Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Um es zu betrauern, allerdings auch. Das kleine Örtchen Yesterby ist nun noch ein wenig geschrumpft. Eine der wenigen jungen Einwohnerinnen stirbt bei einem Verkehrsunfall und als Spieler*in begleitet man nicht nur die Familie, mit der man den besagten Abend durchlebt, sondern auch den Rest des Ortes durch den Trauerprozess.
Mit der ersten Szene, in der die Polizei die Nachricht von Angelas Tod überbringt, wird man Zeuge der Veränderungen. Auch wenn die Mutter beim Einfahren des Polizeiwagens noch verärgert auf die Tochter ist und sich fragt, was sie wohl wieder angestellt hat, schreit sie im nächsten Moment auf die Beamten ein, weil “ihr Engel niemals nachts in die Stadt fahren würde”. Während die Eltern und vor allem die Mutter nach der Beerdigung sehr in ihrer Trauer aufgehen, versucht ihre jüngere Schwester Conny einen Sinn darin zu finden, dem Dorf aus eben dieser hinauszuhelfen, indem sie es nach diesem großen Bruch wieder zusammenbringt. Was ihr dabei sehr hilft: Sie hört die Stimme ihrer toten Schwester. Jede Nacht kommt sie zu ihr ans Bett, spricht mit ihr Erinnerungen durch und versucht sie mit ihr zu verarbeiten. Nach und nach kann Angela auch zu verschiedenen anderen Dorfbewohner*innen sprechen und sie beeinflussen, um, nunja.. sich letztendlich von ihr zu trennen.
Das funktioniert, in dem man als Spieler*in – sehr ähnlich wie bei den Sims – die entsprechenden Icons der Figuren anklickt, sich ihre Bedürfnisse, Wünsche und Planungen anguckt und dann handelt. Was genau man im Endeffekt tut, bleibt einem selbst überlassen. Man kann allen Leuten folgen, die kleinen Sachen steuern, wie die “Sims” etwas essen lassen, wenn sie hungrig sind (das machen sie natürlich, wenn es nötig wird, auch ganz von alleine, ohne Micromanagement!) oder alltägliche Beziehungsarbeit. Man kann aber auch große Lebensentscheidungen für Einzelne treffen, sei es über den Weg, den ein großes Dorfprojekt nehmen soll, oder Entscheidungen über zukünftige Wohnorte und Berufswahlen. Tut man das nicht, ziehen wie in unserem Leben Chancen einfach an einem vorüber.
Das ist auch genau der Grund, warum das Spiel vermutlich auch beim zweiten Durchgang interessant bleibt, denn man lernt die Figuren, ihre Emotionen und Hintergründe so gut kennen, dass man den meisten von ihnen auch wirklich helfen will, glücklich zu werden und den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken. Das ist mir bei meinem ersten Versuch zwar nicht ganz schlecht gelungen, aber nicht wirklich so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Das lag unter anderem an einer Sache (einem kleinen Bug vor Release, der sicher schon gefixt ist, wenn ihr das spielt), und zwar wurden Handlungen, für die eine der Figuren gerade nicht verfügbar war, ausgegraut und nicht mehr angeboten. Leider ist mir das bei zwei meiner Herzensangelegenheiten passiert, was mich dann doch etwas traurig gemacht hat. Aber da es dann sehr passend zum Thema des Spiels war, hat es wohl auch irgendwie nur zur Gesamtstimmung beigetragen.
Osmotic Studio, die Macher der Orwell-Reihe, haben ihre Erfahrungen mit der Darstellung von Überwachung und Beeinflussung von Menschen genutzt und damit eine Lebenssimulation – oder Slice of Life-Sim wie sie es selbst nennen – geschaffen, die mich sehr berührt hat. Vor allem, dass man immer nur eine Handvoll Figuren in von ihnen vorgegebenen Parametern steuern kann und die Entscheidungen der anderen einfach hinnehmen muss, unterscheidet es von DEN Sims, bei denen man Leute sogar gegen ihren Willen handeln lassen kann. Natürlich ist es immer noch eine Art von God Game, nur ist der Gott nicht allmächtig, sondern fühlt sich in den bis zu 10 Stunden Spielzeit manchmal fast genauso hilflos und machtlos wie die Trauernden selbst.
Die Musik trägt ihren Teil dazu bei, dass Closer the Distance eine Atmosphäre schafft, in der man verweilen möchte. Auch wenn ich sonst oft eher längere Laufwege skippe oder dabei Podcasts höre (ihr kennt das sicher), war ich hier doch sehr erstaunt, dass ich die meiste Zeit viel lieber den Charakteren beim Gehen gefolgt bin und die Ruhe des Ortes in mich aufgesogen hab. Vor allem weil das Ziel des Spiels nicht unbedingt ist, dass alles “gut” wird, aber doch, dass alle einen Weg finden, mit ihrem Leben weiterzumachen und im Bestfall Freude daran zu finden, war es manchmal ein emotionales und bedrückendes, aber auch ein etwas beruhigendes Erlebnis, womit Closer The Distance hoffentlich genau das erreicht hat, was die Developer sich gewünscht haben.
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