Vigil Games‘ Debut Darksiders wird von vielen Leuten noch immer als Geheimtipp bezeichnet. Dabei sind knapp 1 Million verkaufte Einheiten für eine neue IP von einem bis dato unbekannten Studio eigentlich ganz ordentlich. Aber vermutlich rührt dies nur daher, dass es den meisten Leuten 2010 ähnlich wie mir ging: Man hatte das Spiel vorher nicht großartig auf dem Schirm, weil der branchenübliche Vorab-Hype so gut wie nicht vorhanden war. Und dann war es plötzlich einfach da, wie aus dem Nichts. Und es war gut. Sehr gut sogar! Ok, Darksiders war im wesentlichen ein Eintopf aus God Of War und The Legend Of Zelda und hatte spielmechanisch nicht eine einzige eigene Idee vorzuweisen; außer eben der, diese beiden Spielprinzipien zu vermischen. Aber dafür war alles erstklassig ausgeführt und darüberhinaus in eine sehr coole Geschichte eingebettet. Das alte Blizzard-Credo, quasi.
Zweieinhalb Jahre später steht nun Darksiders II in den Regalen und von einem Geheimtipp kann spätestens jetzt überhaupt nicht mehr die Rede sein. Die Erwartungen an den zweiten Reiter der Apokalypse sind entsprechend hoch. Können Vigil Games an den Erfolg ihres Erstlings anknüpfen und Darksiders als Serie etablieren oder wird das Spielkonzept schon in der zweiten Iteration totgeritten?
Wenn man Teil 1 bezüglich des Gameplays knapp umreißen will, bringt es die Formel “Zelda of War” ziemlich genau auf den Punkt. Die Formel von Darksiders II lautet nun jedoch “God of War + The Legend of Zelda + Prince of Persia + Diablo”. Die Entwickler begnügen sich also nicht damit, einfach nur mehr vom Gleichen zu liefern, was grundsätzlich schon mal ein Pluspunkt ist. Der Gameplay-Eintopf ist damit deutlich “bunter” geworden, aber dafür vielleicht auch etwas weniger kompakt als noch zuvor.
Der PoP-Anteil ist in erster Linie dem neuen Charakter Tod geschuldet, denn dieser ist wesentlich agiler als sein Bruder Krieg, der sich eher wie ein Panzer auf zwei Beinen spielte. Dementsprechend fällt auch das Leveldesign im zweiten Teil aus: Es wird nun in den Dungeons geklettert, gesprungen und an Wänden entlanggelaufen bis der Arzt kommt. Dass Tod eher der akrobatische Typ ist, hat aber auch Auswirkungen auf das Kampfsystem, also den GoW-Anteil des Spiels: Wo Krieg gegnerische Angriffe blockte, weicht Tod jetzt mit schnellen Rollen aus. Außerdem hat der Sensenmann im Kampf deutlich mehr Combos und Spezialattacken zur Verfügung als sein pummeliger Bruder. Die Kämpfe fühlen sich nun über weite Strecken deutlich kontrollierter an als noch im Vorgänger. Allerdings hat das überarbeitete Kampfsystem auch eine große Schwachstelle: Wird Tod von zu vielen Gegnern gleichzeitig angegriffen, ist gezieltes Ausweichen nicht mehr möglich und er bekommt von allen Seiten ordentlich Haue, gegen die er kaum etwas machen kann. In diesen Momenten verfällt der Spieler ob des Kontrollverlustes dann automatisch in chaotisches Buttonmashing. Glücklicherweise kommen diese Situationen nur gelegentlich vor, so dass man insgesamt trotzdem von einer klaren Verbesserung der Kampfmechanik sprechen kann.
Der Zelda-Anteil ist, wie schon im ersten Teil, sehr abwechslungsreich und clever, wodurch auch eigentlich blöde Sammelaufträge (“Bring mir Butter, Eier, Milch und Mehl. Dann bekommst Du einen Kuchen.”) trotzdem Spaß machen. Das Spektrum der Dungeon-Puzzle reicht von simplen Aufgaben, beispielsweise wenn man Steinkugeln in passende Bodenmulden rollen muss, um eine Tür zu öffnen, bis hin zu richtigen Kopfnüssen, wenn man später im Spiel mit Raum- und Zeitportalen arbeiten muss. Die meisten Gadgets, die Tod im Verlauf des Spiels bekommt, sind zwar schon aus dem Vorgänger bekannt, aber ein paar nette Neuzugänge sind auch mit dabei. Außerdem gibt es nun deutlich mehr optionales Sammelzeugs, das die normale Spielzeit von ca. 30 Stunden für Komplettisten und Achievementjäger noch mal um einige Stunden streckt.
Apropos Spielzeit: Die vollmundige PR-Ankündigung, Darksiders II wäre viermal so groß wie der Vorgänger, ist schlicht gelogen. Es gibt zwar mehr Handlungsorte und neben der Hauptstory auch einige optionale Sidequests, aber in Sachen Gesamtspielzeit ist Gevatter Tod nicht viel länger unterwegs als Bruder Krieg, der nach etwa 20 bis 25 Stunden den Abspann sah.
Die mit Abstand auffälligste Neuerung in Darksiders II ist die große Portion Diablo, die man nun in den Topf geschmissen hat. Effektiv ändern Talent- und Lootsystem eigentlich gar nicht mal so viel am Kerngameplay, aber trotzdem gelingt es den Entwicklern, dass sich das Spiel deutlich mehr nach Action-RPG anfühlt als noch der Vorgänger. Das beliebig oft zurücksetzbare Talentsystem ist eigentlich nichts anderes als eine Auswahl aus verschiedenen, verbesserbaren Spezialattacken, aber allein die Möglichkeit, mit diesen herumzuexperimentieren und so den eigenen Kampfstil individualisieren zu können, ist eine schöne Bereicherung. Das neue Lootsystem ist ebenso “Pseudo-RPG” wie die Talente, weil die Wahl der Waffen effektiv nicht so große Auswirkungen hat, wie man zunächst glaubt. Dennoch, und das ist das Entscheidende, macht es wirklich Spaß, regelmäßig den neuen Krempel zu sichten und Waffen sowie Rüstungsteile zu wechseln. Witzigerweise hat mir das ganze Loot-Gedöns in Darksiders II trotz der effektiv geringeren Auswirkungen auf das Gameplay deutlich mehr Spaß gemacht als das verkorkste Schrottsystem in Diablo III …!
Klingt doch alles ziemlich klasse, oder? Spielerisch nimmt Darksiders II all die guten Elemente des Vorgängers und verbessert diese noch einmal. Und als wäre das nicht genug, wirft man noch weitere Zutaten in den Topf, die auch durchweg gelungen sind und das Spiel insgesamt noch abwechslungsreicher machen. Aber dennoch bin ich der Meinung, dass Teil 2 “nur” genauso gut ist wie das erste Darksiders, nicht besser. Woran liegt das?
Nun, im wesentlichen liegt das daran, dass ich bisher noch nicht auf die Geschichte und deren Präsentation zu sprechen kam.
Die Story von Darksiders II ist ein Quasi-Prequel zu Teil 1. Um genau zu sein, handelt es sich eher um ein Interludium, um mal einen Begriff aus der Musikwelt zu entleihen, welches irgendwann zwischen dem Prolog und der eigentlichen Haupthandlung von Kriegs Geschichte spielt. Ihr erinnert Euch: Im Prolog von Darksiders bekommt Krieg vom Dämon Straga eins auf die Glocke, wird vor den Rat gestellt und erhält von diesem die Erlaubnis, die Frühstart-Apokalypse wieder ins Lot zu bringen. Wieder auf der Erde, muss er feststellen, dass seine Inhaftierung und das anschließende Palaver mit dem Rat so ungefähr ein Jahrhundert gedauert hat und die Menschheit schon lange vom Angesicht der Erde radiert wurde (nicht fragen…). Und in genau diesem Zeitfenster spielt die Story von Darksiders II, also nach der Vernichtung der Menschheit, aber noch vor der eigentlichen Hauptgeschichte vom ersten Darksiders.
Im Grunde genommen beantwortet Darksiders II keine einzige Frage, die für den Fortgang des Darksiders-Story-Arcs sonderlich wichtig wäre. Es gibt uns nur die Antwort auf die recht nebensächliche Frage “Äh, was hat Tod eigentlich in der Zwischenzeit gemacht?”. Gut, wir wissen nun, dass Tod nicht untätig in der Nase gebohrt hat, während irgendwer Bruder Krieg mit der Apokalypse verarscht hat. Ansonsten wird die Gesamtgeschichte aber eigentlich keinen Deut weitergebracht.
Natürlich übertreibe ich, weil Teil 2 in Wirklichkeit schon sehr ausgiebig dazu genutzt wird, das Darksiders-Universum weiter mit Fleisch zu füllen und der Welt sowie den Protagonisten ordentlich Backstory zu geben, was unter dem Aspekt, die Serie auch zukünftig ausbauen zu wollen, sicherlich keine dumme Idee ist. Aber unterm Strich ist es leider so, dass der Cliffhanger vom ersten Teil, der auch gleichzeitig der Epilog vom zweiten Teil ist, weiterhin einfach in der Luft hängt.
Mein ganz persönlicher Downer ist dabei, dass ich nun vermute, dass die Darksiders-Reihe am Ende aus insgesamt 5 Teilen bestehen wird, wobei die nächsten beiden Teile uns erstmal weitere Parallel-Story-Nichtigkeiten von Hunger und Pest erzählen werden, um dann erst im 5. Spiel endlich da anzuknüpfen, wo uns der genial-gemeine Cliffhanger von Teil 1 stehen ließ. So löblich es ist, dass Vigil Games ihr Universum weiter mit Leben und Hintergrund füllen, so enttäuschend ist es auch, dass die Geschichte vom Vorgänger im Grunde genommen kein Stück weitererzählt wird.
Leider führt das Minimal-Storytelling in Kombination mit der leicht aufgestockten Spielzeit dazu, dass sich Darksiders II für mich insgesamt nicht ganz so kompakt und spannend anfühlt. Ich rede hier wohlgemerkt nicht von Langeweile. Gameplay, Leveldesign und audio-visuelle Präsentation tragen das Spiel problemlos über die gesamte Spielzeit und machen auch richtig Spaß. Gerade Joe Madureiras ausgezeichneter Comic-Stil und Jesper Kyds abwechslungsreicher Soundtrack, der erfreulicherweise nicht ausschließlich an den üblichen Fantasy-Orchester-Bombast-Klischees kleben bleibt, geben dem Spiel abermals eine sehr eigenständige Note. Trotzdem hatte ich schon während des Spielens das vage Gefühl, dass hier inhaltlich im Grunde nicht viel passiert. Dieses Gefühl wurde spätestens dann zur Gewissheit, als der Abspann lief, weil ausgerechnet der finale Endkampf ein ziemlicher Witz ist. Völlig antiklimaktisch, was den Spannungsbogen angeht. Nicht zuletzt, weil der eigentliche Hauptantagonist das ganze Spiel über nicht vernünftig aufgebaut wird und im Vergleich zu den meisten Zwischenbossen ziemlich blass und wenig erinnerungswürdig bleibt.
Aber wie schon erwähnt: Das was Darksiders II in Sachen Storydichte und Pacing im Vergleich zum ersten Teil vermissen lässt, legt es in Sachen Gameplay und Abwechslung locker wieder drauf. Insgesamt ist Tods Darksiders-Auftritt nicht minder empfehlenswert als Kriegs tolles Serien-Debut. Der einzige wirkliche Totalausfall, den sich Darksiders II leistet, ist der kurze Abstecher auf die postapokalyptische Erde. Was eine tolle Querverbindung zum Vorgängerspiel hätte werden können, entpuppt sich leider als überraschender Kernschrott und Fremdkörper im gesamten Spiel. Ansonsten bekommt man wieder ein durch und durch unterhaltsames Spiel geboten, das lediglich etwas vergisst, die serienübergreifende Gesamtgeschichte gebührend weiterzuerzählen. Dass einige Leute das Spiel trotzdem deutlich schlechter als den Vorgänger bewerten, liegt vielleicht daran, dass sie mehr Gewicht auf die Geschichte legen. Oder es liegt daran, dass sie vergessen haben, dass Darksiders vor zweieinhalb Jahren noch diesen “out of nowhere”-Überraschungsbonus hatte, der dem Nachfolger natürlich vollkommen abgeht, weil die Erwartungen diesmal entsprechend hoch waren…
3 Kommentare
Das “verbesserte” Kampfsystem klingt doch super, hab den ersten Teil hier bei mir nur ca. 9 Stunden gespielt, da mich gerade dieser Aspekt des Spiels doch ein wenig enttäuscht.
Darksiders 2 lässt mich nach jedem Spielen mit einem komischen Gefühl zurück. Das Spiel macht eigentlich alles richtig und fühlt sich so richtig wie ein “Videospiel” an und dennoch kommt keine echte Begeisterung auf. Ich denke dem Spiel fehlt einfach die Seele. Wenn man sich nur bei anderen bedient, ohne auch nur im Ansatz eigene Ideen zu haben dann fehlt am Ende einfach was.
@Frank: Dass Darksiders II atmosphärisch nicht ganz so sehr fesselt wie Teil 1, obwohl das Gameplay stimmt, hatte ich ja schon geschrieben. Ich glaube allerdings nicht, dass es am “Gameplay-Klau” des Spiels liegt, denn den Vorwurf musste sich schon der erste Teil (zurecht) gefallen lassen. Toll war er aber trotzdem und auf keinen Fall “seelenlos”.