Klatsch! Peng! „Uuuuaaaahhhh!!“ Das Wrestlingmatch war in vollem Gang. Wie bei einem Wrestlingmatch üblich, flogen massige, schwitzende Männer durch die Luft wie Konfetti. Verschiedene Wrestlingmoves wurden abgefeuert, die Menge peitschte den Wrestlern ein und skandierte Parolen wie: „Ja!“ oder „Weiter so!“ oder „Mehr Wrestling, jetzt!“ Die Stimmung war auf dem Siedepunkt. Der überlegene Wrestler hatte den unterlegenen Wrestler in den Schwitzkasten genommen und auf den Boden geworfen. Knall! Alle starrten gebannt auf das Geschehen im Ring, als plötzlich ein schrilles Klingeln die testosterongeladene Action unterbrach. Was war geschehen? Feueralarm? Ein Anschlag auf die Wrestlinghalle? Nein, es war der Wecker, der mich aus meinen Wrestlingträumen riss und in die harte Realität zurückholte.
Das Geständnis, dass ich überhaupt keine Ahnung von Wrestling habe, mag manchen Leser wie ein Schlag treffen. Oder wie ein „Jab“, je nachdem. Trotz der vor Wrestling-Enthusiasmus strotzenden Einleitung ist mir dieser Sport ein Rätsel. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann zucke ich mit den Schultern oder gucke interessiert. Spott aber ist mir ebenso fremd wie Patriotismus oder der Wunsch ein Eigenheim zu besitzen. Als Kind beeindruckten mich die muskulösen Wrestler und ihr großspuriges Gehabe, doch schon als Jugendlicher schwand mein Interesse merklich, um als junger Erwachsener dann vollständig zu erlöschen. Viele Jahre später, im besten Mannesalter, beseelte mich der Wunsch meine abgekühlte Catchfaszination von Neuem anzufachen. Als sich mir nun die Gelegenheit bot, durch das Rezensieren eines aktuellen Wrestlingspiels mal wieder ein bisschen in die Welt der ölig glänzenden, sich halbnackt in den Arm nehmenden Männern einzutauchen, nahm ich diese freudig wahr und legte WWE 2K16 in meine Playstation ein.
Aufgrund ihrer Stilisierung und Comichaftigkeit ist es nur folgerichtig, dass die Welt des professionellen Wrestlings regelmäßig Allianzen mit der Welt des Videospiels eingeht. Ich bin mir nicht sicher, wann das erste Wrestlingcomputerspiel erschienen ist, mein frühestes Erlebnis aus dieser Kategorie war allerdings WWF WrestleMania auf dem Amiga 500. Dabei handelte es sich um eine der stets gelungenen Lizenzumsetzungen von Ocean Software, die ich im Dreierbundle mit Spielen zu Terminator 2 und The Simpsons erwarb. Obwohl alle Titel von zweifelhafter Qualität waren, bestach WWF selbst in dieser Sammlung durch besondere Schrottigkeit. Mehr als Knopfdrücken und Joystickrütteln gab es nicht zu tun. Das Spiel Begann ohne großes Tamtam im Ring, in dem sich mir Mr. Perfect in den Weg stellte, der mich regelmäßig gründlich versohlte. Ständig in der ersten Runde eines Kampfspiels zu scheitern ist äußerst frustrierend, dementsprechend fasste ich gut zwei Jahrzehnte lang kein Wrestlingspiel mehr an. Bis zu diesem schicksalhaften Tag im November.
Schon im Hauptmenü von WWE 2K16 erkannte ich sofort: Im Bereich der Wrestlingspiele hatte sich seit den frühen 1990ern einiges getan. Die WWF hieß jetzt WWE, die Grafik sah deutlich hübscher aus und Macho Man Randy Savage sowie der Ultimate Warrior waren nicht mehr im Spiel. Vermutlich befanden sie sich bereits im Ruhestand. Anstatt lange im Menü herumzuhantieren, verschwendete ich keine Zeit und begab ich mich umgehend in den Karrieremodus, schließlich gab es hier einige Schnauzen zu polieren. Und wie schwierig konnte so ein bisschen Würgen und Arm-auf-den-Rücken-drehen schon sein? Bevor es damit losgehen konnte, beschäftige ich mich mit dem mächtigen Charaktereditor. In Rollenspielen verbringe ich regelmäßig viel Zeit mit diesen Funktionen und auch in WWE 2K16 benötigte ich recht lange zur Charaktererstellung. Das lag allerdings weniger an meiner Begeisterung für virtuelle Wrestlingkämpfer als daran, dass der Editor mich mit ausgedehnten Ladezeiten geißelte. Ich bastelte mir also mehr schlecht als recht einen Kämpfer mit schwarzem, grau gesträhnten Haar, Popeye-Unterarmen, einem Hohlkreuz nebst Entenarsch, Hasenohren und einem großen „Fanta“-Tattoo auf dem Rücken. Endlich konnte es losgehen!
Laut lachend und zufrieden ob des Wissens, dass mein Humor die letzten zwei Jahrzehnte über unverändert hochklassig geblieben war, startete ich in das der Karriere vorangestellte Tutorial. Mein hasenohriger Hüne begab sich in den Ring, in dem bereits ein charakterloser Heiopei von einem Sparringspartner darauf wartete, sich ihm willfährig als lebendiger Boxsack zur Verfügung zu stellen. Links eine klatschen, rechts eine klatschen, Schwitzkasten und dann ab auf die Bretter. So stellte ich mir meinen brutalen Triumph über die profillose Wurst vor, die sich meiner bärtigen Kampfmaschine gegenüberstellte. Bei Kampfspielen musste man ja eh immer nur irgendwelche Knöpfe ganz schnell drücken um zu gewinnen, das hatte schon bei Tekken 2 prima funktioniert, mit Begabung oder gar Können hatte das nichts zu tun. Ich bereitete mich mental also auf eine kurze Übungsphase und ein paar rasche Tutorialsiege vor. Was dann passierte, sollte mein Leben verändern.
Der Kampf begann, hochkonzentriert hielt ich den Controller umklammert und den Blick auf die untere Hälfte des Bildschirms gerichtet. Bevor ich irgendetwas tun, geschweige denn meinen Gegner auf die brutalst mögliche Art und Weise zu Boden schmettern konnte, nahmen sich beide Spielfiguren plötzlich gegenseitig in den Arm. Die Tutorialanzeige bedeutete mir, dass ich einige Bewegungen mit dem linken und dem rechten Stick vollführen sollte, um mich aus dem Griff meines Gegners zu befreien und die Situation zu meinen Gunsten zu entscheiden. Das hatte ich weder gewollt, noch kommen sehen. Da ich lernwillig und stets offen für neue Ansätze bin, tat ich wie mir geheißen und drehte die Analogsticks des Dualshock-4-Controllers mal in die eine, mal in die andere Richtung, bis die Tutorialanzeige verschwand. Die beiden Spielfiguren auf dem Bildschirm veränderten ihre Position, der Sparringclown wuchtete mein in mühsamer Kleinarbeit erstelltes Alter-Ego durch die Gegend und pfefferte es auf die Matte. Ich schnappte empört nach Luft – So war das nicht geplant! – und sann auf Rache.
Atemlos fieberte ich der nächsten Etappe des Kampfes entgegen, ich brannte auf eine Chance zur Vergeltung an meinem frechen Tutorialgegner. Im Geiste begann ich ihn als Wurstie Wurstmann zu bezeichnen, um meine Respektlosigkeit ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen und mich selbst in Kampfeslaune zu versetzen. Doch statt der Gelegenheit dem Wurstmann mal so richtig einen Satz heiße Ohren zu verpassen, folgte der nächste Griff und die erneute Aufforderung, kreisende Bewegungen mit den Sticks zu beschreiben. Auch dieses Mal versuchte ich die vorgegebenen Muster nachzuahmen, auch dieses Mal passierte etwas auf dem Bildschirm und ich hatte absolut keine Ahnung, ob es mit dem zusammenhing, was ich da am Controller tat. Was auch immer mein Wrestler dort veranstaltete, nach Gewinnen sah es nicht aus. Ich war fassungslos. Wohin waren die Zeiten des Knöpfehämmerns und Stickreißens? Wann hatte die Epoche des Antizipierens und der kreisenden Bewegungen begonnen? Und wo war ich gewesen, als es damit losging? Ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich hatte ich da unter irgendeinem Stein gelegen und nicht registriert, wie sich die Welt um mich herum veränderte. Vielleicht hatte ich auch nur daheim auf der Couch gesessen und Shadow of the Colossus gespielt, wer weiß das schon so genau?
Es half nichts, ich musste mir eingestehen, dass das hier nicht das Spiel war, das ich gesucht hatte. Meine Vorstellung von Wrestling und Wrestlingspielen hatte offensichtlich nur sehr wenig mit der Realität gemein. Statt eines schnellen Vergnügens, einiger Ohrfeigen und Arschtritte, fand ich ein komplexes und taktikorientiertes Spiel, dessen Prinzipien zu erlernen mir Willen und Talent fehlten. Es tut mir Leid WWE 2K16, es ist meine Schuld. Du kannst nichts dafür, dass du meinen Geschmack nicht triffst und dass ich nicht kapiere, was du von mir willst. Bestimmt zählst du zu den Guten, davon bin ich überzeugt. Herausfinden können werde ich es nie, außer du kommst irgendwann mal mit einem Buttonmasher-DLC um die Ecke, dann wird das vielleicht noch etwas mit uns. Ganz, ganz vielleicht. Eine abschließende Frage noch: Was soll das mit dem Glatzenheini auf dem Cover? Ich dachte der Typ sei im ersten Expendables draufgegangen?
7 Kommentare
Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse aufmachen! :D
Sollte das das derzeitige Motto bei Polyneux sein? Passt gut zu Deiner Überschrift und ich bin hier – wie auch bei Doreens Ausritt in die Welt des Basketball – total begeistert!
Sich an ein Genre zu machen, dass man nicht kennt und so schön drüber schreiben….mjam!
Ich habe auch so langsam die Vermutung, dass der Polyneux-Adventskalender dieses Jahr jedem Schreiberling ein unpassendes Spiel beschert hat. Oder es ist so etwas wie Schrott-Wichteln. :-D
Ich möchte hier offiziell bekanntgeben, dass ich mir das Spiel selbst ausgesucht habe! Mir fehlen einfach Zeit und Talent es zu durchdringen.Dementsprechend vermag ich nicht zu sagen, ob es für ein Wrestlingspiel gelungen ist oder nicht und muss solche albernen Sachen schreiben, um das Internet voll zu bekommen.
Aber so ist das Videospielerleben: Mit zunehmendem Alter mutiert man immer mehr vom Allesfresser zum Spielegourmet. In einigen Jahren bespreche ich dann vermutlich nur noch Bethesda-Titel, weil ich mit nichts anderem mehr zurechtkomme…
Na, da isse doch, die Selbsttherapie bei Polyneux. Als wollte mich der Verfasser auf den schmutzigen Boden der Realität zurückholen, wo ich doch noch vor wenigen Stunden überzeugt war, dass es sowas hier nicht gibt.
Sind wir mal ehrlich, also ganz ehrlich: Mit so einem Charakter kann man nichts reißen. Hasenohren! Ich meine Hasenohren, wo sind wir hier? Und dann noch ein Fanta-Tattoo. Wie in Uschis Swingerpalast, Freitagabend an der Kellerbar. Gruselig. Wie soll das was werden, wenn der Spieler nicht bereit ist, sich mit allem gebotenem Ernst der Aufgabe zu stellen?
Mit der grundsätzlichen Einschätzung gehe ich aber d’accord. Das ist schon ein gutes Spiel geworden, verlangt aber enormen Einarbeitungswillen und ein bisschen mehr Aufmerksamkeitsspanne, als uns die meisten Videospiele heutzutage schleichend angewöhnt haben. Mit Patschehändchen-Buttonsmashing kam man in Wrestlingspielen eigentlich zuletzt 2009 noch ganz gut klar, deswegen ein Pro-Tipp für Urs: Smackdown vs. Raw 2010 auf der PS3. Hat einen Charaktereditor mit dem man sich Tage beschäftigen kann, ohne auch nur einmal in den Ring steigen zu wollen/müssen. Und wenn doch, einfach alle Knöpfe drücken und Sticks rütteln, die ein Gamepad so zur Verfügung stellt. Sozusagen spielen im Auto-Mode.
Aber zurück zum aktuellen Jahrgang. Schwierig. Irgendwie. Ich weiß auch noch nicht, ob ich schon zu alt für diese neumodische Rühr-am-Stick-und-bring-bunte-Kreise-deckungsgleich-Steuerung bin oder ob das einfach eine blöde Idee der Entwickler ist. Allerdings muss man zugeben, dass diese komplett überarbeitete Steuerung schon das aktuelle Sport-Entertainment des US-amerikanischen Wrestlings gut abbildet mit ihren Aktion-Gegenaktion-Mechanismen. So richtig Freunde sind WWE 2K 2016 und ich tatsächlich aber auch noch nicht.
Nicht ohne meine Hasenfanta!
Hab da ähnliche Erfahrungen: Auf dem N64 bis zum Gehtnichtmehr WWF Wrestlemania 2000 gespielt, obwohl ich das Gameplay auch damals nie wirklich durchdrungen habe. Deswegen fand ich es dann auch interessanter, meine eigene Liga aus 16 Wrestlern zu erstellen und dabei zuzuschauen, wie die allein von der CPU gesteuert um meine ebenfalls selbst erstellten Gürtel kämpften. Mein Nr. 1 Superstar, in dessen Erstellung und Feinschliff die meiste Liebe geflossen ist, hörte übrigens auf den Namen “Big Fuck”.
Später auf dem GameCube hatte ich dann das hochgelobte WWE Day of Reckoning 2, mit dem ich aber nie wirklich warm wurde. Hab die Spielmechanik trotz oder wegen der Tutorials nie kapiert und sicher nicht mehr als 2 Stunden im Ring verbracht. Der Edit-Mode hatte dort das selbe Problem wie WWE 2K16: Die Ladezeiten waren ewig lang. Und im Vergleich zum N64-Wrestlemania hat mich die Vielfalt der Möglichkeiten ohnehin überfordert: Statt unter ein paar Dutzend Gesichtern eines auszuwählen, konnte ich nun die die Größe der Nasenflüge bestimmen, und das musste nicht sein. Mein Ziel, “Big Fuck” auf überlegener Hardware nachzubilden scheiterte und ich brachte nur einen schnell dahingeschluderten Hitler zu Stande, den erkannt ja wirklich jeder, der als “Der Führer” in den Ring stieg. Das war zweimal lustig und dann hab ich’s sein gelassen.
Und auf Partys wurde das Spiel auch nicht angerüht, weil alle anderen Steuerung und Spielmechanik genauso wenig verstanden wie ich. Fände es in der Tat ganz hilfreich, wenn solche Spiele statt stundenlanger Tutorials mal einen Easy-Mode mit anfängertauglicher, eingeschränkter Steuerung mitbrächten.