haben kann. Das „Spiel“ ist nicht sehr tiefgründig, man muss schon im wahrsten Sinne des Wortes Bock auf den Sandkasten und den schier unbeherrschbaren Elementen haben. Mir macht’s großen Spaß (siehe Podcast Folge #245)
@cmi:
Dass Übersoft die PC-Version so knapp vorher verschiebt, ist schon wirklich dreist. Honni soit qui mal y pense!
Aber es spielt sich wirklich gut auf der Xbox – die Maus vermisste man zu Beginn etwas, aber das legt sich. Wenn du noch etwas Geduld hast und eh PC-Spieler bist, würde ich die PC-Version trotzdem abwarten.
ich fiebere schon seit mehreren monaten der demo entgegen und werde sie heute abend dann auch gleich ausprobieren.
und direkt nach dem durchspielen der demo musste ich mir auch die vollversion frei schalten. das spiel macht spass… und sieht toll aus… aber das intro hat bei mir sound-probleme.
Ich habe beim Spielen nie eine Stoppuhr neben mir liegen, aber 8-12 Stunden können das niemals gewesen sein. Ich bin gestern mit der Kampagne fertig geworden und für mich hat sich das nach 3-4 Stunden angefühlt. Kann natürlich sein, dass ich mich total verschätze. Gegen Ende hin wird es teilweise echt fies, Vulkane und Überschwemmungen wohin man schaut, dafür wird man dann mit einer tollen letzten Map belohnt, in der man komplett freie Hand hat. Mich hat das Spiel teilweise echt frustriert, die Frust-Momente waren dann aber doch immer nur sehr kurz und beim zweiten oder dritten Neustart der Map hat es dann geklappt. Man muss einen Plan haben und schnell sein und muss vor allem immer daran denken, dass sich die Umgebung während des Spiels verändert. From Dust war nicht das tolle Übergame, auf das ich mich seit der Vorstellung auf der letzten gamescom gefreut hatte, war aber doch ein netter kleiner Zeitvertreib. Mehr leider aber auch nicht.
Die Demo ist zu kurz, genügt mir aber, um die Schwachstellen ausfindig zu machen.
1) Die Steuerung mit dem Controller: zu langsam, zu unpräzise.
2) Karten/Aufgaben eher linear aufgebaut. Natürlich kann man sein Ziel auf unterschiedliche Art und Weise erreichen. Aber das Spiel gibt zumindest in der Demo ziemlich genau vor, wo man eine „Brücke“ aufschütten soll oder wie man einen Fluss umleiten sollte. Dank der Gesteinsformationen ist es auch oftmals nicht sinnvoll Alternativen zu erwägen.
3) Die Grafik ist sicherlich gut, aber der absolute Hingucker? Der Vulkanausbruch hat mich doch spontan an [url=http://www.pcgames.de/screenshots/original/2010/04/sim_city_vulkan.jpg]SimCity[/url] erinnert.
glaube mir, das spiel wird in den späteren leveln „offener“ da bist du dann nicht mehr darauf festgenagelt, nur sand zu benutzen. später kannst du wirklich komplett freihand die umgebung verformen.
ich muss aber auch sagen: die demo macht ihre sache nicht wirklich gut… das komplette spiel ist um einiges abwechslungsreicher als die demo.
Habe das Spiel vor ein paar Tagen bei Steam für den PC gekauft und bin echt begeistert. Die Grafik ist ja mal große Klasse (so herrlich ungewohnt) und das Spiel mit den Elementen macht Spaß. Die Steuerung am PC ist total easy.
Ach hätt ich doch nur mehr Zeit :D