“Warum kämpfen wir?”, fragt Chen Sturmbräu im Trailer zu Mists of Pandaria, dem vierten AddOn zu World of Warcraft. Einem Trailer, der auch fast ein halbes Jahr nach Erscheinen der Erweiterung noch in den Kinos läuft und zwischen all den Hollywoodtrailern seltsam deplatziert wirkt. Blizzard kämpft um Abonnentenzahlen. Hauptspiel und AddOns werden momentan so günstig verkauft wie kaum je zuvor. Und warum raffe ich mich noch einmal auf, zum Kampf in einem acht Jahre alten Spiel? Weil ein paar Freunde vor kurzem wieder mit WoW begonnen haben.
Für den Großteil meiner seit 2005 bestehenden Gilde gilt das freilich nicht. Der Gildenchat ist verwaist. Nur selten schaut noch jemand von der alten Garde, mit der wir damals in Classic und Burning Crusade so viel Spaß hatten, vorbei. Wirklich übelnehmen kann ich das niemandem: Auch ich habe mich in den letzten AddOns darauf beschränkt, die neuen Questgebiete und vielleicht den einen oder anderen 5-Spieler-Dungeon zu erkunden, und mich danach wieder abgemeldet. Mit Cataclysm war WoW für mich dann im Grunde erledigt. Statt eines stimmigen neuen Kontinents brachte Cataclysm über mehrere Kontinente verstreute Questgebiete. Azeroth und Kalimdor wurden mit eher grobem Pinselstrich aufgehübscht und ergeben, von oben betrachtet, kein wirklich harmonisches Bild. Alte Achievements, wie der legendäre “Schlüsselmeister”, wurden nicht etwa zu “Heldentaten” umgewandelt – wie inzwischen nicht mehr erreichbare Achievements heißen -, sondern schlicht entfernt. Tausende bereits abgeschlossener Quests wurden einfach so aus den Erinnerungen älterer Charaktere gelöscht. Für einen Spieler wie mich, dem Geschichte und Quests wichtig sind, war das der Super-GAU, gleichzusetzen mit einem kaputten Savegame.
Mists of Pandaria brachte nun wieder einen kompletten neuen Kontinent. Bei manchem alten Warcraft-Fan mag dieser wegen seines asiatischen Settings nicht viel Anklang gefunden haben, ich bin allerdings sehr froh, zu der nun hinter mir liegenden, mehrwöchigen Tour durch Pandaria überredet worden zu sein. Blizzards Blick auf Asien ist zwangsläufig der Blick von Außenstehenden, aber es ist einer mit Respekt und viel Humor. Wir erkundeten die warcraftschen Ebenbilder des Jangtsekiang und des Himalaya – komplett mit Basislager und Yetis. Wir sahen den “Schlangenrücken”, wie die chinesische Mauer in Pandaria heißt, und waren statt auf der Seidenstraße auf dem Jutepfad unterwegs. Zwischendurch gab es Sequenzen, die direkt aus Kung-Fu-Filmen hätten stammen können, Lebensweisheiten der Marke “Familie, Freunde, Essen – diese Dinge sind die wichtigsten!” und immer wieder kleine Gags, wie beispielsweise die am Fuße des Kun-Lai-Gipfels grasenden Kobe-Yaks.
Optisch ist Mists of Pandaria sicherlich die bislang beeindruckendste Erweiterung, obwohl Blizzard über weite Strecken dicht am Stil der Kung-Fu-Panda-Filme bleibt. Besonders augenfällig wird das, wenn man noch einmal nach Nordend oder in die Scherbenwelt zurückkehrt. Zugegeben, Gebiete wie das Schattenmondtal waren schon immer potthässlich, aber selbst Spielers Lieblinge wie Nagrand, die Grizzlyhügel oder der Heulende Fjord werden von den meisten Gebieten in Pandaria in den Schatten gestellt.
Die Questerfahrung als solche wurde im Vergleich zu Cataclysm noch einmal deutlich verbessert. Phasing verwendet Blizzard seit Wrath of the Lich King, aber erst jetzt habe ich den Eindruck, dass man die Technologie wirklich im Griff hat. Ursprünglich eingeführt, um Spielern die Illusion zu vermitteln, sie würden mit dem Absolvieren von Quests und dem Fortschreiten in der Geschichte tatsächlich die Welt um sich herum verändern, hat Phasing den unschönen Nebeneffekt, die Spielerschaft zu teilen. Ich kann in Cataclysm einen Krater in das Rotkammgebirge sprengen, aber ich sehe danach nur noch Spieler in der Umgebung, die die Sprengung ebenfalls schon vorgenommen haben. Aus diesem Grund wurde Phasing in Wrath of the Lich King nur in sehr wenigen Fällen tatsächlich eingesetzt. In Cataclysm ist Phasing viel präsenter, beispielsweise auf dem Hyjal, wo man über weite Strecken nur Spieler sieht, die genauso weit in den Quests fortgeschritten sind wie man selbst. Freunden bei ihren Quests zu helfen, ist so schwierig bis unmöglich, wenn man nicht zufällig gerade am selben Punkt in der Geschichte ist.
In Pandaria beeinflussen so viele Quests wie nie zuvor die Umgebung. Wenn der Händler zwanzig Mogu-Artefakte will und man sie ihm vorbeibringt, dann hat er hinterher sichtbar zwanzig Artefakte auf seinem Handwagen. Das Lager von Nesingwarys Safari im Tal der vier Winde wird im Laufe der Questreihe recht weitreichend umgestaltet – ohne jedoch die Spieler in eine andere Phase zu stecken. Man sieht sich gegenseitig, man kann gemeinsam spielen, aber die Umgebung sieht nicht zwangsläufig für alle Spieler gleich aus. Nur in wenigen Fällen, zumeist wenn auch die Landschaft selbst umgestaltet wird, landen Spieler noch immer in unterschiedlichen Phasen. Beispielsweise wenn wir im Süden des Landes helfen, einen neuen Stützpunkt für unsere Fraktion zu errichten.
Zwischensequenzen in den Quests wurden ebenfalls in Wrath of the Lich King eingeführt und in Cataclysm dann sehr verschwenderisch eingesetzt. Mists of Pandaria fährt die Filmsequenzen an sich wieder etwas zurück, bietet aber mehr vertonte Dialoge und kleinere Handlungsabläufe der NPCs direkt im Spielgeschehen an, ohne dem Spieler die Kontrolle über seine Spielfigur zu entreißen. Das führt zu der paradoxen Situation, dass Mists of Pandaria seine Geschichte oft besser erzählt als Biowares mit so hohen Ansprüchen an die Erzählqualität gestartetes Star Wars: The Old Republic.
Durch Pandaria questet es sich übrigens sagenhaft gut gemeinsam. Das zeigt sich schon an einer grundlegenden Änderung bei den Quest-Achievements, deren Anforderungen bis Cataclysm noch “Beende X Quests in Gebiet Y” lauteten und die in Pandaria keine konkrete Questanzahl mehr vorschreiben, sondern die Absolvierung von zumeist vier bis acht Questreihen in einem Gebiet. Für die einzelnen Reihen braucht man selten länger als eine Stunde und sie müssen oft nicht zwingend in einer bestimmten Reihenfolge erledigt werden. Ich habe wegen sich wenig überschneidender Spielzeiten sicherlich die Hälfte von Pandaria solo erkundet, aber wann immer Freunde online kamen, haben wir schnell und problemlos Anknüpfungspunkte gefunden, um gemeinsam auf Tour zu gehen. Lassen Monster Questgegenstände fallen, droppen diese zumeist für alle Gruppenmitglieder. Töten mehrere Spieler gemeinsam einen Questmob, so zählt der Kill für jeden Spieler, selbst wenn sie nicht in derselben Gruppe sind. Lediglich Quests, bei denen Gegenstände vom Boden aufgesammelt werden müssen, bremsen immer noch den Spielfluss, weil jeder Spieler für sich die erforderliche Anzahl an Gegenständen sammeln muss. Man schnappt sich den Kram ständig gegenseitig vor der Nase weg und ist deutlich länger beschäftigt, als man es als Solospieler wäre.
Klingt bis hierhin schon fast unanständig positiv? Es kommt noch schlimmer: Die Talentbäume sind weggefallen und ich habe sie kein Stück vermisst. Noch immer entscheidet man sich für eine von drei bis vier Spezialisierungen pro Klasse, zusätzlich schaltet man alle fünfzehn Level eines von drei neuen Talenten frei. Abhängigkeiten zwischen den Talenten gibt es praktisch nicht mehr. Insgesamt halten sich die Einflussmöglichkeiten im neuen wie im alten System in Grenzen, das neue System täuscht nur deutlich weniger nicht vorhandene Komplexität vor.
Einen Neuzugang gibt es zwischen Soloquests und 5-Spieler-Dungeons zu bewundern: Szenarien sind kurze, mehrstufige Quests, die von drei Spielern in beliebiger Klassenzusammenstellung angegangen werden können. Zugang bekommt man wie zu den 5-Spieler-Dungeons über das Looking-for-Group-Tool, nur dass die Wartezeit bis zum Start eines Szenarios meist nur wenige Sekunden statt Minuten oder gar Stunden beträgt, eben weil man nur drei Spieler beliebiger Klassen benötigt. Wohin Blizzard mit Szenarien einmal will und welche Funktion sie im Spiel übernehmen sollen, wird in Pandaria nur begrenzt klar. Einerseits wären sie der optimale Übergang von Soloquests zum Gruppenspiel, andererseits öffnen Pandarias Dungeons für Spieler ab Level 85-87, während man auf Level 90 sein muss, um an Szenarien teilnehmen zu können.
Auf Level 90 kommen wir dann auch zum großen Aufreger dieser Expansion: Man wird mit Dailies, also täglich wieder neu verfügbaren Quests, überschwemmt. Eigentlich sollten diese Quests rein optional und zum Absolvieren der Dungeons und Raids nicht erforderlich sein. Dummerweise sind manche dieser Dailies die einzige Möglichkeit, den eigenen Ruf bei Fraktionen zu steigern, die richtig “phatten” Loot anbieten. Ob man diese Sachen nun wirklich braucht oder ob man die erforderliche Ausrüstungsqualität für die Zugangsberechtigungen zum Beispiel zum Looking-for-Raid-Tool nicht auch anderweitig zusammenbekommen würde, ist Gegenstand hitziger Debatten, in denen man Dinge über den Gegensatz zwischen gefühlten und tatsächlichen Notwendigkeiten lernt, die man niemals wissen wollte. Zumindest in die heroischen 5-Spieler-Dungeons kommt man locker noch ohne Dailies, und an diesem Punkt melde ich mich – aus einem Mangel an Interesse an Raids – jetzt auch ab. Aus diesem Artikel und aus World of Warcraft, zumindest bis uns Blizzard mit der nächsten Erweiterung beglückt.
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