Oh weh! Die Heldengruppe ist von Banditen umzingelt. Unerschrocken schwingt Orc-Barbar Kinski seinen Zweihandstreitkolben und haut einen weiteren Feind aus den Latschen. Kreuzritterin Knuthilde hat dagegen alle Hände voll zu tun, ihre Mitstreiter am Leben zu halten. Die Bogenschützin des Quartetts, eine Elfe mit dem unaussprechlichen Namen Ayilvrbefh, lässt wiederum Pfeile auf die Gegner regnen und vergisst, dass sie im Nahkampf damit nur halben Schaden anrichtet. Zum Glück ist der zwergische Runenmagier Hjalmar auch mit an Bord. Denkste! Aufgrund spontaner Verwirrung bringt er kein gerades Zauberwort über die Lippen. Zudem hat der kleine Nichtsnutz in den Runden davor sämtliche Manatränke weggesoffen. Willkommen bei Might & Magic X – Legacy.
Für diejenigen, die noch nie etwas von der Serie gehört haben, fasse ich die Historie mal knapp zusammen: Might & Magic ist im Verlauf der Jahre wie ein alter Ackergaul verendet. Obwohl der sechste Teil mit seiner (nicht sonderlich hübschen) 3D-Engine vor allem einen technischen Sprung bedeutete und erstmals eine komplett freie Bewegung ermöglichte, taumelten alle weiteren Ableger zielsicher in die Bedeutungslosigkeit.
Tatsächlich verbinde ich Might & Magic fast schon automatisch mit dem vierten (Clouds of Xeen) und fünften (Dark Side of Xeen) Teil. Als treuer Leser der Bestseller Games fielen mir die beiden Spiele in Form von Heft-Vollversionen in die Hände. Obwohl damals noch ein Knirps, erinnere ich mich an zahllose Stunden planlosen Herumstromerns in gigantischen Spielwelten, die in tausende Quadrate unterteilt waren. Von der Bewegungsfreiheit eines Skyrim (welches ein tolles Spiel ist, lest euch nur mal die Kommentare dazu durch!!111elf) keine Spur. Doch all das ist nichts gegen das vielleicht coolste Gimmick des 4er und 5ers: Besaß man beide Spiele, konnte man die jeweiligen Welten zu einer einzelnen riesengroßen Fantasy-Spielwiese verschmelzen. Hui!
Dererlei revolutionäre Features kann Might & Magic X – Legacy weiß Gott nicht auffahren. Wohl aber das klassische Raster und Spielgefühl der älteren Serienteile. Überhaupt soll bitte niemand großartige Innovationen erwarten. Das Rad der Rollenspiele wird hier nicht neu erfunden. Viel eher lässt sich Legacy als ein aus der Zeit gefallenes Liebhaberprodukt beschreiben. Oder frei nach Amazon: „Kunden, die früher schon auf Karopapier ihre Streifzüge durch Rollenspielwelten dokumentierten, haben auch Might & Magic X – Legacy gekauft.“
Zu Beginn muss natürlich eine vierköpfige Abenteurertruppe zusammengestellt werden. Vier Rassen mit jeweils drei einzigartigen Klassen stehen zur Auswahl. Anschließend werden noch ein paar Talente verteilt und schon steht die Gruppe in Lumpen und ohne Geld vor den Toren einer kleinen Hafenstadt. Die erste Aufgabe besteht in der Ausräucherung eines – Überraschung – Spinnennestes, später geht es hinaus in die weite Welt. Die kann in ihren Ausmaßen zwar nicht mit den beiden Xeens mithalten, bietet aber trotzdem genug Entdeckungswürdiges. Schatztruhen und Schreine, Höhlen mit übermächtigen Feinden oder die altbekannten Obeliskenrätsel. Nicht immer ist klar, welchen Weg die Entwickler für den Spieler vorgesehen haben. Vor allem zu Beginn manövriert man sich allzu oft in aussichtslose Gefechte. Dank fehlender Fluchtmöglichkeit ist jeder Kampf einer um die Wurst. Regelmäßiges Speichern ist in Legacy eine Tugend.
Spannend ist die Erkundung aber immer. Vor allem, wenn sich im Verlauf der Handlung die Spielwelt öffnet. Irgendwann wird man auch dichte Wälder durchqueren können. Kurz darauf stellen auch Gewässer oder Berge kein Hindernis mehr dar. Apropos Handlung: Ein von dunklen Mächten bedrohtes Land, zwielichtige Adelige, Ritter und Prinzessinnen… klingt bekannt? Die Chancen stehen nicht schlecht, dass man so eine Geschichte schon einmal in einem Groschenroman gelesen hat, während man im Bahnhofskiosk auf den Anschlusszug wartete. Wer bei all dem hofft, man könne Entscheidungen treffen und die Handlung damit in eines von 34 Enden münden lassen, darf sich für diese Schnapsidee direkt selbst auslachen.
Aber nicht nur in Sachen Geschichte, auch in Sachen Gegner- und Weltdesign greift Might & Magic X – Legacy tief in die Klischeekiste. Mantikore und Greifen, Dunkelelfen, Elementare, Orks oder gar Drachen: Es gibt quasi keine Fantasy-Kreatur, die sich der Heldengruppe nicht in den Weg stellt. Und auch daraus kann man dem Spiel keinen sonderlich dicken Strick drehen. So waren die Might & Magics schließlich schon immer.
Interessanter wird’s dann schon in den kniffligen und zahlreichen Kämpfen. Im Gegensatz zum direkten Kontrahenten im Geiste, Legend of Grimrock, wird rundenweise gekämpft. Erst die Gruppe, dann alle Gegner. Besonders wenn die Heldengruppe von mehreren Gegnern umzingelt ist, prasselt so einiges an Schaden auf das Quartett ein. Mit fortschreitendem Spielverlauf bekommen die Gegner noch nervige Angewohnheiten wie Resistenzen oder besonders gemeine Schadenszauber spendiert. Eine taktisch kluge Positionierung und der Einsatz von Schutz-und Heilzaubern ist daher das A und O im erfolgreichen Abenteurerdasein.
Aber die Mühe lohnt sich. Gold, Items und Erfahrungspunkte sind der Ansporn für jedes weitere Gefecht. Mit besonders viel Glück lässt sich sogar eines der seltenen Relikte ergattern. Das sind besonders mächtige Ausrüstungsteile, die separat aufgelevelt und immer stärker werden. Es ist schon verblüffend, welche Sogwirkung Legacy bereits nach wenigen Stunden entwickelt. Plötzlich will man nur noch schnell diese eine Ruine erkunden. Zwei Stunden später ist man auf dem Weg zur nächsten Stadt, um die Beute zu Goldmünzen zu machen oder bei einem Trainer neue Fähigkeiten zu erlernen. Mächtiger werden und die Welt erkunden, darum geht’s hier. Schon bald kehrt man zu der verdammten Drachenhöhle vom Anfang zurück und klaut dem Schuppenvieh seinen Schatz. Anschließend geht’s weiter in exotische Dschungel, wo man aber wieder nur auf eine natürliche Begrenzung in Form von übermächtigen Gegnern stößt. Also versucht man sein Glück anderswo. Might & Magic X – Legacy ist ein permanentes Streben nach mehr. Weil die Gegner nicht respawnen, lässt sich der eigene Fortschritt zudem prima verfolgen.
Man muss sich jedoch im Klaren darüber sein, dass Legacy nichts für jedermann ist. Schon gar nicht für Grafikfetischisten. Andererseits gewann die Serie ja noch nie Schönheitspreise. Verschärft wird das alles durch ein paar lästige Bugs, Abstürze, Performanceprobleme und Ladezeiten jenseits von Gut und Böse. Die generelle Unzugänglichkeit macht die Sache auch nicht besser. So gut wie nichts wird erklärt. Das kann ja durchaus erfrischend sein (siehe Dark Souls), aber hier irrte ich ein paar Mal zu oft völlig planlos durch die Pampa. Zu allem Überfluss habe ich erst mit Level 10 kapiert, wie ich Talentpunkte verteilen kann…
Aber verdammt! Das alles macht einen Heidenspaß! Nur zu gern hab ich’s mir mit einer dampfenden Tasse Tee und in eine Decke eingewickelt, vor dem Rechner bequem gemacht. So ein heimeliges Gefühl bietet mir keines der modernen Rollenspiele. Die restlichen Might & Magics werde ich mir deswegen trotzdem nicht auf gog.com zusammenkaufen. Legacy ist eine bewusst verklärte Zeitreise in die Vergangenheit. Gut genug um nochmal ein bisschen gute, alte Abenteuerluft zu schnuppern. Dann ist aber auch mal wieder gut.
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