Wir öffnen für euch jeden Tag ein Türchen in unserem Adventskalender und präsentieren euch jeweils einen unserer ganz persönlichen Lieblings-Autoren, die einen kleinen Gastbeitrag für uns und euch verfasst haben. Am 23. Dezember geht es vorweihnachtlich um Bulletstorm!! Oh, da höre ich gerade in der Leitung, wir müssen unsere geplante Bulletstorm-Sondersendung leider verschieben und zu unserem Außenreporter Marcus Richter schalten, der einen Trauerfall zu vermelden hat…
R.I.P. mmoRPg
Gastbeitrag von Marcus Richter, Radio-Moderator und Spieletester bei Radio Fritz mit eigener Wikipedia-Seite (RELEVANZ!) und produziert dröfl verschiedene Podcasts die Woche auf monoxyd.de.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Spielerinnen und Spieler.
Wir sind heute und hier zusammengekommen um Abschied zu nehmen. Abschied von einem jungen Sproß unserer Spielefamilie, der viel Potential gezeigt, aber leider zu früh von uns gehen musste.
Vielleicht war es aber auch gut so, denn einer glücklichen Kindheit, schloß sich schnell Siechtum und Ausbeutung an, dem auch eine ordentliche Geldspritze kein Aufhalt gebieten konnte.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um die letzten Tage des Patienten nachzuvollziehen, auf das uns das Geschehene eine Lehre sein möge.
Nur wenige Tage ist es her, dass das – nach Meinung vieler Experten letzte und – neueste Mittel auf den Markt gebracht und auch gleich ausprobiert wurde:
Star Wars: The Old Republic.
Bevor das Mittel verabreicht wurde, gab der Patient noch erfreulich frische Lebenszeichen von sich. Diese scheinen aber vor allem mit der Vorfreude auf mögliche Genesung zusammengehangen zu haben.
Schon bald nach Verabreichung des Mittels war klar: Unserem geliebten Freund mmoRPg ist nicht mehr zu helfen. Zu schnell traten die allseits bekannten Nebenwirkungen ein.
Lange Warteschlangen bei der Ausgabe des Medikaments, eine durchgestylte, aber dann irgendwie doch auf Massenkompatibilität getrimmte Darreichungsform gewannen zu schnell die Oberhand.
Die Zusatzstoffe eeS (exzessiv eingesetzte Sprachausgabe) und IkWt (Instanziierung kleinerer Weltteile) brachten kurz Linderung, aber das Hauptsysmptom trat fast sofort wieder auf: Fehlende Immersion.
Und hier, meine Damen & Herren, sehr geehrte Spielerinnen & Spieler, muss ich kurz persönlich werden. Was haben sich die behandelnden Ärzte dabei gedacht?
Haben sie wirklich geglaubt, eine Welt auf der stationär befestigte Puppen die ewig gleichen Sätze oder Routinen wiederholen, könne fesselnd sein? Ein Respawn von Gegnern, die eigentlich laut Story die Welt verlassen haben müssten, wäre hilfreich? Oder das ein Bastard aus WoW und ME automatisch die beste Erfindung seit der Massenproduktion von Penicillin wäre?
Ja, liebe Freunde der Elite-Raid-Gilden, ich sehe sehr wohl, wie sie unzufrieden und nervös auf ihren Stühlen herumrutschen, weil sie meinen, der Patient lebe nicht nur noch, sondern erfreue sich bester Gesundheit.
Aber genau das ist das Missverständnis. Denn diese Medikamente wie WoW, AoC, Rift und jetzt eben auch SW:TOR, die dem Patienten mmoRPg gegeben wurden, haben ihn zwar nicht sterben lassen, aber eben so sehr mutiert, dass ich mit ihnen hier und heute von ihm Abschied nehmen muss.
Mannschaftssport. Das ist vom Patienten, beziehungsweise von der Idee, die wir vom Patienten hattten, übrig geblieben. Eine wohlfeil formulierte und präsentierte Tabellenkalkulation, die Vereinsdisziplin belohnt und geeignet ist, um gemeinsames taktisches und strategisches Vorgehen nach militärischen Regeln und unter festen Rahmenbedingungen zu trainieren.
Aber ROLLENSPIEL? Nein. Das Darstellen eines eigenen Charakters im Sinne eines Lebenslaufs, dem Erzählen einer Geschichte, der Träumerei ferner Welten und eben auch dem Gefühl in einem Werk tatsächlich eine Rolle zu spielen, ist mmoRPg auch mit der letzten Medizin keinen Schritt näher gerückt.
Aber vielleicht gibt es ja noch eine kleine Hoffnung. Schwarze Auguren murmeln in ihre gläsern blubbernden Kessel und hoffen darauf, dass möglicherweise in nicht allzuferner Zukunft dem Geist dem Patienten neues Leben eingehaucht wird.
Vielleicht auch nur als morRPg, ohne Massives. Voller Hoffnung schauen sie in die Welt von Himmelsrand und beten zu den Neun, dass diese oder eine ähnliche Welt vielleicht eines Tages von mehr als nur einem Helden bereist werden kann. Aber bis dahin werden wohl noch einige Tage, Wochen oder Monate vergehen…
Für heute aber bitte ich sie lediglich, ihren Kopf demütig zu neigen und von einer großen Idee Abschied zu nehmen, die als Bastard starb.
Vielen Dank.
5 Kommentare
Danke! Danke! Danke!
Ich habe mich schon seit Baldurs Gate über die “Rollenspiele” auf Computer/Konsole aufgeregt. WoW war am Anfang ein schöner Ansatz, auch Herr der Ringe Online war anfänglich gut. Aber was da jetzt alles noch kreucht und fleucht (incl. der genannten) ist sehr erbärmlich und ich suche Imme roch das R in PG…
Grüße
Herr Urbach
Wohlfeil gesprochen, Marcus!
Viele Freunde habe ich die Welten verlassen sehen, habe dennoch durchgehalten bis vor ein paar Wochen und bin dann selbst gegangen, denn vereinsamen kann ich auch an Orten, an denen mir mehr liegt.
Der Wille ist da bei den Helden, aber es gibt keine Welt, in der sie ihn ausbreiten können. Und von allen, auch von mir selbst, höre ich immer wieder die Frage: kann ich das vielleicht auch mit meiner Frau/meinem Mann spielen?
Wenn überhaupt wieder irgendetwas Leben in diesen Patienten hauchen kann, dann eine gut durchdachte, geistreiche Welt, in der man auch zu mehreren herumwandern kann, ohne gleich auf tausende zu stoßen.
Vielleicht hat das Konzept der kleinen, persistenten Welten doch noch nicht ausgedient. Immerhin lebt ein Projekt wie z.B. die [url=”http://www.hochwaldallianz.de”]Hochwaldallianz[/url] nach über zehn Jahren immer noch, wenn auch auf kleiner Flamme, die eine treue Truppe aber immer noch zu wärmen vermag.
Das Potenzial ist da, aber niemand mag es mehr auszuschöpfen, da Mut fehlt und Marketing tonangebend ist. Es muss wohl erst wieder eine unbekannte, kleine Schmiede den Hammer in die Hand nehmen, um den rechten Pflug zu schmieden, mit dem dieses Feld bestellt werden kann. Wenn eine solche Schmiede im Schatten der großen überhaupt entstehen kann.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vorher ist der Patient dran.
Ich ziehe meinen Hut und verneige mich noch einmal ehrfurchtsvoll…
…und stimme vollumfänglich zu.
Ein Dragon Age zu zweit statt mit drei KI-Recken würde dem wahrscheinlich schon viel näher kommen als das was zur Zeit bei den mmoRPG passiert. Der Reiz von WoW ist in dem Moment für mich abhanden gekommen, als ich nicht mehr in einer WG gewohnt habe und wir uns über den Gang verständigt haben, wie wir jetzt wohin gehen.
Scheint also nicht nur mir zu gehen, dass ich in keinem sogenannten RPG keine echte Rolle spielen kann. Zugegebenermaßen bin ich etwas unerfahren, was “echte” RPGs angeht. Dennoch hatte eine Testrunde in WoW mir den Eindruck vermittelt, dass da nicht mehr RP im Spiel war als bei Diablo 2.
Ich habe mich von dem Patienten bereits vor einiger Zeit verabschiedet. Nach einigen erfolglosen Anwendnungen verschiedener Mittel, sah ich ein, dass nichts das erwünschte Ergebnis liefern würde. Und so verlockend die Wirkstoffbeschreibung des neusten Medikaments auch war, konnte es mich doch nicht aus meiner gefassten Abschreibung festhalten.
Ruhe in Frieden, Utopie.