Horatio ist nicht nur ein einzelner Mann, er ist ein ganzes Volk von Klonen. Sie alle sind Horatio. Die erste Partie Endless Space, die ich auf normalem Schwierigkeitsgrad gewinnen konnte, habe ich mit Horatio gewonnen. Danach sah es zu Beginn nicht aus: Ich hatte sehr viel in Wissenschaft und Forschung investiert und deshalb als erste Fraktion die Möglichkeit, durch Wurmlöcher zu fliegen und einige Sonnensysteme im Zentrum der Galaxie zu besetzen. Wer das Zentrum hält, kann den Zugang zu den noch unbewohnten Spiralarmen kontrollieren. Zumindest sah mein Plan das vor. Als die anderen Fraktionen schließlich im Zentrum eintrafen und nicht weiter expandieren konnten, blieben sie allerdings nicht halb so friedlich, wie ich gehofft hatte, und schmiedeten Allianzen, um sich den Durchgang freizukämpfen…
Endless Space ist 4x im Weltraum. Die Alphaversion erschien im Mai diesen Jahres auf Steam, mit dem Versprechen an die Spieler, Einfluss auf die Entwicklung zum fertigen Produkt nehmen zu können. Mich hat diese Games2Gether genannte Initiative damals allerdings weniger interessiert. Ich habe Endless Space ursprünglich nur gekauft, weil es verdammt gut aussieht. Wie verdammt gut es sich spielt und welchen Sog es entfaltet, konnte ich nicht ahnen. In den letzten Wochen habe ich mehrfach versucht, endlich mit dem hier vorliegenden Artikel zu beginnen, habe dann das Spiel gestartet, um ein oder zwei Dinge nachzuprüfen oder Screenshots zu machen, und plötzlich war es nachts halb drei und ich hatte nicht eine Zeile geschrieben. Wieder einmal.
Die Endless hatten die gesamte Galaxie besiedelt, bevor sie auf mysteriöse Weise verschwanden. So weit, so Mass Effect. Während des Spiels finden wir alte Tempel und Artefakte, die auf die Endless zurückgehen und der eigenen Fraktion kleinere Vorteile bescheren. Acht Fraktionen stehen zur Wahl, die jeweils über eigene Vor- und Nachteile verfügen und sich deshalb für unterschiedliche Siegbedingungen wie zum Beispiel Sieg durch militärische Überlegenheit, durch Forschung oder wirtschaftliche Überlegenheit eignen. Die Amoeba zum Beispiel kennen schon zu Beginn die gesamte Karte der Galaxie und eignen sich besonders für einen Sieg durch Diplomatie. Horatio kann Helden klonen und seine Welten haben einen größeren Einflussbereich. Die Pilgrims können Blockaden umgehen. Die Craver sind eine insektoide Rasse, erinnern ansonsten aber frappierend an die Reaper aus Firefly. Sie können mit keiner anderen Fraktion Frieden schließen. Sie verzehren Welten in Rekordzeit, was 40 Spielzüge lang toll ist, weil die Erträge steigen, und danach ziemlich hinderlich, weil niemand auf den Abraumhalden leben will, die die Craver hinterlassen.
Selbst wenn man immer mit der gleichen Fraktion antreten sollte (und wer macht das schon), spielt sich allein schon durch die zufallsgenerierte Sternenkarte und die zufällig ausgewählten Gegner jede Partie anders. Dazu trägt auch die KI bei, die jede gegnerische Fraktion entsprechend ihrer Charakteristika spielt. Es gibt Fraktionen, die diplomatischen Lösungen gegenüber sehr aufgeschlossen sind und die man sehr weit in die Ecke drängen müsste, damit sie von sich aus einen Krieg beginnen. Ebenso gibt es Fraktionen wie die Craver, bei denen es früher oder später immer auf Krieg hinausläuft. Darüber hinaus fällt an der KI vor allem ihre Stärke auf. Deutliche Patzer leistet sie sich nur unterhalb des normalen Schwierigkeitsgrades und sie erhält in den vier Schwierigkeitsgraden jenseits von “Normal” scheinbar deutliche Boni. Schon “Normal” wird vom Spiel umschrieben mit “Wenn die Briten so stark gewesen wären, wären die USA noch eine Kolonie”. Für meine Verhältnisse ist das schon grenzwertig schwer.
Gewöhnungsbedürftig bleibt die ersten Partien über der Forschungsaspekt. Das liegt nicht nur daran, dass Endless Space mit fiktiven Zukunftstechnologien hantiert, deren Zusammenhänge zwangsläufig nicht so selbsterklärend sind wie in Civilization: Warum die “Dampfmaschine” für “Eisenbahnen” erforderlich ist, ist sicherlich klarer als die Notwendigkeit von “Thermodynamik auf Nanoebene” für “Speziesübergreifendes Personalwesen”. Nein, die schiere Menge an möglichen Forschungsprojekten haut einen um, denn Endless Space kommt nicht nur mit einem Technologiebaum, sondern mit vieren: Angewandte Forschung, Kriegsführung, Expansion und Handel/Diplomatie. Das bedeutet allerdings nicht, dass es sinnvoll wäre, sich auf einen dieser Bäume zu konzentrieren, denn die einzelnen Projekte bedingen einander häufig baumübergreifend. Für bessere Waffen aus dem Kriegsführungs-Baum sind spezielle Rohstoffe erforderlich, die man über Angewandte Forschung findet. Auch wer nur eine große Militärmacht auf die Beine stellen will, sollte deshalb in alle vier Bäume: Kriegsführung verbessert die Waffen, Handel/Diplomatie erlaubt größere Flottenverbände, Expansion bringt neue Blaupausen für größere Schiffe und Angewandte Forschung vergrößert die Ladekapazität der Schiffe und liefert Support-Module (Sensoren, automatische Reparatur).
Ein positiver Effekt dessen ist, dass die Anzahl interessanter Entscheidungen im Laufe einer Partie kaum abnimmt. In Civ in großen Imperien für jede einzelne Stadt festzulegen, was als nächstes gebaut werden soll, wird schnell nervig. In Endless Space hängt die Effizienz vieler Verbesserungen für die Sonnensysteme von der Art und Anzahl der Planeten des Systems und von der Bevölkerungszahl ab. Bei weitem nicht alles eignet sich für jedes System. Und gerade wenn man halbwegs alles unter Dach und Fach hat, wird in der zweiten Hälfte der Partie Terraforming eingeführt, das alles nochmal über den Haufen wirft. Terraforming erforscht man nicht auf einen Schlag, sondern man erlernt eine Reihe von Technologien, die jeweils die Umwandlung von bestimmten in bestimmte andere Planetentypen erlauben. In wirklich großen Sternenreichen wird das trotzdem irgendwann mühselig, aber zum Glück kann man einzelne Systeme auch nach bestimmten Vorgaben von der KI verwalten lassen. Wenn man das Spiel noch nicht so gut kennt, empfiehlt es sich sogar, genauer hinzuschauen, welche Verbesserungen die KI in welcher Reihenfolge baut, und zu überlegen, warum diese Reihenfolge wohl günstig sein könnte.
Unter Spielern kontrovers diskutiert wird vor allem die Umsetzung der Schlachten. Im Vorfeld kann man seine Schiffe relativ frei mit Waffen-, Verteidigungs- und Supportmodulen bestücken und sie zu Flotten zusammenstellen. Treffen diese auf feindliche Verbände, entscheiden neben der reinen Größe der Flotten vor allem deren Ausstattung mit Kinetik-, Raketen- und Strahlenwaffen und den entsprechenden Verteidigungsanlagen nach dem bewährten Stein-Schere-Papier-Prinzip über Sieg und Niederlage. Die Eingriffsmöglichkeiten des Spielers in laufende Schlachten sind sehr begrenzt. Innerhalb des einminütigen, grafisch hübsch dargestellten Gefechtes kann lediglich zu drei verschiedenen Zeitpunkten die weitere Taktik festgelegt werden. Energie in die Waffen, auf Kosten der Verteidigung? Oder lieber doch ein Rückzug? Verpackt ist das alles in ein Kartenspiel. Die selbst gewählte Taktik und die des Gegners können sich dabei aufheben oder verstärken. Ein weiteres Stein-Schere-Papier-Element, noch über der Ebene der Flottenzusammenstellung.
Es ist nicht so, dass ich hier grundsätzlich ein actionreicheres Spielsystem bevorzugt hätte, denn die aktuelle Lösung fügt sich vom Spielgefühl her durchaus gut in das Gesamtpaket ein. Aber lediglich drei leidlich spannende Entscheidungen in ganzen sechzig Sekunden? Man kann übrigens auch alle drei Karten direkt zu Beginn des Gefechts auswählen und sich danach zurücklehnen und zuschauen. In größeren Partien entwickelt sich das Kampfsystem so irgendwann zum unnötigen Zeitfresser, zumal man sich jeweils vor dem Gefecht entscheiden kann, ob es wie beschrieben manuell ablaufen soll oder automatisch. Dann ist der Spuk in drei Sekunden vorbei, man hat aber auch keine Möglichkeiten mehr, selbst einzugreifen. Ich hätte es bevorzugt, auch in der automatischen Variante flugs meine drei Taktikkarten aussuchen zu können und fertig.
Das ist auch deshalb ein Problem, weil sich der Aufbau von Flottenverbänden und die Investition in entsprechende Forschungsprojekte derzeit schwer vermeiden lässt. Planeten können sich lediglich passiv verteidigen und halten je nach Ausbaustufe feindlichen Eroberungsflotten unterschiedlich lange stand. Planetare Verteidigungssysteme, die Angreifer schwächen oder vernichten könnten, gibt es ebensowenig wie Raumstationen. Manches davon wird vielleicht mit dem bereits angekündigten Erweiterungspaket kommen, bis dahin bleibt Endless Space ein herausforderndes, schön anzusehendes Rundenstrategiespiel mit einem etwas zu gemächlichen und eintönigen Kampfsystem.
8 Kommentare
Dieses merkwürdige Alpha/Preordersystem durch das ich nur bedingt durchgestiegen bin hatte mich den Titel fast schon wieder vergessen lassen. Aber Horatio… das ist eine echt coole Idee, hach, Science Fiction.
Soo viel macht das Spiel daraus aber daraus nicht. Einführungsfilmchen + die Möglichkeit, Helden zu klonen. Die Craver spielen sich da schon deutlich einzigartiger.
Das klingt höchst interessant. habe endless Space schon lange auf dem Schirm, aber jemanden gesucht der darüber ausführlich berichten kann. Kannst du Vergleiche zu “Sins of a Solar Empire” ziehen? Wenn ja, INPUT pls :-)
Sins of a Solar Empire habe ich nicht gespielt und kann deshalb über die Qualität der beiden Spiele im Vergleich nichts sagen… aber ist Sins nicht Echtzeit-Strategie? Das wäre dann sowieso wie ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Ist zwar beides Obst, aber naja. Wenn es gerade die Action ist, die man an Sins mag, werden einem die Kämpfe in Endless Space wahrscheinlich deutlich zu langweilig sein. Es ist ein recht gemächliches Spiel.
Schade, hätte ja klappen können :-)
Es ging mir hier auch eher den Vergleich in der Ebene des Obstes. Viele Dinge die du geschrieben hast, haben mich ein wenig an Sins erinnert.
Habe mir Endless Space aber aufgrund dieses Reviews gekauft und bin begeistert. Danke dafür :-)
Übrigens bis heute abend, 22 Uhr, bei Steam kostenlos spielbar und bis morgen zum halben Preis verfügbar. :)
Hab mich auch breitschlagen lassen es mal damit zu versuchen.. obwohl ich gar nicht so der Strategie – Mensch bin.
Eine Sog-Wirkung ist dem Titel nicht abzusprechen. Ich finde ihn auch recht anspruchsvoll, aus den Gründen, die im Artikel ja auch schon erwähnt werden. Wen man sich “verskilled” von dem Forschungsbaum her, kann man mit etwas Pech getrost einpacken.
Überhaupt kann man genug Fehler bauen, die man später bitter bereut.
Es nützt nix, so viele Planeten wie möglich zu kolonialisieren, wenn diese nur unbequen zu bewohnen sind und die Leute dann darauf meutern.. bis man das aber versteht, hat man schon das zweite bis dritte Spiel angefangen.
Von der Präsentation her sehe ich den Titel aber gemischt.. generell ist die Optik recht schön, aber viel wird ja auch nicht gezeigt, ein paar Standgrafiken, Schiffe und Planeten, letztere ganz nett aber natürlich ist man da “dank” Triple-A Titeln aus anderen Bereichen ganz anderes gewohnt. Die Schlachten fand ich optisch eher so “na ja”.. da geht doch heute wesentlich mehr, dazu kommt – wie ja bereits angesprochen – dass eigentlich darin nicht viel passiert.
Dafür ist was anderes sehr positiv zu erwähnen.. die Musik. Schöne sphärische Klänge, die sich zwar wiederholen, aber – wie ich finde – sehr gut zum dargebotenen passen.
Fazit für mich: Süchtig machender Titel mit noch etwas Luft nach oben, als Vollpreis-Titel wäre er für mich zu teuer gewesen, aber das Steam-Angebot für deutlich unter 20 Euro war sehr okay.
Seh ich alles ganz ähnlich. Die Musik ist wirklich wunderbar. Was die Grafik angeht, hast du natürlich Recht, dass bei den größeren und teureren Titeln heute technisch viel mehr geht als das, was Endless Space zeigt. Den Stil mag ich aber sehr.