Ich habe gerade Deadly Premonition durchgespielt und bin noch etwas benommen. Was für ein Opus! Dieses Spiel hat mir eines wieder sehr klar vor Augen geführt: Es gibt viel zu wenig Spiele mit Substanz, mit einer guten Geschichte und – um es vielleicht etwas hochgestochen auszudrücken – mit Tiefgang. Natürlich ist es individuell, ab wann ein Spiel ein bestimmtes Niveau erreicht hat, das ist ganz klar an der eigenen Lebenserfahrung und dem selbst auferlegten Anspruch zu messen. Aber sicher ist, dass sich ein Spiel gehörig anstrengen muss um mich vergessen zu lassen, dass ich gerade ein Spiel spiele. Außerdem wird sich auch viel zu wenig über die Geschichten und Figuren unterhalten oder darüber geschrieben. Und wenn dann plötzlich eine Granate wie Deadly Premonition um die Ecke kommt, habe ich den Drang es laut in die Welt hinauszuschreien: Wir brauchen mehr gute Storys in Videospielen!
Warum ich einen relativ hohen Anspruch an Geschichten in Videospielen habe, hat unterschiedliche Gründe. Ich finde ja, dass jeder diesen Anspruch haben sollte, man muss sich ja nicht immer nur mit dem Durchschnitt zufrieden geben. Genau das schrieb ja auch schon Daniel, in einem seiner jüngsten Artikel. Es ist mehr als schade, wenn die meisten Spiele heutzutage viel Potential verschenken und sich zu sehr auf den technischen Aspekt konzentrieren. Warum geht nicht beides? In Deadly Premonition werden etliche Gefühle nach oben gespült, es jongliert harmonisch mit ihnen und das ist etwas, was ich schon seit längerem viel zu selten in Videospielen finden kann. Es reicht nicht wenn ich sage, dass die Figuren bis in die kleinste Nebenrolle total obskur und perfekt besetzt sind. Auch die reichlichen Sidequests füllen dieses Spiel neben der Hauptgeschichte mit soviel Leben, wie man es nur sehr selten vorfinden kann.
Ich habe keine Ahnung, aber ich unterstelle jetzt einfach mal meinen Mitspielern und Mitlesern, dass ihnen eine etwas tiefer gehende Story genauso wichtig ist. Deadly Premonition ist seit langem mal wieder ein Paradebeispiel für inhaltvolle Geschichten, auch wenn es sich fast schon dreist alles zusammengeklaut hat. Das Setting ist Twin Peaks, einige Figuren sind Twin Peaks, gewisse Szenen sind Twin Peaks und kleine Teile der Geschichte sind Twin Peaks. Das alles ist aber überhaupt nicht schlimm, denn das Gesamtkunstwerk welches entstanden ist, beinhaltet mehr Werte und Innovationen, als die meisten anderen Spiele zusammen. Hier finden wir eine außerordentlich niveauvolle Erzählweise, mit fantastischen Dialogen und ausgereiften, vielseitigen Charakteren und es traut sich ohne viele Tricks, tief in die Psyche des Spielers vorzudringen, sodass es sich anfühlt, als stehe man in leeren Räumen während sich der Protagonist permanent im Gespräch mit seiner zweiten Persönlichkeit befindet. Im Hintergrund läuft Jazz-Musik, Rosenblüten schweben durch die Luft und man fragt sich, ob man träumt oder halluziniert. All das fühlte sich extrem richtig an und zuletzt habe ich eine derartige Stimmung in nur einem Videospiel erlebt: Silent Hill 2.
Deadly Premonition lässt sich schwer einem bestimmten Genre zuweisen. Wer jetzt laut Survival-Horror ruft, dem widerspreche ich, da ist kein Horror, nur gelegentlich ein bißchen Survival. Dieser Bereich ist auch das schlechteste am ganzen Spiel, das liegt aber vor allem an den technischen Mängeln, die Deadly Premonition ohne Zweifel hat. Das ist aber vollkommen egal, denn der wesentliche Kern liegt in der Geschichte und den Figuren, um nichts anderes sollte es hier gehen. Die Frage lautet somit: Könnte ich es verstehen, wenn jemand das Spiel nicht zuende spielt, aufgrund der grauenhaften Steuerung und Grafik? Meine Antwort lautet: Nein!
Warum sind gute Storys in Videospielen nach wie vor so selten? Entweder sind sie zu flach, schlecht erzählt oder sie beinhalten unsympathische Charaktere. Alan Wake zum Beispiel gab sich alle Mühe rätselhaft zu sein, scheiterte aber an fehlenden Emotionen der Figuren, die so wichtig gewesen wären. SpielerZwei sagte einst im Polyneux-Podcast: “Alan Wake bietet etwas ganz simples, eine wunderbare Liebesgeschichte und das ist großartig.” Das ist es in der Tat, wäre in der Liebesgeschichte wirklich so etwas wie Liebe zu finden gewesen – war sie aber nicht. Alan verhielt sich zu seiner Frau, wie meine Hand zu meinem Knie, eine Berührung kitzelt noch nicht einmal. Außerdem wurde das ganze aufgeblasene Rätselkonstrukt am Ende so unbefriedigend aufgelöst, das man sich als Spieler schon fast dumm vorkam. Ich glaube Sam Lake hat seine Geschichte bis heute selbst nicht ganz verstanden, aber ich möchte ihm nichts unterstellen, er ist ein Guter, denn die beiden Max Payne’s haben mir seinerzeit sehr gut gefallen. Nur dieses Mal lagen wir nicht ganz auf einer Wellenlänge.
Ich glaube, dass ein guter Plot noch nicht einmal der ausschlaggebende Punkt ist. Sicher muss die Handlung ein Stück weit mitreissend sein, jedoch sind die beteiligten Figuren bzw. Charaktere noch viel wichtiger. Ich muss mich in ihnen wieder finden können, sie sollten ein wenig geheimnisvoll sein und sie müssen mir vielleicht noch etwas erzählen können, was ich noch nicht weiß. Die Szenen sollten mich berühren, ich möchte sehen, dass sich dort jemand über das Leben oder vielleicht auch über wichtige Entscheidungen Gedanken gemacht hat. Ich möchte eine Zerrissenheit spüren können, wenn ich als Spieler eine Wahl treffen muss und ich möchte auch ein wenig trauern, wenn eine Figur stirbt, an die ich mich bereits gewöhnt habe.
Mich persönlich berühren Themen am meisten, die mitten aus unserem Alltag entnommen sind. Sie müssen gar nicht zu sehr verworren verpackt werden, ich mag es eher, wenn sie direkt auf den Punkt sind. Dramaturgisch gesehen ist das wahrscheinlich auch am wirkungsvollsten, wird doch auf die Art am wenigsten verharmlost. Ich habe damals unendliche Traurigkeit empfunden, als James Sunderland in Silent Hill 2 am Sterbebett seiner krebskranken Frau saß. Und auch als er weinend vor dem TV ausharrte, nachdem er das Video seiner geliebten Mary ansah. Das war sehr direkt, wie eine Faust ins Gesicht, mehr braucht es wohl auch gar nicht. Klischees hin oder her, sie haben alle etwas wahres und genau deshalb hallen Spiele wie Silent Hill 2 auch noch so lange nach. Sie erzählen etwas zeitloses, etwas, was jedem widerfahren kann, von Verlust und Hoffnung, Liebe, Hass und Schmerz. Warum gibt es derartiges in Spielen kaum?
Als ich Final Fantasy XIII spielte fragte ich mich lange Zeit, warum Lightning so ist, wie sie ist. Warum lachte sie nie und war so verschwiegen? Allein um das zu ergründen war ich motiviert genug, die gesamte Geschichte zu durchleben, das ganze Spiel zu spielen und jeden einzelnen Boss zu besiegen. Oder die gesamte Metal Gear Solid-Serie – insbesondere der dritte Teil – hat mich extrem mitgerissen, vor allem die verschiedenen Beziehungen der Figuren untereinander waren sehr tiefgründig. Hier gab es Szenen, in denen nichts oder kaum etwas gesagt wurde und doch konnte man tiefe Emotionen erahnen, sehen und miterleben. Dabei ist das Setting auch vollkommen egal, realistische Themen oder Gefühle haben auch zwischen Fantasy-Drachen ihre Daseinsberechtigung, entscheidend ist lediglich, wie Hoch der Anspruch der Autoren an sich selbst und an uns Spieler ist.
Für mich war es die reinste Wohltat, wieder einmal ein Spiel wie Deadly Premonition zu spielen, auch wenn ich zu Beginn einige Schwierigkeiten mit der verkorksten Mechanik hatte. Aber das ist schnell vergessen, wenn man sich erst in den fantastischen Rest des Spiels verloren hat. Am Ende hatte ich Angst, alles zu verlieren, ich fühlte mich geteilt, benebelt und dann erleichtert. Bei manchen Szenen konnte ich kaum atmen und in dem einen bestimmten magischen Moment – quasi dem dramaturgischen Zenit – haderte ich mit mir. Wir brauchen mehr Schwäche zeigende Figuren in starken dramatischen Szenen, damit wir öfter dabei zusehen können, wie etwas vollkommen neues und lebendiges entsteht. Das berührt mich und trägt dazu bei, dass ich gewisse Spiele niemals vergessen werde und immer wieder spielen möchte. Videospiele könnten noch so viel mehr sein. Und genau das trifft auf Deadly Premonition ohne Zweifel zu.
17 Kommentare
Da stimme ich vollkommen mit Dir überein. Wenn man sich eine Großzahl der Games und dazu die “Gamerforen” ansieht, kommt man sich leider oft etwas auf verlorenem Posten mit den von Dir geschilderten Wünschen und Ansprüchen vor.
Deadly Premonition war für mich das Spiel des Jahres 2010. Die veraltete Grafik nimmt man nach ein paar Stunden Spielzeit gar nicht mehr war. Obwohl ich mir manchmal schon ausgemalt habe wie das Spiel wohl mit der in Alan Wake verwendeten Engine geworden währe.
Du verwechselst emotionalen Kitsch mit Anspruch.
Und ganz klar, Videospielen fehlt es an emotionalem Kitsch.
Deadly Premonition springt Alan Wake/Remedy mit dem nackten Arsch ins Gesicht, speziell der Aussage, dass sie von dem Open-World-Konzept Abstand nehmen mussten, um die Geschichte tight erzählen zu können (und trotzdem nur unbefriedigend ablieferten).
Schöner Artikel, aber liest sich ein bisschen so, als hättest du aus Versehen Heavy Rain gespielt. Viele Wahlen stehen in DP nicht zur Verfügung und du siehst hier ernsthaft nur die erste Hälfte von Survival-Horror? Das Spiel ist creepy as shit!
“Rainy Wutz”… hehehe…
Ne, mal im Ernst, Deadly Premonition ist ein ganz großes Spiel mit einer tolle Auflösung, wo man nicht genau weiß, ob man jetzt glücklich oder traurig sein soll.
Ich bin froh, dass es sich über die Blogs so langsam einem größeren Publikum erschließt. Wär der letzte Mehrspieler-Podcast nicht schon so lang gewesen, hätten wir auch was zu DP gehabt. Die GamePro hat es leider nicht geschafft, in ihrem Text und Videohäppchen dem Titel gerecht zu werden.
Leider habe ich sehr oft gelesen, dass die Musik seltsam und unpassend wäre. Das kann ich absolut nicht nachvollziehen, die passt wie Faust aufs Auge. Selbst Amazing Grace.
@Fabian:
Ich fand DP nicht creepy oder dergleichen, ich fands stellenweise sehr abgedreht und zum Ende hin auch etwas eklig (wäre jetzt doof zu spoilern). War halt doch eher ein Thriller. Und mit der “Wahl haben” meinte ich nicht DP speziell, sondern eher allgemein in Spielen, in denen man evtl. eine Auswahl hat. Aber im Grunde kann man trotzdem sagen, dass DP in einigen Bereichen das bessere Heavy Rain ist und auch das bessere Alan Wake. :)
Die Actionsequenzen gingen mir aber schon etwas auf die Nerven irgendwann, das ganze Geballer hätten sie auch ganz streichen können. Dann wäre das Survival-Ding auch noch weggefallen, ich hätte es wirklich nicht vermisst.
@Ben:
Hm, ich weiß nicht genau, ist “Anspruch” denn an irgendwas messbar? Ich glaube aber zu wissen was du meinst. Fandest du denn beispielsweise SH2 irgendwie kitschig? Ich gar nicht. :)
@SenorKaffee:
Die Musik ist zwar seltsam, aber nicht unpassend finde ich. Hat auf jeden Fall die Atmosphäre schön untermalt. Kann man eigentlich irgendwie irgendwo an den Soundtrack rankommen?
Du kannst dir auf der offiziellen Seite 10 Stücke runterladen bzw. anhören. Der ganze Soundtrack ist natürlich um einiges länger, frag mich aber bitte nicht, wo ich den herhabe.
OK, ich frage nicht. Google hat es mir auch beantworten können. ;) Ich war soeben mal auf der Website, die ist ja mindestens genau so abgefahren wie das gesamte Spiel.
[quote]Könnte ich es verstehen, wenn jemand das Spiel nicht zuende spielt, aufgrund der grauenhaften Steuerung und Grafik? Meine Antwort lautet: Nein![/quote]
Ich erkläre dir, warum ich das durchaus konnte. Die Graphik stört mich nicht so grob, ich dachte am Anfang kurz “Teh lulz” und ging dann darüber hinweg. Aber die Steuerung bereitete mir Schmerzen. Schreckliche, qualvolle Schmerzen. Sie war nicht einfach nur ungünstig gewählt wie bei, sagen wir mal, Red Dead Redemption, das ich trotz der offensichtlichen Mägen toll fand. Sie stand mir wirklich im Weg. Sie verhinderte nicht, dass ich die Story zu Ende spielen wollte, sondern dass ich es [i]konnte[/i]. Als ich zum tausendsten Mal wenden musste, weil sich das Auto für mich einfach unkontrolliebar steuerte löste das in mir das tiefe Verlangen nach einem Ragequit aus. Als ich wegen undurchschaubarer QTEs mehrfach starb und einen größeren Abschnitt nochmal spielen musste ebenso. Das macht so einfach keinen Spaß.
Es folgt etwas, das nicht nur hinkt, sondern auch ein Vergleich ist.
Deadly Premonition zu spielen ist für mich so, wie auf einem kaputten DVD-Player, der nach fünf Minuten ausgeht und dessen Vorspultaste klemmt, einen Film zu schauen. Scheißegal, wie gut der Film ist, ich will ihn so nicht sehen. Und jetzt veröffentlicht das Ding als Roman, das braucht keine Ressourcen.
Ach man Pascal… du arme Sau! ;D
Als ich DP anfing zu spielen dachte ich auch “Wollen die mich verarschen?” Grafik, drauf geschissen, aber die Steuerung war wirklich katastrophal. Besondere Schwierigkeiten hat mir auch das Autofahren bereitet, da habe ich mich bis zum Schluß auch nicht dran gewöhnen können, weil es einfach nicht ging. Ich krankes Stück habe das Ding dann auch noch auf “Schwer” gespielt, also es kamen dann noch längere Ballereien dazu! -.-
Also dass mir auch nicht ab und zu mal etwas das Innere meines Magens hochkam, kann ich nicht abstreiten. Hab keine Ahnung, wie das so durch die Qualitätskontrolle rutschen konnte.
Ist aber schade, dass es bei dir so enden musste, aber es sei dir verziehen, hast ja den Rockerbonus.^^
Ich würde gern schreien, ja, ja, ja, so ist es. Tiefgang, Atmosphäre und intelligente Spiele, das will ich, darauf hoffe ich. Aber ist das denn wirklich immer so? Ich denke nicht, denn es scheint doch ein wenig ambivalent zu sein.
Es gibt Kinofilme, die zeichnen sich durch keine saubere Handlung, aber durch jede Menge Action aus, dann haben wir seichte Komödien und schmachtenden Kitsch; ja, aber was hat das jetzt mit dem Artikel zu tun? Nun, ich denke, dass ich meistens vorab weiß, welche Katze im Sack steckt und ich mir Spiele nach meinen Bedürfnissen aneignen kann. Wenn ich stumpf ballern will, stört der Tiefgang nur, wenn ich einen Jump’n’Run brauche, soll Mario die Schnauze halten und hüpfen.
Games sollen mein aktuelles Bedürfnis als Konsument befriedigen und nicht in jedem Fall vollkommen ausgeklügelt und mit cineastischer Erzählstruktur.
Natürlich braucht es sie, die Spiele mit Tiefgang, Story, Herzblut und ggf. Nervosität, aber ist es eben doch nur die eine Seite der Medaille, denn scheinbar funktioniert es ja, so genrespezifisch, in der Branche recht gut…
Grüße
Jonas, ich glaube keiner will nur die seichte Actionkost oder nur die tiefgängigen, emotionalen Schwergewichter.
Ich bin allerdings der Meinung, dass es da im Angebot ein Ungleichgewicht gibt, und man eben mehr Pillepalle Fastfoodkost geboten bekommt, und das finde ich bedauerlich.
Ja, Jau, klar, dass es hierbei ein Ungleichgewicht gibt, stimmt wahrlich, ist aber, wie ich finde, nicht schlimm, da es eben – wie du es selbst darstellst, mehr als zwei Seiten gibt, sondern unendliche Facetten und Abstufungen. Insgesamt bleibt aber, wie ich finde, unterm Strich genug, sodass das Behaupten, es gäbe ‘fast ausschließlich’ Fastfoodkost, schlicht und ergreifend in dieser Form nicht stimmt. Es erscheinen doch genug Titel, die eben diesen Anspruch wahren, jedenfalls habe ich diesen Eindruck.
Bumsfallera!
[quote] Es erscheinen doch genug Titel, die eben diesen Anspruch wahren, jedenfalls habe ich diesen Eindruck. [/quote]
Das ist natürlich auch Ansichtssache. Mir ist es jedenfalls zu wenig, vermutlich liegt in diesem Fall meine Messlatte einfach etwas höher :P
Das kann ich nicht beurteilen – ich denke nur, dass es für mich genug Material auf dem Markt gibt, vielleicht liegt nicht deine Messlatte höher, sondern dein Spielepensum :)
Grüße