Moin! Heiko hier.
Heute hatten wir einen PT Cruiser zur Inspektion da. Ja, genau, die hässlichste Karre der letzten Dekade. Und der Wagen ist nicht nur legendär hässlich, sondern auch sensationell schlecht verarbeitet. Chrysler halt. Deshalb sieht man die Dinger auch kaum noch auf der Straße, obwohl die sich in den Nullern verhältnismäßig gut verkauft haben. Natürlich war die Kundin, die Tochter vom Willy Haagemeyer, ziemlich entsetzt, als sich rausstellte, dass neben der normalen Inspektion noch etliche andere Sachen gemacht werden müssen.
“Tut mir ja leid”, sachte ich, “aber ich hätte mir die Mühle gar nicht erst gekauft. Die Dinger sind einfach Mist. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass der hier noch sein erstes Getriebe hat.” – “Ich finde das Retro-Design aber total schick. Der sieht nicht so rundgelutscht wie all die anderen Autos aus. Und richtig günstig war er auch.” meinte sie. – “Klar war der günstig. Den will ja heute keiner mehr haben. Dieses Vorkriegs-Gangster-Limousinen-Design war genauso schnell wieder aus der Mode, wie die Dinger kaputt gingen.” – “Ich mag ihn trotzdem!”, erwiderte sie trotzig. “Bekommen Sie die anderen Sachen denn bis morgen hin?” – “Bis morgen Abend müssten wir den fertig haben. Sagen wir 17 Uhr?” – “Gut, dann bis morgen.”
Als sie wieder weg war, kam mein Geselle Gerd zu mir: “Ich kann mich ja täuschen Chef, aber ich glaube, dass es nicht so wahnsinnig clever ist, den Kunden zu erzählen, dass ihr Auto scheiße ist. Das will doch keiner hören. Schon gar nicht so’n junges Ding, dass sich in ihren ersten eigenen Wagen verguckt hat.” – “Sieht aber echt total scheiße aus, das Teil.”, meinte Justin im Vorbeigehen. “Genau die gleiche Retro-Grütze wie bei diesen Indie-Games.” Von Gerd gab’s dafür nur ein trockenes “Klappe, Justin.”
Unser Azubi “Triple A” Justin, für den Videospiele nur dem Hörensagen nach schon vor der Playstation 2 existierten, hat zwar wie immer keinen Plan von nichts, aber wie sachte meine Oma immer? – “Kindermund tut Wahrheit kund.” Prinzipiell habe ich nichts gegen die Indie-Games-Szene oder Spiele im Retro-Look, sofern das Spielprinzip auch was taucht. Grafik ist nicht alles. FTL – Faster Than Light ist ein schönes Beispiel: Sieht aus und klingt wie ein Amiga-Spiel, aber macht extrem süchtig. Weil das Gameplay einfach klasse ist. Wäre es mit besserer Grafik ein besseres Spiel? Vermutlich nicht. Es würde ihm vielleicht sogar einiges an Charme verloren gehen. Was ich allerdings überhaupt nicht ab kann, ist Retro als Hipster-Phänomen, wo jeder Kernschrott gehyped wird, wenn er nur über genügend Pixel-Matsch und Chiptune-Gedudel verfügt. Da werden Unvermögen und Ideenlosigkeit kurzerhand zur Kunstform erklärt. Das ist nichts weiter als eine hohle Mode für hohle Köpfe. Und der Clou ist, wer das überhaupt cool findet: Nicht etwa alte Säcke wie Gerd und ich, die sich vermeintlich in Nostalgie suhlen. Nein! Studenten-Köppe Anfang 20, die die Zeit, als alle Spiele halt einfach so aussahen, gar nicht selbst erlebt haben. Verdammte Hipster, sach ich Euch!
“Mal ehrlich Gerd, so ganz daneben liegt er ja nicht, oder?”, sagte ich als Justin im Lager verschwunden war. – “Der Bengel hat doch keine Ahnung. FEZ, FTL, Hotline Miami, Minecraft, Terraria, Papers please – Alles super Spiele, die in seinen Augen alle scheiße sind, weil sie nicht wie das neue Call Of Duty aussehen.” – “Keine Frage, Gerd. Aber du nennst auch nur die Indie-Hits. Tatsächlich kommen aber auf jedes FEZ mindestens zehn Vollgurken wie dieses GhostControl Inc.; Spiele, die den Retro-Hype nur schamlos ausnutzen, um haarsträubend schlechtes Zeugs an den Mann zu bringen, das früher nicht mal in der 64er als “Listing des Monats” abgedruckt worden wäre.” – “Jau, das war übel.” – “Da denken inzwischen viele talentfreie Typen, wenn man auch ohne HD-Grafik, Motion-Capturing und Symphonieorchester einen Hit landen kann, dann kann ich das auch. Und die Finanzierung läuft über Kick-Starter oder Early-Access. Das Ergebnis ist dann ein Meer aus Gülle mit ganz wenigen Perlen.”
Justin kam vom Lager zurück: “Hier Chef, die neuen Radmuttern.” – “Bedankt. Aber nochmal wegen Retro und so, Justin: Wir waren doch letztes Jahr alle auf der Techno-Classica und du warst doch auch völlig begeistert von den Oldtimern …” – “Ja, moment! Retro hat doch nichts damit zu tun, echte alte Autos cool zu finden. Retro ist, wenn ich neue Autos auf Oldtimer trimme, weil mir nichts Neues einfällt. Da liegen doch Welten zwischen einer alten Mercedes Heckflosse und diesem schäbigen PT Cruiser.” – “Punkt für dich. Aber das widerspricht doch komplett deinem Videospielkonsum.” Jetzt hatte ich ihn. Dachte ich zumindest. – “Nö, überhaupt nicht, Chef. Ich sehe es nur nicht ein, was daran besonders cool sein soll, wenn man heute, bei all den technischen Möglichkeiten, hingeht und Spiele wieder wie vor 30 Jahren aussehen lässt. Augenkrebs und Hakelsteuerung inklusive.” – Beiläufig bemerkte ich, dass Gerds Mund halb offen stand. – “Außerdem”, legte Justin nach, “habe ich letztens sogar dieses System Shock 2 nachgeholt, weil ihr beiden schon tausendmal davon geschnackt habt. Total krasses Spiel! Die Grafik war oll und die Steuerung anstrengend, aber trotzdem ein super geiles Spiel. Das war damals halt so. Komm ich drauf klar. Aber wenn mir heute jemand dieses Spiel als neu verkaufen wollte, würde ich ihn auslachen.”
Es war kein Spiegel in der Nähe, aber ich hätte wetten können, dass nun auch mein Mund etwas offen stand… “Ähm, ok Justin. Dann, äh, lös schon mal die Schellen vom Endtopf an dem Chrysler. Der muss geschweißt werden.”
Etwas später nahm mich Gerd zur Seite: “Sach mal, Heiko, ich glaube wir sollten vielleicht mal unsere Einstellung dem Justin gegenüber überdenken.” – “Du meinst noch mehr Überstunden, aber dafür weniger Geld?” Ich grinste. – “Quatsch. Ich meine, dass der Junge vielleicht nicht halb so blöd und ignorant ist, wie wir beide immer angenommen haben.” – “Ja, ich weiß. Aus dem wird vielleicht sogar noch’n richtiger Mensch. Aber nicht gleich übertreiben, nech. Einen Lehrling auf Höhenflug kann ich hier nich gebrauchen. Der wird am Ende nur aufmüpfig…”
So war das heute also. Muss ich selber nochmal drüber nachdenken. Über Retro. Und Justin…
Munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne “Heikos Garage” in der WASD. Dieser Text wurde im August 2014 für die 6. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema “Retro” geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
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