
Wir sind Medien-Junkies!
Junkies lungern nur an Bahnhöfen herum, haben noch eine Nadel im Arm und verkaufen ihren Körper an ältere Herren mit Hut? Nein. Der moderne Junkie gibt viel Geld für Hardware aus, die er braucht, um sich alles reinzuziehen, was der Spiele-, Film-, Comic- und Musikmarkt so hergibt. Je ausgefallener desto besser. Mainstream ist für die anderen. Geheimtipps sind cool. Wir sind die Geek-Elite, die an purer Einfältigkeit und Konsumbereitschaft kaum zu überbieten ist! Warum? Nun, wie würde man denn sonst jemanden nennen, der mindestens 50 Prozent seiner Bildung und Erziehung aus dem Fernsehen bezieht, sein ganzes Geld für nicht lebensnotwendigen Schnickschnack ausgibt und trotz Einsicht in die Verarschungsstrategien der Medienkonzerne nicht damit aufhört?
Ersetzt den Bahnhof durch das Internet (Comicshop/Videothek/Plattenladen), die Nadel durch den Discman (DVD-Player/Computer/usw.) und die älteren Herren durch BMG (Sony/Vivendi/Microsoft).
Junkies sind aber Drogenabhängige! Ja und? Das sind wir auch!

Egal wie sehr wir uns der Abzocke und Beeinflussung durch die Industrie bewusst sind, wir regen uns nur ständig öffentlich auf, aber ziehen niemals die naheliegenden Konsequenzen. Wir können auf unsere Medien einfach nicht verzichten. Wenn wir sie nicht haben, langweilen wir uns. Und wenn wir mal in den Urlaub fahren, was einige von uns aber recht konsequent zu vermeiden wissen, dann treten recht schnell regelrechte Entzugserscheinungen auf, die sich noch am harmlosesten durch innere Unruhe und Gereiztheit äußern.
So schwer die Einsicht auch fallen mag, wenn wir einmal ganz ehrlich mit uns selbst sind, müssen wir erkennen, dass wir eine neue Form der Drogenabhängigen sind! Junkies eben.
Und um meinem üblichen Dummschnack auch mal einen seriösen Anstrich zu geben, hier ein wissenschaftstheoretischer Ansatz aus der Freizeitpädagogik, der sich gut auf unser Thema anwenden lässt:
Prof.-Dr. Horst W. Opaschowski unterteilt die Lebenszeit in drei Zeitabschnitte: Die Determinationszeit (fremdbestimmte Zeit, zu der Arbeit, Haushalt oder auch Krankheit zählen), die Obligationszeit (verbindliche Zeit, zu der Essen, Schlafen oder Körperpflege zählen) und die Dispositionszeit (also die Freizeit).

Neben den sozialen Konsequenzen unserer Abhängigkeit gibt es auch medienpolitische Zusammenhänge, die der Junkie selbst gerne anders sehen möchte, als sie sich in der Realität wirklich darstellen (ebenfalls ein typisches Problem von Drogenabhängigen):
Die bereits angesprochene Beeinflussung durch die Medien und vor allem denen, die durch sie verdienen, ist in unserem Falle besonders tricky, weil wir eigentlich ja alle davon überzeugt sind, eben nicht so leicht beeinflussbar zu sein wie die graue Masse der Gelegenheitskonsumenten. Medien-Junkies geben sich ja im allgemeinen besonders kritisch, sind aber in Wahrheit in höchstem Maße beeinflusst und haben oft nur eine eingebildete Scheinunabhängigkeit!
Von allen Volksstämmen unter den Medien-Junkies sind nun auch die Gamer das geworden, was die Mehrheit der Film- und Musikfreaks schon seit Jahren sind: gehirntote Konsum-Zombies, die nicht mehr selbst herausfinden, was gut und cool ist, sondern es sich von den PR-Experten der Industrie und deren mehr oder weniger gut getarnten Schergen sagen lassen.

Sobald etwas so groß wird, dass es viele Leute beeinflussen kann, wird es das zwangsläufig auch tun! Auch wir gehören eigentlich zur geheimen Junkie-PR-Abteilung von Bertelsmann und warten nur darauf, ab einer bestimmten Leseranzahl unser wahres Gesicht zu zeigen! – Nein, nicht wirklich. Da kam der zwanghafte Lügner in mir wieder durch…
Worauf ich hierbei hinaus will: Der Trick ist nicht, sich immer neue Indie-Medien zu besorgen, die einem dann sagen, was cool und nicht mainstreamig ist (Mainstream kann teilweise auch cool sein, aber das nur am Rande…), sondern sich seine eigene Meinung zu bilden, egal mit welchen Quellen! Aber genau hier scheint beim Medien-Konsumenten, sorry, Medien-Junkie die allgemeine Degeneration stattzufinden. Kaum jemand scheint sich noch den Luxus einer eigenen Meinung leisten zu wollen…
Abschließend möchte ich noch auf eine ganz besonders verabscheuungswürdige Sub-Spezies unter uns Junkies zu sprechen kommen, deren klassischster Vertreter mein geschätzter Kollege SpielerDrei ist: Der Nerd-Hasser, der sich über die ganzen Voll-Freaks unter uns lustig macht und selbst immensen Wert darauf legt, selber kein Nerd zu sein, aber in Wahrheit der größte Nerd von allen ist; quasi der König der Nerds!

SpielerDrei sieht sich selbst zwar durchaus als Junkie, aber keinesfalls als einer dieser, aus seiner Sicht, bemitleidenswerten Voll-Nerds. Eine fatale Fehleinschätzung! Böser SpielerDrei! Schäm Dich! Zur Strafe nehme ich Dir jetzt für einen Tag alle Spielsachen weg. Nur wenn Du am nächsten Tag noch nicht aus lauter Verzweiflung Deinen Teppich aufgegessen oder Deinen Körper für einen Gameboy verkauft hast, besteht noch Hoffnung für Dich…
Aber wenn ich es mir recht überlege, unterscheiden wir anderen drei Spieler uns lediglich dadurch von ihm, dass wir nicht ganz soviel Fachwissen besitzen und es uns dadurch einfacher fällt, auf die Nerds herab zu blicken bzw. uns über sie lustig zu machen…
Vielleicht kommt aber einmal der Tag, an dem wir endlich erkennen, dass wir alle zur gleichen Spezies gehören und uns lediglich in Nuancen unterscheiden…
Und wir haben alle das gleiche Problem: Wir sind Medien-Junkies. Eine Therapie gibt es nicht. Unser einziger Trost ist die Gesellschaft von Leidensgenossen. Darum sollten wir nett zu ihnen sein!
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