… und dann hab ich einfach draufgehalten. Vergessen, dass Freunde auf Facebook posteten, dieses Spiel und sein Gewaltgrad seien abstoßend, vergessen, dass es eine Debatte um eine angedeutete Vergewaltigung gab (die ich übrigens nicht als nur angedeutet bezeichnen würde), vergessen, warum ich eigentlich hier bin, warum ich gerade aus einem Lift steige und zwei Automatikwaffen auf Gegner richte, was das nochmal war mit diesem schon arg verworrenen Plot, den ich vermutlich besser verstehen würde, wenn ich mehr Lynch-Filme schauen oder mir eine Miami Vice-Komplettbox zulegen würde. Völlig egal. Draufhalten. Einer tot, zwei, drei, vier, nachladen, um die Ecke sehen, nichts in Sicht, aus den Boxen pumpt Roller Mobster von Carpenter Brut und das hier ist längst nicht mehr nur die bestdenkbar choreographierte Gewaltpornographie, das ist ein einziger Rausch, in dem ich versunken bin, in dem ich mich völlig verloren habe, vor Stunden schon.
Der endet, weil ich nicht sehe, dass hinter einem Fenster noch ein Gegner steht. Das vertraute Geräusch einer abgeschossenen Schrotflinte und ich weiß instinktiv, dass ich nun draufgehe und im Bruchteil der nächsten Sekunde die X-Taste drücken und damit neustarten werde. Muss. Den ganzen Abschnitt natürlich, das soll mir ja eine Lehre sein, dass ich so unvorsichtig vorgegangen bin, nur weil ich meinen Killcount maximieren wollte, weil ich auch wie all die harten Typen 20 Gegner in Folge umlegen wollte und dabei vergessen habe, wie verdammt schnell das hier zu Ende sein kann. Weil ich mich im Flow verloren habe, der auch Hotline Miami 2 ausmacht, wie es schon im Vorgänger der Fall war. Weil ich der Beste sein wollte, nicht nur ein C+ Ranking holen, sondern gleich die A, ach was, besser eine S oder was auch immer das Maximum hier ist – ich hab’s noch nie erreicht.
Zugegeben: ich bin ein äußerst durchschnittlicher Hotline Miami-Spieler. Schon immer gewesen. Ich gehe meist konservativ vor, lege lieber lautlos einen nach dem anderen um, suche die Gegend vorsichtig ab, taste mich voran. Doch diese Szene hat mich einfach zu heftig mitgerissen, hat mein System mit einem Song umgeworfen. Dieses 12. Level, also gerade einmal zwei Drittel des Spiels geschafft. Wenn mir die Entwickler mit diesem Spiel überhaupt etwas sagen wollen, dann vielleicht am ehesten das: Kopf zu, Waffe durchladen, rein da.
Ob sie mir etwas anderes mitteilen möchten? Darüber habe ich in den vergangenen Tagen viele sehr gute Texte gelesen. Etwa, dass Teil eins aus einer Frustration des Entwicklers gegenüber dem Ausverkauf der Indie-Szene entstanden ist. Oder darüber, dass zu wenig über die eingangs erwähnte Vergewaltigungsszene diskutiert wird. Die sich auf Wunsch noch vor Spielbeginn wegklicken lässt – was angesichts des Gewaltgrades, der hier sonst vorherrscht, nur als zynisches Statement gewertet werden kann. Und die Szene natürlich erst recht interessant macht, hey, ich will schließlich wissen, was da so verboten und geheimnisvoll ist, was so brutal sein soll, dass ich es bei einem Spiel, dessen Brutalitätsgrad nach deutschen Spielewertungssystemen bei 120 Prozent läge, überspringen kann. Ich tue mich äußerst schwer damit, eine Besprechung oder einen Text auf dieser einzelnen Stelle aufzubauen – wenn das Gesamtwerk so überzogen ist, dass es ohnehin nur als grotesk beschrieben werden kann.
Und das natürlich erneut in allen Facetten: Farbgebung, Sound, diese verwobene Story und vor allem deren Auflösung bilden einen Komplex, der mir nichts anderes sagt als “Hab Spaß mit mir, nimm mich nicht ernst – ich dich nämlich auch nicht”. Wollte man mir das mitteilen? Dass das hier gar keinen weiteren Sinn reingepackt hat, dass dieses Spiel keine Meta-Ebene enthält, nicht zum Nachdenken anregen soll, sondern einfach nur GTA 1 mit besserer Musik und mehr Waffen (und – natürlich – mehr Gewalt!) ist? Ich weiß es nicht und wenn es eine Leistung gibt, die Hotline Miami 2 tatsächlich erbracht hat, dann die: ich will’s auch nicht wissen. Ich will’s schaffen. Ich will vielleicht gerade noch irgendwo die Geschichte dahinter verstehen, sicher. Aber auch nur soweit, als dass ohnehin die nächste Szene wartet, in der nichts über die verschiedenen Charaktere erzählt, sondern bleihaltig argumentiert wird. Es sind dieser genial erzeugte Spielfluß und das ultrahohe Tempo, die mich an dieses Spiel binden – und die in meinem Fall keinen Raum für weitere Gedanken gelassen haben. Ich kann, so dämlich das klingen mag, zwischen herumfliegenden Gedärmen und abgeschossenen Gliedmaßen wunderbar entspannen. Auch wenn ich gehetzt sein sollte, gestresst von wummernden Beats, vom Gedanken, in der nächsten Sekunde schon tot sein zu können – alles egal. Dann starte ich es eben neu. Und das wieder und wieder. Und danach.. wieder.
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