Autsch! Etwas trifft mein linkes Auge. „Hey, SpielerVier, aufwachen!” Bleischwer und mit verquollenen Augen richte ich mich auf. SpielerDrei steht vor meiner Matratze, fuchtelt wild mit einer Wiimote in der einen, und hektisch mit einem zerknitterten Zettel in der anderen Hand herum.
„Weißt du eigentlich, wie spät es ist?”, frage ich ihn mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme, greife nach der Wodkaflasche auf dem Nachttisch und spüle den schalen Geschmack weg. Bäh, haben heute etwa schon wieder Katzen in meinem Mund übernachtet? „Ja. Es ist gleich 14 Uhr. Sorry. Und jetzt beeil dich, wir haben doch tatsächlich einen Termin bei Electronic Arts. Quasi als kleines Geschenk zur Eröffnung von „polyneux” haben die uns zu einem Firmenbesuch eingeladen. Wir können dort Informationen aus erster Hand erhalten! Toll, was?” Leicht irritiert schaue ich SpielerDrei an. Er meint es anscheinend völlig ernst. „Äh, du weißt schon, dass polyneux bereits seit gut zwei Monaten…” „Jajaja! Leider können nur wir VierSpieler mitkommen. Die Anderen wurden von SpielerEins zum Küchen- und Putzdienst im ultrageheimen polyneux-Headquarter eingeteilt.” „Ooookaaaay, ich ziehe mich dann mal an…” „Alles klar, wir warten draußen im polymobil. Du musst übrigens mit dem Hello-Kitty-Cape herumrennen, die anderen sind schon vergriffen.”
Während ich die ganze Fahrt darüber nachdenke, warum zum Henker die Reifen an unserem schwarzen GMC Vandura G-1500 Van alle achteckig sind, SpielerDrei eine Lederjacke mit „Da-Nang”-Schriftzug trägt und SpielerZwei zwei Tonnen Gold um den Hals trägt, baut SpielerEins einen Crash nach dem anderen und faselt dabei ständig irgendwas von Turbo-Boost, Takedowns und Traffic-Attack. Neben uns verglühen die anderen Verkehrsteilnehmer in eindrucksvollen Feuerbällen.
In der Eingangshalle werden wir von einer kolossalen Hand-Skulptur begrüßt, die eine geradezu groteske Symbiose aus Nähzeug, chinesischem Menschenhaar und rostfreiem Nagellack darstellt und nach einer Weltkugel aus feinstem Lübecker Marzipan greift. Pittoresk spiegelt sich beides im schwarzen Marmorboden. Während wir uns noch fragen, ob wir die komplexen humanistischen Daseinsfragen, die dieses Kunstwerk in uns aufwirft, richtig interpretieren, werden wir auch schon von Chief Executive Officer v7.0 empfangen, der uns sogleich fachmännisch durch das Unternehmen führt.
„Das hier ist unsere Weichwarenmaschine.”, erläutert er mit sichtlichem Stolz. „Die klotzfreien Bauhölzer mit den divergierenden Beschriftungen werden mit Hilfe der getrockneten Schaltzwangen zufällig durchgemischt und auf 100,777 Eum gebracht. Die Arbeiter müssen nur noch darauf achten, dass die Fusionsschrauben korrekt ins Holz nageln und die Zündplättchen sich nicht hochwellen.” Trocken fügt er hinzu: „Das ist alles.” Emsig notieren wir alles auf unseren Schreibblöcken und nicken eifrig.
Doch nichtsdestotrotz bleiben wir hartnäckig und fragen in gewohnt journalistisch-kritischer VierSpieler-Art nach den Sicherheitsbestimmungen für das Personal. Daraufhin erhalten wir eine ebenso faszinierende wie einleuchtende Erklärung, die sämtliche unserer Zweifel augenblicklich beseitigt: „Seit wir nur noch handverlesene Holzwolle verwenden und unsere fluktuierenden Schlauchfriemel durch kranzgeschnörkelte Absorptionskabel ersetzt haben, konnten wir die Sicherheit um satte 503% steigern und sind nun bei einer Mortalitätsquote von vier Arbeitern pro Woche angelangt.” Selbstbewusst und auch ein bisschen verlegen ergänzt er: „Das ist schon ziemlich gut für unsere Branche.” Wir sind jedenfalls beeindruckt von soviel Unternehmergeist und können eine Anstellung bei EA uneingeschränkt empfehlen. Auf Nachfrage zur geheimen Zusammensetzung der weltweit berühmten Weichware verrät Chief Executive Officer v7.0 nur so viel: 2% Gehirnschmalz, 68% Gehacktes (halb & halb), 12% Testosteron, 10% Patriotismus und 8% Hass.
Doch um das nebulöse Unternehmen und dessen rätselhafte Verflechtungen, die es wie Metastasen durchziehen, noch besser zu verstehen, bedarf es eines kurzen historischen Exkurses:
- 1981 machen im kalifornischen Redwood City ukrainische Wanderarbeiter bei Malerarbeiten eine geradezu epochale Ausgrabung: einen vier Meter langen und drei Tonnen schweren Esel mit indianischer Inschrift.
- Erste Untersuchungen durch das bekannte Kalium-Argon-Datierungsverfahren ergeben eine äußerst vage und ungenaue Datierung auf den 4. April 1976; vermutlich um 13:37 Uhr.
- Angespornt von dieser sensationellen Entdeckung, gründen zwei Brüder und eine Tafel Marzipan-Schokolade den ersten Außenposten von EA. Alle drei sind gleichberechtigte Firmeneigentümer.
- Doch der Erfolg währt nicht lange: 1997 eröffnet der Europäische Gerichtshof ein Strafverfahren gegen die beiden Brüder und verurteilt sie wegen falsch lackierten Radiatoren zum Tode, schade.
- EA hält sich unter Federführung der Schokoladentafel mit fußgeschälten Marmorsesseln über Wasser, wird dann jedoch von einem friesischen Zwiebelsaft-Hersteller aufgekauft und erfolgreich ins namhafte Familienunternehmen eingegliedert.
- Erst im Jahre 2000 wird das Unternehmen unter der bekannten Marke EA wieder offiziell fortgeführt und kann seitdem erfolgreiche Erfolge mit Wegwerfjacken aus Kaschmirwolle verbuchen.
Plötzlich packt uns Senior President v7.0 am Arm, seine Augen sind weit geöffnet, Panik blitzt in ihnen auf, gepaart mit einer Prise Wahnsinn: „Wir sollten jetzt besser gehen, um kurz nach 18:30 Uhr wird der gesamte Gebäudekomplex automatisch versiegelt, gesprengt und an einem zufälligen anderen Ort auf der Welt wieder neu eröffnet. Vielleicht auch nicht. Wir sollten es jedenfalls nicht darauf ankommen lassen!” Geschockt und erregt zugleich verlassen wir fluchtartig das Gelände.
Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellt: Hinter uns schließen sich meterdicke Sicherheitstüren, ein Timer wird über unseren Köpfen eingeblendet, tonnenschwere Stahlträger fallen in unseren Weg, eine entfernte Detonation; jetzt nicht nachlassen, das Grollen kommt näher; wir keuchen vor Erschöpfung, während wir unsere untrainierten und deformierten Nerd-Leiber durch die brennenden Gänge scheuchen, immer darauf bedacht, die aufblinkenden Tasten im richtigen Moment zu drücken. „Verdammt, wie soll man sich bei dieser ganzen scheiß Tastendrückerei auf die Action konzentrieren…?!”, klagt SpielerDrei. Urplötzlich fällt er hin: „Mist, verdrückt! Ihr müsst ohne mich weiterlaufen, ich würde euch bloß…” Doch wir hören ihn schon kaum noch und sind bereits beim Ausgang angekommen. Wir schwingen uns in unser polymobil, SpielerEins lässt effektvoll die Reifen durchdrehen und keuchend fahren wir weg, nur weit weg. Das mächtige Dröhnen wird allgegenwärtig, alles hell, dann:
Stille.
Eine apokalyptische Explosion erschüttert die Grundfesten des Raum-Zeit-Kontinuums… Inferno, Blut, Fleisch, Staub, Inferno, Blut, Semmelknödel; die Landschaft hinter uns: erstrahlt von einer gigantischen, nuklearen Waldfrucht. Eine exorbitante Feuerwalze nähert sich uns unaufhaltsam, die Hintertüren des Vans werden laut berstend weggerissen, ich versuche mich verzweifelt irgendwo festzuhalten – vergebens – und werde schreiend aus dem Van gesaugt…
Schweißgebadet wache ich auf. SpielerDrei steht vor mir und hält einen Zettel in der Hand.
10 Kommentare
feintser gonzo journalismus. schöne sache.
So völlig wirre Artikel machen es mir schwer zu folgen, aber die Ideen sind super.
“Wir sollten jetzt besser gehen, um kurz nach 18:30 Uhr wird der gesamte Gebäudekomplex automatisch versiegelt, gesprengt und an einem zufälligen anderen Ort auf der Welt wieder neu eröffnet.” LOL!
Das mit dem Esel und der Inschrift habe ich ja schon immer vermutet.
Fantastischer Artikel, so etwas würde ich gerne öfters lesen^^.
Alter. War wohl wieder ein feuchtfröhliches Wochenende, hmm?
P.S.: Haha, mein Captcha fängt tatsächlich mit “ea” an LOLROFL11eins!
Sehr geil! Habe Tränen gelacht!
Keine Macht den Drogen.
Andererseits: Lübecker Marzipan … mmmmh.
“…68% Gehacktes (halb & halb)…” Ich habe Tränen gelacht, sage ich euch…
:)
Ich nehme dieselben Drogen. Sehr schön
:D